Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.Die kulturelle Bedeutung Wiens Die kulturelle Bedeutung Wiens Dr. A. Laßmann, von s ist die Tragik Wiens gewesen, daß es Hauptstadt sein sollte und Ein Blick ans die Karte zeigt uns die äußerst günstige geographische Lage 7"
Die kulturelle Bedeutung Wiens Die kulturelle Bedeutung Wiens Dr. A. Laßmann, von s ist die Tragik Wiens gewesen, daß es Hauptstadt sein sollte und Ein Blick ans die Karte zeigt uns die äußerst günstige geographische Lage 7"
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Die kulturelle Bedeutung Wiens
Die kulturelle Bedeutung Wiens
Dr. A. Laßmann, von
s ist die Tragik Wiens gewesen, daß es Hauptstadt sein sollte und
wollte, daß es aber nicht Hauptstadt und Mittelpunkt der
Monarchie werden konnte. Es war einstens Grenzstadt und nach
R einer kurzen Zeit des Glanzes und höchster Bedeutung als
kultureller Mittelpunkt ist es wieder Grenzstadt geworden und wird
es Wohl auch bleiben. Dies soll kein Norwurf für diese Stadt
Me; es war nichts als die natürliche Folge der politischen Entwicklung Europas
und besonders Österreich-Ungarns, zum Teile aber auch Folge jener tiefgreifenden
Unfähigkeit der Deutschen Österreichs und vor allem Wiens, die wirtschaftlichen
und nationalen Forderungen der Zeit zu erkennen und ihnen gerecht zu werden,
Folge jener Energielosigkeit und jenes Mangels an Unternehmungsgeist und
Vevantwortungssveudigkeit, «aus der die österreichische Ironie erwächst.
Ein Blick ans die Karte zeigt uns die äußerst günstige geographische Lage
der Stadt. An dem Kreuzungspunkte der wichtigen Donaustraße, dem einzigen
natürlichen Band zwischen Westen und Osten, und dem kürzesten Wege von
Deutschland zu den Mpenländern und der Adria gelegen, mußte sie ein Wichtiger
Stapelplatz und Handelspunkt werden. Der Weg nach Ungarn, nach dem
Balkan, nach dem Oriente führt über Wien. Über Wien führte der Weg der
deutschen Orientpolitik, als das Bindeglied zum Balkan, zur Anatolischcn und
Bagdad-Bahn. Durch die mährische senke öffnete sich ein weiterer Verbindungs¬
weg nach Galizien und Rußland. Von allen Seiten führen die Wege hinab in das
Donaubecken, dahin, wo an den letzten Ausläufern der Alpen Wien liegt. Die
diesen Terrainverhältnissen angepaßten Bahnlinien der Se. E. G., der Franz-
Josefsbahn, der West- und Ostbahn, der Nord-, Mvrdwest- und Südbahn
charakterisieren die äußerst günstige Lage der Stadt. Wien war dadurch im
vorhinein schon zur Hauptstadt der Sudeten- und Alpenländer bestimmt und
nicht erst künstlich durch die Führung von Bahnlinien dazu erkoren. Diese
- günstige Lage brachte es auch mit sich, daß Wien und nicht Prag der Mittelpunkt
des Habsburger Staates wurde, obgleich Prag, als im Herzen Deutschlands
gelegen, lange Zeit Wien den Rang ladzulaufen schien. Und diese Rivalität der
beiden Städte fand dann später in der Verschiedenheit der Nationalitäten, die sie
bewohnten, eine neue Stütze. Ungeschickte wirtschaftliche Maßnahmen und Ver¬
säumnisse brachten es trotz der günstigen Lage der Stadt doch mit sich, daß'die
Sudetenländer, dem Laufe der Elbe folgend, in ihrem Exportverkehr nicht nach
Trieft, sondern nach Hamburg gravitierten, und daß der Verkehr von Deutschland
nach Italien nicht über Wien, sondern über die Schweiz oder den Brennerpaß
ging, so daß Wien, außerhalb der großen, internationalen Fremdenverkehrs¬
straßen und Handelswege gelegen, den internationalen Anschluß versäumte und
auf den Jnlandsverkehr beschränkt blieb. Dazu erfuhr auch der Donauverkehr
nicht jene Ausbildung und Förderung, die der Strom erwarten ließ, ebenso wie
die Schaffung von günstigen Schiffslinien von Trieft aus lauge aus sich warten
ließ. In nicht geringerem Maße bewegten sich die verschiedene Kanalprojekte
nur in Worten, ohne daß man den Mut und die Kraft aufbrachte, den
entscheidenden letzten Schritt zu tun. Mit dem Aufgeben des Saloniki-Projektes,
durch Österreich-Ungarn war das weltwirtschaftliche Problem der Monarchie
endgültig zu Grabe getragen, was durch das Verhalten Ungarns gegen Serbien
vollständig unmöglich wurde, da der Binnenhafen Trieft, der bei Otvcmto stets
unterbunden werden konnte, nur problematischen Wert hatte. Unter diesen
Versäumnissen mußte natürlich in erster Linie Wien leiden; denn jeder Schritt
der Monarchie auf wirtschaftlichem Gebiete nach vorwärts wäre Wien zugute
gekommen, als der Knotenpunkt zwischen West und Ost, Nord und Süd. In
wirtschaftlicher Hinsicht war die Stadt wirklich das Herz der Monarchie.
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