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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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eingewirkt. Die nach links Anschluß suchenden Tendenzen verstärkten sich dort
zusehends. Die Nationalliberale Partei, die in der Kartellzeit eine enge Ver¬
bündete der Konservativen geworden war, begann' in ihrer Stellungnahme
schwankend zu werden. Während die .aus den freisinnigen Parteisplittern eben
erst zusamMengesügte Fortschrittliche Volkspartei eine bemerkenswerte Festigkeit
an den Tag legte, bedürfte es bei den Nationalliberalen, die auf .eine in der
zerfahrenen liberalen Parteigeschichte sonst unerhörte, jahrzehntelange Geschlossen¬
heit zurückblicken konnten, der ganzen Geschicklichkeit ihres Führers Vassermann,
um die Partei überhaupt zusammenzuhalten. Der von Naumann erneut betonte
Gedanke einer Einheit des ganzen Liberalismus fand auch in nationalliberalen
Kreisen Verfechter. Andererseits schlosz sich die' altliberale und schwerindustrielle
Parteirechte mit großer Energie gegen ihn zusammen. Naumann ging
inzwischen weiter und verkündete jetzt den Großblockgedanken. Weder der
Liberalismus noch die Sozialdsinokratie, so führte er in tausend Variationen aus,
sei für sich allein mächtig genug, die politische Herrschaft im Deutschen Reiche zu
erobern. Beide müßten sich, unbeschadet ihrer Grundsätze, parteitaktisch zusammen¬
schließen zur einheitlichen großen deutschen Linken, auf diese Meise die Mehrheit
im Parlament erobern und dann die Regierung ihren: Willen unterwerfen.

Der Großblockgedanke ist viel verspottet und bekämpft worden. Er fand
auch in den Parteien, die er umfassen wollte, starke Gegnerschaften, vor allem in
der Sozialdemokratie auf der einen, der Nationalliberalen Partei ans der andern
Seite. Dennoch war der Gedanke zu einleuchtend, als daß er sich nicht doch
allmählich durchgesetzt hätte. Am vollkommensten in Baden. Als hier im
liberalen Musterländle die alteingesessene nationalliberale Vorherrschaft durch das
Anwachsendes Zentrums und der Sozialdemokratie bedroht wurde und auch das
Bündnis mit der Fortschrittlichen Volkspartei allein die liberale Mehrheit nicht
mehr sichern konnte, da entschloß sich der nationalliberale Führer Rebmann mit
der Sozialdemokratie zu paktieren, um nur nicht die gefürchtete klerikale Reaktion
ans Ruder kommen zu lassen. Bald folgte Bayern, nur mit dem Unterschiede, daß
hier das Zentrum an der Krippe faß und der liberal-sozialdemokratische Gro߬
block Opposition machen mußte. Auch anderwärts machte der Gedanke Fort¬
schritte. Wie aus so vielen Gebieten hat schließlich der Krieg auch hier die Ent¬
wicklung rascher zur Reife geführt, als das sonst zu erwarten gewesen wäre. Als
das Kaiserwort "Ich kenne Leine Parteien mehr" gesprochen war, konnte man
die Kluft zwischen den Bürgerlichen und den Sozialdeimokraten nicht mehr auf¬
recht erhalten. In der ersten Kriegszeit waren auch strengkonservative Kreise
gern geneigt, die SoZialdemokraten als deutsche Volksgenossen von anerkannten
Patriotismus zu behandeln. Später hätten freilich manche Ultras die Trennungs¬
linie der Vorkriegszeit gern wieder aufgerichtet. Aber die Bahn für taktische
Bündnisse war einmal frei geworden und ließ sich nicht wieder versperren. Die
Demokratie marschierte in einer.einheitlichen Phalanx auf. Nur rückte an Stelle
der Nationalliberalen das Zentrum ein und aus den "Grvßblockparteien" wurden
die "Mehrheitsparteien".

Es stellt sich als schwerer taktischer Fehler der Nationalliberalen heraus,
daß sie sich während des Krieges aus der ursprünglich als "Großblock" angelegten
parlamentarischen Phalanx hinausmanövrieren ließen. Als es sich zeigte; daß der
verschärfte Tauchbootkrieg England zum mindesten nicht auf einen Schlag zum
Frieden zwang, rückten zwar die klugen Zentrumsführer von den -- das kurze
Schlagwort sei erlaubt! -- alldeutschen Kriegszielen ab, nicht aber der national-
liberale Führer Stresemann. Daraus braucht man ihm noch keinen Vorwurf zu
machen, da schließlich niemand vorher wissen konnte, daß im Sommer 1918 unsere
militärische Lage sich so bedeutend verschlechtern würde, wie es geschehen ist. Aber
er durfte es nicht geschoben lassen, daß die Natumallwkralen geradezu als Bundes¬
genossen der Leute erschienen, die neben der Vertretung alldeutscher Kriegsziele
jede Stärkung der Parlamentsmacht hintanhalten wollten und zu diesem Zweck
-- übrigens kaum zum Segen des Vaterlandes! -- aus dem Ansehen der Obersten
Heeresleitung politischen Kredit gegen den Reichstag schlugen. Wenn schon


von, „Großblcick" zur „M'haben"

eingewirkt. Die nach links Anschluß suchenden Tendenzen verstärkten sich dort
zusehends. Die Nationalliberale Partei, die in der Kartellzeit eine enge Ver¬
bündete der Konservativen geworden war, begann' in ihrer Stellungnahme
schwankend zu werden. Während die .aus den freisinnigen Parteisplittern eben
erst zusamMengesügte Fortschrittliche Volkspartei eine bemerkenswerte Festigkeit
an den Tag legte, bedürfte es bei den Nationalliberalen, die auf .eine in der
zerfahrenen liberalen Parteigeschichte sonst unerhörte, jahrzehntelange Geschlossen¬
heit zurückblicken konnten, der ganzen Geschicklichkeit ihres Führers Vassermann,
um die Partei überhaupt zusammenzuhalten. Der von Naumann erneut betonte
Gedanke einer Einheit des ganzen Liberalismus fand auch in nationalliberalen
Kreisen Verfechter. Andererseits schlosz sich die' altliberale und schwerindustrielle
Parteirechte mit großer Energie gegen ihn zusammen. Naumann ging
inzwischen weiter und verkündete jetzt den Großblockgedanken. Weder der
Liberalismus noch die Sozialdsinokratie, so führte er in tausend Variationen aus,
sei für sich allein mächtig genug, die politische Herrschaft im Deutschen Reiche zu
erobern. Beide müßten sich, unbeschadet ihrer Grundsätze, parteitaktisch zusammen¬
schließen zur einheitlichen großen deutschen Linken, auf diese Meise die Mehrheit
im Parlament erobern und dann die Regierung ihren: Willen unterwerfen.

Der Großblockgedanke ist viel verspottet und bekämpft worden. Er fand
auch in den Parteien, die er umfassen wollte, starke Gegnerschaften, vor allem in
der Sozialdemokratie auf der einen, der Nationalliberalen Partei ans der andern
Seite. Dennoch war der Gedanke zu einleuchtend, als daß er sich nicht doch
allmählich durchgesetzt hätte. Am vollkommensten in Baden. Als hier im
liberalen Musterländle die alteingesessene nationalliberale Vorherrschaft durch das
Anwachsendes Zentrums und der Sozialdemokratie bedroht wurde und auch das
Bündnis mit der Fortschrittlichen Volkspartei allein die liberale Mehrheit nicht
mehr sichern konnte, da entschloß sich der nationalliberale Führer Rebmann mit
der Sozialdemokratie zu paktieren, um nur nicht die gefürchtete klerikale Reaktion
ans Ruder kommen zu lassen. Bald folgte Bayern, nur mit dem Unterschiede, daß
hier das Zentrum an der Krippe faß und der liberal-sozialdemokratische Gro߬
block Opposition machen mußte. Auch anderwärts machte der Gedanke Fort¬
schritte. Wie aus so vielen Gebieten hat schließlich der Krieg auch hier die Ent¬
wicklung rascher zur Reife geführt, als das sonst zu erwarten gewesen wäre. Als
das Kaiserwort „Ich kenne Leine Parteien mehr" gesprochen war, konnte man
die Kluft zwischen den Bürgerlichen und den Sozialdeimokraten nicht mehr auf¬
recht erhalten. In der ersten Kriegszeit waren auch strengkonservative Kreise
gern geneigt, die SoZialdemokraten als deutsche Volksgenossen von anerkannten
Patriotismus zu behandeln. Später hätten freilich manche Ultras die Trennungs¬
linie der Vorkriegszeit gern wieder aufgerichtet. Aber die Bahn für taktische
Bündnisse war einmal frei geworden und ließ sich nicht wieder versperren. Die
Demokratie marschierte in einer.einheitlichen Phalanx auf. Nur rückte an Stelle
der Nationalliberalen das Zentrum ein und aus den „Grvßblockparteien" wurden
die „Mehrheitsparteien".

Es stellt sich als schwerer taktischer Fehler der Nationalliberalen heraus,
daß sie sich während des Krieges aus der ursprünglich als „Großblock" angelegten
parlamentarischen Phalanx hinausmanövrieren ließen. Als es sich zeigte; daß der
verschärfte Tauchbootkrieg England zum mindesten nicht auf einen Schlag zum
Frieden zwang, rückten zwar die klugen Zentrumsführer von den — das kurze
Schlagwort sei erlaubt! — alldeutschen Kriegszielen ab, nicht aber der national-
liberale Führer Stresemann. Daraus braucht man ihm noch keinen Vorwurf zu
machen, da schließlich niemand vorher wissen konnte, daß im Sommer 1918 unsere
militärische Lage sich so bedeutend verschlechtern würde, wie es geschehen ist. Aber
er durfte es nicht geschoben lassen, daß die Natumallwkralen geradezu als Bundes¬
genossen der Leute erschienen, die neben der Vertretung alldeutscher Kriegsziele
jede Stärkung der Parlamentsmacht hintanhalten wollten und zu diesem Zweck
— übrigens kaum zum Segen des Vaterlandes! — aus dem Ansehen der Obersten
Heeresleitung politischen Kredit gegen den Reichstag schlugen. Wenn schon


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[0147] von, „Großblcick" zur „M'haben" eingewirkt. Die nach links Anschluß suchenden Tendenzen verstärkten sich dort zusehends. Die Nationalliberale Partei, die in der Kartellzeit eine enge Ver¬ bündete der Konservativen geworden war, begann' in ihrer Stellungnahme schwankend zu werden. Während die .aus den freisinnigen Parteisplittern eben erst zusamMengesügte Fortschrittliche Volkspartei eine bemerkenswerte Festigkeit an den Tag legte, bedürfte es bei den Nationalliberalen, die auf .eine in der zerfahrenen liberalen Parteigeschichte sonst unerhörte, jahrzehntelange Geschlossen¬ heit zurückblicken konnten, der ganzen Geschicklichkeit ihres Führers Vassermann, um die Partei überhaupt zusammenzuhalten. Der von Naumann erneut betonte Gedanke einer Einheit des ganzen Liberalismus fand auch in nationalliberalen Kreisen Verfechter. Andererseits schlosz sich die' altliberale und schwerindustrielle Parteirechte mit großer Energie gegen ihn zusammen. Naumann ging inzwischen weiter und verkündete jetzt den Großblockgedanken. Weder der Liberalismus noch die Sozialdsinokratie, so führte er in tausend Variationen aus, sei für sich allein mächtig genug, die politische Herrschaft im Deutschen Reiche zu erobern. Beide müßten sich, unbeschadet ihrer Grundsätze, parteitaktisch zusammen¬ schließen zur einheitlichen großen deutschen Linken, auf diese Meise die Mehrheit im Parlament erobern und dann die Regierung ihren: Willen unterwerfen. Der Großblockgedanke ist viel verspottet und bekämpft worden. Er fand auch in den Parteien, die er umfassen wollte, starke Gegnerschaften, vor allem in der Sozialdemokratie auf der einen, der Nationalliberalen Partei ans der andern Seite. Dennoch war der Gedanke zu einleuchtend, als daß er sich nicht doch allmählich durchgesetzt hätte. Am vollkommensten in Baden. Als hier im liberalen Musterländle die alteingesessene nationalliberale Vorherrschaft durch das Anwachsendes Zentrums und der Sozialdemokratie bedroht wurde und auch das Bündnis mit der Fortschrittlichen Volkspartei allein die liberale Mehrheit nicht mehr sichern konnte, da entschloß sich der nationalliberale Führer Rebmann mit der Sozialdemokratie zu paktieren, um nur nicht die gefürchtete klerikale Reaktion ans Ruder kommen zu lassen. Bald folgte Bayern, nur mit dem Unterschiede, daß hier das Zentrum an der Krippe faß und der liberal-sozialdemokratische Gro߬ block Opposition machen mußte. Auch anderwärts machte der Gedanke Fort¬ schritte. Wie aus so vielen Gebieten hat schließlich der Krieg auch hier die Ent¬ wicklung rascher zur Reife geführt, als das sonst zu erwarten gewesen wäre. Als das Kaiserwort „Ich kenne Leine Parteien mehr" gesprochen war, konnte man die Kluft zwischen den Bürgerlichen und den Sozialdeimokraten nicht mehr auf¬ recht erhalten. In der ersten Kriegszeit waren auch strengkonservative Kreise gern geneigt, die SoZialdemokraten als deutsche Volksgenossen von anerkannten Patriotismus zu behandeln. Später hätten freilich manche Ultras die Trennungs¬ linie der Vorkriegszeit gern wieder aufgerichtet. Aber die Bahn für taktische Bündnisse war einmal frei geworden und ließ sich nicht wieder versperren. Die Demokratie marschierte in einer.einheitlichen Phalanx auf. Nur rückte an Stelle der Nationalliberalen das Zentrum ein und aus den „Grvßblockparteien" wurden die „Mehrheitsparteien". Es stellt sich als schwerer taktischer Fehler der Nationalliberalen heraus, daß sie sich während des Krieges aus der ursprünglich als „Großblock" angelegten parlamentarischen Phalanx hinausmanövrieren ließen. Als es sich zeigte; daß der verschärfte Tauchbootkrieg England zum mindesten nicht auf einen Schlag zum Frieden zwang, rückten zwar die klugen Zentrumsführer von den — das kurze Schlagwort sei erlaubt! — alldeutschen Kriegszielen ab, nicht aber der national- liberale Führer Stresemann. Daraus braucht man ihm noch keinen Vorwurf zu machen, da schließlich niemand vorher wissen konnte, daß im Sommer 1918 unsere militärische Lage sich so bedeutend verschlechtern würde, wie es geschehen ist. Aber er durfte es nicht geschoben lassen, daß die Natumallwkralen geradezu als Bundes¬ genossen der Leute erschienen, die neben der Vertretung alldeutscher Kriegsziele jede Stärkung der Parlamentsmacht hintanhalten wollten und zu diesem Zweck — übrigens kaum zum Segen des Vaterlandes! — aus dem Ansehen der Obersten Heeresleitung politischen Kredit gegen den Reichstag schlugen. Wenn schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/147>, abgerufen am 24.11.2024.