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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Kleine Staatslehre

17.

Dem Staat zu dienen, steht nicht im Belieben des Menschen; er wird
hineingeboren und trägt Staatsbürgerpflichten, ohne gefragt worden zu sein. Dem
Staate zu entgehen, ist schon heute fast unmöglich und wird es mit fortschreitender
Organisierung der Erde immer mehr. Eines Tages wird der Mensch, wohin er
auch fliehen mag, Staat vorfinden. Einem bloßen Zwang zu unterliegen, schändet.
Der einzige Weg, um Notwendigkeit in Freiheit zu verwandeln, ist, das Unver-'
meidliche "in seinem Willen aufnehmen". Um Staat nicht nur zu erleiden, muß
man auch Staat wirken. Jeder Deutsche ist ein 65 Millionstel Organisator, Re¬
gierung, Souverän. Auf diesem Brucy muß er seine Menschenwürde ausrichten.
Es ist nicht erhebend; aber es bleibt ihm keine Wahl.'


13.

Macht des Staates, muß gehandelt werden. Sie kann von niemandem ge^
handhabt werden, als von einzelnen, höchst menschlichen Menschen. Monarchie,
Aristokratie, Demokratie; Absolutismus, .Konstitution, Parlamentarismus: alle
diese und manche anderen Namen ändern nichts daran, daß man Leute ermächti¬
gen muß, die Hebel der Staatsmaschine zu bewegen. Für den, der auf den richti¬
gen Platz gestellt wird, gehört nicht mehr dazu, das ungeheure Räderwerk in Gang
zu bringen, als für den Mann auf der Lokomotive, seinen'Schnellzug in Bewegung
zu setzen, oder für den Kanonier, sein Geschütz abzufeuern. Ein Handgriff genügt.
Die ungeheure Wirkung steht in keinen Verhältnis zu dieser bescheidenen Ursache.


19.

Eben darum entsteht in dem Mann am Steuer die Lust des Machtgefühls,
die Selbsttäuschung, er besitze die Macht, die er ausübt; er sei Macht. Die Schutz¬
vorrichtung ist noch nicht erfunden, die den Herrscher, den Regierenden, den Ver¬
walter und Beamten an böswilligen oder fahrlässigen oder gutgläubigen Mi߬
brauch der Macht hindert. Die Organisation namens Staat, aufgebaut auf dem
System der Über- und Unterordnung, :se ein beschämend unvollkommener Not¬
behelf. Er bedürfte, um einigermaßen gerechtfertigt zu sein, mindestens eines
zuverlässigen Verfahrens, das gestattet, aus der Masse, die gehorchen muß, die
wenigen, die befehlen sollen, nach ihrer inneren Qualifikation auszulösen. In¬
dessen außer dem monarchischen Prinzip der Erbfolge und dem demokratischen der
Wahl und einer Vermischung beider hat man bisher noch keine Methode gefunden.
Dort entscheidet der Zufall,- hier ist man nicht dagegen geschützt, daß der Staat den
Blendenden, scheinenden, den Advokaten und Schauspielern ausgeliefert werde.
Vielleicht muß man nicht durchaus auf dem Wege der Über- und Unterordnung
organisieren? Noch niemandem ist eine andere Weise eingefallen. Organisieren
aber muß man, und zwar durch Zwang, mit Strenge und Härte; denn wer sich
darauf verlassen wollte, daß die Menschen das gemeinsame Beste einsehen und aus
eigenem Antrieb zu verwirklichen streben werden, der wird sich auf das schmäh¬
lichste getäuscht finden: an Dummheit, Stumpfheit, Beeinflußbarkeit, an Trägheit,
Mißgunst und Eigennutz scheitern alle guten Absichten. Wer etwas von der
Menschheit will, muß sie zu zwingen suchen. Staat gehört zu ihrer Notdurft. Der
Einsichtige wird sich dieser beiden Seiten bewußt bleiben: daß Staat notwendig
ist, und daß er nicht notwendig sein sollte. Er sieht sich getrieben, ihn zu gleicher
Zeit zu verachten und hochzuhalten, ihn zu bekämpfen und sich ihm aufzuopfern.


20.

Macht ist Glück. Die Umkehrung, Glück ist Macht, stimmt gewiß auch; aber
nur für den seichten Menschen besteht das Glück in der äußerlichen Macht, straflos
und willkürlich andere als Werkzeuge für eigene Wünsche zu gebrauchen. Es ist
leicht, den Staat zu wollen, sür den, der das Glück der Macht genießt, der be¬
fehlen darf. Jedoch den Staat bekämpfen, nur weil man selber gehorchen muß,
ist plebejisch. Freilich gibt es einen Weg, das Recht des Staates, mir zu befehlen,
sür meine Person aufzuheben: indem ich selber auf alles befehlen verzichte. So
lange ich noch Arbeiten von anderen verrichten lasse, vor denen ich selber mich
ekeln würde, erkenne ich das System der über- und Unterordnung an und darf


Kleine Staatslehre

17.

Dem Staat zu dienen, steht nicht im Belieben des Menschen; er wird
hineingeboren und trägt Staatsbürgerpflichten, ohne gefragt worden zu sein. Dem
Staate zu entgehen, ist schon heute fast unmöglich und wird es mit fortschreitender
Organisierung der Erde immer mehr. Eines Tages wird der Mensch, wohin er
auch fliehen mag, Staat vorfinden. Einem bloßen Zwang zu unterliegen, schändet.
Der einzige Weg, um Notwendigkeit in Freiheit zu verwandeln, ist, das Unver-'
meidliche „in seinem Willen aufnehmen". Um Staat nicht nur zu erleiden, muß
man auch Staat wirken. Jeder Deutsche ist ein 65 Millionstel Organisator, Re¬
gierung, Souverän. Auf diesem Brucy muß er seine Menschenwürde ausrichten.
Es ist nicht erhebend; aber es bleibt ihm keine Wahl.'


13.

Macht des Staates, muß gehandelt werden. Sie kann von niemandem ge^
handhabt werden, als von einzelnen, höchst menschlichen Menschen. Monarchie,
Aristokratie, Demokratie; Absolutismus, .Konstitution, Parlamentarismus: alle
diese und manche anderen Namen ändern nichts daran, daß man Leute ermächti¬
gen muß, die Hebel der Staatsmaschine zu bewegen. Für den, der auf den richti¬
gen Platz gestellt wird, gehört nicht mehr dazu, das ungeheure Räderwerk in Gang
zu bringen, als für den Mann auf der Lokomotive, seinen'Schnellzug in Bewegung
zu setzen, oder für den Kanonier, sein Geschütz abzufeuern. Ein Handgriff genügt.
Die ungeheure Wirkung steht in keinen Verhältnis zu dieser bescheidenen Ursache.


19.

Eben darum entsteht in dem Mann am Steuer die Lust des Machtgefühls,
die Selbsttäuschung, er besitze die Macht, die er ausübt; er sei Macht. Die Schutz¬
vorrichtung ist noch nicht erfunden, die den Herrscher, den Regierenden, den Ver¬
walter und Beamten an böswilligen oder fahrlässigen oder gutgläubigen Mi߬
brauch der Macht hindert. Die Organisation namens Staat, aufgebaut auf dem
System der Über- und Unterordnung, :se ein beschämend unvollkommener Not¬
behelf. Er bedürfte, um einigermaßen gerechtfertigt zu sein, mindestens eines
zuverlässigen Verfahrens, das gestattet, aus der Masse, die gehorchen muß, die
wenigen, die befehlen sollen, nach ihrer inneren Qualifikation auszulösen. In¬
dessen außer dem monarchischen Prinzip der Erbfolge und dem demokratischen der
Wahl und einer Vermischung beider hat man bisher noch keine Methode gefunden.
Dort entscheidet der Zufall,- hier ist man nicht dagegen geschützt, daß der Staat den
Blendenden, scheinenden, den Advokaten und Schauspielern ausgeliefert werde.
Vielleicht muß man nicht durchaus auf dem Wege der Über- und Unterordnung
organisieren? Noch niemandem ist eine andere Weise eingefallen. Organisieren
aber muß man, und zwar durch Zwang, mit Strenge und Härte; denn wer sich
darauf verlassen wollte, daß die Menschen das gemeinsame Beste einsehen und aus
eigenem Antrieb zu verwirklichen streben werden, der wird sich auf das schmäh¬
lichste getäuscht finden: an Dummheit, Stumpfheit, Beeinflußbarkeit, an Trägheit,
Mißgunst und Eigennutz scheitern alle guten Absichten. Wer etwas von der
Menschheit will, muß sie zu zwingen suchen. Staat gehört zu ihrer Notdurft. Der
Einsichtige wird sich dieser beiden Seiten bewußt bleiben: daß Staat notwendig
ist, und daß er nicht notwendig sein sollte. Er sieht sich getrieben, ihn zu gleicher
Zeit zu verachten und hochzuhalten, ihn zu bekämpfen und sich ihm aufzuopfern.


20.

Macht ist Glück. Die Umkehrung, Glück ist Macht, stimmt gewiß auch; aber
nur für den seichten Menschen besteht das Glück in der äußerlichen Macht, straflos
und willkürlich andere als Werkzeuge für eigene Wünsche zu gebrauchen. Es ist
leicht, den Staat zu wollen, sür den, der das Glück der Macht genießt, der be¬
fehlen darf. Jedoch den Staat bekämpfen, nur weil man selber gehorchen muß,
ist plebejisch. Freilich gibt es einen Weg, das Recht des Staates, mir zu befehlen,
sür meine Person aufzuheben: indem ich selber auf alles befehlen verzichte. So
lange ich noch Arbeiten von anderen verrichten lasse, vor denen ich selber mich
ekeln würde, erkenne ich das System der über- und Unterordnung an und darf


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[0217] Kleine Staatslehre 17. Dem Staat zu dienen, steht nicht im Belieben des Menschen; er wird hineingeboren und trägt Staatsbürgerpflichten, ohne gefragt worden zu sein. Dem Staate zu entgehen, ist schon heute fast unmöglich und wird es mit fortschreitender Organisierung der Erde immer mehr. Eines Tages wird der Mensch, wohin er auch fliehen mag, Staat vorfinden. Einem bloßen Zwang zu unterliegen, schändet. Der einzige Weg, um Notwendigkeit in Freiheit zu verwandeln, ist, das Unver-' meidliche „in seinem Willen aufnehmen". Um Staat nicht nur zu erleiden, muß man auch Staat wirken. Jeder Deutsche ist ein 65 Millionstel Organisator, Re¬ gierung, Souverän. Auf diesem Brucy muß er seine Menschenwürde ausrichten. Es ist nicht erhebend; aber es bleibt ihm keine Wahl.' 13. Macht des Staates, muß gehandelt werden. Sie kann von niemandem ge^ handhabt werden, als von einzelnen, höchst menschlichen Menschen. Monarchie, Aristokratie, Demokratie; Absolutismus, .Konstitution, Parlamentarismus: alle diese und manche anderen Namen ändern nichts daran, daß man Leute ermächti¬ gen muß, die Hebel der Staatsmaschine zu bewegen. Für den, der auf den richti¬ gen Platz gestellt wird, gehört nicht mehr dazu, das ungeheure Räderwerk in Gang zu bringen, als für den Mann auf der Lokomotive, seinen'Schnellzug in Bewegung zu setzen, oder für den Kanonier, sein Geschütz abzufeuern. Ein Handgriff genügt. Die ungeheure Wirkung steht in keinen Verhältnis zu dieser bescheidenen Ursache. 19. Eben darum entsteht in dem Mann am Steuer die Lust des Machtgefühls, die Selbsttäuschung, er besitze die Macht, die er ausübt; er sei Macht. Die Schutz¬ vorrichtung ist noch nicht erfunden, die den Herrscher, den Regierenden, den Ver¬ walter und Beamten an böswilligen oder fahrlässigen oder gutgläubigen Mi߬ brauch der Macht hindert. Die Organisation namens Staat, aufgebaut auf dem System der Über- und Unterordnung, :se ein beschämend unvollkommener Not¬ behelf. Er bedürfte, um einigermaßen gerechtfertigt zu sein, mindestens eines zuverlässigen Verfahrens, das gestattet, aus der Masse, die gehorchen muß, die wenigen, die befehlen sollen, nach ihrer inneren Qualifikation auszulösen. In¬ dessen außer dem monarchischen Prinzip der Erbfolge und dem demokratischen der Wahl und einer Vermischung beider hat man bisher noch keine Methode gefunden. Dort entscheidet der Zufall,- hier ist man nicht dagegen geschützt, daß der Staat den Blendenden, scheinenden, den Advokaten und Schauspielern ausgeliefert werde. Vielleicht muß man nicht durchaus auf dem Wege der Über- und Unterordnung organisieren? Noch niemandem ist eine andere Weise eingefallen. Organisieren aber muß man, und zwar durch Zwang, mit Strenge und Härte; denn wer sich darauf verlassen wollte, daß die Menschen das gemeinsame Beste einsehen und aus eigenem Antrieb zu verwirklichen streben werden, der wird sich auf das schmäh¬ lichste getäuscht finden: an Dummheit, Stumpfheit, Beeinflußbarkeit, an Trägheit, Mißgunst und Eigennutz scheitern alle guten Absichten. Wer etwas von der Menschheit will, muß sie zu zwingen suchen. Staat gehört zu ihrer Notdurft. Der Einsichtige wird sich dieser beiden Seiten bewußt bleiben: daß Staat notwendig ist, und daß er nicht notwendig sein sollte. Er sieht sich getrieben, ihn zu gleicher Zeit zu verachten und hochzuhalten, ihn zu bekämpfen und sich ihm aufzuopfern. 20. Macht ist Glück. Die Umkehrung, Glück ist Macht, stimmt gewiß auch; aber nur für den seichten Menschen besteht das Glück in der äußerlichen Macht, straflos und willkürlich andere als Werkzeuge für eigene Wünsche zu gebrauchen. Es ist leicht, den Staat zu wollen, sür den, der das Glück der Macht genießt, der be¬ fehlen darf. Jedoch den Staat bekämpfen, nur weil man selber gehorchen muß, ist plebejisch. Freilich gibt es einen Weg, das Recht des Staates, mir zu befehlen, sür meine Person aufzuheben: indem ich selber auf alles befehlen verzichte. So lange ich noch Arbeiten von anderen verrichten lasse, vor denen ich selber mich ekeln würde, erkenne ich das System der über- und Unterordnung an und darf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/217>, abgerufen am 24.11.2024.