Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.Wandlungen Art. 9 Abs. 2 R.V. erhobenist es gelungen, diese Zitadelle des bisherige" Eine weitere Gefahr, die den neuen Männern in der Regierung drohte, So wäre alles in schönster Ordnung? Äußerlich gewiß, innerlich ist das So wie die Dinge jetzt liegen, ist ein Kompromiß geschaffen mit allen ') Vgl. Heft 42. S. 71. Die "Nordd. Allg. Zeitung" stellt zwar einen offiziellen Schritt im Schoße des Bundesrath in Abrede. Doch war die Stimmung namentlich Sachsens und Bayern" -- wo man >um die Reservatrechte bangte -- ganz deutlich zu erkennen. -) Dieser Zusatz, der wunderlicherweise im Entwurf vom 8. Oktober, so wie er
der Presse zuging, fehlt, enthält den Kernpunkt der Angelegenheit. Wandlungen Art. 9 Abs. 2 R.V. erhobenist es gelungen, diese Zitadelle des bisherige« Eine weitere Gefahr, die den neuen Männern in der Regierung drohte, So wäre alles in schönster Ordnung? Äußerlich gewiß, innerlich ist das So wie die Dinge jetzt liegen, ist ein Kompromiß geschaffen mit allen ') Vgl. Heft 42. S. 71. Die „Nordd. Allg. Zeitung" stellt zwar einen offiziellen Schritt im Schoße des Bundesrath in Abrede. Doch war die Stimmung namentlich Sachsens und Bayern» — wo man >um die Reservatrechte bangte — ganz deutlich zu erkennen. -) Dieser Zusatz, der wunderlicherweise im Entwurf vom 8. Oktober, so wie er
der Presse zuging, fehlt, enthält den Kernpunkt der Angelegenheit. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0106" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/88344"/> <fw type="header" place="top"> Wandlungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_427" prev="#ID_426"> Art. 9 Abs. 2 R.V. erhobenist es gelungen, diese Zitadelle des bisherige«<lb/> Systems vorderhand noch zu erhalten. Wie wir schon vor einer Woche an¬<lb/> deuteten, hat man einen Weg zur Umgehung der daraus sich ergebenden<lb/> Schwierigkeiten gesunden. Eine Aufhebung des Art. 9 Abs. 2 — so heißt es in<lb/> der Begründung' zum Gesetzentwurf des Bundesrath vom 8. Oktober — kommt<lb/> nicht in Frage, weil dadurch ein für den Aufbau des Reichs wesentlicher Grund¬<lb/> satz . . . verwischt werden würde, wonach Bundesrat und Reichstag sich als die<lb/> gesetzgebenden Körperschaften des Reichs unabhängig voneinander und gleich¬<lb/> berechtigt gegenüberstehen. Da nun aber nach der Verfassung (Art. 9 Abs. 1)<lb/> Kanzler und Staatssekretäre nur als Mitglieder des Bundesrath vor dem<lb/> Reichstage erscheinen können, so wäre den parlamentarischen Ministern bei<lb/> Aufrechterhaltung der bekannten Sperrbestimmung (Art. 9 Abs. 2) die Möglich¬<lb/> keit eines parlamentarischen Auftretens benommen, >d. h. sie wären gleichsam<lb/> von ihrem Lebensboten abgeschnitten. Diese Ungeheuerlichkeit beseitigt ein<lb/> Zusatz zum Gesetz über die Stellvertretung des Reichskanzlers vom 17. März 1878,<lb/> wie ihn Z 2 des oben erwähnten Entwurfs Vorsicht, der besagt, daß die Ver¬<lb/> treter des Reichskanzlers, zu denen von nun an — nicht nur die Vor¬<lb/> stände der obersten Reichsbehörden, sondern — auch jene ressortlosen Staats¬<lb/> sekretäre bestellt werden können, im Reichstage auf Verlangen jederzeit gehört<lb/> werden müssen — auch wenn sie nicht Mitglieder des Bundesrates sind.")</p><lb/> <p xml:id="ID_428"> Eine weitere Gefahr, die den neuen Männern in der Regierung drohte,<lb/> ist durch Aufhebung von Art. 21 Abs. 2 der R.V. beschworen, der bestimmte,<lb/> daß Mitglieder des Reichstags ihren Sitz verlieren, wenn sie ein besoldetes<lb/> Reichs- oder Staatsamt annehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_429"> So wäre alles in schönster Ordnung? Äußerlich gewiß, innerlich ist das<lb/> Problem aber keineswegs gelöst. Die Staatssekretäre ohne Portefeuille, so hat<lb/> man nicht mit Unrecht'gesagt, werden zwar Sprechminister, haben aber keinen<lb/> unmittelbaren Einfluß auf die Entscheidungen des Bundesrath. Diesen könnten<lb/> sie nur dadurch erlangen, daß man sie gleichzeitig zu preußische« Staatsministern<lb/> ernennt, wie das bei bureaukratischen Staatssekretären seit jeher, zuletzt bei<lb/> von Roedern und Wallraf, Übung war. Dann hätten sie Gelegenheit, die<lb/> Instruktion der preußischen Bundesratsbevollmächtigten, und dadurch die<lb/> Beschlüsse dieser Behörde selbst praktisch mit zu beeinflussen.</p><lb/> <p xml:id="ID_430"> So wie die Dinge jetzt liegen, ist ein Kompromiß geschaffen mit allen<lb/> Folgen eines solchen. Rand wie vor gibt es, um es ganz kraß auszudrücken, zwei<lb/> „Regierungen" oder jetzt eigentlich drei, nämlich 1. die Staatssekretäre ohne<lb/> Portefeuille, 2. die bisherige'„Reichsleituug" (.Kanzler und Ressortminister) und<lb/> 3. das Plenum des Bundesrath, aber der Bundesrat ist die größeste unter ihnen.<lb/> Unter den vielen Farben dieses verfassungsrechtlichen Chamäleons leuchtet doch<lb/> am stärksten diejenige, bei der es als „gemeinschaftliches Ministerium" (Bismarck)<lb/> der Verbündeten Regierungen, als Träger ihrer obrigkeitlich gebildeten und<lb/> gerichteten Herrschgewalt erscheint, neben der die später ausgewachsenen und<lb/> zugewachsenen beamtlichen Organe (Kanzler und Staatssekretäre) eben nur die<lb/> bescheidene Rolle einer „Reichsleitung" spielen sollten, neben der für ein<lb/> parlamentarisches Reichsministerkollegülin, das nach dem Gedanken des Einheits¬<lb/> staats gravitiert, nun schon gar kein Raum ist. So sehen wir an der entscheiden¬<lb/> den Stelle des Reichsorganismus, wo vor allem klare Verhältnisse herrschen<lb/> sollen, eine organische Überladung, die auf die Dauer mit Notwendigkeit eine<lb/> einseitige Losung heischt, was ohne Sieg auf der einen, Niederlage auf der<lb/> anderen Seite eben acht zu erreichen ist.</p><lb/> <note xml:id="FID_26" place="foot"> <p xml:id="ID_431"> ') Vgl. Heft 42. S. 71.</p> <p xml:id="ID_432"> Die „Nordd. Allg. Zeitung" stellt zwar einen offiziellen Schritt im Schoße des<lb/> Bundesrath in Abrede. Doch war die Stimmung namentlich Sachsens und Bayern»<lb/> — wo man >um die Reservatrechte bangte — ganz deutlich zu erkennen.</p> </note><lb/> <note xml:id="FID_27" place="foot"> -) Dieser Zusatz, der wunderlicherweise im Entwurf vom 8. Oktober, so wie er<lb/> der Presse zuging, fehlt, enthält den Kernpunkt der Angelegenheit.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0106]
Wandlungen
Art. 9 Abs. 2 R.V. erhobenist es gelungen, diese Zitadelle des bisherige«
Systems vorderhand noch zu erhalten. Wie wir schon vor einer Woche an¬
deuteten, hat man einen Weg zur Umgehung der daraus sich ergebenden
Schwierigkeiten gesunden. Eine Aufhebung des Art. 9 Abs. 2 — so heißt es in
der Begründung' zum Gesetzentwurf des Bundesrath vom 8. Oktober — kommt
nicht in Frage, weil dadurch ein für den Aufbau des Reichs wesentlicher Grund¬
satz . . . verwischt werden würde, wonach Bundesrat und Reichstag sich als die
gesetzgebenden Körperschaften des Reichs unabhängig voneinander und gleich¬
berechtigt gegenüberstehen. Da nun aber nach der Verfassung (Art. 9 Abs. 1)
Kanzler und Staatssekretäre nur als Mitglieder des Bundesrath vor dem
Reichstage erscheinen können, so wäre den parlamentarischen Ministern bei
Aufrechterhaltung der bekannten Sperrbestimmung (Art. 9 Abs. 2) die Möglich¬
keit eines parlamentarischen Auftretens benommen, >d. h. sie wären gleichsam
von ihrem Lebensboten abgeschnitten. Diese Ungeheuerlichkeit beseitigt ein
Zusatz zum Gesetz über die Stellvertretung des Reichskanzlers vom 17. März 1878,
wie ihn Z 2 des oben erwähnten Entwurfs Vorsicht, der besagt, daß die Ver¬
treter des Reichskanzlers, zu denen von nun an — nicht nur die Vor¬
stände der obersten Reichsbehörden, sondern — auch jene ressortlosen Staats¬
sekretäre bestellt werden können, im Reichstage auf Verlangen jederzeit gehört
werden müssen — auch wenn sie nicht Mitglieder des Bundesrates sind.")
Eine weitere Gefahr, die den neuen Männern in der Regierung drohte,
ist durch Aufhebung von Art. 21 Abs. 2 der R.V. beschworen, der bestimmte,
daß Mitglieder des Reichstags ihren Sitz verlieren, wenn sie ein besoldetes
Reichs- oder Staatsamt annehmen.
So wäre alles in schönster Ordnung? Äußerlich gewiß, innerlich ist das
Problem aber keineswegs gelöst. Die Staatssekretäre ohne Portefeuille, so hat
man nicht mit Unrecht'gesagt, werden zwar Sprechminister, haben aber keinen
unmittelbaren Einfluß auf die Entscheidungen des Bundesrath. Diesen könnten
sie nur dadurch erlangen, daß man sie gleichzeitig zu preußische« Staatsministern
ernennt, wie das bei bureaukratischen Staatssekretären seit jeher, zuletzt bei
von Roedern und Wallraf, Übung war. Dann hätten sie Gelegenheit, die
Instruktion der preußischen Bundesratsbevollmächtigten, und dadurch die
Beschlüsse dieser Behörde selbst praktisch mit zu beeinflussen.
So wie die Dinge jetzt liegen, ist ein Kompromiß geschaffen mit allen
Folgen eines solchen. Rand wie vor gibt es, um es ganz kraß auszudrücken, zwei
„Regierungen" oder jetzt eigentlich drei, nämlich 1. die Staatssekretäre ohne
Portefeuille, 2. die bisherige'„Reichsleituug" (.Kanzler und Ressortminister) und
3. das Plenum des Bundesrath, aber der Bundesrat ist die größeste unter ihnen.
Unter den vielen Farben dieses verfassungsrechtlichen Chamäleons leuchtet doch
am stärksten diejenige, bei der es als „gemeinschaftliches Ministerium" (Bismarck)
der Verbündeten Regierungen, als Träger ihrer obrigkeitlich gebildeten und
gerichteten Herrschgewalt erscheint, neben der die später ausgewachsenen und
zugewachsenen beamtlichen Organe (Kanzler und Staatssekretäre) eben nur die
bescheidene Rolle einer „Reichsleitung" spielen sollten, neben der für ein
parlamentarisches Reichsministerkollegülin, das nach dem Gedanken des Einheits¬
staats gravitiert, nun schon gar kein Raum ist. So sehen wir an der entscheiden¬
den Stelle des Reichsorganismus, wo vor allem klare Verhältnisse herrschen
sollen, eine organische Überladung, die auf die Dauer mit Notwendigkeit eine
einseitige Losung heischt, was ohne Sieg auf der einen, Niederlage auf der
anderen Seite eben acht zu erreichen ist.
') Vgl. Heft 42. S. 71.
Die „Nordd. Allg. Zeitung" stellt zwar einen offiziellen Schritt im Schoße des
Bundesrath in Abrede. Doch war die Stimmung namentlich Sachsens und Bayern»
— wo man >um die Reservatrechte bangte — ganz deutlich zu erkennen.
-) Dieser Zusatz, der wunderlicherweise im Entwurf vom 8. Oktober, so wie er
der Presse zuging, fehlt, enthält den Kernpunkt der Angelegenheit.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |