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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Die Behandlung der Deutschbalten

Ballen die Nase und übersieht völlig die kulturfördernde Wirkung, die diese weniger
gehetzte, an Muße reichere Lebensform gerade beim baltischen Bürgertum aus¬
übt.*) Andere wieder stoßen sich an der größeren Gebundenheit, die die Kon¬
vention einer exklusiven Gesellschaft der Haltung und dem Leben der Frau auf-
erlegt und sehen nicht, wie viel Urwüchsigkeit und vitale Frische trotz dieser aristo¬
kratischen Gehaltenheit die Frauen insbesondere in Kurland auszeichnet. Kurzum:
trotz den fast durchweg herzlichen und überaus erfreulichen Beziehungen zwischen
den Deutschbalten und ihrer militärischen Einquartierung kann man bereits jetzt
gelegentlich die Spuren einer solchen inneren Distanz, einer Verkennung und oft
sehr'oberflächlichen und hochmütigen Mißachtung des Deutschbaltentums bei den
zugewanderten Reichsdeutschen bemerken.

In den oberen Schichten unseres Militärs zählen diese Erscheinungen gott-
lob zu den Ausnahmen. Ganz anders liegt es bei den Unteroffizieren und Mann¬
schaften, die in großer Zahl die subalterne Verwaltungsarbeit des Landes leisten
und übrigens trotz ihrer militärisch gedrückten Stellung tatsächlich einen viel
größeren Einfluß ausüben, als der Buchstabe der Verwaltungsordnung vermuten
läßt. Die große Mehrzahl dieser kleinen Beamten oder Kaufleute, mit Mittel¬
schulbildung -- die wenigsten haben das Einjährigenzeugnis -- und aus kleinen
Kreisen stammend, ist weder in ihrer Heimat, noch erst recht in dem aristokratisch
exklusiveren Baltenlande gesellschaftsfähig. Ihre militärische Rangstufe erschwert
ihnen zudem die Begegnung mit Offizieren auf gesellschaftlichen Boden. Ein
deutscher kleinbürgerlicher Mittelstand aber, in den sie sich gesellschaftlich harmonisch
einfügen könnten, ist im baltischen Lande nur ganz spärlich vertreten. Diese
breiten Massen unserer Untermilitärs sind gesellschaftlich auf sich selber oder vor¬
wiegend auf Letten angewiesen, mit denen sie sich schwer verständigen können und
bei denen sie höchstens bedenklichen antibaltischen Einflüssen unterliegen. Soweit
diese Unterbeamten, z. B. daS an Bildung besonders tief stehende untere Polizei--
und Geudarmeriepersonal, nicht die Deutschbalten überhaupt mit den Letten und
allen östlichen Landeseinwohnern unter die Universalkategorie "Panje" einordnen,
sind sie vielfach gegen die deutsche Oberschicht des Landes von einer deutlichen
kleinbürgerlichen und zugleich auch neudeutsch-überheblicher Ranküne erfüllt. Auch
diese kleinen Sekretäre und Schreiber mit ihrem so überaus begrenzten bureau¬
kratischen Horizont sehen auf die Lässigkeit, Bequemlichkeit und zivilisatorische
"Rückständigkeit" des Ballen mit einer überaus souveränen Verachtung herab. Die
Neigung der baltischen Herrenschicht, der "Edel-Pcmjes", wie der boshafte Etappen¬
ausdruck lautet, sich auch mit kleinen Anliegen unmittelbar an die gesellschaftlich
bekannten leitenden Offiziere zu wenden, verletzt das Machtgefühl der kleinen über-
gangenen Bureaukraten, und die getränkte Würde und überhaupt ihr militärischer
Nationalstolz äußert sich vielfach, wenn auch keineswegs durchgehend-- in der be¬
kannten Unteroffiziersschneidigkeft, an die man jenseits der schwarz-weiß-roten
Grenzpfühle sich eben doch noch nicht so gewöhnt hat, wie wir zu Hause. Wenn
man bedenkt, daß die Ballen seit Jahrzehnten gewohnt sind, an diesen Stellen
den bestechlichen halb servilen, halb schikanösen russischen Tschinownik zu sehen,
dann nutz jeder, der die jetzigen Verhältnisse durch Augenschein kennt, die schnelle
Umschattung ihrer Haltung anerkennen. Das Publikum ist im Verkehr mit den
militärischen Behörden, in deren Händen ja auch alle Macht liegt, von einer fast
ängstlichen und stark eingeschüchterten Höflichkeit, trotzdem es von der Umständ¬
lichkeit deS deutschen BureaukratiSmus, der es an Papierverbrauch gut mit dem
russischen aufnehmen kann, einigermaßen überrascht ist. Aber eben diese unge¬
wohnte Machtfülle hat namentlich bei manchen kleinen Bureaupotentaten Selbst-



-) Daß "" "i" baltische" Bürgertum mit ausgeprägter Eigenart überhaupt gibt, ist
eine Vntdeckung, die deutsche Besucher auch erst im Lande machen müsse", da ihnen bekannt¬
lich fortgesetzt von den botartigen "baltischen Baronen"' als den einzigen Vertretern de"
Deutschbaltentums vorgeredet wird, obgleich diese einen verschwindend geringen Prozentsatz
der deutschen Bevölkerung de" Baltenlandes ausmachen.
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Die Behandlung der Deutschbalten

Ballen die Nase und übersieht völlig die kulturfördernde Wirkung, die diese weniger
gehetzte, an Muße reichere Lebensform gerade beim baltischen Bürgertum aus¬
übt.*) Andere wieder stoßen sich an der größeren Gebundenheit, die die Kon¬
vention einer exklusiven Gesellschaft der Haltung und dem Leben der Frau auf-
erlegt und sehen nicht, wie viel Urwüchsigkeit und vitale Frische trotz dieser aristo¬
kratischen Gehaltenheit die Frauen insbesondere in Kurland auszeichnet. Kurzum:
trotz den fast durchweg herzlichen und überaus erfreulichen Beziehungen zwischen
den Deutschbalten und ihrer militärischen Einquartierung kann man bereits jetzt
gelegentlich die Spuren einer solchen inneren Distanz, einer Verkennung und oft
sehr'oberflächlichen und hochmütigen Mißachtung des Deutschbaltentums bei den
zugewanderten Reichsdeutschen bemerken.

In den oberen Schichten unseres Militärs zählen diese Erscheinungen gott-
lob zu den Ausnahmen. Ganz anders liegt es bei den Unteroffizieren und Mann¬
schaften, die in großer Zahl die subalterne Verwaltungsarbeit des Landes leisten
und übrigens trotz ihrer militärisch gedrückten Stellung tatsächlich einen viel
größeren Einfluß ausüben, als der Buchstabe der Verwaltungsordnung vermuten
läßt. Die große Mehrzahl dieser kleinen Beamten oder Kaufleute, mit Mittel¬
schulbildung — die wenigsten haben das Einjährigenzeugnis — und aus kleinen
Kreisen stammend, ist weder in ihrer Heimat, noch erst recht in dem aristokratisch
exklusiveren Baltenlande gesellschaftsfähig. Ihre militärische Rangstufe erschwert
ihnen zudem die Begegnung mit Offizieren auf gesellschaftlichen Boden. Ein
deutscher kleinbürgerlicher Mittelstand aber, in den sie sich gesellschaftlich harmonisch
einfügen könnten, ist im baltischen Lande nur ganz spärlich vertreten. Diese
breiten Massen unserer Untermilitärs sind gesellschaftlich auf sich selber oder vor¬
wiegend auf Letten angewiesen, mit denen sie sich schwer verständigen können und
bei denen sie höchstens bedenklichen antibaltischen Einflüssen unterliegen. Soweit
diese Unterbeamten, z. B. daS an Bildung besonders tief stehende untere Polizei--
und Geudarmeriepersonal, nicht die Deutschbalten überhaupt mit den Letten und
allen östlichen Landeseinwohnern unter die Universalkategorie „Panje" einordnen,
sind sie vielfach gegen die deutsche Oberschicht des Landes von einer deutlichen
kleinbürgerlichen und zugleich auch neudeutsch-überheblicher Ranküne erfüllt. Auch
diese kleinen Sekretäre und Schreiber mit ihrem so überaus begrenzten bureau¬
kratischen Horizont sehen auf die Lässigkeit, Bequemlichkeit und zivilisatorische
„Rückständigkeit" des Ballen mit einer überaus souveränen Verachtung herab. Die
Neigung der baltischen Herrenschicht, der „Edel-Pcmjes", wie der boshafte Etappen¬
ausdruck lautet, sich auch mit kleinen Anliegen unmittelbar an die gesellschaftlich
bekannten leitenden Offiziere zu wenden, verletzt das Machtgefühl der kleinen über-
gangenen Bureaukraten, und die getränkte Würde und überhaupt ihr militärischer
Nationalstolz äußert sich vielfach, wenn auch keineswegs durchgehend-- in der be¬
kannten Unteroffiziersschneidigkeft, an die man jenseits der schwarz-weiß-roten
Grenzpfühle sich eben doch noch nicht so gewöhnt hat, wie wir zu Hause. Wenn
man bedenkt, daß die Ballen seit Jahrzehnten gewohnt sind, an diesen Stellen
den bestechlichen halb servilen, halb schikanösen russischen Tschinownik zu sehen,
dann nutz jeder, der die jetzigen Verhältnisse durch Augenschein kennt, die schnelle
Umschattung ihrer Haltung anerkennen. Das Publikum ist im Verkehr mit den
militärischen Behörden, in deren Händen ja auch alle Macht liegt, von einer fast
ängstlichen und stark eingeschüchterten Höflichkeit, trotzdem es von der Umständ¬
lichkeit deS deutschen BureaukratiSmus, der es an Papierverbrauch gut mit dem
russischen aufnehmen kann, einigermaßen überrascht ist. Aber eben diese unge¬
wohnte Machtfülle hat namentlich bei manchen kleinen Bureaupotentaten Selbst-



-) Daß «» »i» baltische» Bürgertum mit ausgeprägter Eigenart überhaupt gibt, ist
eine Vntdeckung, die deutsche Besucher auch erst im Lande machen müsse«, da ihnen bekannt¬
lich fortgesetzt von den botartigen „baltischen Baronen"' als den einzigen Vertretern de»
Deutschbaltentums vorgeredet wird, obgleich diese einen verschwindend geringen Prozentsatz
der deutschen Bevölkerung de» Baltenlandes ausmachen.
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[0029] Die Behandlung der Deutschbalten Ballen die Nase und übersieht völlig die kulturfördernde Wirkung, die diese weniger gehetzte, an Muße reichere Lebensform gerade beim baltischen Bürgertum aus¬ übt.*) Andere wieder stoßen sich an der größeren Gebundenheit, die die Kon¬ vention einer exklusiven Gesellschaft der Haltung und dem Leben der Frau auf- erlegt und sehen nicht, wie viel Urwüchsigkeit und vitale Frische trotz dieser aristo¬ kratischen Gehaltenheit die Frauen insbesondere in Kurland auszeichnet. Kurzum: trotz den fast durchweg herzlichen und überaus erfreulichen Beziehungen zwischen den Deutschbalten und ihrer militärischen Einquartierung kann man bereits jetzt gelegentlich die Spuren einer solchen inneren Distanz, einer Verkennung und oft sehr'oberflächlichen und hochmütigen Mißachtung des Deutschbaltentums bei den zugewanderten Reichsdeutschen bemerken. In den oberen Schichten unseres Militärs zählen diese Erscheinungen gott- lob zu den Ausnahmen. Ganz anders liegt es bei den Unteroffizieren und Mann¬ schaften, die in großer Zahl die subalterne Verwaltungsarbeit des Landes leisten und übrigens trotz ihrer militärisch gedrückten Stellung tatsächlich einen viel größeren Einfluß ausüben, als der Buchstabe der Verwaltungsordnung vermuten läßt. Die große Mehrzahl dieser kleinen Beamten oder Kaufleute, mit Mittel¬ schulbildung — die wenigsten haben das Einjährigenzeugnis — und aus kleinen Kreisen stammend, ist weder in ihrer Heimat, noch erst recht in dem aristokratisch exklusiveren Baltenlande gesellschaftsfähig. Ihre militärische Rangstufe erschwert ihnen zudem die Begegnung mit Offizieren auf gesellschaftlichen Boden. Ein deutscher kleinbürgerlicher Mittelstand aber, in den sie sich gesellschaftlich harmonisch einfügen könnten, ist im baltischen Lande nur ganz spärlich vertreten. Diese breiten Massen unserer Untermilitärs sind gesellschaftlich auf sich selber oder vor¬ wiegend auf Letten angewiesen, mit denen sie sich schwer verständigen können und bei denen sie höchstens bedenklichen antibaltischen Einflüssen unterliegen. Soweit diese Unterbeamten, z. B. daS an Bildung besonders tief stehende untere Polizei-- und Geudarmeriepersonal, nicht die Deutschbalten überhaupt mit den Letten und allen östlichen Landeseinwohnern unter die Universalkategorie „Panje" einordnen, sind sie vielfach gegen die deutsche Oberschicht des Landes von einer deutlichen kleinbürgerlichen und zugleich auch neudeutsch-überheblicher Ranküne erfüllt. Auch diese kleinen Sekretäre und Schreiber mit ihrem so überaus begrenzten bureau¬ kratischen Horizont sehen auf die Lässigkeit, Bequemlichkeit und zivilisatorische „Rückständigkeit" des Ballen mit einer überaus souveränen Verachtung herab. Die Neigung der baltischen Herrenschicht, der „Edel-Pcmjes", wie der boshafte Etappen¬ ausdruck lautet, sich auch mit kleinen Anliegen unmittelbar an die gesellschaftlich bekannten leitenden Offiziere zu wenden, verletzt das Machtgefühl der kleinen über- gangenen Bureaukraten, und die getränkte Würde und überhaupt ihr militärischer Nationalstolz äußert sich vielfach, wenn auch keineswegs durchgehend-- in der be¬ kannten Unteroffiziersschneidigkeft, an die man jenseits der schwarz-weiß-roten Grenzpfühle sich eben doch noch nicht so gewöhnt hat, wie wir zu Hause. Wenn man bedenkt, daß die Ballen seit Jahrzehnten gewohnt sind, an diesen Stellen den bestechlichen halb servilen, halb schikanösen russischen Tschinownik zu sehen, dann nutz jeder, der die jetzigen Verhältnisse durch Augenschein kennt, die schnelle Umschattung ihrer Haltung anerkennen. Das Publikum ist im Verkehr mit den militärischen Behörden, in deren Händen ja auch alle Macht liegt, von einer fast ängstlichen und stark eingeschüchterten Höflichkeit, trotzdem es von der Umständ¬ lichkeit deS deutschen BureaukratiSmus, der es an Papierverbrauch gut mit dem russischen aufnehmen kann, einigermaßen überrascht ist. Aber eben diese unge¬ wohnte Machtfülle hat namentlich bei manchen kleinen Bureaupotentaten Selbst- -) Daß «» »i» baltische» Bürgertum mit ausgeprägter Eigenart überhaupt gibt, ist eine Vntdeckung, die deutsche Besucher auch erst im Lande machen müsse«, da ihnen bekannt¬ lich fortgesetzt von den botartigen „baltischen Baronen"' als den einzigen Vertretern de» Deutschbaltentums vorgeredet wird, obgleich diese einen verschwindend geringen Prozentsatz der deutschen Bevölkerung de» Baltenlandes ausmachen. »r»n,b,t«, IV 101« S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/29>, abgerufen am 01.07.2024.