Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur österreichischen Frage

All diese Beziehungen zwischen kleinungarischen, großungarischen und öster¬
reichischen Tendenzen werden im Schüßlerschen Buche in unübertrefflicher Klarheit
beleuchtet. Die verzwickte innerpolitische Logik dieses seltsamen Staates wird dem
Leser mit einem Male völlig durchschaubar. Die einzelnen Stufen der Ver¬
selbständigung Ungarns, die Gegenstöße Österreichs werden auf Grund eines gut
fundierten geschichtlichen Wissens aufgezeigt. Die magyarischen Aentralisierungs-
methoden werden in ihren einzelnen Wirkungsgebieten aufgesucht und lichtvoll
dargestellt. Von besonderem Interesse namentlich auch im Vergleich mit preußischen
Verhältnissen ist die Entwicklung des Wahlrechtsproblems. Das ungarische Wahl¬
recht ist schroff plutokmtisch. Es begünstigt aufs einseitigste den ansässigen Adel,
die Gentry, der den Kern des Magyarentums ausmacht. Aber während es so
dem äußerlichen Blick als Werkzeug und Machtfundament lediglich einer kleinen
sozialen Kaste erscheint, dient es eben dadurch, indem es die fremdstämmigen
Minderheiten, die zumeist besitzlos sind, sozusagen parlamentarisch nicht zu Worte
kommen läßt und sie damit politisch mundtot macht, der Magyarisierung und
straffen Vereinheitlichung eines Staates, in dem bei liberalerem Wahlrecht der
Nationalitätenzwist eine ähnlich unheilvolle Rückwirkung auf den einzelstaatlichen
Machtwillen ausüben würde, wie das in Osterreich der Fall ist. Wenn wir uns
nun vor Augen halten, daß gerade an dieser parlamentarischen Überlegenheit
gegenüber Osterreich das ungarische Übergewicht in der Gesamtmonarchie hängt
und uns ferner vergegenwärtigen, welche Wichtigkeit für uns als Bundesgenossen
das Vorhandensein wenigstens eines festen machtpolitischen Rückgrats in der
gebrechlichen Donaumonarchie hatte, so erkennen wir deutlich die weltpolitische
Bedeutsamkeit, die letzten Endes dem zähen.antidemokratischen Selbstbehaupümgs-
streben einer sozialen Kaste in Ungarn zukam. Andererseits wird auch nirgends
offenbarer, wie unterhöhlt eben jener im Magyarentum verwurzelte ungarisch¬
österreichische Machtwille war, der für uns die Brücke nach dem Orient, der
Vorspann unserer ganzen Balkanpolitik war, die, wenn nicht die Ursache, so doch
die Auslösung des Weltkrieges geworden ist.

Und so folgen wir dem Verfasser mit ungemindertem Interesse, wenn er an
die Entwicklung des zentralistischen und des dualistischen Lösungsversuches des
Habsburgischen Verfassungsproblems weitergehend den föderalistischen schließt, der
bisher freilich nur als Programm in Erscheinung getreten ist, gerade als solches
aber in unseren Tagen höchste Aktualität gewonnen hat. In meisterhafter Weise
werden hier die Tatsachenfundamente dieser föderalistischen Strebungen umrissen.
Die böhmische und die südslawische Frage finden gesondert eine eingehende Behand¬
lung. Und mit einem Überblick über die bisherigen theoretischen Lösungsversuche
werden wir bis in die Problematik hineingeführt, die der Krieg selber vor dem
europäischen und selbst dem transatlantischen Forum aufgerollt hat. Zwei Lösungs-
typen treten sichtlich auseinander: der territoriale, der in seiner konservativen
Tönung die historisch gewordenen Kronsländer der Föderalisierung zugrunde legt,
in einer radikaleren Ausprägung auf eine territoriale Neueinteilung des Gesamt¬
gebiets auf Grund der ethnischen Gliederung hindrängt, und der personale, der in
einem umfassenden Einheitsstaat die einzelnen Nationalitäten unabhängig von dem
von ihnen bewohnten Gebiet zu kulturell selbstbestimmungsfähigen Organisationen
zusammenfassen will. Als Vertreter des Territorialprinzips werden der Tschechen¬
führer Palacky, der österreichische Publizist und Historiker Charmatz, .der ungarische
Rumäne Popovici. erwähnt, das personale Prinzip wird vornehmlich durch den
bekannten deutsch-österreichischen Sozialdemokraten Renner befürwortet. Alle diese
Einzelvorschläge erfahren eine sorgfältige kritische Behandlung. Die Entwicklung
dieser Probleme ist bis zum Anfang dieses Jahres durchgeführt. Die Lösung, die
dem Verfasser selbst in seinem Schlußausblick als die wahrscheinlichste erscheint und
die seine ganze Darstellung historisch am solidesten unterband, ist die Entwicklung
der Doppelmonarchie zu einer Art von Großungarn, das die Nationalitätenprobleme
innerpolitisch durch Gewährung kultureller Autonomie bewältigt.

Es ist heute nicht der Augenblick, wo die Richtigkeit gerade dieser Schluß-


s*
Zur österreichischen Frage

All diese Beziehungen zwischen kleinungarischen, großungarischen und öster¬
reichischen Tendenzen werden im Schüßlerschen Buche in unübertrefflicher Klarheit
beleuchtet. Die verzwickte innerpolitische Logik dieses seltsamen Staates wird dem
Leser mit einem Male völlig durchschaubar. Die einzelnen Stufen der Ver¬
selbständigung Ungarns, die Gegenstöße Österreichs werden auf Grund eines gut
fundierten geschichtlichen Wissens aufgezeigt. Die magyarischen Aentralisierungs-
methoden werden in ihren einzelnen Wirkungsgebieten aufgesucht und lichtvoll
dargestellt. Von besonderem Interesse namentlich auch im Vergleich mit preußischen
Verhältnissen ist die Entwicklung des Wahlrechtsproblems. Das ungarische Wahl¬
recht ist schroff plutokmtisch. Es begünstigt aufs einseitigste den ansässigen Adel,
die Gentry, der den Kern des Magyarentums ausmacht. Aber während es so
dem äußerlichen Blick als Werkzeug und Machtfundament lediglich einer kleinen
sozialen Kaste erscheint, dient es eben dadurch, indem es die fremdstämmigen
Minderheiten, die zumeist besitzlos sind, sozusagen parlamentarisch nicht zu Worte
kommen läßt und sie damit politisch mundtot macht, der Magyarisierung und
straffen Vereinheitlichung eines Staates, in dem bei liberalerem Wahlrecht der
Nationalitätenzwist eine ähnlich unheilvolle Rückwirkung auf den einzelstaatlichen
Machtwillen ausüben würde, wie das in Osterreich der Fall ist. Wenn wir uns
nun vor Augen halten, daß gerade an dieser parlamentarischen Überlegenheit
gegenüber Osterreich das ungarische Übergewicht in der Gesamtmonarchie hängt
und uns ferner vergegenwärtigen, welche Wichtigkeit für uns als Bundesgenossen
das Vorhandensein wenigstens eines festen machtpolitischen Rückgrats in der
gebrechlichen Donaumonarchie hatte, so erkennen wir deutlich die weltpolitische
Bedeutsamkeit, die letzten Endes dem zähen.antidemokratischen Selbstbehaupümgs-
streben einer sozialen Kaste in Ungarn zukam. Andererseits wird auch nirgends
offenbarer, wie unterhöhlt eben jener im Magyarentum verwurzelte ungarisch¬
österreichische Machtwille war, der für uns die Brücke nach dem Orient, der
Vorspann unserer ganzen Balkanpolitik war, die, wenn nicht die Ursache, so doch
die Auslösung des Weltkrieges geworden ist.

Und so folgen wir dem Verfasser mit ungemindertem Interesse, wenn er an
die Entwicklung des zentralistischen und des dualistischen Lösungsversuches des
Habsburgischen Verfassungsproblems weitergehend den föderalistischen schließt, der
bisher freilich nur als Programm in Erscheinung getreten ist, gerade als solches
aber in unseren Tagen höchste Aktualität gewonnen hat. In meisterhafter Weise
werden hier die Tatsachenfundamente dieser föderalistischen Strebungen umrissen.
Die böhmische und die südslawische Frage finden gesondert eine eingehende Behand¬
lung. Und mit einem Überblick über die bisherigen theoretischen Lösungsversuche
werden wir bis in die Problematik hineingeführt, die der Krieg selber vor dem
europäischen und selbst dem transatlantischen Forum aufgerollt hat. Zwei Lösungs-
typen treten sichtlich auseinander: der territoriale, der in seiner konservativen
Tönung die historisch gewordenen Kronsländer der Föderalisierung zugrunde legt,
in einer radikaleren Ausprägung auf eine territoriale Neueinteilung des Gesamt¬
gebiets auf Grund der ethnischen Gliederung hindrängt, und der personale, der in
einem umfassenden Einheitsstaat die einzelnen Nationalitäten unabhängig von dem
von ihnen bewohnten Gebiet zu kulturell selbstbestimmungsfähigen Organisationen
zusammenfassen will. Als Vertreter des Territorialprinzips werden der Tschechen¬
führer Palacky, der österreichische Publizist und Historiker Charmatz, .der ungarische
Rumäne Popovici. erwähnt, das personale Prinzip wird vornehmlich durch den
bekannten deutsch-österreichischen Sozialdemokraten Renner befürwortet. Alle diese
Einzelvorschläge erfahren eine sorgfältige kritische Behandlung. Die Entwicklung
dieser Probleme ist bis zum Anfang dieses Jahres durchgeführt. Die Lösung, die
dem Verfasser selbst in seinem Schlußausblick als die wahrscheinlichste erscheint und
die seine ganze Darstellung historisch am solidesten unterband, ist die Entwicklung
der Doppelmonarchie zu einer Art von Großungarn, das die Nationalitätenprobleme
innerpolitisch durch Gewährung kultureller Autonomie bewältigt.

Es ist heute nicht der Augenblick, wo die Richtigkeit gerade dieser Schluß-


s*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0087" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/88325"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur österreichischen Frage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_327"> All diese Beziehungen zwischen kleinungarischen, großungarischen und öster¬<lb/>
reichischen Tendenzen werden im Schüßlerschen Buche in unübertrefflicher Klarheit<lb/>
beleuchtet. Die verzwickte innerpolitische Logik dieses seltsamen Staates wird dem<lb/>
Leser mit einem Male völlig durchschaubar. Die einzelnen Stufen der Ver¬<lb/>
selbständigung Ungarns, die Gegenstöße Österreichs werden auf Grund eines gut<lb/>
fundierten geschichtlichen Wissens aufgezeigt. Die magyarischen Aentralisierungs-<lb/>
methoden werden in ihren einzelnen Wirkungsgebieten aufgesucht und lichtvoll<lb/>
dargestellt. Von besonderem Interesse namentlich auch im Vergleich mit preußischen<lb/>
Verhältnissen ist die Entwicklung des Wahlrechtsproblems. Das ungarische Wahl¬<lb/>
recht ist schroff plutokmtisch. Es begünstigt aufs einseitigste den ansässigen Adel,<lb/>
die Gentry, der den Kern des Magyarentums ausmacht. Aber während es so<lb/>
dem äußerlichen Blick als Werkzeug und Machtfundament lediglich einer kleinen<lb/>
sozialen Kaste erscheint, dient es eben dadurch, indem es die fremdstämmigen<lb/>
Minderheiten, die zumeist besitzlos sind, sozusagen parlamentarisch nicht zu Worte<lb/>
kommen läßt und sie damit politisch mundtot macht, der Magyarisierung und<lb/>
straffen Vereinheitlichung eines Staates, in dem bei liberalerem Wahlrecht der<lb/>
Nationalitätenzwist eine ähnlich unheilvolle Rückwirkung auf den einzelstaatlichen<lb/>
Machtwillen ausüben würde, wie das in Osterreich der Fall ist. Wenn wir uns<lb/>
nun vor Augen halten, daß gerade an dieser parlamentarischen Überlegenheit<lb/>
gegenüber Osterreich das ungarische Übergewicht in der Gesamtmonarchie hängt<lb/>
und uns ferner vergegenwärtigen, welche Wichtigkeit für uns als Bundesgenossen<lb/>
das Vorhandensein wenigstens eines festen machtpolitischen Rückgrats in der<lb/>
gebrechlichen Donaumonarchie hatte, so erkennen wir deutlich die weltpolitische<lb/>
Bedeutsamkeit, die letzten Endes dem zähen.antidemokratischen Selbstbehaupümgs-<lb/>
streben einer sozialen Kaste in Ungarn zukam. Andererseits wird auch nirgends<lb/>
offenbarer, wie unterhöhlt eben jener im Magyarentum verwurzelte ungarisch¬<lb/>
österreichische Machtwille war, der für uns die Brücke nach dem Orient, der<lb/>
Vorspann unserer ganzen Balkanpolitik war, die, wenn nicht die Ursache, so doch<lb/>
die Auslösung des Weltkrieges geworden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_328"> Und so folgen wir dem Verfasser mit ungemindertem Interesse, wenn er an<lb/>
die Entwicklung des zentralistischen und des dualistischen Lösungsversuches des<lb/>
Habsburgischen Verfassungsproblems weitergehend den föderalistischen schließt, der<lb/>
bisher freilich nur als Programm in Erscheinung getreten ist, gerade als solches<lb/>
aber in unseren Tagen höchste Aktualität gewonnen hat. In meisterhafter Weise<lb/>
werden hier die Tatsachenfundamente dieser föderalistischen Strebungen umrissen.<lb/>
Die böhmische und die südslawische Frage finden gesondert eine eingehende Behand¬<lb/>
lung. Und mit einem Überblick über die bisherigen theoretischen Lösungsversuche<lb/>
werden wir bis in die Problematik hineingeführt, die der Krieg selber vor dem<lb/>
europäischen und selbst dem transatlantischen Forum aufgerollt hat. Zwei Lösungs-<lb/>
typen treten sichtlich auseinander: der territoriale, der in seiner konservativen<lb/>
Tönung die historisch gewordenen Kronsländer der Föderalisierung zugrunde legt,<lb/>
in einer radikaleren Ausprägung auf eine territoriale Neueinteilung des Gesamt¬<lb/>
gebiets auf Grund der ethnischen Gliederung hindrängt, und der personale, der in<lb/>
einem umfassenden Einheitsstaat die einzelnen Nationalitäten unabhängig von dem<lb/>
von ihnen bewohnten Gebiet zu kulturell selbstbestimmungsfähigen Organisationen<lb/>
zusammenfassen will. Als Vertreter des Territorialprinzips werden der Tschechen¬<lb/>
führer Palacky, der österreichische Publizist und Historiker Charmatz, .der ungarische<lb/>
Rumäne Popovici. erwähnt, das personale Prinzip wird vornehmlich durch den<lb/>
bekannten deutsch-österreichischen Sozialdemokraten Renner befürwortet. Alle diese<lb/>
Einzelvorschläge erfahren eine sorgfältige kritische Behandlung. Die Entwicklung<lb/>
dieser Probleme ist bis zum Anfang dieses Jahres durchgeführt. Die Lösung, die<lb/>
dem Verfasser selbst in seinem Schlußausblick als die wahrscheinlichste erscheint und<lb/>
die seine ganze Darstellung historisch am solidesten unterband, ist die Entwicklung<lb/>
der Doppelmonarchie zu einer Art von Großungarn, das die Nationalitätenprobleme<lb/>
innerpolitisch durch Gewährung kultureller Autonomie bewältigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_329" next="#ID_330"> Es ist heute nicht der Augenblick, wo die Richtigkeit gerade dieser Schluß-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> s*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0087] Zur österreichischen Frage All diese Beziehungen zwischen kleinungarischen, großungarischen und öster¬ reichischen Tendenzen werden im Schüßlerschen Buche in unübertrefflicher Klarheit beleuchtet. Die verzwickte innerpolitische Logik dieses seltsamen Staates wird dem Leser mit einem Male völlig durchschaubar. Die einzelnen Stufen der Ver¬ selbständigung Ungarns, die Gegenstöße Österreichs werden auf Grund eines gut fundierten geschichtlichen Wissens aufgezeigt. Die magyarischen Aentralisierungs- methoden werden in ihren einzelnen Wirkungsgebieten aufgesucht und lichtvoll dargestellt. Von besonderem Interesse namentlich auch im Vergleich mit preußischen Verhältnissen ist die Entwicklung des Wahlrechtsproblems. Das ungarische Wahl¬ recht ist schroff plutokmtisch. Es begünstigt aufs einseitigste den ansässigen Adel, die Gentry, der den Kern des Magyarentums ausmacht. Aber während es so dem äußerlichen Blick als Werkzeug und Machtfundament lediglich einer kleinen sozialen Kaste erscheint, dient es eben dadurch, indem es die fremdstämmigen Minderheiten, die zumeist besitzlos sind, sozusagen parlamentarisch nicht zu Worte kommen läßt und sie damit politisch mundtot macht, der Magyarisierung und straffen Vereinheitlichung eines Staates, in dem bei liberalerem Wahlrecht der Nationalitätenzwist eine ähnlich unheilvolle Rückwirkung auf den einzelstaatlichen Machtwillen ausüben würde, wie das in Osterreich der Fall ist. Wenn wir uns nun vor Augen halten, daß gerade an dieser parlamentarischen Überlegenheit gegenüber Osterreich das ungarische Übergewicht in der Gesamtmonarchie hängt und uns ferner vergegenwärtigen, welche Wichtigkeit für uns als Bundesgenossen das Vorhandensein wenigstens eines festen machtpolitischen Rückgrats in der gebrechlichen Donaumonarchie hatte, so erkennen wir deutlich die weltpolitische Bedeutsamkeit, die letzten Endes dem zähen.antidemokratischen Selbstbehaupümgs- streben einer sozialen Kaste in Ungarn zukam. Andererseits wird auch nirgends offenbarer, wie unterhöhlt eben jener im Magyarentum verwurzelte ungarisch¬ österreichische Machtwille war, der für uns die Brücke nach dem Orient, der Vorspann unserer ganzen Balkanpolitik war, die, wenn nicht die Ursache, so doch die Auslösung des Weltkrieges geworden ist. Und so folgen wir dem Verfasser mit ungemindertem Interesse, wenn er an die Entwicklung des zentralistischen und des dualistischen Lösungsversuches des Habsburgischen Verfassungsproblems weitergehend den föderalistischen schließt, der bisher freilich nur als Programm in Erscheinung getreten ist, gerade als solches aber in unseren Tagen höchste Aktualität gewonnen hat. In meisterhafter Weise werden hier die Tatsachenfundamente dieser föderalistischen Strebungen umrissen. Die böhmische und die südslawische Frage finden gesondert eine eingehende Behand¬ lung. Und mit einem Überblick über die bisherigen theoretischen Lösungsversuche werden wir bis in die Problematik hineingeführt, die der Krieg selber vor dem europäischen und selbst dem transatlantischen Forum aufgerollt hat. Zwei Lösungs- typen treten sichtlich auseinander: der territoriale, der in seiner konservativen Tönung die historisch gewordenen Kronsländer der Föderalisierung zugrunde legt, in einer radikaleren Ausprägung auf eine territoriale Neueinteilung des Gesamt¬ gebiets auf Grund der ethnischen Gliederung hindrängt, und der personale, der in einem umfassenden Einheitsstaat die einzelnen Nationalitäten unabhängig von dem von ihnen bewohnten Gebiet zu kulturell selbstbestimmungsfähigen Organisationen zusammenfassen will. Als Vertreter des Territorialprinzips werden der Tschechen¬ führer Palacky, der österreichische Publizist und Historiker Charmatz, .der ungarische Rumäne Popovici. erwähnt, das personale Prinzip wird vornehmlich durch den bekannten deutsch-österreichischen Sozialdemokraten Renner befürwortet. Alle diese Einzelvorschläge erfahren eine sorgfältige kritische Behandlung. Die Entwicklung dieser Probleme ist bis zum Anfang dieses Jahres durchgeführt. Die Lösung, die dem Verfasser selbst in seinem Schlußausblick als die wahrscheinlichste erscheint und die seine ganze Darstellung historisch am solidesten unterband, ist die Entwicklung der Doppelmonarchie zu einer Art von Großungarn, das die Nationalitätenprobleme innerpolitisch durch Gewährung kultureller Autonomie bewältigt. Es ist heute nicht der Augenblick, wo die Richtigkeit gerade dieser Schluß- s*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/87
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/87>, abgerufen am 22.07.2024.