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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Reichsländische Erfahrungen und östliche Behcmdlungsfragen

ländische Boden. Dort im Elsaß nun hatte das einwandernde Deutschtum einen
starken lebenskräftigen deutschen Stamm vorgefunden, in den es mit der Zeit
Wohl hätte hineinwachsen können. Aber dieser Amalgamierungsprozeß wurde
durch die nationale Kluft und durch zahlenmäßiges Mißverhältnis -- der Schub
der Einwandernden war viel zu groß bemessen --, ferner durch die ganze
kulturelle Lage erschwert. Auf die völkische und kulturelle Zusammensetzung der
Siedler gilt es bei einer Kolonisation des Ostens ein besonderes Augenmerk zu
richten. Da nun einmal eine Zusammenballung von so und so vielen Deutschen
nicht ohne weiteres eine deutsche Gesellschaft ergibt, wenn stammesmäßige
Gleichmäßigkeit gänzlich fehlt, ist auf solche Homogenität bei den einzelnen
Siedlungskomplexen größter Wert zu legen. Insbesondere im baltischen Lande,
wo starke Germanisationsmöglichkeiten bestehen, müssen die Zentren solcher
Germanisierung, die neudeutschen Kolonistensiedlungen, von vornherein so
organisiert werden, daß ihre natürliche völkische Assimilationskraft möglichst
wenig durch innere Reibungen paralysiert wird. Anders liegt die Sache bei den
Siedlern aus der deutschen gesellschaftlichen Oberschicht. Diese finden an der
dentschbaltischen Gesellschaft bereits ein völkisches Zentrum von so außergewöhn¬
licher werdender Kraft vor, daß im Gegenteil darauf zu sehen ist, daß nach
Möglichkeit solche Naturen dem Lande zugeführt werden, die zwar durch
Erhöhung der Aktivitäts- und Arbeitsenergie den sozialen Pulsschlag des neuen
Auslandes dem des deutschen Mutterlandes cmcihneln, die aber andererseits sich
nicht ohne Not gegen die dort bereits bestehenden gesellschaftlichen Traditionen
sperren, sondern sich relativ leicht dem dortigen aristokratischen Menschenschlag
assimilieren und mit ihm zusammen arbeiten.

So kann man es als das wichtigste Fazit der reichsländischen Erfahrungen
bezeichnen, daß eine deutsche Kolonisation im selben Maße mißlingen muß, als
den Sendungen des Deutschtums die Pflege ihrer Ueberlieferungen, die
Schaffung heimatähnlicher Verhältnisse und überhaupt das Einwurzeln, das
Festwachsen erschwert wird. Das deutsche Leben strebt allenthalben danach, !>es
organisch zu verfestigen und es verdorrt und entartet, wo ihm die Vorbedingungen
dazu fehlen. In fremden Großstädten zum Beispiel, in Paris, in Petersburg
und Moskau, wo die Möglichkeit eines solchen Festwurzelns fehlt, treten die
traurigsten Entartungserscheinungen dieses emanzipierten Deutschtums zutage.
In überraschender Schnelligkeit gibt der Deutsche dort sein Volkstum preis und
wird gar zu jenem traurigen Typus eines Renegaten, der sich mit größter
Schärfe gegen das angestammte Volkstum wendet.

Dies also ist die eine wesentliche Seite des östlichen Kolonisationsproblems:
die Siedlung von vornherein so zu organisieren, daß der auswandernde
Deutsche in'der neuen und fremden Umgebung nicht nur als einzelner leben und
wirtschaftlich gedeihen, sondern als völkische Gemeinschaft festwurzeln und
völkische Anziehungskraft ausüben kann. Nicht die krampfhafte Verteidigung
und Rechtfertigung, sondern die ruhige, sichere und ausgeglichene Entfaltung
deutschen Volkstumes kann Fremde in dessen Schoß hineinziehen. Die wesent¬
lichste Voraussetzung für eine glückliche Lösung der östlichen Behandlnngsprobleme
insbesondere im Baltenlcmde ist daher eine solche Stellung des dortigen Deutsch¬
tums, die ihm wirtschaftliche und völkische Entfaltungsmöglichkeiten gewahr-



*) Daß die Entartungserscheimmgen doch noch recht an der Oberfläche geblieben sind,
beweisen die Auslandsdeutschen durch ihr Verhalten in der großen Weltkatastrophe dieses
Krieges. Objektive Beweise für das treue Festhalten am Deutschtum lor dem Kriege sind
insbesondere in den russischen Hauptstädten die von Deutschen geschaffenen großen Kirchen¬
gemeinden mit ihren weitverzweigten Organisationen, u. n. den Schulen, die bis aufs äußerste
an der deutschen Unterrichtssprache festhielten, die Handwerkerverbände, Bildungs- und Wohl-
fnhrtsvereine, samt ihren Kranken- und Waisenhäusern usw. Gerade durch diese Schöpfungen
haben sich die Deutschen die Möglichkeit schaffen wollen, ihrem Drange nach Festmurzelung in
einer wesensfremden Umgebung Genüge zu tun. Das Renegatentum ist dementsprechend gottlob
Die Schriftlg. doch nur eine Ausnnhmeerscheinung geblieben.
Reichsländische Erfahrungen und östliche Behcmdlungsfragen

ländische Boden. Dort im Elsaß nun hatte das einwandernde Deutschtum einen
starken lebenskräftigen deutschen Stamm vorgefunden, in den es mit der Zeit
Wohl hätte hineinwachsen können. Aber dieser Amalgamierungsprozeß wurde
durch die nationale Kluft und durch zahlenmäßiges Mißverhältnis — der Schub
der Einwandernden war viel zu groß bemessen —, ferner durch die ganze
kulturelle Lage erschwert. Auf die völkische und kulturelle Zusammensetzung der
Siedler gilt es bei einer Kolonisation des Ostens ein besonderes Augenmerk zu
richten. Da nun einmal eine Zusammenballung von so und so vielen Deutschen
nicht ohne weiteres eine deutsche Gesellschaft ergibt, wenn stammesmäßige
Gleichmäßigkeit gänzlich fehlt, ist auf solche Homogenität bei den einzelnen
Siedlungskomplexen größter Wert zu legen. Insbesondere im baltischen Lande,
wo starke Germanisationsmöglichkeiten bestehen, müssen die Zentren solcher
Germanisierung, die neudeutschen Kolonistensiedlungen, von vornherein so
organisiert werden, daß ihre natürliche völkische Assimilationskraft möglichst
wenig durch innere Reibungen paralysiert wird. Anders liegt die Sache bei den
Siedlern aus der deutschen gesellschaftlichen Oberschicht. Diese finden an der
dentschbaltischen Gesellschaft bereits ein völkisches Zentrum von so außergewöhn¬
licher werdender Kraft vor, daß im Gegenteil darauf zu sehen ist, daß nach
Möglichkeit solche Naturen dem Lande zugeführt werden, die zwar durch
Erhöhung der Aktivitäts- und Arbeitsenergie den sozialen Pulsschlag des neuen
Auslandes dem des deutschen Mutterlandes cmcihneln, die aber andererseits sich
nicht ohne Not gegen die dort bereits bestehenden gesellschaftlichen Traditionen
sperren, sondern sich relativ leicht dem dortigen aristokratischen Menschenschlag
assimilieren und mit ihm zusammen arbeiten.

So kann man es als das wichtigste Fazit der reichsländischen Erfahrungen
bezeichnen, daß eine deutsche Kolonisation im selben Maße mißlingen muß, als
den Sendungen des Deutschtums die Pflege ihrer Ueberlieferungen, die
Schaffung heimatähnlicher Verhältnisse und überhaupt das Einwurzeln, das
Festwachsen erschwert wird. Das deutsche Leben strebt allenthalben danach, !>es
organisch zu verfestigen und es verdorrt und entartet, wo ihm die Vorbedingungen
dazu fehlen. In fremden Großstädten zum Beispiel, in Paris, in Petersburg
und Moskau, wo die Möglichkeit eines solchen Festwurzelns fehlt, treten die
traurigsten Entartungserscheinungen dieses emanzipierten Deutschtums zutage.
In überraschender Schnelligkeit gibt der Deutsche dort sein Volkstum preis und
wird gar zu jenem traurigen Typus eines Renegaten, der sich mit größter
Schärfe gegen das angestammte Volkstum wendet.

Dies also ist die eine wesentliche Seite des östlichen Kolonisationsproblems:
die Siedlung von vornherein so zu organisieren, daß der auswandernde
Deutsche in'der neuen und fremden Umgebung nicht nur als einzelner leben und
wirtschaftlich gedeihen, sondern als völkische Gemeinschaft festwurzeln und
völkische Anziehungskraft ausüben kann. Nicht die krampfhafte Verteidigung
und Rechtfertigung, sondern die ruhige, sichere und ausgeglichene Entfaltung
deutschen Volkstumes kann Fremde in dessen Schoß hineinziehen. Die wesent¬
lichste Voraussetzung für eine glückliche Lösung der östlichen Behandlnngsprobleme
insbesondere im Baltenlcmde ist daher eine solche Stellung des dortigen Deutsch¬
tums, die ihm wirtschaftliche und völkische Entfaltungsmöglichkeiten gewahr-



*) Daß die Entartungserscheimmgen doch noch recht an der Oberfläche geblieben sind,
beweisen die Auslandsdeutschen durch ihr Verhalten in der großen Weltkatastrophe dieses
Krieges. Objektive Beweise für das treue Festhalten am Deutschtum lor dem Kriege sind
insbesondere in den russischen Hauptstädten die von Deutschen geschaffenen großen Kirchen¬
gemeinden mit ihren weitverzweigten Organisationen, u. n. den Schulen, die bis aufs äußerste
an der deutschen Unterrichtssprache festhielten, die Handwerkerverbände, Bildungs- und Wohl-
fnhrtsvereine, samt ihren Kranken- und Waisenhäusern usw. Gerade durch diese Schöpfungen
haben sich die Deutschen die Möglichkeit schaffen wollen, ihrem Drange nach Festmurzelung in
einer wesensfremden Umgebung Genüge zu tun. Das Renegatentum ist dementsprechend gottlob
Die Schriftlg. doch nur eine Ausnnhmeerscheinung geblieben.
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[0277] Reichsländische Erfahrungen und östliche Behcmdlungsfragen ländische Boden. Dort im Elsaß nun hatte das einwandernde Deutschtum einen starken lebenskräftigen deutschen Stamm vorgefunden, in den es mit der Zeit Wohl hätte hineinwachsen können. Aber dieser Amalgamierungsprozeß wurde durch die nationale Kluft und durch zahlenmäßiges Mißverhältnis — der Schub der Einwandernden war viel zu groß bemessen —, ferner durch die ganze kulturelle Lage erschwert. Auf die völkische und kulturelle Zusammensetzung der Siedler gilt es bei einer Kolonisation des Ostens ein besonderes Augenmerk zu richten. Da nun einmal eine Zusammenballung von so und so vielen Deutschen nicht ohne weiteres eine deutsche Gesellschaft ergibt, wenn stammesmäßige Gleichmäßigkeit gänzlich fehlt, ist auf solche Homogenität bei den einzelnen Siedlungskomplexen größter Wert zu legen. Insbesondere im baltischen Lande, wo starke Germanisationsmöglichkeiten bestehen, müssen die Zentren solcher Germanisierung, die neudeutschen Kolonistensiedlungen, von vornherein so organisiert werden, daß ihre natürliche völkische Assimilationskraft möglichst wenig durch innere Reibungen paralysiert wird. Anders liegt die Sache bei den Siedlern aus der deutschen gesellschaftlichen Oberschicht. Diese finden an der dentschbaltischen Gesellschaft bereits ein völkisches Zentrum von so außergewöhn¬ licher werdender Kraft vor, daß im Gegenteil darauf zu sehen ist, daß nach Möglichkeit solche Naturen dem Lande zugeführt werden, die zwar durch Erhöhung der Aktivitäts- und Arbeitsenergie den sozialen Pulsschlag des neuen Auslandes dem des deutschen Mutterlandes cmcihneln, die aber andererseits sich nicht ohne Not gegen die dort bereits bestehenden gesellschaftlichen Traditionen sperren, sondern sich relativ leicht dem dortigen aristokratischen Menschenschlag assimilieren und mit ihm zusammen arbeiten. So kann man es als das wichtigste Fazit der reichsländischen Erfahrungen bezeichnen, daß eine deutsche Kolonisation im selben Maße mißlingen muß, als den Sendungen des Deutschtums die Pflege ihrer Ueberlieferungen, die Schaffung heimatähnlicher Verhältnisse und überhaupt das Einwurzeln, das Festwachsen erschwert wird. Das deutsche Leben strebt allenthalben danach, !>es organisch zu verfestigen und es verdorrt und entartet, wo ihm die Vorbedingungen dazu fehlen. In fremden Großstädten zum Beispiel, in Paris, in Petersburg und Moskau, wo die Möglichkeit eines solchen Festwurzelns fehlt, treten die traurigsten Entartungserscheinungen dieses emanzipierten Deutschtums zutage. In überraschender Schnelligkeit gibt der Deutsche dort sein Volkstum preis und wird gar zu jenem traurigen Typus eines Renegaten, der sich mit größter Schärfe gegen das angestammte Volkstum wendet. Dies also ist die eine wesentliche Seite des östlichen Kolonisationsproblems: die Siedlung von vornherein so zu organisieren, daß der auswandernde Deutsche in'der neuen und fremden Umgebung nicht nur als einzelner leben und wirtschaftlich gedeihen, sondern als völkische Gemeinschaft festwurzeln und völkische Anziehungskraft ausüben kann. Nicht die krampfhafte Verteidigung und Rechtfertigung, sondern die ruhige, sichere und ausgeglichene Entfaltung deutschen Volkstumes kann Fremde in dessen Schoß hineinziehen. Die wesent¬ lichste Voraussetzung für eine glückliche Lösung der östlichen Behandlnngsprobleme insbesondere im Baltenlcmde ist daher eine solche Stellung des dortigen Deutsch¬ tums, die ihm wirtschaftliche und völkische Entfaltungsmöglichkeiten gewahr- *) Daß die Entartungserscheimmgen doch noch recht an der Oberfläche geblieben sind, beweisen die Auslandsdeutschen durch ihr Verhalten in der großen Weltkatastrophe dieses Krieges. Objektive Beweise für das treue Festhalten am Deutschtum lor dem Kriege sind insbesondere in den russischen Hauptstädten die von Deutschen geschaffenen großen Kirchen¬ gemeinden mit ihren weitverzweigten Organisationen, u. n. den Schulen, die bis aufs äußerste an der deutschen Unterrichtssprache festhielten, die Handwerkerverbände, Bildungs- und Wohl- fnhrtsvereine, samt ihren Kranken- und Waisenhäusern usw. Gerade durch diese Schöpfungen haben sich die Deutschen die Möglichkeit schaffen wollen, ihrem Drange nach Festmurzelung in einer wesensfremden Umgebung Genüge zu tun. Das Renegatentum ist dementsprechend gottlob Die Schriftlg. doch nur eine Ausnnhmeerscheinung geblieben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/277>, abgerufen am 25.08.2024.