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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Bolschewismus

danieder! Die Vereinigte Verwaltung Sormow-Kolomna erhielt einen Kredit
von sage und schreibe 74 Millionen Rubel, um nur die laufenden Unkosten zu
decken. Der Selbstkostenpreis eines Pudes Eisen (1 Pud gleich etwa 16 Kilo¬
gramm) stieg von ca. 1 Rubel auf etwa 50. Eine Lokomotive kam auf 866 000
Rubel zu stehen. Die Kohlenförderung hörte ganz aus. Selbst die Ausnutzung
der Wälder nahm erschreckend ab. Jeder arbeitet nur sür sich, denn alles gehört
ja allen. Das rollende Material verkam und verkommt mehr und mehr. Was
drei Jahre Krieg nicht vermochten, brachte ein Jahr Bolschewikenherrschaft zu¬
stande: Rußland liegt im Sterben!

Gleichgültig, welche tönende Phrasen von dort zu ihren Freunden hier im
Lande gefunkt werden, sie müssen sich der Entente auf Gnade und Ungnade er¬
geben.

Jedoch Rußland ist groß, hat noch ungehobelte Naturschätze und ist wirt¬
schaftlich vielfach noch Neuland. Rußland kann und wird sich erholen. Aber
Deutschland?---

Sehen wir den Verhältnissen klar in die Augen. Lassen wir alle Abers,
die hier jedem Gespräch seine geistige Frische nehmen. "Aber Deutschland hat
keine Analphabeten." -- Gerade, weil Deutschland keine hat, gerade weil
unser Wirtschaftsorganismus so angespannt ist, ist die Gefahr für uns zehn¬
tausendmal größer.

Wir bekommen keinen Bolschewismus? -- Täuschen wir uns nicht, wir
haben ihnl Man lese die "Rote Fahne", man lese das Blättchen "Der Kom¬
munist", man lese "Die Freiheit" zwischen den Zeilen! Spitzen wir die Ohren.
Was haben die Ä.- und S.-Räte in Sachsen, was die Marine-Räte in Hamburg
und Bremen verkündet?

Ich bin kein Pessimist, kein Schwarzseher, im Gegenteil, viel eher Opti¬
mist, der aus dem Willen zur Tat die Kraft zur Gegenwehr schöpft. Ich bin so
optimistisch, aus das heimkommende Heer zu hoffen, auf die unzählige Zahl derer,
die vorn in erster Linie übermenschliches geleistet und erlebt haben. Die lassen
sich, wenn erst der erste Rausch vorbei ist, keine Diktatur, weder von links noch
von rechts, gefallen.

Aber das Bürgertum bietet ein trostloses Bild. Vor zehn Tagen wagte
es kaum zu atmen und heute schießen Vereine wie Pilze aus der Erde. Partei¬
klüngel und Selbstsucht machen sich breit. Warum werden nicht die Gefahren des
Bolschewismus jedem in die Ohren posaunt? Wo ist die Propaganda des leben¬
digen Wortes vom Gatten zur Gattin, von der Mutter zur Tochter, zu den Haus¬
genossen und ins Volk. Wo ist die Propaganda der Feder, wo die des Bildes?

Diese schwächlichen Anfänge, die jetzt gemacht werden, genügen nicht. Was
soll das: "die Entente will keinen Bolschewismus"? Wir, das deutsche
Volk, will keinen! Man entschuldige meinen Freimut, aber die Gelder
der deutschen Spießbürger, die nur an sich dachten, sind mir höchst gleichgültig.
Ich bin gegen das extreme sozialistische Programm, gegen die Verstaatlichung,
nicht um Privatinteressen zu dienen, sondern weil ich Wirtschaftspolitiker bin,
weil ich die Gefahren kenne. Ich fürchte mich vor dem Bureaukratismus, der
unfehlbar die Folge ist, der zehnmal schlimmer wie der bisherige wird, der In¬
dustrie und Handel den lebendigen Odem nimmt, der uns der Möglichkeit be¬
raubt, jemals wieder wirtschaftlich frei zu werden.

Es lassen sich bei gutem Willen hundert andere Wege finden, um dem
Sozialismus, den ich an und für sich begrüße und nur gerecht finde, zu seinem
Rechte zu verhelfen. Aber der Staat als Unternehmer ohne Konkurrenz ist ein
Unding. Ich fürchte, daß die Regierenden erst nach bitteren, bei unserer ver¬
zweifelten Lage doppelt verhängnisvollen Experimenten zu dieser Erkenntnis
kommen. Der Versuch, dies zu verhindern, ist unsere Pflicht. Dieser kann aber
nur bei geschlossenem, selbstlosen Vorgehen aller bürgerlichen Kreise Erfolg
haben. Vielleicht wecken die Demütigungen, die wir von polnischer und tschechi¬
scher Seite erleiden müssen, den nationalen Gedanken, und dieser wird zum
Kampfe gegen internationalen Kommunismus ausrufen. Aber mehr denn je
M heute das Wort: "Hilj dir selber, so hilft dir Gott!"


Bolschewismus

danieder! Die Vereinigte Verwaltung Sormow-Kolomna erhielt einen Kredit
von sage und schreibe 74 Millionen Rubel, um nur die laufenden Unkosten zu
decken. Der Selbstkostenpreis eines Pudes Eisen (1 Pud gleich etwa 16 Kilo¬
gramm) stieg von ca. 1 Rubel auf etwa 50. Eine Lokomotive kam auf 866 000
Rubel zu stehen. Die Kohlenförderung hörte ganz aus. Selbst die Ausnutzung
der Wälder nahm erschreckend ab. Jeder arbeitet nur sür sich, denn alles gehört
ja allen. Das rollende Material verkam und verkommt mehr und mehr. Was
drei Jahre Krieg nicht vermochten, brachte ein Jahr Bolschewikenherrschaft zu¬
stande: Rußland liegt im Sterben!

Gleichgültig, welche tönende Phrasen von dort zu ihren Freunden hier im
Lande gefunkt werden, sie müssen sich der Entente auf Gnade und Ungnade er¬
geben.

Jedoch Rußland ist groß, hat noch ungehobelte Naturschätze und ist wirt¬
schaftlich vielfach noch Neuland. Rußland kann und wird sich erholen. Aber
Deutschland?---

Sehen wir den Verhältnissen klar in die Augen. Lassen wir alle Abers,
die hier jedem Gespräch seine geistige Frische nehmen. „Aber Deutschland hat
keine Analphabeten." — Gerade, weil Deutschland keine hat, gerade weil
unser Wirtschaftsorganismus so angespannt ist, ist die Gefahr für uns zehn¬
tausendmal größer.

Wir bekommen keinen Bolschewismus? — Täuschen wir uns nicht, wir
haben ihnl Man lese die „Rote Fahne", man lese das Blättchen „Der Kom¬
munist", man lese „Die Freiheit" zwischen den Zeilen! Spitzen wir die Ohren.
Was haben die Ä.- und S.-Räte in Sachsen, was die Marine-Räte in Hamburg
und Bremen verkündet?

Ich bin kein Pessimist, kein Schwarzseher, im Gegenteil, viel eher Opti¬
mist, der aus dem Willen zur Tat die Kraft zur Gegenwehr schöpft. Ich bin so
optimistisch, aus das heimkommende Heer zu hoffen, auf die unzählige Zahl derer,
die vorn in erster Linie übermenschliches geleistet und erlebt haben. Die lassen
sich, wenn erst der erste Rausch vorbei ist, keine Diktatur, weder von links noch
von rechts, gefallen.

Aber das Bürgertum bietet ein trostloses Bild. Vor zehn Tagen wagte
es kaum zu atmen und heute schießen Vereine wie Pilze aus der Erde. Partei¬
klüngel und Selbstsucht machen sich breit. Warum werden nicht die Gefahren des
Bolschewismus jedem in die Ohren posaunt? Wo ist die Propaganda des leben¬
digen Wortes vom Gatten zur Gattin, von der Mutter zur Tochter, zu den Haus¬
genossen und ins Volk. Wo ist die Propaganda der Feder, wo die des Bildes?

Diese schwächlichen Anfänge, die jetzt gemacht werden, genügen nicht. Was
soll das: „die Entente will keinen Bolschewismus"? Wir, das deutsche
Volk, will keinen! Man entschuldige meinen Freimut, aber die Gelder
der deutschen Spießbürger, die nur an sich dachten, sind mir höchst gleichgültig.
Ich bin gegen das extreme sozialistische Programm, gegen die Verstaatlichung,
nicht um Privatinteressen zu dienen, sondern weil ich Wirtschaftspolitiker bin,
weil ich die Gefahren kenne. Ich fürchte mich vor dem Bureaukratismus, der
unfehlbar die Folge ist, der zehnmal schlimmer wie der bisherige wird, der In¬
dustrie und Handel den lebendigen Odem nimmt, der uns der Möglichkeit be¬
raubt, jemals wieder wirtschaftlich frei zu werden.

Es lassen sich bei gutem Willen hundert andere Wege finden, um dem
Sozialismus, den ich an und für sich begrüße und nur gerecht finde, zu seinem
Rechte zu verhelfen. Aber der Staat als Unternehmer ohne Konkurrenz ist ein
Unding. Ich fürchte, daß die Regierenden erst nach bitteren, bei unserer ver¬
zweifelten Lage doppelt verhängnisvollen Experimenten zu dieser Erkenntnis
kommen. Der Versuch, dies zu verhindern, ist unsere Pflicht. Dieser kann aber
nur bei geschlossenem, selbstlosen Vorgehen aller bürgerlichen Kreise Erfolg
haben. Vielleicht wecken die Demütigungen, die wir von polnischer und tschechi¬
scher Seite erleiden müssen, den nationalen Gedanken, und dieser wird zum
Kampfe gegen internationalen Kommunismus ausrufen. Aber mehr denn je
M heute das Wort: „Hilj dir selber, so hilft dir Gott!"


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[0228] Bolschewismus danieder! Die Vereinigte Verwaltung Sormow-Kolomna erhielt einen Kredit von sage und schreibe 74 Millionen Rubel, um nur die laufenden Unkosten zu decken. Der Selbstkostenpreis eines Pudes Eisen (1 Pud gleich etwa 16 Kilo¬ gramm) stieg von ca. 1 Rubel auf etwa 50. Eine Lokomotive kam auf 866 000 Rubel zu stehen. Die Kohlenförderung hörte ganz aus. Selbst die Ausnutzung der Wälder nahm erschreckend ab. Jeder arbeitet nur sür sich, denn alles gehört ja allen. Das rollende Material verkam und verkommt mehr und mehr. Was drei Jahre Krieg nicht vermochten, brachte ein Jahr Bolschewikenherrschaft zu¬ stande: Rußland liegt im Sterben! Gleichgültig, welche tönende Phrasen von dort zu ihren Freunden hier im Lande gefunkt werden, sie müssen sich der Entente auf Gnade und Ungnade er¬ geben. Jedoch Rußland ist groß, hat noch ungehobelte Naturschätze und ist wirt¬ schaftlich vielfach noch Neuland. Rußland kann und wird sich erholen. Aber Deutschland?--- Sehen wir den Verhältnissen klar in die Augen. Lassen wir alle Abers, die hier jedem Gespräch seine geistige Frische nehmen. „Aber Deutschland hat keine Analphabeten." — Gerade, weil Deutschland keine hat, gerade weil unser Wirtschaftsorganismus so angespannt ist, ist die Gefahr für uns zehn¬ tausendmal größer. Wir bekommen keinen Bolschewismus? — Täuschen wir uns nicht, wir haben ihnl Man lese die „Rote Fahne", man lese das Blättchen „Der Kom¬ munist", man lese „Die Freiheit" zwischen den Zeilen! Spitzen wir die Ohren. Was haben die Ä.- und S.-Räte in Sachsen, was die Marine-Räte in Hamburg und Bremen verkündet? Ich bin kein Pessimist, kein Schwarzseher, im Gegenteil, viel eher Opti¬ mist, der aus dem Willen zur Tat die Kraft zur Gegenwehr schöpft. Ich bin so optimistisch, aus das heimkommende Heer zu hoffen, auf die unzählige Zahl derer, die vorn in erster Linie übermenschliches geleistet und erlebt haben. Die lassen sich, wenn erst der erste Rausch vorbei ist, keine Diktatur, weder von links noch von rechts, gefallen. Aber das Bürgertum bietet ein trostloses Bild. Vor zehn Tagen wagte es kaum zu atmen und heute schießen Vereine wie Pilze aus der Erde. Partei¬ klüngel und Selbstsucht machen sich breit. Warum werden nicht die Gefahren des Bolschewismus jedem in die Ohren posaunt? Wo ist die Propaganda des leben¬ digen Wortes vom Gatten zur Gattin, von der Mutter zur Tochter, zu den Haus¬ genossen und ins Volk. Wo ist die Propaganda der Feder, wo die des Bildes? Diese schwächlichen Anfänge, die jetzt gemacht werden, genügen nicht. Was soll das: „die Entente will keinen Bolschewismus"? Wir, das deutsche Volk, will keinen! Man entschuldige meinen Freimut, aber die Gelder der deutschen Spießbürger, die nur an sich dachten, sind mir höchst gleichgültig. Ich bin gegen das extreme sozialistische Programm, gegen die Verstaatlichung, nicht um Privatinteressen zu dienen, sondern weil ich Wirtschaftspolitiker bin, weil ich die Gefahren kenne. Ich fürchte mich vor dem Bureaukratismus, der unfehlbar die Folge ist, der zehnmal schlimmer wie der bisherige wird, der In¬ dustrie und Handel den lebendigen Odem nimmt, der uns der Möglichkeit be¬ raubt, jemals wieder wirtschaftlich frei zu werden. Es lassen sich bei gutem Willen hundert andere Wege finden, um dem Sozialismus, den ich an und für sich begrüße und nur gerecht finde, zu seinem Rechte zu verhelfen. Aber der Staat als Unternehmer ohne Konkurrenz ist ein Unding. Ich fürchte, daß die Regierenden erst nach bitteren, bei unserer ver¬ zweifelten Lage doppelt verhängnisvollen Experimenten zu dieser Erkenntnis kommen. Der Versuch, dies zu verhindern, ist unsere Pflicht. Dieser kann aber nur bei geschlossenem, selbstlosen Vorgehen aller bürgerlichen Kreise Erfolg haben. Vielleicht wecken die Demütigungen, die wir von polnischer und tschechi¬ scher Seite erleiden müssen, den nationalen Gedanken, und dieser wird zum Kampfe gegen internationalen Kommunismus ausrufen. Aber mehr denn je M heute das Wort: „Hilj dir selber, so hilft dir Gott!"

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/228>, abgerufen am 22.07.2024.