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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Die "östliche Neuorientierung"

Während also in der Grenzvölkerfrage absolute Festigkeit und Jntrcmsigenz
die einzig erfolgverheißende Lösung ist, an der auch die östliche Neuorientierung
nichts zu drehen und zu deuteln hat, ist in unserer Stellungnahme zum gegen¬
wärtigen bolschewistischen Regime eine durchaus relativistische und opportunistische
Politik des Abwartens geboten, die sich möglichst wenig festlegt, sondern sich für
alle Möglichkeiten der russischen Krisis freie Hand wahrt. Ähnliches gilt auch ftU
die Wiedervereinigung der Ukraine mit Großrußland. solange der Prozeß der
bolschewistischen Zersetzung und der Bürgerkrieg in Rußland fortdauert, haben wir
schon aus wirtschaftlichen Gründen.alles Interesse daran, die Ukraine vor diesem
Schicksal zu bewahren und sie möglichst schnell.der politischen und wirtschaftlichen
Konsolidierung zuzuführen. Einem etwaigen Übergreifen dieses Konsolidierungs-
prozesses aus der Ukraine auf Großrußland, oder einer späteren Wiederannäherung
an ein staatlich lebensfähiges Großrußland dürfen wir uns aber nur so weit ent¬
gegenstellen, als eine namhafte separatistische Partei in der Ukraine selber uns
den nötigen Rückhalt gewährt. Gegen den Willen der beiden Völker ihre Wieder¬
vereinigung hintanzuhalten, ist ein politisch aussichtsloses Unternehmen und ein
überaus bedenkliches Engagement mit inneren Angelegenheiten eines fremden
Staates. Nicht ausgeschlossen erscheint sogar, daß eine solche Wiederannäherung,
falls sie sich mit einer gewissen politischen Naturnotwendigkeit durchsetzen sollte,
für uns, eine bedeutsame Brücke zum Einfluß auf das neue Großrußland werben
kann, falls es uns bis dahin gelungen ist, in der Ukraine genügend festen Fuß
zu fassen. Denn dank unseren Unterstützungen ist die Ukraine in der Lage, sich
relativ schnell vom Kriege zu erholen und den Bürgerkrieg in sich zu überwinden,
so daß es vor dem völlig erschöpften Großrußland einen namhaften Vorsprung im
Prozesse politischer Genesung haben muß, den wir bei einigem politischen Geschick
sehr wohl zu unseren Gunsten nutzen können.

All dies betrifft Einzelfragen der Neuregelung unseres Verhältnisses zum
östlichen lstaatenkomplex, der auf dem Boden des einstigen Rußland politische
Gestalt gewinnt. Die ganze Frage hat aber einen tieferen politischen Sinn und
weist auf weitere weltgeschichtliche Perspektiven. Wenn uns nicht ane politische
Einsicht täuscht, so erleben wir heute das Ausscheiden der romanischen Völker aus
dem Konzert der primär entscheidenden Weltmächte. Frankreich jedenfalls hat sich
in eine Abhängigkeit von England begeben, von der es sich selbst bei einem Siege
der Entente nicht befreien könnte. Wir haben keine Aussicht, uns mit diesem
einstmals weltgebietenden Reich enger zu verbünden, wir haben aber auch keinen
Anlaß, eine solche Liaison mit einem niedergehenden, alternden, überreifen
Kulturreich zu wünschen. Wir schleppen schon allzu viel Vergangenheit
im mitteleuropäischen Bündniskomplex mit. Wir brauchen Verbündung mit
zukünftigen aufstrebenden Mächten, wir brauchen ein Engagement in lockeren,
bildsamen, fließenden, nicht in festen, starren, stagnierenden Verhältnissen. Das
Angelsachsentum wird unser Feind bleiben, weil es gleich uns noch Zukunft hat
und weil es uns rassenmnßig zu nahe verwandt ist. Bruderzwist ist am unver-
söhnlichst>ni. Wir können uns nach Westen verstä'.idigen, wenn wir die Kraft
unserer Selbstbehauptung der Welt durch unsere Unbesieglichkeit erwiesen haben,
aber wir werden stets auf der Hut sein müssen, nicht , durch Verständigung zum
Vasallen zu werden. Im Westen müssen wir uns gegebenen Verhältnissen fügen,
un Osten können wir junge Kräfte entbinden und an der Wiege einer ungeahnten
Entwicklung Pate stehen. Das Erziehertum steckt uns tief 'im Blute, das un¬
organische Massenkonglomerat Rußland bedeutete eine primitive Notform der
staatlichen Durchorganisierung der Nationen Osteuropas. Diese Notform ist zer-
brochen, nur die bare Reaktion kann ihre Wiederherstellung verlangen. Die Neu¬
gestaltung des slawischen Osten, die mit der Loslösung der Balkanstaaten von der
Türkei vor etlichen Jahrzehnten begonnen hat. ist die große politische Aufgabe
des nächsten Jahrhunderts. Schon sind Amerika, Japan und England auf dies
große geschichtliche Problem aufmerksam geworden. Mit Knirschen bemerken sie
den Vorsprung, den unserem Einfluß der Sonderfriede mit Nußland gibt. Ob


Die „östliche Neuorientierung"

Während also in der Grenzvölkerfrage absolute Festigkeit und Jntrcmsigenz
die einzig erfolgverheißende Lösung ist, an der auch die östliche Neuorientierung
nichts zu drehen und zu deuteln hat, ist in unserer Stellungnahme zum gegen¬
wärtigen bolschewistischen Regime eine durchaus relativistische und opportunistische
Politik des Abwartens geboten, die sich möglichst wenig festlegt, sondern sich für
alle Möglichkeiten der russischen Krisis freie Hand wahrt. Ähnliches gilt auch ftU
die Wiedervereinigung der Ukraine mit Großrußland. solange der Prozeß der
bolschewistischen Zersetzung und der Bürgerkrieg in Rußland fortdauert, haben wir
schon aus wirtschaftlichen Gründen.alles Interesse daran, die Ukraine vor diesem
Schicksal zu bewahren und sie möglichst schnell.der politischen und wirtschaftlichen
Konsolidierung zuzuführen. Einem etwaigen Übergreifen dieses Konsolidierungs-
prozesses aus der Ukraine auf Großrußland, oder einer späteren Wiederannäherung
an ein staatlich lebensfähiges Großrußland dürfen wir uns aber nur so weit ent¬
gegenstellen, als eine namhafte separatistische Partei in der Ukraine selber uns
den nötigen Rückhalt gewährt. Gegen den Willen der beiden Völker ihre Wieder¬
vereinigung hintanzuhalten, ist ein politisch aussichtsloses Unternehmen und ein
überaus bedenkliches Engagement mit inneren Angelegenheiten eines fremden
Staates. Nicht ausgeschlossen erscheint sogar, daß eine solche Wiederannäherung,
falls sie sich mit einer gewissen politischen Naturnotwendigkeit durchsetzen sollte,
für uns, eine bedeutsame Brücke zum Einfluß auf das neue Großrußland werben
kann, falls es uns bis dahin gelungen ist, in der Ukraine genügend festen Fuß
zu fassen. Denn dank unseren Unterstützungen ist die Ukraine in der Lage, sich
relativ schnell vom Kriege zu erholen und den Bürgerkrieg in sich zu überwinden,
so daß es vor dem völlig erschöpften Großrußland einen namhaften Vorsprung im
Prozesse politischer Genesung haben muß, den wir bei einigem politischen Geschick
sehr wohl zu unseren Gunsten nutzen können.

All dies betrifft Einzelfragen der Neuregelung unseres Verhältnisses zum
östlichen lstaatenkomplex, der auf dem Boden des einstigen Rußland politische
Gestalt gewinnt. Die ganze Frage hat aber einen tieferen politischen Sinn und
weist auf weitere weltgeschichtliche Perspektiven. Wenn uns nicht ane politische
Einsicht täuscht, so erleben wir heute das Ausscheiden der romanischen Völker aus
dem Konzert der primär entscheidenden Weltmächte. Frankreich jedenfalls hat sich
in eine Abhängigkeit von England begeben, von der es sich selbst bei einem Siege
der Entente nicht befreien könnte. Wir haben keine Aussicht, uns mit diesem
einstmals weltgebietenden Reich enger zu verbünden, wir haben aber auch keinen
Anlaß, eine solche Liaison mit einem niedergehenden, alternden, überreifen
Kulturreich zu wünschen. Wir schleppen schon allzu viel Vergangenheit
im mitteleuropäischen Bündniskomplex mit. Wir brauchen Verbündung mit
zukünftigen aufstrebenden Mächten, wir brauchen ein Engagement in lockeren,
bildsamen, fließenden, nicht in festen, starren, stagnierenden Verhältnissen. Das
Angelsachsentum wird unser Feind bleiben, weil es gleich uns noch Zukunft hat
und weil es uns rassenmnßig zu nahe verwandt ist. Bruderzwist ist am unver-
söhnlichst>ni. Wir können uns nach Westen verstä'.idigen, wenn wir die Kraft
unserer Selbstbehauptung der Welt durch unsere Unbesieglichkeit erwiesen haben,
aber wir werden stets auf der Hut sein müssen, nicht , durch Verständigung zum
Vasallen zu werden. Im Westen müssen wir uns gegebenen Verhältnissen fügen,
un Osten können wir junge Kräfte entbinden und an der Wiege einer ungeahnten
Entwicklung Pate stehen. Das Erziehertum steckt uns tief 'im Blute, das un¬
organische Massenkonglomerat Rußland bedeutete eine primitive Notform der
staatlichen Durchorganisierung der Nationen Osteuropas. Diese Notform ist zer-
brochen, nur die bare Reaktion kann ihre Wiederherstellung verlangen. Die Neu¬
gestaltung des slawischen Osten, die mit der Loslösung der Balkanstaaten von der
Türkei vor etlichen Jahrzehnten begonnen hat. ist die große politische Aufgabe
des nächsten Jahrhunderts. Schon sind Amerika, Japan und England auf dies
große geschichtliche Problem aufmerksam geworden. Mit Knirschen bemerken sie
den Vorsprung, den unserem Einfluß der Sonderfriede mit Nußland gibt. Ob


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[0227] Die „östliche Neuorientierung" Während also in der Grenzvölkerfrage absolute Festigkeit und Jntrcmsigenz die einzig erfolgverheißende Lösung ist, an der auch die östliche Neuorientierung nichts zu drehen und zu deuteln hat, ist in unserer Stellungnahme zum gegen¬ wärtigen bolschewistischen Regime eine durchaus relativistische und opportunistische Politik des Abwartens geboten, die sich möglichst wenig festlegt, sondern sich für alle Möglichkeiten der russischen Krisis freie Hand wahrt. Ähnliches gilt auch ftU die Wiedervereinigung der Ukraine mit Großrußland. solange der Prozeß der bolschewistischen Zersetzung und der Bürgerkrieg in Rußland fortdauert, haben wir schon aus wirtschaftlichen Gründen.alles Interesse daran, die Ukraine vor diesem Schicksal zu bewahren und sie möglichst schnell.der politischen und wirtschaftlichen Konsolidierung zuzuführen. Einem etwaigen Übergreifen dieses Konsolidierungs- prozesses aus der Ukraine auf Großrußland, oder einer späteren Wiederannäherung an ein staatlich lebensfähiges Großrußland dürfen wir uns aber nur so weit ent¬ gegenstellen, als eine namhafte separatistische Partei in der Ukraine selber uns den nötigen Rückhalt gewährt. Gegen den Willen der beiden Völker ihre Wieder¬ vereinigung hintanzuhalten, ist ein politisch aussichtsloses Unternehmen und ein überaus bedenkliches Engagement mit inneren Angelegenheiten eines fremden Staates. Nicht ausgeschlossen erscheint sogar, daß eine solche Wiederannäherung, falls sie sich mit einer gewissen politischen Naturnotwendigkeit durchsetzen sollte, für uns, eine bedeutsame Brücke zum Einfluß auf das neue Großrußland werben kann, falls es uns bis dahin gelungen ist, in der Ukraine genügend festen Fuß zu fassen. Denn dank unseren Unterstützungen ist die Ukraine in der Lage, sich relativ schnell vom Kriege zu erholen und den Bürgerkrieg in sich zu überwinden, so daß es vor dem völlig erschöpften Großrußland einen namhaften Vorsprung im Prozesse politischer Genesung haben muß, den wir bei einigem politischen Geschick sehr wohl zu unseren Gunsten nutzen können. All dies betrifft Einzelfragen der Neuregelung unseres Verhältnisses zum östlichen lstaatenkomplex, der auf dem Boden des einstigen Rußland politische Gestalt gewinnt. Die ganze Frage hat aber einen tieferen politischen Sinn und weist auf weitere weltgeschichtliche Perspektiven. Wenn uns nicht ane politische Einsicht täuscht, so erleben wir heute das Ausscheiden der romanischen Völker aus dem Konzert der primär entscheidenden Weltmächte. Frankreich jedenfalls hat sich in eine Abhängigkeit von England begeben, von der es sich selbst bei einem Siege der Entente nicht befreien könnte. Wir haben keine Aussicht, uns mit diesem einstmals weltgebietenden Reich enger zu verbünden, wir haben aber auch keinen Anlaß, eine solche Liaison mit einem niedergehenden, alternden, überreifen Kulturreich zu wünschen. Wir schleppen schon allzu viel Vergangenheit im mitteleuropäischen Bündniskomplex mit. Wir brauchen Verbündung mit zukünftigen aufstrebenden Mächten, wir brauchen ein Engagement in lockeren, bildsamen, fließenden, nicht in festen, starren, stagnierenden Verhältnissen. Das Angelsachsentum wird unser Feind bleiben, weil es gleich uns noch Zukunft hat und weil es uns rassenmnßig zu nahe verwandt ist. Bruderzwist ist am unver- söhnlichst>ni. Wir können uns nach Westen verstä'.idigen, wenn wir die Kraft unserer Selbstbehauptung der Welt durch unsere Unbesieglichkeit erwiesen haben, aber wir werden stets auf der Hut sein müssen, nicht , durch Verständigung zum Vasallen zu werden. Im Westen müssen wir uns gegebenen Verhältnissen fügen, un Osten können wir junge Kräfte entbinden und an der Wiege einer ungeahnten Entwicklung Pate stehen. Das Erziehertum steckt uns tief 'im Blute, das un¬ organische Massenkonglomerat Rußland bedeutete eine primitive Notform der staatlichen Durchorganisierung der Nationen Osteuropas. Diese Notform ist zer- brochen, nur die bare Reaktion kann ihre Wiederherstellung verlangen. Die Neu¬ gestaltung des slawischen Osten, die mit der Loslösung der Balkanstaaten von der Türkei vor etlichen Jahrzehnten begonnen hat. ist die große politische Aufgabe des nächsten Jahrhunderts. Schon sind Amerika, Japan und England auf dies große geschichtliche Problem aufmerksam geworden. Mit Knirschen bemerken sie den Vorsprung, den unserem Einfluß der Sonderfriede mit Nußland gibt. Ob

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/227>, abgerufen am 22.07.2024.