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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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glücklich Bewährten gefunden. Und die Art, wie die Herren Nickiin und Haegh
,uns im Reichstag in einer Stunde der Not den "Eselstritt" versetzt haben, mit
dem sie vielleicht nicht ihre bourgeoisen Standesallüren, Wohl aber ihr nnverleug-
bares Volkstum, die dunkel rauschenden Ströme ihres deutschen Blutes verraten
haben, diese unvornehme Art ist uns bei Elsässevn zwar nicht weniger verächt¬
lich als bei Polen, Ungarn und all den anderen Völkerschaften, für deren natw-
nale Ansprüche wir namenlose Opfer an Gut und Blut gebracht haben. Sie ist
uns hier aber unendlich' viel schmerzlicher und beschämender, weil wir nach wie
vor. die nationale Solidarität mit jenen Elsässern behaupten und sortempsinden,
die sie, um sich Brücken nach drüben zu bauen, mit gar so plötzlich erwachtem
Stolz und Mannesmut verleugnen.

Wahrhaftig nicht dieser famosen Helden, die den schwer verwundeten Löwen
bespeien, nicht jener epigonenhaften, unfähigen Bourgeoisie, deren Stimmungen
sie widerspiegeln, nicht all dieser Lauer und Halben wegen schmerzt' uns der Ge¬
danke, dieses urtümlich deutsche Land in eine Zukunft hineingleiten zu sehen, in
der nicht mehr das deutsche Wort den Ausichlag geben würde. Nicht die Menschen
sowohl, die heute darin wohnen: wie im Baltikum, so ist es auch im Elsaß das
Land selber, das in seiner Landschaft und in seinen lebendig gewachsenen
Werken in dieser Landschcist sich hell und laut als deutsch bekennt. Man
muß in den Vogesen gewandert sein und vom Hohrupf auf das alte Kloster
Murbach herabgeblickt haben, das im reichsherrlichen Mittelalter seine Herrschaft
bis nach Luzern erstreckte; man muß den Blick von den Drei Ähren bei Colmar
oder von den Drei Exen, von der Hohkönigsburg oder von den Rappolsteiner
Schlössern in die weite fruchtbare Ebene hinaus gesandt haben mit ihren sauberen
Fach Werbdörfern, mit ihren Städten voll Kirchen, R athäusern, Brunnen zwischen
Malter, Tor und Turm; man muß in Hagenau und Egisheim den Spuren alten
reichsstädtischen Glanzes nachgegangen sein, in Colmar erschüttert vor Grüne¬
walds Isenheimer Altar gestanden, aus Straßburger gotischen Gassen das ewige
Wunderwerk Erwin von Steinbachs haben aufragen sehen: dann nur weiß man
-- nicht mit dem nüchternen Verstand, sondern mit der feinsten und sichersten
Witterung der Seele --, daß hier ein Land preisgegeben werden soll, das deutsch
ist und bleibt kraft den Mächten, die aus seiner Erde steigen, wenn hundertmal
ein paar Bourgeois mit echten allemannischen Bauernschädeln das Französisch¬
parlieren sür vornehmer halten als ihre angestammte elsässische Muttersprache.

Daß diese Schicht zu Frankreich will, mit dem sie dnrch die Bande ihrer
unorganisch aufgepfropften Kultur, durch mannigfache Familienbeziehungen,
durch den gemeinsamen inneren Widerstand gegen das neudeutsche Arbeits- und
Lebenstempo verknüpft ist: das nimmt nicht weiter Wunder. Buche das Elsaß
Heim Reiche, so würde die Entwicklung des Landes schnell über diese Schicht
hinwegschreiten und dann schnell den Weg zu einer entschlossenen Einfügung
in das Deutschtum finden.') Andernfalls mird dieser innerlich morsche und
überlebte Stand durch den starken Rückhalt an Frankreich möglicherweise
noch die Kraft finden, weitere Schichten des elsässischen Volkes in die seelische
Verwirrung seiner "Doppelkultur" zu verstricke". Nicht sowohl die Bourgeoisie
geht uns bei einer Abtrennung Elsaß-Lothringens verloren -- nur ein ver¬
schwindender Teil dieser Schicht hat uns seelisch je wirklich gehört --, sondern
jene aufkommenden Schichten, deren wir sicher sein konnten, würden nunmehr
dem Deutschtum und damit ihrer bisher unveräußerten angestammten Sonder¬
art entfremdet werden. Ihrem Volkstum droht dieselbe Verkümmerung, wie
sie die Vlamen in Belgien im Herrschaftsbereich von Lldortö, üsalitö und
ir^tsrnito erfahren haben. Hier aber setzen bereits die Auf¬
gaben der Zukunft ein. Auch die Vlamen werden uns hin¬
fort nicht Hekuba sein, wie sie es uns bis zum Ausbruch des Weltkrieges
waren. Müssen orr aber auf Elsaß-Lothringen verzichten, so verzichten wir



l) Vgl. meinen Aufsatz Jung-Elsciß und die deutsche Kultur. Grenzboten
1917 Ur. 42.
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glücklich Bewährten gefunden. Und die Art, wie die Herren Nickiin und Haegh
,uns im Reichstag in einer Stunde der Not den „Eselstritt" versetzt haben, mit
dem sie vielleicht nicht ihre bourgeoisen Standesallüren, Wohl aber ihr nnverleug-
bares Volkstum, die dunkel rauschenden Ströme ihres deutschen Blutes verraten
haben, diese unvornehme Art ist uns bei Elsässevn zwar nicht weniger verächt¬
lich als bei Polen, Ungarn und all den anderen Völkerschaften, für deren natw-
nale Ansprüche wir namenlose Opfer an Gut und Blut gebracht haben. Sie ist
uns hier aber unendlich' viel schmerzlicher und beschämender, weil wir nach wie
vor. die nationale Solidarität mit jenen Elsässern behaupten und sortempsinden,
die sie, um sich Brücken nach drüben zu bauen, mit gar so plötzlich erwachtem
Stolz und Mannesmut verleugnen.

Wahrhaftig nicht dieser famosen Helden, die den schwer verwundeten Löwen
bespeien, nicht jener epigonenhaften, unfähigen Bourgeoisie, deren Stimmungen
sie widerspiegeln, nicht all dieser Lauer und Halben wegen schmerzt' uns der Ge¬
danke, dieses urtümlich deutsche Land in eine Zukunft hineingleiten zu sehen, in
der nicht mehr das deutsche Wort den Ausichlag geben würde. Nicht die Menschen
sowohl, die heute darin wohnen: wie im Baltikum, so ist es auch im Elsaß das
Land selber, das in seiner Landschaft und in seinen lebendig gewachsenen
Werken in dieser Landschcist sich hell und laut als deutsch bekennt. Man
muß in den Vogesen gewandert sein und vom Hohrupf auf das alte Kloster
Murbach herabgeblickt haben, das im reichsherrlichen Mittelalter seine Herrschaft
bis nach Luzern erstreckte; man muß den Blick von den Drei Ähren bei Colmar
oder von den Drei Exen, von der Hohkönigsburg oder von den Rappolsteiner
Schlössern in die weite fruchtbare Ebene hinaus gesandt haben mit ihren sauberen
Fach Werbdörfern, mit ihren Städten voll Kirchen, R athäusern, Brunnen zwischen
Malter, Tor und Turm; man muß in Hagenau und Egisheim den Spuren alten
reichsstädtischen Glanzes nachgegangen sein, in Colmar erschüttert vor Grüne¬
walds Isenheimer Altar gestanden, aus Straßburger gotischen Gassen das ewige
Wunderwerk Erwin von Steinbachs haben aufragen sehen: dann nur weiß man
— nicht mit dem nüchternen Verstand, sondern mit der feinsten und sichersten
Witterung der Seele —, daß hier ein Land preisgegeben werden soll, das deutsch
ist und bleibt kraft den Mächten, die aus seiner Erde steigen, wenn hundertmal
ein paar Bourgeois mit echten allemannischen Bauernschädeln das Französisch¬
parlieren sür vornehmer halten als ihre angestammte elsässische Muttersprache.

Daß diese Schicht zu Frankreich will, mit dem sie dnrch die Bande ihrer
unorganisch aufgepfropften Kultur, durch mannigfache Familienbeziehungen,
durch den gemeinsamen inneren Widerstand gegen das neudeutsche Arbeits- und
Lebenstempo verknüpft ist: das nimmt nicht weiter Wunder. Buche das Elsaß
Heim Reiche, so würde die Entwicklung des Landes schnell über diese Schicht
hinwegschreiten und dann schnell den Weg zu einer entschlossenen Einfügung
in das Deutschtum finden.') Andernfalls mird dieser innerlich morsche und
überlebte Stand durch den starken Rückhalt an Frankreich möglicherweise
noch die Kraft finden, weitere Schichten des elsässischen Volkes in die seelische
Verwirrung seiner „Doppelkultur" zu verstricke». Nicht sowohl die Bourgeoisie
geht uns bei einer Abtrennung Elsaß-Lothringens verloren — nur ein ver¬
schwindender Teil dieser Schicht hat uns seelisch je wirklich gehört —, sondern
jene aufkommenden Schichten, deren wir sicher sein konnten, würden nunmehr
dem Deutschtum und damit ihrer bisher unveräußerten angestammten Sonder¬
art entfremdet werden. Ihrem Volkstum droht dieselbe Verkümmerung, wie
sie die Vlamen in Belgien im Herrschaftsbereich von Lldortö, üsalitö und
ir^tsrnito erfahren haben. Hier aber setzen bereits die Auf¬
gaben der Zukunft ein. Auch die Vlamen werden uns hin¬
fort nicht Hekuba sein, wie sie es uns bis zum Ausbruch des Weltkrieges
waren. Müssen orr aber auf Elsaß-Lothringen verzichten, so verzichten wir



l) Vgl. meinen Aufsatz Jung-Elsciß und die deutsche Kultur. Grenzboten
1917 Ur. 42.
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[0178] ?le Lage in Llj aß-Lothringen glücklich Bewährten gefunden. Und die Art, wie die Herren Nickiin und Haegh ,uns im Reichstag in einer Stunde der Not den „Eselstritt" versetzt haben, mit dem sie vielleicht nicht ihre bourgeoisen Standesallüren, Wohl aber ihr nnverleug- bares Volkstum, die dunkel rauschenden Ströme ihres deutschen Blutes verraten haben, diese unvornehme Art ist uns bei Elsässevn zwar nicht weniger verächt¬ lich als bei Polen, Ungarn und all den anderen Völkerschaften, für deren natw- nale Ansprüche wir namenlose Opfer an Gut und Blut gebracht haben. Sie ist uns hier aber unendlich' viel schmerzlicher und beschämender, weil wir nach wie vor. die nationale Solidarität mit jenen Elsässern behaupten und sortempsinden, die sie, um sich Brücken nach drüben zu bauen, mit gar so plötzlich erwachtem Stolz und Mannesmut verleugnen. Wahrhaftig nicht dieser famosen Helden, die den schwer verwundeten Löwen bespeien, nicht jener epigonenhaften, unfähigen Bourgeoisie, deren Stimmungen sie widerspiegeln, nicht all dieser Lauer und Halben wegen schmerzt' uns der Ge¬ danke, dieses urtümlich deutsche Land in eine Zukunft hineingleiten zu sehen, in der nicht mehr das deutsche Wort den Ausichlag geben würde. Nicht die Menschen sowohl, die heute darin wohnen: wie im Baltikum, so ist es auch im Elsaß das Land selber, das in seiner Landschaft und in seinen lebendig gewachsenen Werken in dieser Landschcist sich hell und laut als deutsch bekennt. Man muß in den Vogesen gewandert sein und vom Hohrupf auf das alte Kloster Murbach herabgeblickt haben, das im reichsherrlichen Mittelalter seine Herrschaft bis nach Luzern erstreckte; man muß den Blick von den Drei Ähren bei Colmar oder von den Drei Exen, von der Hohkönigsburg oder von den Rappolsteiner Schlössern in die weite fruchtbare Ebene hinaus gesandt haben mit ihren sauberen Fach Werbdörfern, mit ihren Städten voll Kirchen, R athäusern, Brunnen zwischen Malter, Tor und Turm; man muß in Hagenau und Egisheim den Spuren alten reichsstädtischen Glanzes nachgegangen sein, in Colmar erschüttert vor Grüne¬ walds Isenheimer Altar gestanden, aus Straßburger gotischen Gassen das ewige Wunderwerk Erwin von Steinbachs haben aufragen sehen: dann nur weiß man — nicht mit dem nüchternen Verstand, sondern mit der feinsten und sichersten Witterung der Seele —, daß hier ein Land preisgegeben werden soll, das deutsch ist und bleibt kraft den Mächten, die aus seiner Erde steigen, wenn hundertmal ein paar Bourgeois mit echten allemannischen Bauernschädeln das Französisch¬ parlieren sür vornehmer halten als ihre angestammte elsässische Muttersprache. Daß diese Schicht zu Frankreich will, mit dem sie dnrch die Bande ihrer unorganisch aufgepfropften Kultur, durch mannigfache Familienbeziehungen, durch den gemeinsamen inneren Widerstand gegen das neudeutsche Arbeits- und Lebenstempo verknüpft ist: das nimmt nicht weiter Wunder. Buche das Elsaß Heim Reiche, so würde die Entwicklung des Landes schnell über diese Schicht hinwegschreiten und dann schnell den Weg zu einer entschlossenen Einfügung in das Deutschtum finden.') Andernfalls mird dieser innerlich morsche und überlebte Stand durch den starken Rückhalt an Frankreich möglicherweise noch die Kraft finden, weitere Schichten des elsässischen Volkes in die seelische Verwirrung seiner „Doppelkultur" zu verstricke». Nicht sowohl die Bourgeoisie geht uns bei einer Abtrennung Elsaß-Lothringens verloren — nur ein ver¬ schwindender Teil dieser Schicht hat uns seelisch je wirklich gehört —, sondern jene aufkommenden Schichten, deren wir sicher sein konnten, würden nunmehr dem Deutschtum und damit ihrer bisher unveräußerten angestammten Sonder¬ art entfremdet werden. Ihrem Volkstum droht dieselbe Verkümmerung, wie sie die Vlamen in Belgien im Herrschaftsbereich von Lldortö, üsalitö und ir^tsrnito erfahren haben. Hier aber setzen bereits die Auf¬ gaben der Zukunft ein. Auch die Vlamen werden uns hin¬ fort nicht Hekuba sein, wie sie es uns bis zum Ausbruch des Weltkrieges waren. Müssen orr aber auf Elsaß-Lothringen verzichten, so verzichten wir l) Vgl. meinen Aufsatz Jung-Elsciß und die deutsche Kultur. Grenzboten 1917 Ur. 42.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/178>, abgerufen am 22.07.2024.