Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.Zertrümmerte Geigen schon schien sie sich für einen russischen Galgen vorzubereiten, dem sie 1906 in Die Volksbeauftragten der Ebertgruppe hatten, nachdem der volle Inhalt Zertrümmerte Geigen schon schien sie sich für einen russischen Galgen vorzubereiten, dem sie 1906 in Die Volksbeauftragten der Ebertgruppe hatten, nachdem der volle Inhalt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0068" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335250"/> <fw type="header" place="top"> Zertrümmerte Geigen</fw><lb/> <p xml:id="ID_277" prev="#ID_276"> schon schien sie sich für einen russischen Galgen vorzubereiten, dem sie 1906 in<lb/> Warschau nur durch einen Zufall entging. Heute werden dem rabiater Weibe<lb/> wohl nur wenig Tränen nachgeweint werden. Rosa Luxemburg hat mit alt¬<lb/> testamentarischen Haß zu sehr gegen die deutsche Menschheit gewütet. Ob ihr<lb/> Tod die Tragweite haben wird, die wir ihm gern geben möchten, das<lb/> wird sich schon in den nächsten Tagen zeigen. Waren Liebknechts Anhänger<lb/> vorwiegend Verbrecher aus der Großstaothese, wie ihr Tun und Treiben ver¬<lb/> muten ließ, so können wir mit baldiger Beruhigung wenigstens in Berlin<lb/> rechnen, stand aber mehr als dieses hinter ihm, so tritt die deutsche Re¬<lb/> volution nun in eine schrecklichere Phase. Niemand wird diese Alternative besser<lb/> kennen und auch sicherer vorausgesehen haben, wie die Verantwortlicher an der<lb/> Spitze der Regierung. Sie, die sich nach langem Zögern entschlossen, der Hydra<lb/> Anarchie auf den Kopf zu treten, kannten besser wie wir andere aus den bürger¬<lb/> lichen Lagern die Gefahren, die die blutige Abwehr des Terrors nicht allein für<lb/> ihre persönliche Stellung, sondern und in noch viel höherem Maße auch für die<lb/> Volksgesamtheit in sich trug. Aus diesem Gründe allein ist es entschuldbar, dasz<lb/> sie sich solange sträubten, zu den schärfsten Mitteln zu greifen, ehe nicht alle,<lb/> aber auch restlos alle anderen Mittel erschöpft waren, die Unbändiger noch<lb/> in letzter Stunde zu bekehren. Für sie beginnt der Bruderkrieg, den wir<lb/> andern schon seit Monaten erdulden, erst heute, wo alle Weggenossen der Revo¬<lb/> lution gegeneinander aufgestanden sind. Nun sie sich entschlossen hat, ihre<lb/> Bedenken von sich zu werfen, können wir aussprechen: die Ebert, Scheide-<lb/> mann, Landsberg, Roste und Wisset sind in den Kampf gegen ihre früheren<lb/> Parteigenossen mit der größten Besonnenheit gegangen, — zu langsam für<lb/> unsere Ungeduld, doch hoffen wir noch schnell genug, um die Allgemeinheit,<lb/> zu der auch das Bürgertum gehört, vor dem Ärgsten zu bewahren. Indem<lb/> sie das Parteiinteresse hinter das der Gesamtheit stellen, stehen sie selbst ganz<lb/> persönlich oben auf dem Wall in vorderster Linie, und die Wut der Revo¬<lb/> lution, die nach der Vernichtung der Armee sich auf das Bürgertum und den<lb/> friedfertigen Arbeiter zu stürzen drohte, richtet sich gegen sie. Mögen sie in<lb/> den letzten Monaten sich an ihrem Volkstum noch so sehr versündigt haben, nun<lb/> sie bereit sind, sich für das Volk zu opfern, wollen wir versuchen, ihre Haltung<lb/> zu verstehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_278" next="#ID_279"> Die Volksbeauftragten der Ebertgruppe hatten, nachdem der volle Inhalt<lb/> des Waffenstillstandsvertrages in der ganzen Armee bekannt geworden war, tat¬<lb/> sächlich nicht die Macht: sie saßen als ein von den Uimbhängigen geduldetes<lb/> Anhängsel in der Wilhelmstraße. Es waren die Unabhängigen und Spartakisten,<lb/> verstärkt durch die aus den Gefängnissen befreiten Sträflinge und Deserteure, die<lb/> in der Provinz, in Ost und West die Regierungsgewalt ausübten. Die Ebert¬<lb/> gruppe konnte bis in die letzten Wochen hinein kaum etwas anderes tun, als<lb/> verhindern, daß sie aus der Regierung gedrängt und an ihrer Stelle alle Re¬<lb/> gierungsposten dnrch Unabhängige besetzt wurden, wenn sie ihre sozialistischen<lb/> Ziels nicht kampflos den bürgerlichen Parteien preisgeben wollte. Die Herren<lb/> Ebert und Scheidemann konnten das Übergreifen des Bolschewismus nur ein¬<lb/> schränken, indem sie sich an der Regierung hielten, — es ganz zu verhindern<lb/> vermochten sie zunächst nicht. Es bedürfte einer gewissen Zeit, um die heim¬<lb/> kehrenden, um alle Hoffnungen betrogenen verbitterten Truppenteile zur Besinnung<lb/> zu bringen und den Einfluß der Liebknechtschen Propaganda auf sie zu besei¬<lb/> tigen. Es ist heute feststehende Tatsache, daß z. B. das Korps Lequis in seiner<lb/> ersten Zusammensetzung schon wenige Tage nach seinem Erscheinen in der Um¬<lb/> gebung von Berlin vollständig unter den Bann der radikalsten Losungen geriet,<lb/> also zur Bekämpfung der Träger dieser Losungen unbrauchbar geworden war.<lb/> Die Möglichkeit aktiv vorzugehen ergab sich für die Ebertgruppe erst, als die<lb/> Unabhängigen bezüglich der Truppen in Sicherheit gewiegt, die revolutionäre<lb/> Maske fallen ließen und aus der Regierung ausschieden. Und auch nach diesem<lb/> Zeitpunkt mußte im Hinblick auf den Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0068]
Zertrümmerte Geigen
schon schien sie sich für einen russischen Galgen vorzubereiten, dem sie 1906 in
Warschau nur durch einen Zufall entging. Heute werden dem rabiater Weibe
wohl nur wenig Tränen nachgeweint werden. Rosa Luxemburg hat mit alt¬
testamentarischen Haß zu sehr gegen die deutsche Menschheit gewütet. Ob ihr
Tod die Tragweite haben wird, die wir ihm gern geben möchten, das
wird sich schon in den nächsten Tagen zeigen. Waren Liebknechts Anhänger
vorwiegend Verbrecher aus der Großstaothese, wie ihr Tun und Treiben ver¬
muten ließ, so können wir mit baldiger Beruhigung wenigstens in Berlin
rechnen, stand aber mehr als dieses hinter ihm, so tritt die deutsche Re¬
volution nun in eine schrecklichere Phase. Niemand wird diese Alternative besser
kennen und auch sicherer vorausgesehen haben, wie die Verantwortlicher an der
Spitze der Regierung. Sie, die sich nach langem Zögern entschlossen, der Hydra
Anarchie auf den Kopf zu treten, kannten besser wie wir andere aus den bürger¬
lichen Lagern die Gefahren, die die blutige Abwehr des Terrors nicht allein für
ihre persönliche Stellung, sondern und in noch viel höherem Maße auch für die
Volksgesamtheit in sich trug. Aus diesem Gründe allein ist es entschuldbar, dasz
sie sich solange sträubten, zu den schärfsten Mitteln zu greifen, ehe nicht alle,
aber auch restlos alle anderen Mittel erschöpft waren, die Unbändiger noch
in letzter Stunde zu bekehren. Für sie beginnt der Bruderkrieg, den wir
andern schon seit Monaten erdulden, erst heute, wo alle Weggenossen der Revo¬
lution gegeneinander aufgestanden sind. Nun sie sich entschlossen hat, ihre
Bedenken von sich zu werfen, können wir aussprechen: die Ebert, Scheide-
mann, Landsberg, Roste und Wisset sind in den Kampf gegen ihre früheren
Parteigenossen mit der größten Besonnenheit gegangen, — zu langsam für
unsere Ungeduld, doch hoffen wir noch schnell genug, um die Allgemeinheit,
zu der auch das Bürgertum gehört, vor dem Ärgsten zu bewahren. Indem
sie das Parteiinteresse hinter das der Gesamtheit stellen, stehen sie selbst ganz
persönlich oben auf dem Wall in vorderster Linie, und die Wut der Revo¬
lution, die nach der Vernichtung der Armee sich auf das Bürgertum und den
friedfertigen Arbeiter zu stürzen drohte, richtet sich gegen sie. Mögen sie in
den letzten Monaten sich an ihrem Volkstum noch so sehr versündigt haben, nun
sie bereit sind, sich für das Volk zu opfern, wollen wir versuchen, ihre Haltung
zu verstehen.
Die Volksbeauftragten der Ebertgruppe hatten, nachdem der volle Inhalt
des Waffenstillstandsvertrages in der ganzen Armee bekannt geworden war, tat¬
sächlich nicht die Macht: sie saßen als ein von den Uimbhängigen geduldetes
Anhängsel in der Wilhelmstraße. Es waren die Unabhängigen und Spartakisten,
verstärkt durch die aus den Gefängnissen befreiten Sträflinge und Deserteure, die
in der Provinz, in Ost und West die Regierungsgewalt ausübten. Die Ebert¬
gruppe konnte bis in die letzten Wochen hinein kaum etwas anderes tun, als
verhindern, daß sie aus der Regierung gedrängt und an ihrer Stelle alle Re¬
gierungsposten dnrch Unabhängige besetzt wurden, wenn sie ihre sozialistischen
Ziels nicht kampflos den bürgerlichen Parteien preisgeben wollte. Die Herren
Ebert und Scheidemann konnten das Übergreifen des Bolschewismus nur ein¬
schränken, indem sie sich an der Regierung hielten, — es ganz zu verhindern
vermochten sie zunächst nicht. Es bedürfte einer gewissen Zeit, um die heim¬
kehrenden, um alle Hoffnungen betrogenen verbitterten Truppenteile zur Besinnung
zu bringen und den Einfluß der Liebknechtschen Propaganda auf sie zu besei¬
tigen. Es ist heute feststehende Tatsache, daß z. B. das Korps Lequis in seiner
ersten Zusammensetzung schon wenige Tage nach seinem Erscheinen in der Um¬
gebung von Berlin vollständig unter den Bann der radikalsten Losungen geriet,
also zur Bekämpfung der Träger dieser Losungen unbrauchbar geworden war.
Die Möglichkeit aktiv vorzugehen ergab sich für die Ebertgruppe erst, als die
Unabhängigen bezüglich der Truppen in Sicherheit gewiegt, die revolutionäre
Maske fallen ließen und aus der Regierung ausschieden. Und auch nach diesem
Zeitpunkt mußte im Hinblick auf den Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte
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