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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Der preußische "Gbrigkeitsstaat"

Färbung verkündet worden. An ihm vorübergehen konnte niemand, der die Dinge
ohne Scheuklappen betrachtete. Wenn ein so preußisch fühlender Historiker wie
Otto Hintze im Jahre 1913 schreibt: "Der genossenschaftliche Gegenpol der starken
Herrschergewalt ist in diesem Militär- und Beamtenstaat einigermaßen verkümmert;
die Selbstverwaltung ist nur eine Ergänzung der im wesentlichen bureaukratischen
Verwaltungsorganisation, und die Volksvertretung ist eigentlich auch mehr nur
eine Ergänzung der monarchischen Staatsordnung als ein wirklich ganz gleich¬
berechtigtes, selbständiges Staatsorgan neben der Krone" -- so läßt diese Zeichnung
an Schärfe nichts zu wünschen übrig und unterscheidet sich nur dem Wortlaut nach von
Äußerungen, wie sie, schon vor dem Kriege, auf den Bänken der Linken laut wurden
und literarisch besonders eindringlich von Hugo Preuß formuliert worden sind.*) Wir
haben in der Tat die moderne Staatsform nicht unter Verdrängung der Obrigkeits¬
regierung, sondern mit dem unausgeglichenen Widerspruch des alten und des neuen
Organisätionsprinzips übernommen. Das Wesen des "Obrigkeitsstaates" zeigte sich
nicht nur darin, daß der Weg zu staatsmännischem Wirken Vorbehalt der Obrig¬
keitsregierung war. Das Kaiserwort des 4. August wirkte doch darum so er¬
lösend, weil es den unseligen Gegensatz zwischen den "staatserhaltenden" und
jenen anderen aus der Welt schaffte, die den Staat nicht als den ihren betrachteten,
in zwingendem Wechsel von ihm ausgeschlossen wurden und sich selbst ausschlossen.
Eine der bösesten Folgen der Verkümmerung des genossenschaftlichen Prinzips --
so hat man die Dinge von konservativem Standpunkte aus ganz richtig gesehen --
war die abnorme Entwicklung der Sozialdemokratie, die gerade deswegen bei uns
stärker und staatsfeindlicher wurde, als in irgendeinem anderen Lande. Es hat
keinen Zweck, den Sachverhalt zu verhüllen. Das allerdings muß gleich hinterdrein
gesagt werden. Die angedeutete Form seiner innerpolitischen Entwicklung war
dem preußischen Staate von den Mächten der Geschichte vorgeschrieben, also im
wesentlichen Teile nicht die Schuld reaktionärer Gewalten, und, wohl gemerkt, wir
reden von einer Entwicklung, die mit dem Zeitalter des Weltkrieges ihren Abschluß
finden wird. Ausdrücklich mag auch erwähnt werden, daß wir den Vergleich mit
anderen Staaten absichtlich beiseite lassen. Der kategorische Imperativ verlangt
die gewissenhafte Prüfung des eigenen Wesens ohne Rücksicht auf die moralischen
Qualitäten der Umwelt. Auch politische Fehler entschuldigt man nicht durch den
Hinweis, daß es wo anders nicht besser bestellt ist.
"

Der "Obrigkeitsstaat ist das Produkt unserer Geschichte, das politische
"Anderssein" Preußen-Deutschlands wurzelt in dem historisch-politischen Schicksal
des Landes. Ohne zu verkennen, daß sich Naturanlage und geschichtliche Ent¬
wicklung eines Volkes untrennbar verketten, wird man doch auf diese den Nach¬
druck legen müssen. Denn es ist nicht nationale Voreingenommenheit, wenn man
feststellt, daß Wohl kein Volk der Erde einen dornigeren Weg zu seiner Bestimmung
schreiten mußte als das unselige. Die Spuren dieses 'Leidensweges aber mußten
sich dem deutschen politischen Wesen tief eindrücken, und es ist kein Wunder, daß
sich seine Züge von denen glücklicherer Nachbaren unterscheiden. Auch sie haben
ihre absolutistische Periode gehabt, auch sie kennen also das Wesen des eigent¬
lichen Obrigkeitsstaates. Nirgends mußte man aber doch diese den kontinentalen
Macht- und Nivalitätskämpfen. der machtstaatlichen Konsolidierung angepaßte Re-
gierungsform so rein und nachhaltig ausbilden, wie in dem von Feinden und
Konkurrenten umgebenen Preußen, dem die unendlich schwierige Aufgabe zufiel,
an einem Orte politischer Luftdünne, wo sich die Stürme Europas ihr Stelldichein
zu geben pflegten, ein neues staatliches Zentrum durchzusetzen. Das konnte nur
durch eine raffinierte Ökonomie der verfügbaren Kräfte und dnrch ihre restlose
Ausnutzung geschehen, wobei dann allerdings zu sonstiger freier Betätigung nicht
viel Raum blieb. Und dieser außenpolitische Druck, in der Vergangenheit ganz
sicher der Gradmesser innerpolitischer Freiheit, hat sich auch in der Folge nicht



") Schon vor dem Kriege, dann besonders 1915 in seinem Buche "Das deutsche Volk
und die Politik".
Der preußische „Gbrigkeitsstaat"

Färbung verkündet worden. An ihm vorübergehen konnte niemand, der die Dinge
ohne Scheuklappen betrachtete. Wenn ein so preußisch fühlender Historiker wie
Otto Hintze im Jahre 1913 schreibt: „Der genossenschaftliche Gegenpol der starken
Herrschergewalt ist in diesem Militär- und Beamtenstaat einigermaßen verkümmert;
die Selbstverwaltung ist nur eine Ergänzung der im wesentlichen bureaukratischen
Verwaltungsorganisation, und die Volksvertretung ist eigentlich auch mehr nur
eine Ergänzung der monarchischen Staatsordnung als ein wirklich ganz gleich¬
berechtigtes, selbständiges Staatsorgan neben der Krone" — so läßt diese Zeichnung
an Schärfe nichts zu wünschen übrig und unterscheidet sich nur dem Wortlaut nach von
Äußerungen, wie sie, schon vor dem Kriege, auf den Bänken der Linken laut wurden
und literarisch besonders eindringlich von Hugo Preuß formuliert worden sind.*) Wir
haben in der Tat die moderne Staatsform nicht unter Verdrängung der Obrigkeits¬
regierung, sondern mit dem unausgeglichenen Widerspruch des alten und des neuen
Organisätionsprinzips übernommen. Das Wesen des „Obrigkeitsstaates" zeigte sich
nicht nur darin, daß der Weg zu staatsmännischem Wirken Vorbehalt der Obrig¬
keitsregierung war. Das Kaiserwort des 4. August wirkte doch darum so er¬
lösend, weil es den unseligen Gegensatz zwischen den „staatserhaltenden" und
jenen anderen aus der Welt schaffte, die den Staat nicht als den ihren betrachteten,
in zwingendem Wechsel von ihm ausgeschlossen wurden und sich selbst ausschlossen.
Eine der bösesten Folgen der Verkümmerung des genossenschaftlichen Prinzips —
so hat man die Dinge von konservativem Standpunkte aus ganz richtig gesehen —
war die abnorme Entwicklung der Sozialdemokratie, die gerade deswegen bei uns
stärker und staatsfeindlicher wurde, als in irgendeinem anderen Lande. Es hat
keinen Zweck, den Sachverhalt zu verhüllen. Das allerdings muß gleich hinterdrein
gesagt werden. Die angedeutete Form seiner innerpolitischen Entwicklung war
dem preußischen Staate von den Mächten der Geschichte vorgeschrieben, also im
wesentlichen Teile nicht die Schuld reaktionärer Gewalten, und, wohl gemerkt, wir
reden von einer Entwicklung, die mit dem Zeitalter des Weltkrieges ihren Abschluß
finden wird. Ausdrücklich mag auch erwähnt werden, daß wir den Vergleich mit
anderen Staaten absichtlich beiseite lassen. Der kategorische Imperativ verlangt
die gewissenhafte Prüfung des eigenen Wesens ohne Rücksicht auf die moralischen
Qualitäten der Umwelt. Auch politische Fehler entschuldigt man nicht durch den
Hinweis, daß es wo anders nicht besser bestellt ist.
"

Der „Obrigkeitsstaat ist das Produkt unserer Geschichte, das politische
„Anderssein" Preußen-Deutschlands wurzelt in dem historisch-politischen Schicksal
des Landes. Ohne zu verkennen, daß sich Naturanlage und geschichtliche Ent¬
wicklung eines Volkes untrennbar verketten, wird man doch auf diese den Nach¬
druck legen müssen. Denn es ist nicht nationale Voreingenommenheit, wenn man
feststellt, daß Wohl kein Volk der Erde einen dornigeren Weg zu seiner Bestimmung
schreiten mußte als das unselige. Die Spuren dieses 'Leidensweges aber mußten
sich dem deutschen politischen Wesen tief eindrücken, und es ist kein Wunder, daß
sich seine Züge von denen glücklicherer Nachbaren unterscheiden. Auch sie haben
ihre absolutistische Periode gehabt, auch sie kennen also das Wesen des eigent¬
lichen Obrigkeitsstaates. Nirgends mußte man aber doch diese den kontinentalen
Macht- und Nivalitätskämpfen. der machtstaatlichen Konsolidierung angepaßte Re-
gierungsform so rein und nachhaltig ausbilden, wie in dem von Feinden und
Konkurrenten umgebenen Preußen, dem die unendlich schwierige Aufgabe zufiel,
an einem Orte politischer Luftdünne, wo sich die Stürme Europas ihr Stelldichein
zu geben pflegten, ein neues staatliches Zentrum durchzusetzen. Das konnte nur
durch eine raffinierte Ökonomie der verfügbaren Kräfte und dnrch ihre restlose
Ausnutzung geschehen, wobei dann allerdings zu sonstiger freier Betätigung nicht
viel Raum blieb. Und dieser außenpolitische Druck, in der Vergangenheit ganz
sicher der Gradmesser innerpolitischer Freiheit, hat sich auch in der Folge nicht



") Schon vor dem Kriege, dann besonders 1915 in seinem Buche „Das deutsche Volk
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[0305] Der preußische „Gbrigkeitsstaat" Färbung verkündet worden. An ihm vorübergehen konnte niemand, der die Dinge ohne Scheuklappen betrachtete. Wenn ein so preußisch fühlender Historiker wie Otto Hintze im Jahre 1913 schreibt: „Der genossenschaftliche Gegenpol der starken Herrschergewalt ist in diesem Militär- und Beamtenstaat einigermaßen verkümmert; die Selbstverwaltung ist nur eine Ergänzung der im wesentlichen bureaukratischen Verwaltungsorganisation, und die Volksvertretung ist eigentlich auch mehr nur eine Ergänzung der monarchischen Staatsordnung als ein wirklich ganz gleich¬ berechtigtes, selbständiges Staatsorgan neben der Krone" — so läßt diese Zeichnung an Schärfe nichts zu wünschen übrig und unterscheidet sich nur dem Wortlaut nach von Äußerungen, wie sie, schon vor dem Kriege, auf den Bänken der Linken laut wurden und literarisch besonders eindringlich von Hugo Preuß formuliert worden sind.*) Wir haben in der Tat die moderne Staatsform nicht unter Verdrängung der Obrigkeits¬ regierung, sondern mit dem unausgeglichenen Widerspruch des alten und des neuen Organisätionsprinzips übernommen. Das Wesen des „Obrigkeitsstaates" zeigte sich nicht nur darin, daß der Weg zu staatsmännischem Wirken Vorbehalt der Obrig¬ keitsregierung war. Das Kaiserwort des 4. August wirkte doch darum so er¬ lösend, weil es den unseligen Gegensatz zwischen den „staatserhaltenden" und jenen anderen aus der Welt schaffte, die den Staat nicht als den ihren betrachteten, in zwingendem Wechsel von ihm ausgeschlossen wurden und sich selbst ausschlossen. Eine der bösesten Folgen der Verkümmerung des genossenschaftlichen Prinzips — so hat man die Dinge von konservativem Standpunkte aus ganz richtig gesehen — war die abnorme Entwicklung der Sozialdemokratie, die gerade deswegen bei uns stärker und staatsfeindlicher wurde, als in irgendeinem anderen Lande. Es hat keinen Zweck, den Sachverhalt zu verhüllen. Das allerdings muß gleich hinterdrein gesagt werden. Die angedeutete Form seiner innerpolitischen Entwicklung war dem preußischen Staate von den Mächten der Geschichte vorgeschrieben, also im wesentlichen Teile nicht die Schuld reaktionärer Gewalten, und, wohl gemerkt, wir reden von einer Entwicklung, die mit dem Zeitalter des Weltkrieges ihren Abschluß finden wird. Ausdrücklich mag auch erwähnt werden, daß wir den Vergleich mit anderen Staaten absichtlich beiseite lassen. Der kategorische Imperativ verlangt die gewissenhafte Prüfung des eigenen Wesens ohne Rücksicht auf die moralischen Qualitäten der Umwelt. Auch politische Fehler entschuldigt man nicht durch den Hinweis, daß es wo anders nicht besser bestellt ist. " Der „Obrigkeitsstaat ist das Produkt unserer Geschichte, das politische „Anderssein" Preußen-Deutschlands wurzelt in dem historisch-politischen Schicksal des Landes. Ohne zu verkennen, daß sich Naturanlage und geschichtliche Ent¬ wicklung eines Volkes untrennbar verketten, wird man doch auf diese den Nach¬ druck legen müssen. Denn es ist nicht nationale Voreingenommenheit, wenn man feststellt, daß Wohl kein Volk der Erde einen dornigeren Weg zu seiner Bestimmung schreiten mußte als das unselige. Die Spuren dieses 'Leidensweges aber mußten sich dem deutschen politischen Wesen tief eindrücken, und es ist kein Wunder, daß sich seine Züge von denen glücklicherer Nachbaren unterscheiden. Auch sie haben ihre absolutistische Periode gehabt, auch sie kennen also das Wesen des eigent¬ lichen Obrigkeitsstaates. Nirgends mußte man aber doch diese den kontinentalen Macht- und Nivalitätskämpfen. der machtstaatlichen Konsolidierung angepaßte Re- gierungsform so rein und nachhaltig ausbilden, wie in dem von Feinden und Konkurrenten umgebenen Preußen, dem die unendlich schwierige Aufgabe zufiel, an einem Orte politischer Luftdünne, wo sich die Stürme Europas ihr Stelldichein zu geben pflegten, ein neues staatliches Zentrum durchzusetzen. Das konnte nur durch eine raffinierte Ökonomie der verfügbaren Kräfte und dnrch ihre restlose Ausnutzung geschehen, wobei dann allerdings zu sonstiger freier Betätigung nicht viel Raum blieb. Und dieser außenpolitische Druck, in der Vergangenheit ganz sicher der Gradmesser innerpolitischer Freiheit, hat sich auch in der Folge nicht ") Schon vor dem Kriege, dann besonders 1915 in seinem Buche „Das deutsche Volk und die Politik".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/305>, abgerufen am 22.07.2024.