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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Materialien zur Polenpolitik

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die Formationen aber, die der natürliche
Grundstock dieses Heeres werden konnten,,
haben den Boden unter den Füßen verloren
und fielen in mehr oder weniger tragischer
Weise auseinander.

Die Legionen als Katers des polnischen
Heeres gingen durch die Passivität der einen
und die wahnsinnigen Berechnungen der
anderen verloren. Während die Rechte ein
Heer überhaupt nicht wollte, da sie es für
unnötig oder direkt für schädlich hielt, weil
es den Zorn der Entente auf uns herab¬
ziehen konnte, wünschte die Linke kein Heer,
das irgend jemand anderem, aber nicht dieser
Partei unterstellt wäre und nicht die Bürg¬
schaft bieten würde, daß es ein williges Werk¬
zeug in ihrer Hand sein wird.

Nach der vorjährigen Katastrophe mit dem
Fahneneid wurden die Legionen ihrer Stellung
als österreichisches Hilfskorps enthoben. Kaiser
Karl hatte versprochen, sie dem polnischen
Staate in dem Augenblicke zurückzugeben, in
dem die Bildung des Heeres, also die Re¬
krutierung, dort beginnen wird. Leider
kamen, ehe die Rekrutierung begann, die
Brester Ereignisse. Die Nerven des polnischen
Soldaten, die um der Treue gegenüber der
geliebten Idee willen von den eigenen Lands¬
leuten solange und hartnäckig mißhandelt
Wurden, hielten dies nicht aus. ES geschah
ein Unglück, durch das auch der Rest der
organisatorischen, moralischen und Politischen
Ergebnisse der blutigen Opfer der Legionen
zuschanden wurde. Das Hilfskorps hatte
aufgehört zu existieren. Sein trauriger Epilog
wird sich in nächster Zeit vor dem Kriegs¬
gericht in Marmarosz Sziget abspielen.

Es blieb die Hoffnung auf die Polnischen
militärischen Formationen, die auf den Trüm¬
mern des ehemaligen zarischen Heeres ent¬
standen sind. Nachdem diese verschiedenes
durchgemacht hatten, kristallisierten sie sich
schließlich in zwei großen Formationen in
Gestalt von zwei Korps, desjenigen Musnickis
in der Gegend von Minsk und Osinskis in
der Ukraine. Da sie schwankende rechtliche
Grundlagen hatten und in der Luft schwebten,
bildeten sie ganz naturgemäß ein dauerndes
Fragezeichen. Die soziale und Politische
Agitation, die in ihrem Schoße geführt wurde,
machte ihre Zukunft noch problematischer.

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Dem Korps Musnicki gelang es jedoch,
ein bestimmtes, wenn auch mehr theoretisches
als Praktisches Verhältnis zum Regentschafts¬
rat als der höchsten Polnischen Behörde zu
erlangen. Es leistete ihm den Eid der Treue
und wartete auf den Moment der Rückkehr
in die Heimat, um zum Grundstock des pol¬
nischen Heeres umgewandelt zu werden.

Dem Korps Osninski gelang es aus verschie¬
denen Gründen nicht, seine Politischen Verhält¬
nisse so schnell zu konsolidieren. Es stand unter
dem Einflüsse weit auseinandergehender Strö¬
mungen und hatte unerwartete Komplikationen
durchzumachen, durch die die Konsolidierung
hinausgeschoben wurde. Schließlich wurde es
klar, daß die Okkupanten ihm nicht gestatten
werden, der Stamm des Polnischen Heeres
zu werden. Da das Korps am Dujepr rings¬
um eingeschlossen war, war es schon seit
einigen Wochen zur Auflösung verurteilt.
Diese hätte sich ohne Blutvergießen und ohne
ungeheure Politische Verluste vollzogen, wenn
nicht die verspätete und auf einem Mißver¬
ständnis beruhende Intervention der polnischen
Regierung gewesen wäre. Der bereits fertige
Vertrag über die Entwaffnung wurde infolge
dieser Intervention gebrochen. Es entstand
eine Schlacht mit allen ihren Folgen. Das
Schlimmste dabei ist, daß die deutsche Heeres¬
leitung infolge des Streites gerade für dieses
Korps dem Regentschaftsrat das Recht der
politischen Mitwirkung an der Bildung deS
Polnischen Heeres genommen hat.

Obwohl das Recht jener politischen "Mit¬
wirkung" sehr unklar und schwer bestimmbar
war, gab es doch dem Regentschaftsrat den
Anspruch auf verschiedene Akte, die für die
Bildung des polnischen Heeres von grund¬
sätzlicher Bedeutung sind, wie z. B. die An¬
ordnung der Rekrutierung. Der Regent¬
schaftsrat, der das Recht jener Politischen
Mitwirkung an der Bildung des polnischen
Heeres verloren hat, kann natürlich die Re¬
krutierung nicht anordnen. Ohne Rekrutierung
kann es aber kein Heer geben. Und darf
man fragen, ob ein Staat ohne ein Heer
möglich ist?

Die unmittelbare Folge des Verlustes
dieses Mitwirkungsrechtes war die, daß der
Regentschaftsrat das Korps Musnickis seines
Eides entbunden hat. Da dieses keine recht-

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Materialien zur Polenpolitik

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die Formationen aber, die der natürliche
Grundstock dieses Heeres werden konnten,,
haben den Boden unter den Füßen verloren
und fielen in mehr oder weniger tragischer
Weise auseinander.

Die Legionen als Katers des polnischen
Heeres gingen durch die Passivität der einen
und die wahnsinnigen Berechnungen der
anderen verloren. Während die Rechte ein
Heer überhaupt nicht wollte, da sie es für
unnötig oder direkt für schädlich hielt, weil
es den Zorn der Entente auf uns herab¬
ziehen konnte, wünschte die Linke kein Heer,
das irgend jemand anderem, aber nicht dieser
Partei unterstellt wäre und nicht die Bürg¬
schaft bieten würde, daß es ein williges Werk¬
zeug in ihrer Hand sein wird.

Nach der vorjährigen Katastrophe mit dem
Fahneneid wurden die Legionen ihrer Stellung
als österreichisches Hilfskorps enthoben. Kaiser
Karl hatte versprochen, sie dem polnischen
Staate in dem Augenblicke zurückzugeben, in
dem die Bildung des Heeres, also die Re¬
krutierung, dort beginnen wird. Leider
kamen, ehe die Rekrutierung begann, die
Brester Ereignisse. Die Nerven des polnischen
Soldaten, die um der Treue gegenüber der
geliebten Idee willen von den eigenen Lands¬
leuten solange und hartnäckig mißhandelt
Wurden, hielten dies nicht aus. ES geschah
ein Unglück, durch das auch der Rest der
organisatorischen, moralischen und Politischen
Ergebnisse der blutigen Opfer der Legionen
zuschanden wurde. Das Hilfskorps hatte
aufgehört zu existieren. Sein trauriger Epilog
wird sich in nächster Zeit vor dem Kriegs¬
gericht in Marmarosz Sziget abspielen.

Es blieb die Hoffnung auf die Polnischen
militärischen Formationen, die auf den Trüm¬
mern des ehemaligen zarischen Heeres ent¬
standen sind. Nachdem diese verschiedenes
durchgemacht hatten, kristallisierten sie sich
schließlich in zwei großen Formationen in
Gestalt von zwei Korps, desjenigen Musnickis
in der Gegend von Minsk und Osinskis in
der Ukraine. Da sie schwankende rechtliche
Grundlagen hatten und in der Luft schwebten,
bildeten sie ganz naturgemäß ein dauerndes
Fragezeichen. Die soziale und Politische
Agitation, die in ihrem Schoße geführt wurde,
machte ihre Zukunft noch problematischer.

[Spaltenumbruch]

Dem Korps Musnicki gelang es jedoch,
ein bestimmtes, wenn auch mehr theoretisches
als Praktisches Verhältnis zum Regentschafts¬
rat als der höchsten Polnischen Behörde zu
erlangen. Es leistete ihm den Eid der Treue
und wartete auf den Moment der Rückkehr
in die Heimat, um zum Grundstock des pol¬
nischen Heeres umgewandelt zu werden.

Dem Korps Osninski gelang es aus verschie¬
denen Gründen nicht, seine Politischen Verhält¬
nisse so schnell zu konsolidieren. Es stand unter
dem Einflüsse weit auseinandergehender Strö¬
mungen und hatte unerwartete Komplikationen
durchzumachen, durch die die Konsolidierung
hinausgeschoben wurde. Schließlich wurde es
klar, daß die Okkupanten ihm nicht gestatten
werden, der Stamm des Polnischen Heeres
zu werden. Da das Korps am Dujepr rings¬
um eingeschlossen war, war es schon seit
einigen Wochen zur Auflösung verurteilt.
Diese hätte sich ohne Blutvergießen und ohne
ungeheure Politische Verluste vollzogen, wenn
nicht die verspätete und auf einem Mißver¬
ständnis beruhende Intervention der polnischen
Regierung gewesen wäre. Der bereits fertige
Vertrag über die Entwaffnung wurde infolge
dieser Intervention gebrochen. Es entstand
eine Schlacht mit allen ihren Folgen. Das
Schlimmste dabei ist, daß die deutsche Heeres¬
leitung infolge des Streites gerade für dieses
Korps dem Regentschaftsrat das Recht der
politischen Mitwirkung an der Bildung deS
Polnischen Heeres genommen hat.

Obwohl das Recht jener politischen „Mit¬
wirkung" sehr unklar und schwer bestimmbar
war, gab es doch dem Regentschaftsrat den
Anspruch auf verschiedene Akte, die für die
Bildung des polnischen Heeres von grund¬
sätzlicher Bedeutung sind, wie z. B. die An¬
ordnung der Rekrutierung. Der Regent¬
schaftsrat, der das Recht jener Politischen
Mitwirkung an der Bildung des polnischen
Heeres verloren hat, kann natürlich die Re¬
krutierung nicht anordnen. Ohne Rekrutierung
kann es aber kein Heer geben. Und darf
man fragen, ob ein Staat ohne ein Heer
möglich ist?

Die unmittelbare Folge des Verlustes
dieses Mitwirkungsrechtes war die, daß der
Regentschaftsrat das Korps Musnickis seines
Eides entbunden hat. Da dieses keine recht-

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[0080] Materialien zur Polenpolitik die Formationen aber, die der natürliche Grundstock dieses Heeres werden konnten,, haben den Boden unter den Füßen verloren und fielen in mehr oder weniger tragischer Weise auseinander. Die Legionen als Katers des polnischen Heeres gingen durch die Passivität der einen und die wahnsinnigen Berechnungen der anderen verloren. Während die Rechte ein Heer überhaupt nicht wollte, da sie es für unnötig oder direkt für schädlich hielt, weil es den Zorn der Entente auf uns herab¬ ziehen konnte, wünschte die Linke kein Heer, das irgend jemand anderem, aber nicht dieser Partei unterstellt wäre und nicht die Bürg¬ schaft bieten würde, daß es ein williges Werk¬ zeug in ihrer Hand sein wird. Nach der vorjährigen Katastrophe mit dem Fahneneid wurden die Legionen ihrer Stellung als österreichisches Hilfskorps enthoben. Kaiser Karl hatte versprochen, sie dem polnischen Staate in dem Augenblicke zurückzugeben, in dem die Bildung des Heeres, also die Re¬ krutierung, dort beginnen wird. Leider kamen, ehe die Rekrutierung begann, die Brester Ereignisse. Die Nerven des polnischen Soldaten, die um der Treue gegenüber der geliebten Idee willen von den eigenen Lands¬ leuten solange und hartnäckig mißhandelt Wurden, hielten dies nicht aus. ES geschah ein Unglück, durch das auch der Rest der organisatorischen, moralischen und Politischen Ergebnisse der blutigen Opfer der Legionen zuschanden wurde. Das Hilfskorps hatte aufgehört zu existieren. Sein trauriger Epilog wird sich in nächster Zeit vor dem Kriegs¬ gericht in Marmarosz Sziget abspielen. Es blieb die Hoffnung auf die Polnischen militärischen Formationen, die auf den Trüm¬ mern des ehemaligen zarischen Heeres ent¬ standen sind. Nachdem diese verschiedenes durchgemacht hatten, kristallisierten sie sich schließlich in zwei großen Formationen in Gestalt von zwei Korps, desjenigen Musnickis in der Gegend von Minsk und Osinskis in der Ukraine. Da sie schwankende rechtliche Grundlagen hatten und in der Luft schwebten, bildeten sie ganz naturgemäß ein dauerndes Fragezeichen. Die soziale und Politische Agitation, die in ihrem Schoße geführt wurde, machte ihre Zukunft noch problematischer. Dem Korps Musnicki gelang es jedoch, ein bestimmtes, wenn auch mehr theoretisches als Praktisches Verhältnis zum Regentschafts¬ rat als der höchsten Polnischen Behörde zu erlangen. Es leistete ihm den Eid der Treue und wartete auf den Moment der Rückkehr in die Heimat, um zum Grundstock des pol¬ nischen Heeres umgewandelt zu werden. Dem Korps Osninski gelang es aus verschie¬ denen Gründen nicht, seine Politischen Verhält¬ nisse so schnell zu konsolidieren. Es stand unter dem Einflüsse weit auseinandergehender Strö¬ mungen und hatte unerwartete Komplikationen durchzumachen, durch die die Konsolidierung hinausgeschoben wurde. Schließlich wurde es klar, daß die Okkupanten ihm nicht gestatten werden, der Stamm des Polnischen Heeres zu werden. Da das Korps am Dujepr rings¬ um eingeschlossen war, war es schon seit einigen Wochen zur Auflösung verurteilt. Diese hätte sich ohne Blutvergießen und ohne ungeheure Politische Verluste vollzogen, wenn nicht die verspätete und auf einem Mißver¬ ständnis beruhende Intervention der polnischen Regierung gewesen wäre. Der bereits fertige Vertrag über die Entwaffnung wurde infolge dieser Intervention gebrochen. Es entstand eine Schlacht mit allen ihren Folgen. Das Schlimmste dabei ist, daß die deutsche Heeres¬ leitung infolge des Streites gerade für dieses Korps dem Regentschaftsrat das Recht der politischen Mitwirkung an der Bildung deS Polnischen Heeres genommen hat. Obwohl das Recht jener politischen „Mit¬ wirkung" sehr unklar und schwer bestimmbar war, gab es doch dem Regentschaftsrat den Anspruch auf verschiedene Akte, die für die Bildung des polnischen Heeres von grund¬ sätzlicher Bedeutung sind, wie z. B. die An¬ ordnung der Rekrutierung. Der Regent¬ schaftsrat, der das Recht jener Politischen Mitwirkung an der Bildung des polnischen Heeres verloren hat, kann natürlich die Re¬ krutierung nicht anordnen. Ohne Rekrutierung kann es aber kein Heer geben. Und darf man fragen, ob ein Staat ohne ein Heer möglich ist? Die unmittelbare Folge des Verlustes dieses Mitwirkungsrechtes war die, daß der Regentschaftsrat das Korps Musnickis seines Eides entbunden hat. Da dieses keine recht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/80>, abgerufen am 29.06.2024.