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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Konservativismus, Deutschncitionale Volkspartei und ZVeltrevolution

wollte und auf das Weiterführen gänzlich verzichtete. Und selbst ein Partei, die
bloß erhalten wollte, mußte sich über Unterscheidungsmerkmale schlüssig werden,
die es ihr möglich machen, nun auch in jedem einzelnen Falle zwischen dem zu wählen,
was es zu erhalten, und zwischen dem vielen anderen, was es zu überwinden
gilt. Aber der Konservativismus ist nicht nur negative Erhaltungspartei, sondern
es ist mit Recht in den letzten Jahren von einem konservativen Fortschritt ge¬
sprochen worden, und zwar in einem doppelten Sinne. Konservativer Fortschritt:
das bezeichnet einmal das Tempo der Entwicklung, bevorzugt den Rhythmus lang¬
samer Entfaltung vor der überstürzten Hast des Umsturzes. Konservativer Fort¬
schritt: das umgreift aber auch ein Ziel der Entwicklung, bedeutet den Glauben
an den organischen Charakter des Staates und der Gesellschaft, an die unver¬
äußerliche Rolle der Autorität im öffentlichen Leben, an die Geltung und Leistung
der Person, an Schichtung und Stufung des Gesellschaftsbaues, an das sittliche
Gebot der Einordnung des einzelnen in das übergreifende Ganze. Eigenschaften
dieser Art waren es auch zum -großen Teil, die Graf Westcirp in seinem erwähnten
Artikel als unveräußerliches konservatives Erbgut gepriesen hat. Unverständlich
bleibt bloß, warum zu ihrer Aufrechterhaltung das unzulängliche Stichwort des
Konservatioismus gewahrt bleiben soll, das den konkreten Jdeenbestand ebenso
wenig deckt, wie die neue Flagge des Nationalismus. Die ganze Diskusston
nimmt an diesem Punkte eine Wendung ins Taktische, und gerade von der poli¬
tischen Reife der alten konservativen Partei sollte man erwarten können, daß sie
für taktische Gesichtspunkte das nötige Verständnis müßte aufbringen können.

Es ist in der Tat nicht zu leugnen, daß die revolutionäre Zeit, in der wir
lebeir, allerdings dazu verführen könnte, nun gerade die konservative Parole aus¬
zugeben. Denn in einer Zeit, wo altes wankt, wo insbesondere der Bourgeois
um seine Renten, der Geheimrat um seinen Posten, der Bauer um seine Scholle
zittert, kann in der Tat diejenige Partei auf starken Zulauf rechnen, die diesen
viel zu vielen die Rettung ihres Ruhekissens verbürgt. Aber es wird nicht eine
sehr heldenhafte Armee sein, die sich um dieses konservative Banner gerade jetzt
sammelt, es besteht im Gegenteil die Gefahr, daß es eine Auslese der Ängstlicher,
vor allem aber eine Auslese derer wird, denen vor neuen, vor jungen, vor starken
Ideen als solchen bange ist, die sich ängstlich an die Vergangenheit klammern,
und denen daher der Weg zur Zukunft versperrt ist. Also: die Parole glänzt
verführerisch, aber sie führt die Partei nicht weiter, sondern stempelt sie zu dem,
was ihr bisher zu Unrecht nachgesagt wurde: zu einem Horte der Reaktion.

Wer hat denn heute vor allen Dingen Grund, in diesem Sinne "konservativ"
zu sein? Etwa der Landedelmann, der durch die kcipimlistischen Jnteressenver-
slechtungen des bourgeoisen Zeitalters, das hinter uns liegt, seiner urtümlichen
Wesensart entfremdet wurde? Etwa der Beamte, dem von den westlichen Demo¬
kratien her die Gefahr amerikanischer Korruption droh!? Gewiß ist für sie, ist
für das ganze Bürgertum durch die Revolution die bisherige Lebensgrundlage
erschüttert worden. Den Grund, dazu hat aber nicht der Sozialismus gelegt, der
eigentliche Grund ist beim Kapitalismus der demokratischen Bourgeoisie nach west¬
lichem Muster zu suchen. Die Blüte derjenigen Kreise, in denen der konservative
Gedanke, die Idee organischer Gemeinschaftspolitik zu Hause ist, lag nicht in der
letzten Gegenwart, lag vielmehr in jenen Zeiten, als der Kapitalismus noch nicht
das strenge und herbe Pathos altpreußischer Einfachheit aufgebläht und auf eine
gefährliche Weise von innen her gefälscht hatte. Nicht der Fortbestand der alt¬
preußischen Atmosphäre, deren Hauch die Ausführungen des Grafen Westarp
beherrscht, steht heute zur Diskussion, sondern die Frage ist. ob sich der Kapitalis¬
mus in Deutschland behaupten oder ob er durch ein neues System ersetzt werden
soll, daS an Stelle der Zersetzung im Klassenkampf, der Atomisierung im west¬
lichen Demokratismus den neuen Aufbau des Volksgedankens aus der Idee der
Arbeitsgemeinschaft setzen soll.

Die Welt scheidet sich heute in zwei große Lager. Im einen will man be¬
wahren und festhalten, glaubt oder gibt vor zu glauben an die Ideen der Revo-


Konservativismus, Deutschncitionale Volkspartei und ZVeltrevolution

wollte und auf das Weiterführen gänzlich verzichtete. Und selbst ein Partei, die
bloß erhalten wollte, mußte sich über Unterscheidungsmerkmale schlüssig werden,
die es ihr möglich machen, nun auch in jedem einzelnen Falle zwischen dem zu wählen,
was es zu erhalten, und zwischen dem vielen anderen, was es zu überwinden
gilt. Aber der Konservativismus ist nicht nur negative Erhaltungspartei, sondern
es ist mit Recht in den letzten Jahren von einem konservativen Fortschritt ge¬
sprochen worden, und zwar in einem doppelten Sinne. Konservativer Fortschritt:
das bezeichnet einmal das Tempo der Entwicklung, bevorzugt den Rhythmus lang¬
samer Entfaltung vor der überstürzten Hast des Umsturzes. Konservativer Fort¬
schritt: das umgreift aber auch ein Ziel der Entwicklung, bedeutet den Glauben
an den organischen Charakter des Staates und der Gesellschaft, an die unver¬
äußerliche Rolle der Autorität im öffentlichen Leben, an die Geltung und Leistung
der Person, an Schichtung und Stufung des Gesellschaftsbaues, an das sittliche
Gebot der Einordnung des einzelnen in das übergreifende Ganze. Eigenschaften
dieser Art waren es auch zum -großen Teil, die Graf Westcirp in seinem erwähnten
Artikel als unveräußerliches konservatives Erbgut gepriesen hat. Unverständlich
bleibt bloß, warum zu ihrer Aufrechterhaltung das unzulängliche Stichwort des
Konservatioismus gewahrt bleiben soll, das den konkreten Jdeenbestand ebenso
wenig deckt, wie die neue Flagge des Nationalismus. Die ganze Diskusston
nimmt an diesem Punkte eine Wendung ins Taktische, und gerade von der poli¬
tischen Reife der alten konservativen Partei sollte man erwarten können, daß sie
für taktische Gesichtspunkte das nötige Verständnis müßte aufbringen können.

Es ist in der Tat nicht zu leugnen, daß die revolutionäre Zeit, in der wir
lebeir, allerdings dazu verführen könnte, nun gerade die konservative Parole aus¬
zugeben. Denn in einer Zeit, wo altes wankt, wo insbesondere der Bourgeois
um seine Renten, der Geheimrat um seinen Posten, der Bauer um seine Scholle
zittert, kann in der Tat diejenige Partei auf starken Zulauf rechnen, die diesen
viel zu vielen die Rettung ihres Ruhekissens verbürgt. Aber es wird nicht eine
sehr heldenhafte Armee sein, die sich um dieses konservative Banner gerade jetzt
sammelt, es besteht im Gegenteil die Gefahr, daß es eine Auslese der Ängstlicher,
vor allem aber eine Auslese derer wird, denen vor neuen, vor jungen, vor starken
Ideen als solchen bange ist, die sich ängstlich an die Vergangenheit klammern,
und denen daher der Weg zur Zukunft versperrt ist. Also: die Parole glänzt
verführerisch, aber sie führt die Partei nicht weiter, sondern stempelt sie zu dem,
was ihr bisher zu Unrecht nachgesagt wurde: zu einem Horte der Reaktion.

Wer hat denn heute vor allen Dingen Grund, in diesem Sinne „konservativ"
zu sein? Etwa der Landedelmann, der durch die kcipimlistischen Jnteressenver-
slechtungen des bourgeoisen Zeitalters, das hinter uns liegt, seiner urtümlichen
Wesensart entfremdet wurde? Etwa der Beamte, dem von den westlichen Demo¬
kratien her die Gefahr amerikanischer Korruption droh!? Gewiß ist für sie, ist
für das ganze Bürgertum durch die Revolution die bisherige Lebensgrundlage
erschüttert worden. Den Grund, dazu hat aber nicht der Sozialismus gelegt, der
eigentliche Grund ist beim Kapitalismus der demokratischen Bourgeoisie nach west¬
lichem Muster zu suchen. Die Blüte derjenigen Kreise, in denen der konservative
Gedanke, die Idee organischer Gemeinschaftspolitik zu Hause ist, lag nicht in der
letzten Gegenwart, lag vielmehr in jenen Zeiten, als der Kapitalismus noch nicht
das strenge und herbe Pathos altpreußischer Einfachheit aufgebläht und auf eine
gefährliche Weise von innen her gefälscht hatte. Nicht der Fortbestand der alt¬
preußischen Atmosphäre, deren Hauch die Ausführungen des Grafen Westarp
beherrscht, steht heute zur Diskussion, sondern die Frage ist. ob sich der Kapitalis¬
mus in Deutschland behaupten oder ob er durch ein neues System ersetzt werden
soll, daS an Stelle der Zersetzung im Klassenkampf, der Atomisierung im west¬
lichen Demokratismus den neuen Aufbau des Volksgedankens aus der Idee der
Arbeitsgemeinschaft setzen soll.

Die Welt scheidet sich heute in zwei große Lager. Im einen will man be¬
wahren und festhalten, glaubt oder gibt vor zu glauben an die Ideen der Revo-


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[0110] Konservativismus, Deutschncitionale Volkspartei und ZVeltrevolution wollte und auf das Weiterführen gänzlich verzichtete. Und selbst ein Partei, die bloß erhalten wollte, mußte sich über Unterscheidungsmerkmale schlüssig werden, die es ihr möglich machen, nun auch in jedem einzelnen Falle zwischen dem zu wählen, was es zu erhalten, und zwischen dem vielen anderen, was es zu überwinden gilt. Aber der Konservativismus ist nicht nur negative Erhaltungspartei, sondern es ist mit Recht in den letzten Jahren von einem konservativen Fortschritt ge¬ sprochen worden, und zwar in einem doppelten Sinne. Konservativer Fortschritt: das bezeichnet einmal das Tempo der Entwicklung, bevorzugt den Rhythmus lang¬ samer Entfaltung vor der überstürzten Hast des Umsturzes. Konservativer Fort¬ schritt: das umgreift aber auch ein Ziel der Entwicklung, bedeutet den Glauben an den organischen Charakter des Staates und der Gesellschaft, an die unver¬ äußerliche Rolle der Autorität im öffentlichen Leben, an die Geltung und Leistung der Person, an Schichtung und Stufung des Gesellschaftsbaues, an das sittliche Gebot der Einordnung des einzelnen in das übergreifende Ganze. Eigenschaften dieser Art waren es auch zum -großen Teil, die Graf Westcirp in seinem erwähnten Artikel als unveräußerliches konservatives Erbgut gepriesen hat. Unverständlich bleibt bloß, warum zu ihrer Aufrechterhaltung das unzulängliche Stichwort des Konservatioismus gewahrt bleiben soll, das den konkreten Jdeenbestand ebenso wenig deckt, wie die neue Flagge des Nationalismus. Die ganze Diskusston nimmt an diesem Punkte eine Wendung ins Taktische, und gerade von der poli¬ tischen Reife der alten konservativen Partei sollte man erwarten können, daß sie für taktische Gesichtspunkte das nötige Verständnis müßte aufbringen können. Es ist in der Tat nicht zu leugnen, daß die revolutionäre Zeit, in der wir lebeir, allerdings dazu verführen könnte, nun gerade die konservative Parole aus¬ zugeben. Denn in einer Zeit, wo altes wankt, wo insbesondere der Bourgeois um seine Renten, der Geheimrat um seinen Posten, der Bauer um seine Scholle zittert, kann in der Tat diejenige Partei auf starken Zulauf rechnen, die diesen viel zu vielen die Rettung ihres Ruhekissens verbürgt. Aber es wird nicht eine sehr heldenhafte Armee sein, die sich um dieses konservative Banner gerade jetzt sammelt, es besteht im Gegenteil die Gefahr, daß es eine Auslese der Ängstlicher, vor allem aber eine Auslese derer wird, denen vor neuen, vor jungen, vor starken Ideen als solchen bange ist, die sich ängstlich an die Vergangenheit klammern, und denen daher der Weg zur Zukunft versperrt ist. Also: die Parole glänzt verführerisch, aber sie führt die Partei nicht weiter, sondern stempelt sie zu dem, was ihr bisher zu Unrecht nachgesagt wurde: zu einem Horte der Reaktion. Wer hat denn heute vor allen Dingen Grund, in diesem Sinne „konservativ" zu sein? Etwa der Landedelmann, der durch die kcipimlistischen Jnteressenver- slechtungen des bourgeoisen Zeitalters, das hinter uns liegt, seiner urtümlichen Wesensart entfremdet wurde? Etwa der Beamte, dem von den westlichen Demo¬ kratien her die Gefahr amerikanischer Korruption droh!? Gewiß ist für sie, ist für das ganze Bürgertum durch die Revolution die bisherige Lebensgrundlage erschüttert worden. Den Grund, dazu hat aber nicht der Sozialismus gelegt, der eigentliche Grund ist beim Kapitalismus der demokratischen Bourgeoisie nach west¬ lichem Muster zu suchen. Die Blüte derjenigen Kreise, in denen der konservative Gedanke, die Idee organischer Gemeinschaftspolitik zu Hause ist, lag nicht in der letzten Gegenwart, lag vielmehr in jenen Zeiten, als der Kapitalismus noch nicht das strenge und herbe Pathos altpreußischer Einfachheit aufgebläht und auf eine gefährliche Weise von innen her gefälscht hatte. Nicht der Fortbestand der alt¬ preußischen Atmosphäre, deren Hauch die Ausführungen des Grafen Westarp beherrscht, steht heute zur Diskussion, sondern die Frage ist. ob sich der Kapitalis¬ mus in Deutschland behaupten oder ob er durch ein neues System ersetzt werden soll, daS an Stelle der Zersetzung im Klassenkampf, der Atomisierung im west¬ lichen Demokratismus den neuen Aufbau des Volksgedankens aus der Idee der Arbeitsgemeinschaft setzen soll. Die Welt scheidet sich heute in zwei große Lager. Im einen will man be¬ wahren und festhalten, glaubt oder gibt vor zu glauben an die Ideen der Revo-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/110>, abgerufen am 01.09.2024.