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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

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Die Revolution, die wir brauchten
Dr. Max Hildebert ZZoehm von
I.

is ich am 9. November v. I. mit einem Freunde durch die auf¬
geregt belebten Straßen Berlins ging, machte dieser die Bemerkung
er vermisse in all den Bildern, die sich unseren Blicken boten, jede
Spur von Enthusiasmus. Diese Beobachtung kennzeichnet die
ganze deutsche Revolution in ihrem bisherigen Verlauf. Hält man
die Stimmung des Novembers 1918 etwa gegen die des Augusts
1914, so fällt der Vergleich in der Richtung auf den dionysischen Ton der seelischen
Erregung sehr zu ungunsten der Revolution ans. Kein Lied, kein Wort, kein
Symbol.' das dem Geschehen der letzten Wochen eigentümlich wäre. Etwas Radau
und Sensation auf den Straßen, die unsinnig herumsausenden Militärautos mit
den roten Fahnen in den ersten Tage", umgröhlt von Straßenjungen, von den
Erwachsenen mit ängstlich stummer Neugierde bestaunt, dazu die Razzia nach den
Kokarden, eine sinnlose Nachahmung des österreichischen Beispiels (auch da ließ
der eiste Eifer schnell nach), die Hissung der roten Flagge auf einigen öffent¬
lichen Gebäuden -- mehr ist an Ausdruckserscheinungen der Umwälzung kaum
aufzuführen. Eine ärmliche Ausbeute, die nicht gerade für die Tiefe und innere
Notwendigkeit der Bewegung Zeugnis ablegt.

Aber vielleicht ist es nicht Sache des Deutschen, einer großen Bewegung
sofort die sinnfällige Form zu geben? Vielleicht mußte gerade aus dem Wesen
unseres bedächtigen Volkes heraus seine Revolution ein so ruhiges sachliches Ge¬
präge tragen? Man ton nie an diese Einwirkung des deutschen Nationolchorakters
glauben, nur zeigt auch im rum Organisatorischen die Revolution dieselbe Armut,
die sie auf dem Gebiet des musischen Sinnbildes aufweist. Die schnelle Beseiti¬
gung der Dynastien beüeuteie im Augenblick nicht viel mehr als die Entfernung
eines dekorativen Knaufes an der Spitze der einzelstaailichen Gebäude, der hohe
Personenwechsel in den Zentralbehörden war nichts neues gegenüber den Erfah¬
rungen der letzten Wochen, Monate und Jahre, vor der Katastrophe wurden wir
bewahrt, indem der gesamte Apparat ruhig, als wäre nichts geschehen, weiter
arbeitete, ein Beweis mehr dafür, daß das Schwergewicht seiner Leistung schon
vorher nicht in den oberen Spitzen zu fuchen war. Am stärksten trat der Wechsel
im Schwinden der militärischen Disziplin zutage. Es zeigte sich an diesem Punkt,
daß die Revolution ihrem Wesen nach eine reine Milnürrcvolte war, deren Wellen¬
bewegung sich von der Marine aufs Heimatheer und die Etappe und erst in
letzter Linie auf die Fronltruppen übertrug. Das eigentlich neue waren die
Arbeiter- und Soldateuräie, eine Art berufsständischer Vertretung zweier Schichten,
die für die Dauer des mobilen Zustandes sich mit einem gewissen Recht als das
Massenfundament unseres Volkes betrachten können. Diese improvisierten Klassen,"


Grenzboten I 1919 1


Die Revolution, die wir brauchten
Dr. Max Hildebert ZZoehm von
I.

is ich am 9. November v. I. mit einem Freunde durch die auf¬
geregt belebten Straßen Berlins ging, machte dieser die Bemerkung
er vermisse in all den Bildern, die sich unseren Blicken boten, jede
Spur von Enthusiasmus. Diese Beobachtung kennzeichnet die
ganze deutsche Revolution in ihrem bisherigen Verlauf. Hält man
die Stimmung des Novembers 1918 etwa gegen die des Augusts
1914, so fällt der Vergleich in der Richtung auf den dionysischen Ton der seelischen
Erregung sehr zu ungunsten der Revolution ans. Kein Lied, kein Wort, kein
Symbol.' das dem Geschehen der letzten Wochen eigentümlich wäre. Etwas Radau
und Sensation auf den Straßen, die unsinnig herumsausenden Militärautos mit
den roten Fahnen in den ersten Tage«, umgröhlt von Straßenjungen, von den
Erwachsenen mit ängstlich stummer Neugierde bestaunt, dazu die Razzia nach den
Kokarden, eine sinnlose Nachahmung des österreichischen Beispiels (auch da ließ
der eiste Eifer schnell nach), die Hissung der roten Flagge auf einigen öffent¬
lichen Gebäuden — mehr ist an Ausdruckserscheinungen der Umwälzung kaum
aufzuführen. Eine ärmliche Ausbeute, die nicht gerade für die Tiefe und innere
Notwendigkeit der Bewegung Zeugnis ablegt.

Aber vielleicht ist es nicht Sache des Deutschen, einer großen Bewegung
sofort die sinnfällige Form zu geben? Vielleicht mußte gerade aus dem Wesen
unseres bedächtigen Volkes heraus seine Revolution ein so ruhiges sachliches Ge¬
präge tragen? Man ton nie an diese Einwirkung des deutschen Nationolchorakters
glauben, nur zeigt auch im rum Organisatorischen die Revolution dieselbe Armut,
die sie auf dem Gebiet des musischen Sinnbildes aufweist. Die schnelle Beseiti¬
gung der Dynastien beüeuteie im Augenblick nicht viel mehr als die Entfernung
eines dekorativen Knaufes an der Spitze der einzelstaailichen Gebäude, der hohe
Personenwechsel in den Zentralbehörden war nichts neues gegenüber den Erfah¬
rungen der letzten Wochen, Monate und Jahre, vor der Katastrophe wurden wir
bewahrt, indem der gesamte Apparat ruhig, als wäre nichts geschehen, weiter
arbeitete, ein Beweis mehr dafür, daß das Schwergewicht seiner Leistung schon
vorher nicht in den oberen Spitzen zu fuchen war. Am stärksten trat der Wechsel
im Schwinden der militärischen Disziplin zutage. Es zeigte sich an diesem Punkt,
daß die Revolution ihrem Wesen nach eine reine Milnürrcvolte war, deren Wellen¬
bewegung sich von der Marine aufs Heimatheer und die Etappe und erst in
letzter Linie auf die Fronltruppen übertrug. Das eigentlich neue waren die
Arbeiter- und Soldateuräie, eine Art berufsständischer Vertretung zweier Schichten,
die für die Dauer des mobilen Zustandes sich mit einem gewissen Recht als das
Massenfundament unseres Volkes betrachten können. Diese improvisierten Klassen,"


Grenzboten I 1919 1
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/9>, abgerufen am 05.02.2025.