Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.ZVilson und Clemenceau einmal eine Aussicht vorhanden, von Versöhnung ist nirgends die Rede, neue Noch vermag man die einzelnen Phasen dieses gewaltigen Ringens nicht ZVilson und Clemenceau einmal eine Aussicht vorhanden, von Versöhnung ist nirgends die Rede, neue Noch vermag man die einzelnen Phasen dieses gewaltigen Ringens nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0167" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335349"/> <fw type="header" place="top"> ZVilson und Clemenceau</fw><lb/> <p xml:id="ID_785" prev="#ID_784"> einmal eine Aussicht vorhanden, von Versöhnung ist nirgends die Rede, neue<lb/> Konfliktsstoffe sind in Menge aufgetaucht und die Joee der Gewalt herrscht wie<lb/> nur jemals mitten im Krieg. Eine Liga aller Nationen wollte der Präsident<lb/> stiften, einen friedlichen Bund gleichberechtigter Völker, und hat es nur zu einem<lb/> Bündnis siegreicher Regierungen bringen können, zu einem Syndikat, das die<lb/> Weltherrschaft monopolisiert. Der den Ausgang des Weltkrieges entschied und<lb/> die Herrschaft des Rechts wollte, ist den Erwägungen der Gewialt gewichen.</p><lb/> <p xml:id="ID_786" next="#ID_787"> Noch vermag man die einzelnen Phasen dieses gewaltigen Ringens nicht<lb/> klar zu übersehen, denn auch die Idee, die Geheimdiplomatie abzuschaffen, wird<lb/> bei verschlossenen Türen behandelt. Aber in großen Zügen läßt sich die Entwick¬<lb/> lung rückschauend klarlegen. Die Anfangsstellung der Kämpfer wurde im<lb/> vorigen Hefte skizziert. Zunächst hat Frankreich gegen die Entente Amerika-<lb/> England, die sich vorweg über die „Freiheit der Meere", will sagen die unbedingte<lb/> Teeherrschaft des angelsächsischen Blockes geeinigt hatte, nicht aufkommen können.<lb/> In der Behandlung der russischen Frage hatte es England gegenüber nachgeben<lb/> müssen,' seine Anspruch erhebunng auf Syrien wurde durch Englands Hedschas-<lb/> Pläne und dessen überraschende und bedeutungsvolle Anmaßung der Polizei-<lb/> gewalt in Konstantinopel mehr als kompensiert und der Plan, Spanien in der<lb/> Gibraltarfrage vorzuschieben, war an seinen inneren Unmöglichkeiten gescheitert.<lb/> Clemenceau sah sich ,mener nilehr in die Enge getrieben und fühlte zugleich wie<lb/> der Boden des eigenen Landes unter ihm nachzugeben begann. Da raffte er sich<lb/> auf zu einem letzten großen Schlage. Mit unerhörter Energie, bewunderns¬<lb/> würdiger Disziplin und vollbesetztem Orchester setzte zunächst ein neuer Presse¬<lb/> seidzug gegen Deutschland ein. Deutschlands fortdauernde Gefährlichkeit und die<lb/> Gefahren seiner durch die Revolution noch mehr geeinigten Stoßkraft wurden be¬<lb/> tont, Frankreich habe bei einem neuen Krieg wieder den ersten Angriff auszu¬<lb/> halten, und was das heiße, predigten die befreiten Gebiete, Deutschland muß<lb/> abrüsten, Deutschland muß geschwächt werden wie es uns schwächen wollte usw.<lb/> Kaum waren die Flammen des Chauvinismus, solchermaßen wieder zu<lb/> mächtigem Lodern angefacht, führte Clemenceau bei' Gelegenheit der Verhand¬<lb/> lungen über das Schicksal der deutschen! Kolonien den ersten kräftigen Zusammen¬<lb/> stoß herbei. Zwar herrschte darüber, daß sie Deutschland unter -leinen Umständen<lb/> zurückzugeben seien, volle Einigkeit, aber Wilson forderte sie für den Völkerbund,<lb/> wahrend Clemenceau, unterstützt übrigens durch Hughes, Verteilung an einzelne<lb/> Machte verlangte. Mit voller Absicht trieb Clemenceau den Gegensatz auf die<lb/> Spitze, Keß die Presse bald höflich, bald ironisch, hier versteckt, hier offen, in allen<lb/> Tonarten, mit lallen Beweggründen gegen die „Ideologie" Wilsons zu Felde<lb/> ziehen (in einem Maße, daß die Amerikaner drohten, die Konferenz aus Frank¬<lb/> reich zu verlegen) -Um dann in der Kolonienfrage zwar nachzugeben (was<lb/> Praktisch kaum von allzu großer Bedeutung sein dürfte) aber nur um' seine<lb/> Nachgiebigkeit ins hellste Licht zu stellen und sich das scheinbare moralische Recht<lb/> damit zu erkaufen, nicht nur äußerst harte Wasfenstillstandsbedingungen durch¬<lb/> zusetzen, sondern, gestützt auf eine übler die geradle zu diesem Zeitpunkt erfolgt '<lb/> Veröffentlichung der deutschen Pläne zur Vernichtung der nordfranzösischen<lb/> Industrie zu höchster Energieleistung aufgepeitschte Presse', in den letzten, vorsichtig<lb/> vis zuletzt aufgesparten Punkten: der Zulassung Deutschlands zum Völkerbund,<lb/> >einer Wehrlosmachung, der Entschädigungen und Elsaß-Lothringen (um nicht<lb/> M sagen linkes Rheinufer) unerbittlich zu bleiben. Der Völkerbund, hieß es,<lb/> mag eine herrliche und gewiß erstrebenswerte Sache sein, bietet .aber dem am<lb/> meisten gefährdeten Frankreich so .wenig Sicherheit gegen einen neuen Angriff,,<lb/> da» Frankreich feine Interessen selbst.wahrnehmen muß. Und gleichgültig nun,<lb/> ob Wilson, gedrängt durch England, dessen innere Verhältnisse einen baldigen<lb/> Friedensschluß erfordern, sich scheute, als Gescheiterter, ohne greifbare Resultate,<lb/> zurückzukehren, ob Clemenceau seine, moralische Widerstandsfähigkeit ermüdet und<lb/> Zermürbt hat, die Verhandlungen wogen der Kürze der noch zur Verfügung<lb/> uehenden Zeit übers Knie gebrochen.werden mußten oder ob Wilson sich der Hoff¬<lb/> nung hingibt, das Gewicht Amerikas vermöge doch noch eine loyale Auslegung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0167]
ZVilson und Clemenceau
einmal eine Aussicht vorhanden, von Versöhnung ist nirgends die Rede, neue
Konfliktsstoffe sind in Menge aufgetaucht und die Joee der Gewalt herrscht wie
nur jemals mitten im Krieg. Eine Liga aller Nationen wollte der Präsident
stiften, einen friedlichen Bund gleichberechtigter Völker, und hat es nur zu einem
Bündnis siegreicher Regierungen bringen können, zu einem Syndikat, das die
Weltherrschaft monopolisiert. Der den Ausgang des Weltkrieges entschied und
die Herrschaft des Rechts wollte, ist den Erwägungen der Gewialt gewichen.
Noch vermag man die einzelnen Phasen dieses gewaltigen Ringens nicht
klar zu übersehen, denn auch die Idee, die Geheimdiplomatie abzuschaffen, wird
bei verschlossenen Türen behandelt. Aber in großen Zügen läßt sich die Entwick¬
lung rückschauend klarlegen. Die Anfangsstellung der Kämpfer wurde im
vorigen Hefte skizziert. Zunächst hat Frankreich gegen die Entente Amerika-
England, die sich vorweg über die „Freiheit der Meere", will sagen die unbedingte
Teeherrschaft des angelsächsischen Blockes geeinigt hatte, nicht aufkommen können.
In der Behandlung der russischen Frage hatte es England gegenüber nachgeben
müssen,' seine Anspruch erhebunng auf Syrien wurde durch Englands Hedschas-
Pläne und dessen überraschende und bedeutungsvolle Anmaßung der Polizei-
gewalt in Konstantinopel mehr als kompensiert und der Plan, Spanien in der
Gibraltarfrage vorzuschieben, war an seinen inneren Unmöglichkeiten gescheitert.
Clemenceau sah sich ,mener nilehr in die Enge getrieben und fühlte zugleich wie
der Boden des eigenen Landes unter ihm nachzugeben begann. Da raffte er sich
auf zu einem letzten großen Schlage. Mit unerhörter Energie, bewunderns¬
würdiger Disziplin und vollbesetztem Orchester setzte zunächst ein neuer Presse¬
seidzug gegen Deutschland ein. Deutschlands fortdauernde Gefährlichkeit und die
Gefahren seiner durch die Revolution noch mehr geeinigten Stoßkraft wurden be¬
tont, Frankreich habe bei einem neuen Krieg wieder den ersten Angriff auszu¬
halten, und was das heiße, predigten die befreiten Gebiete, Deutschland muß
abrüsten, Deutschland muß geschwächt werden wie es uns schwächen wollte usw.
Kaum waren die Flammen des Chauvinismus, solchermaßen wieder zu
mächtigem Lodern angefacht, führte Clemenceau bei' Gelegenheit der Verhand¬
lungen über das Schicksal der deutschen! Kolonien den ersten kräftigen Zusammen¬
stoß herbei. Zwar herrschte darüber, daß sie Deutschland unter -leinen Umständen
zurückzugeben seien, volle Einigkeit, aber Wilson forderte sie für den Völkerbund,
wahrend Clemenceau, unterstützt übrigens durch Hughes, Verteilung an einzelne
Machte verlangte. Mit voller Absicht trieb Clemenceau den Gegensatz auf die
Spitze, Keß die Presse bald höflich, bald ironisch, hier versteckt, hier offen, in allen
Tonarten, mit lallen Beweggründen gegen die „Ideologie" Wilsons zu Felde
ziehen (in einem Maße, daß die Amerikaner drohten, die Konferenz aus Frank¬
reich zu verlegen) -Um dann in der Kolonienfrage zwar nachzugeben (was
Praktisch kaum von allzu großer Bedeutung sein dürfte) aber nur um' seine
Nachgiebigkeit ins hellste Licht zu stellen und sich das scheinbare moralische Recht
damit zu erkaufen, nicht nur äußerst harte Wasfenstillstandsbedingungen durch¬
zusetzen, sondern, gestützt auf eine übler die geradle zu diesem Zeitpunkt erfolgt '
Veröffentlichung der deutschen Pläne zur Vernichtung der nordfranzösischen
Industrie zu höchster Energieleistung aufgepeitschte Presse', in den letzten, vorsichtig
vis zuletzt aufgesparten Punkten: der Zulassung Deutschlands zum Völkerbund,
>einer Wehrlosmachung, der Entschädigungen und Elsaß-Lothringen (um nicht
M sagen linkes Rheinufer) unerbittlich zu bleiben. Der Völkerbund, hieß es,
mag eine herrliche und gewiß erstrebenswerte Sache sein, bietet .aber dem am
meisten gefährdeten Frankreich so .wenig Sicherheit gegen einen neuen Angriff,,
da» Frankreich feine Interessen selbst.wahrnehmen muß. Und gleichgültig nun,
ob Wilson, gedrängt durch England, dessen innere Verhältnisse einen baldigen
Friedensschluß erfordern, sich scheute, als Gescheiterter, ohne greifbare Resultate,
zurückzukehren, ob Clemenceau seine, moralische Widerstandsfähigkeit ermüdet und
Zermürbt hat, die Verhandlungen wogen der Kürze der noch zur Verfügung
uehenden Zeit übers Knie gebrochen.werden mußten oder ob Wilson sich der Hoff¬
nung hingibt, das Gewicht Amerikas vermöge doch noch eine loyale Auslegung
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