Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.Sie Rolle des Gebildeten auf der politischen Zeitbühne vollen und in vielen der Hochstehenden den tiefen Einklang des deutschen Gefühls. Ist diese Judenfrage wirklich nur ein soziologisches, ein Minoritäts¬ Wir könnten uns mit dieser Charakteristik der psychischen Lage, die uns Darum aber propagieren sie, so paradox dies klingen mag, das Ideal der Sie Rolle des Gebildeten auf der politischen Zeitbühne vollen und in vielen der Hochstehenden den tiefen Einklang des deutschen Gefühls. Ist diese Judenfrage wirklich nur ein soziologisches, ein Minoritäts¬ Wir könnten uns mit dieser Charakteristik der psychischen Lage, die uns Darum aber propagieren sie, so paradox dies klingen mag, das Ideal der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0065" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335247"/> <fw type="header" place="top"> Sie Rolle des Gebildeten auf der politischen Zeitbühne</fw><lb/> <p xml:id="ID_255" prev="#ID_254"> vollen und in vielen der Hochstehenden den tiefen Einklang des deutschen Gefühls.<lb/> So fragen wir in ernster Sorge, sehend, daß dieser hochwertige Teil unserer<lb/> Volksgenossen, die Juden, auf feiten beider Parteien steht, von denen keine es<lb/> mit ihnen verderben will: wohin wendet sich das uns bedeutsame Schwergewicht,<lb/> der ethisch und kulturell hochstehende Jude? Jetzt gerade bildet sich in der Mitte<lb/> eine eigene Judenpartei; der Ausgleich, wie wir ihn rechts und links noch inner¬<lb/> halb der einzelnen Gruppen feststellen können, fehlt hier heute schon fast offen¬<lb/> sichtlich.</p><lb/> <p xml:id="ID_256"> Ist diese Judenfrage wirklich nur ein soziologisches, ein Minoritäts¬<lb/> problem, eine Lage, in die alle völkischen Minderheiten kommen? Arthur Cohen<lb/> weist auf die Erscheinung hin, daß die Juden zumeist als Minoritätenführer auf¬<lb/> treten; der Jude sei, -selbst zur Minorität gehörig, der geborene Minoritätenfreund.<lb/> Marx und Lassalle waren Juden. Fast überall, wo eine Minorität ihren Be¬<lb/> freiungskampf beginnt, treffen wir Juden an der Spitze oder wenigstens unter<lb/> den Anhängern, Verteidigern oder Verkündern der neuen Bewegung. Die<lb/> Motive sind gesucht worden in Snobtum, Lust am Neuen, Ehrgeiz verbunden<lb/> mit Eitelkeit, Angst, hinter der Zeit zurückzubleiben, wenn man nicht mittue;<lb/> sie sind, objektiver schon, gesucht worden in dem allgemeinen Bewußtsein, daß die<lb/> Gewinnung der Majorität für die gerechte Behandlung einer beliebigen Majori¬<lb/> tät auch den Juden indirekt zu statten komme.</p><lb/> <p xml:id="ID_257"> Wir könnten uns mit dieser Charakteristik der psychischen Lage, die uns<lb/> ein jüdischer Gelehrter liefert, begnügen, wenn uns nicht ein zweiter Kopf der<lb/> gleichen Reihe mehr zu sagen wüßte. Walther Rathenau, selbst Vollblutjude,<lb/> hat tiefen Einblick getan in die Welt der Intellekts!)errschaft, wo die bloßen<lb/> Zwecke regieren. Er spricht von dem Menschen des Begehrens und der Furcht,<lb/> „dem Zweckmenschen"; „sich selbst kann er nicht achten; andere achten und ver¬<lb/> ehren zu müssen, würde ihn vernichten, so sucht er sie zu sich herabzuziehen durch<lb/> Mißgunst, Skepsis, Kritik und Verkleinerung. Als Kluger, Unzufriedener,<lb/> Schwacher, ist er Menschenkenner und Beobachter, geschult, auf die Schwachheit<lb/> anderer zu achten, geübt, sie zu enthüllen und zu benutzen----" Hier sollen die<lb/> historischen und jene Gründe, die zu dieser Gestaltung uns parteilichen Beurtei¬<lb/> lung des jüdischen Gesamtcharakters führen mußten, nicht im einzelnen aufgesucht<lb/> werden. Wir stehen vor der Tatsache, müssen uns mit ihr abfinden. In diesen<lb/> Rahmen aber gehört die wichtige Beobachtung des Mißtrauens, das gerade dem<lb/> deutschen Staatswesen stets von seinen jüdischen Bürgern entgegengebracht<lb/> wurde. Deutschland ist ihnen Wohl zu jung und zu irrational. Die tiefe Er¬<lb/> kenntnis deutschen Wesens fehlt ihnen; es fohlt der Einklang des Gefühls, der<lb/> sich in England, Amerika und sogar noch in Frankreich so gut herstellen läßt;<lb/> eine dumpfe Ahnung lebt in ihnen, daß ans diesem in seiner Art hochbegabten<lb/> deutschen Volke Kräfte enrporwachfen könnten, die den sozialistischen Gedanken<lb/> tief beseelen und so zur wirklich beherrs es e n d e n Macht erheben könnten..<lb/> Vor dem Arbeiten in und an dem Volkskörper als seelischem Gi i e d eines<lb/> Kollektivums graut ihnen; denn sie müßten so in der Masse versinken.</p><lb/> <p xml:id="ID_258"> Darum aber propagieren sie, so paradox dies klingen mag, das Ideal der<lb/> reinen Demokratie. Sie wissen so gut wie wir: ein Volk läßt sich Wohl politi¬<lb/> sieren, seine Lebenshaltung läßt sich erhöhen, aber kein Volk als solches kann nie<lb/> sich selbst beherrschen. Eine derartige Demokratie ist entweder eine politische<lb/> Lüge, indem doch irgend welche politische Talente unbeschränkt regieren oder<lb/> eine Verfallsperiode, wie sie uns Burckhard schildert: „Von der faktischen Herr¬<lb/> schaft der Demokratie an herrscht in ihrem Innern die beständige Verfolgung<lb/> gegen alle diejenigen Individuen, welche etwas bedeuten können und zeitweise<lb/> als Beamte, Strategen usw. bedeuten müssen, serner die Unerbittlich keit gegen<lb/> das Talent, es mag so treu und ergeben dienen, als es will, die periodische Hetze<lb/> gegen die, welche etwas besitzen und endlich bei den Verfolgern das durch¬<lb/> gebildete Bewußtsein: Man habe es nÄt den Leuten so gemacht, daß jeder, der<lb/> etwas sei, notwendig innerlich empört und daher bei gegebenem Anlaß ein Ver¬<lb/> räter sein müsse......"</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0065]
Sie Rolle des Gebildeten auf der politischen Zeitbühne
vollen und in vielen der Hochstehenden den tiefen Einklang des deutschen Gefühls.
So fragen wir in ernster Sorge, sehend, daß dieser hochwertige Teil unserer
Volksgenossen, die Juden, auf feiten beider Parteien steht, von denen keine es
mit ihnen verderben will: wohin wendet sich das uns bedeutsame Schwergewicht,
der ethisch und kulturell hochstehende Jude? Jetzt gerade bildet sich in der Mitte
eine eigene Judenpartei; der Ausgleich, wie wir ihn rechts und links noch inner¬
halb der einzelnen Gruppen feststellen können, fehlt hier heute schon fast offen¬
sichtlich.
Ist diese Judenfrage wirklich nur ein soziologisches, ein Minoritäts¬
problem, eine Lage, in die alle völkischen Minderheiten kommen? Arthur Cohen
weist auf die Erscheinung hin, daß die Juden zumeist als Minoritätenführer auf¬
treten; der Jude sei, -selbst zur Minorität gehörig, der geborene Minoritätenfreund.
Marx und Lassalle waren Juden. Fast überall, wo eine Minorität ihren Be¬
freiungskampf beginnt, treffen wir Juden an der Spitze oder wenigstens unter
den Anhängern, Verteidigern oder Verkündern der neuen Bewegung. Die
Motive sind gesucht worden in Snobtum, Lust am Neuen, Ehrgeiz verbunden
mit Eitelkeit, Angst, hinter der Zeit zurückzubleiben, wenn man nicht mittue;
sie sind, objektiver schon, gesucht worden in dem allgemeinen Bewußtsein, daß die
Gewinnung der Majorität für die gerechte Behandlung einer beliebigen Majori¬
tät auch den Juden indirekt zu statten komme.
Wir könnten uns mit dieser Charakteristik der psychischen Lage, die uns
ein jüdischer Gelehrter liefert, begnügen, wenn uns nicht ein zweiter Kopf der
gleichen Reihe mehr zu sagen wüßte. Walther Rathenau, selbst Vollblutjude,
hat tiefen Einblick getan in die Welt der Intellekts!)errschaft, wo die bloßen
Zwecke regieren. Er spricht von dem Menschen des Begehrens und der Furcht,
„dem Zweckmenschen"; „sich selbst kann er nicht achten; andere achten und ver¬
ehren zu müssen, würde ihn vernichten, so sucht er sie zu sich herabzuziehen durch
Mißgunst, Skepsis, Kritik und Verkleinerung. Als Kluger, Unzufriedener,
Schwacher, ist er Menschenkenner und Beobachter, geschult, auf die Schwachheit
anderer zu achten, geübt, sie zu enthüllen und zu benutzen----" Hier sollen die
historischen und jene Gründe, die zu dieser Gestaltung uns parteilichen Beurtei¬
lung des jüdischen Gesamtcharakters führen mußten, nicht im einzelnen aufgesucht
werden. Wir stehen vor der Tatsache, müssen uns mit ihr abfinden. In diesen
Rahmen aber gehört die wichtige Beobachtung des Mißtrauens, das gerade dem
deutschen Staatswesen stets von seinen jüdischen Bürgern entgegengebracht
wurde. Deutschland ist ihnen Wohl zu jung und zu irrational. Die tiefe Er¬
kenntnis deutschen Wesens fehlt ihnen; es fohlt der Einklang des Gefühls, der
sich in England, Amerika und sogar noch in Frankreich so gut herstellen läßt;
eine dumpfe Ahnung lebt in ihnen, daß ans diesem in seiner Art hochbegabten
deutschen Volke Kräfte enrporwachfen könnten, die den sozialistischen Gedanken
tief beseelen und so zur wirklich beherrs es e n d e n Macht erheben könnten..
Vor dem Arbeiten in und an dem Volkskörper als seelischem Gi i e d eines
Kollektivums graut ihnen; denn sie müßten so in der Masse versinken.
Darum aber propagieren sie, so paradox dies klingen mag, das Ideal der
reinen Demokratie. Sie wissen so gut wie wir: ein Volk läßt sich Wohl politi¬
sieren, seine Lebenshaltung läßt sich erhöhen, aber kein Volk als solches kann nie
sich selbst beherrschen. Eine derartige Demokratie ist entweder eine politische
Lüge, indem doch irgend welche politische Talente unbeschränkt regieren oder
eine Verfallsperiode, wie sie uns Burckhard schildert: „Von der faktischen Herr¬
schaft der Demokratie an herrscht in ihrem Innern die beständige Verfolgung
gegen alle diejenigen Individuen, welche etwas bedeuten können und zeitweise
als Beamte, Strategen usw. bedeuten müssen, serner die Unerbittlich keit gegen
das Talent, es mag so treu und ergeben dienen, als es will, die periodische Hetze
gegen die, welche etwas besitzen und endlich bei den Verfolgern das durch¬
gebildete Bewußtsein: Man habe es nÄt den Leuten so gemacht, daß jeder, der
etwas sei, notwendig innerlich empört und daher bei gegebenem Anlaß ein Ver¬
räter sein müsse......"
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