Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Zur Neugestaltung des Deutschen Volksstaates
von einem Württembergs! '
-I.

^^^M^Ä^W einem Menschen in Deutschland ist es je eingefallen, während des
MM< M Krieges irgendwie auf die politische Uneinigkeit der Franzosen
KI MWßA u. a. in dem Sinne zu spekulieren, wie sie und ihre Verbündeten
es uns gegenüber getan haben; keiner hat bei uns daran gedacht,
irgendeinen Teil von Frankreich oder Italien abtrünnig zu
machen, um so unsere Gegner zu schwächen. Wir Deutsche da¬
gegen sind in diesem Sinne stark bearbeitet worden, und befinden uns nun selbst in
einem Wirrwarr von Erwägungen, die auf freiwillige Abtrennung, Sonder¬
bestrebungen, sogar Anlehnung an Frankreich hinzielen, und idie zeigen, daß
unsere Feinde uns besser kannten, als wir selbst; Bestrebungen, die ferner zeigen,
wo unsere Schwäche tatsächlich liegt. Diese Lehre sollte nunmehr gelernt werden!
Wenn wir unseren Enkeln und Urenkeln ein festes Haus bauen wollen, so ist
jetzt die Zeit gekommen, wo wir das tun müssen, was unseren Feinden i.^ un¬
angenehm wäre, nämlich zu wirklicher Einheit, zu sozusagen rücksichtsloser Ein¬
heit kommen.

Ein Haupthindernis dafür ist gefallen: die dynastischen Monarchien, das
halbmittelalterliche Deutschland sind in diesem Sinne nicht mehr. Auch in diesem
Punkte müssen wir radikal und freudig umlernen, uns klar werden, daß diese
Monarchien mit ihrem ganzen Apparat und den vielen durch sie bedingten Rei-
bungsflächen unserer wirklichen Nationaleinheit überaus schädlich waren, unser
rein deutsches Bewußtsein schwer beeinträchtigt haben; nicht nur vor 1871, son¬
dern -- darüber gibt es gar keinen Zweifel -- auch danach! Denken wir uns also
diese Hemmnisse -- alle persönlichen Sympathien gern in Ehren! -- auch wirklich
weg! Denken wir uns Deutschland wirklich ohne sie, und erfassen wir dann die
Vorstellung einer Einheit, die keinem Feinde durch ein bloßes Scheindasein, wie
bisher, Angriffs- und Ansatzpunkte zur Trennung mehr bieten kann!

Dies ist der oberste Gesichtspunkt politischer Einsicht, von dem wir, nicht
su unseren egoistischen Wünschen und ererbten Anschauungen und Gewohn¬
heiten haftend, sondern weitsichtig und ohne Egoismus in die ferne Zukunft
denkend, ausgehen müssen, der Gesichtspunkt, dem wir praktisch radikale Opfer
bringen müssen.

Württemberg ist eine Festung. Eine schwer zu erobernde Festung im
Deutschen Reich! Schwer zu erobern für andere Deutsche, weil von hohem Wall
umgeben, -- politisch wie seelisch. Darum ist es aber auch besonders schwierig,
hier zu Lande für eme enogültige und daher radikale Änderung der bisherigen
Politischen Grundgestaltung Deutschlands das Wort zu ergreifen. Und doch muß
es sein. Es ist nationale Pflicht, zu sagen, daß die Stunde für eine durchgreifende


Grenzboten I 1919 S


Zur Neugestaltung des Deutschen Volksstaates
von einem Württembergs! '
-I.

^^^M^Ä^W einem Menschen in Deutschland ist es je eingefallen, während des
MM< M Krieges irgendwie auf die politische Uneinigkeit der Franzosen
KI MWßA u. a. in dem Sinne zu spekulieren, wie sie und ihre Verbündeten
es uns gegenüber getan haben; keiner hat bei uns daran gedacht,
irgendeinen Teil von Frankreich oder Italien abtrünnig zu
machen, um so unsere Gegner zu schwächen. Wir Deutsche da¬
gegen sind in diesem Sinne stark bearbeitet worden, und befinden uns nun selbst in
einem Wirrwarr von Erwägungen, die auf freiwillige Abtrennung, Sonder¬
bestrebungen, sogar Anlehnung an Frankreich hinzielen, und idie zeigen, daß
unsere Feinde uns besser kannten, als wir selbst; Bestrebungen, die ferner zeigen,
wo unsere Schwäche tatsächlich liegt. Diese Lehre sollte nunmehr gelernt werden!
Wenn wir unseren Enkeln und Urenkeln ein festes Haus bauen wollen, so ist
jetzt die Zeit gekommen, wo wir das tun müssen, was unseren Feinden i.^ un¬
angenehm wäre, nämlich zu wirklicher Einheit, zu sozusagen rücksichtsloser Ein¬
heit kommen.

Ein Haupthindernis dafür ist gefallen: die dynastischen Monarchien, das
halbmittelalterliche Deutschland sind in diesem Sinne nicht mehr. Auch in diesem
Punkte müssen wir radikal und freudig umlernen, uns klar werden, daß diese
Monarchien mit ihrem ganzen Apparat und den vielen durch sie bedingten Rei-
bungsflächen unserer wirklichen Nationaleinheit überaus schädlich waren, unser
rein deutsches Bewußtsein schwer beeinträchtigt haben; nicht nur vor 1871, son¬
dern — darüber gibt es gar keinen Zweifel — auch danach! Denken wir uns also
diese Hemmnisse — alle persönlichen Sympathien gern in Ehren! — auch wirklich
weg! Denken wir uns Deutschland wirklich ohne sie, und erfassen wir dann die
Vorstellung einer Einheit, die keinem Feinde durch ein bloßes Scheindasein, wie
bisher, Angriffs- und Ansatzpunkte zur Trennung mehr bieten kann!

Dies ist der oberste Gesichtspunkt politischer Einsicht, von dem wir, nicht
su unseren egoistischen Wünschen und ererbten Anschauungen und Gewohn¬
heiten haftend, sondern weitsichtig und ohne Egoismus in die ferne Zukunft
denkend, ausgehen müssen, der Gesichtspunkt, dem wir praktisch radikale Opfer
bringen müssen.

Württemberg ist eine Festung. Eine schwer zu erobernde Festung im
Deutschen Reich! Schwer zu erobern für andere Deutsche, weil von hohem Wall
umgeben, — politisch wie seelisch. Darum ist es aber auch besonders schwierig,
hier zu Lande für eme enogültige und daher radikale Änderung der bisherigen
Politischen Grundgestaltung Deutschlands das Wort zu ergreifen. Und doch muß
es sein. Es ist nationale Pflicht, zu sagen, daß die Stunde für eine durchgreifende


Grenzboten I 1919 S
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0073" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335255"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341909_335181/figures/grenzboten_341909_335181_335255_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zur Neugestaltung des Deutschen Volksstaates<lb/><note type="byline"> von einem Württembergs!</note> '</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> -I.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_304"> ^^^M^Ä^W einem Menschen in Deutschland ist es je eingefallen, während des<lb/>
MM&lt; M Krieges  irgendwie  auf die politische Uneinigkeit der Franzosen<lb/>
KI MWßA u. a. in dem Sinne zu spekulieren, wie sie und ihre Verbündeten<lb/>
es uns gegenüber getan haben; keiner hat bei uns daran gedacht,<lb/>
irgendeinen Teil  von Frankreich  oder Italien  abtrünnig zu<lb/>
machen, um so unsere Gegner zu schwächen.  Wir Deutsche da¬<lb/>
gegen sind in diesem Sinne stark bearbeitet worden, und befinden uns nun selbst in<lb/>
einem Wirrwarr von Erwägungen, die auf freiwillige Abtrennung, Sonder¬<lb/>
bestrebungen, sogar Anlehnung an Frankreich hinzielen,  und idie zeigen, daß<lb/>
unsere Feinde uns besser kannten, als wir selbst; Bestrebungen, die ferner zeigen,<lb/>
wo unsere Schwäche tatsächlich liegt. Diese Lehre sollte nunmehr gelernt werden!<lb/>
Wenn wir unseren Enkeln und Urenkeln ein festes Haus bauen wollen,  so ist<lb/>
jetzt die Zeit gekommen, wo wir das tun müssen, was unseren Feinden i.^ un¬<lb/>
angenehm wäre, nämlich zu wirklicher Einheit, zu sozusagen rücksichtsloser Ein¬<lb/>
heit kommen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_305"> Ein Haupthindernis dafür ist gefallen: die dynastischen Monarchien, das<lb/>
halbmittelalterliche Deutschland sind in diesem Sinne nicht mehr. Auch in diesem<lb/>
Punkte müssen wir radikal und freudig umlernen, uns klar werden, daß diese<lb/>
Monarchien mit ihrem ganzen Apparat und den vielen durch sie bedingten Rei-<lb/>
bungsflächen unserer wirklichen Nationaleinheit überaus schädlich waren, unser<lb/>
rein deutsches Bewußtsein schwer beeinträchtigt haben; nicht nur vor 1871, son¬<lb/>
dern &#x2014; darüber gibt es gar keinen Zweifel &#x2014; auch danach! Denken wir uns also<lb/>
diese Hemmnisse &#x2014; alle persönlichen Sympathien gern in Ehren! &#x2014; auch wirklich<lb/>
weg! Denken wir uns Deutschland wirklich ohne sie, und erfassen wir dann die<lb/>
Vorstellung einer Einheit, die keinem Feinde durch ein bloßes Scheindasein, wie<lb/>
bisher, Angriffs- und Ansatzpunkte zur Trennung mehr bieten kann!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_306"> Dies ist der oberste Gesichtspunkt politischer Einsicht, von dem wir, nicht<lb/>
su unseren egoistischen Wünschen und ererbten Anschauungen und Gewohn¬<lb/>
heiten haftend, sondern weitsichtig und ohne Egoismus in die ferne Zukunft<lb/>
denkend, ausgehen müssen, der Gesichtspunkt, dem wir praktisch radikale Opfer<lb/>
bringen müssen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_307" next="#ID_308"> Württemberg ist eine Festung. Eine schwer zu erobernde Festung im<lb/>
Deutschen Reich! Schwer zu erobern für andere Deutsche, weil von hohem Wall<lb/>
umgeben, &#x2014; politisch wie seelisch. Darum ist es aber auch besonders schwierig,<lb/>
hier zu Lande für eme enogültige und daher radikale Änderung der bisherigen<lb/>
Politischen Grundgestaltung Deutschlands das Wort zu ergreifen. Und doch muß<lb/>
es sein. Es ist nationale Pflicht, zu sagen, daß die Stunde für eine durchgreifende</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1919 S</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0073] [Abbildung] Zur Neugestaltung des Deutschen Volksstaates von einem Württembergs! ' -I. ^^^M^Ä^W einem Menschen in Deutschland ist es je eingefallen, während des MM< M Krieges irgendwie auf die politische Uneinigkeit der Franzosen KI MWßA u. a. in dem Sinne zu spekulieren, wie sie und ihre Verbündeten es uns gegenüber getan haben; keiner hat bei uns daran gedacht, irgendeinen Teil von Frankreich oder Italien abtrünnig zu machen, um so unsere Gegner zu schwächen. Wir Deutsche da¬ gegen sind in diesem Sinne stark bearbeitet worden, und befinden uns nun selbst in einem Wirrwarr von Erwägungen, die auf freiwillige Abtrennung, Sonder¬ bestrebungen, sogar Anlehnung an Frankreich hinzielen, und idie zeigen, daß unsere Feinde uns besser kannten, als wir selbst; Bestrebungen, die ferner zeigen, wo unsere Schwäche tatsächlich liegt. Diese Lehre sollte nunmehr gelernt werden! Wenn wir unseren Enkeln und Urenkeln ein festes Haus bauen wollen, so ist jetzt die Zeit gekommen, wo wir das tun müssen, was unseren Feinden i.^ un¬ angenehm wäre, nämlich zu wirklicher Einheit, zu sozusagen rücksichtsloser Ein¬ heit kommen. Ein Haupthindernis dafür ist gefallen: die dynastischen Monarchien, das halbmittelalterliche Deutschland sind in diesem Sinne nicht mehr. Auch in diesem Punkte müssen wir radikal und freudig umlernen, uns klar werden, daß diese Monarchien mit ihrem ganzen Apparat und den vielen durch sie bedingten Rei- bungsflächen unserer wirklichen Nationaleinheit überaus schädlich waren, unser rein deutsches Bewußtsein schwer beeinträchtigt haben; nicht nur vor 1871, son¬ dern — darüber gibt es gar keinen Zweifel — auch danach! Denken wir uns also diese Hemmnisse — alle persönlichen Sympathien gern in Ehren! — auch wirklich weg! Denken wir uns Deutschland wirklich ohne sie, und erfassen wir dann die Vorstellung einer Einheit, die keinem Feinde durch ein bloßes Scheindasein, wie bisher, Angriffs- und Ansatzpunkte zur Trennung mehr bieten kann! Dies ist der oberste Gesichtspunkt politischer Einsicht, von dem wir, nicht su unseren egoistischen Wünschen und ererbten Anschauungen und Gewohn¬ heiten haftend, sondern weitsichtig und ohne Egoismus in die ferne Zukunft denkend, ausgehen müssen, der Gesichtspunkt, dem wir praktisch radikale Opfer bringen müssen. Württemberg ist eine Festung. Eine schwer zu erobernde Festung im Deutschen Reich! Schwer zu erobern für andere Deutsche, weil von hohem Wall umgeben, — politisch wie seelisch. Darum ist es aber auch besonders schwierig, hier zu Lande für eme enogültige und daher radikale Änderung der bisherigen Politischen Grundgestaltung Deutschlands das Wort zu ergreifen. Und doch muß es sein. Es ist nationale Pflicht, zu sagen, daß die Stunde für eine durchgreifende Grenzboten I 1919 S

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/73
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/73>, abgerufen am 05.02.2025.