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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Die "östliche Neuorientierung"
Hadubert von

le vormhmlichste Aufgabe, die unserer Politik aus dem Charakter
dieses Krieges erwuchs, lag in der Sprengung der Koalition, die
sich zum Kampf gegen uns vereinigt hat. Die klaffenden Interessen¬
gegensätze, die der gemeinsame Kriegswille im Ententelager nur
mühsam unterdrücken konnte, boten für eine Lösung dieses Problems
Ansatzpunkte genug. Mit welchen: Maße an politischer Geschicklich-
keit die leitenden Stellen diese Aufgabe angegriffen, ja wie weit sie sie überhaupt
für aussichtsreich und lösbar gehalten haben, wird erst der Geschichtsschreiber
späterer Generationen feststellen können. Die öffentliche Meinung bei uns hat
ohne Zweifel -die Festigkeit des feindlichen Bündnisses unterschätzt. Zu Anfang
des .Krieges wurden vereinzelte Stimmen laut, die eine Lostrenmmg Frankreichs
für möglich hielten. Sie sind schnell genug verstummt und heute ist man sich
wohl im allgemeinen darüber einig, daß der Bund der westlichen Demokratien
unter angelsächsischer Hegemonie so fest ist, daß er aller Wahrscheinlichkeit nach
den Krieg überdauern wird und demnach auch für die weitere Folgezeit als ein
fester Faktor unserer politischen Berechnungen gelten muß. Der Zusammenhang
innerer und äußerer Politik erwies sich auch an diesen: Beispiel als wirksam. Die
Ähnlichkeit innerer Einrichtungen und die Gemeinsamkeit tragender innerpolitischer
Grundideen begünstigte bei den westlichen Ententemächten die Verfestigung einer
Solidarität trotz allen wirtschaftlichen und außenpolitischen Interessengegensätzen,
die von unseren Po stilistischen Politikern in ihrer Tragweite gewaltig über¬
schätzt worden sind.

Unnatürlich erschien aus dem gleichen Grunde von vornherein das Bündnis
des autokratischen Rußland mit diesen westlichen Demokratien. Und so war es
nicht lediglich eine an Deutschlands Mittellage orientierte Geographie, die uns
West und Ost als getrennte feindliche Lager empfinden ließ, deren Gegensatz ein
wichtiges Moment unserer politischen Berechnungen für den Friedensschluß und
darüber hinaus bedeutet. Und sobald unsere politische Öffentlichkeit die Probleme
dieses Krieges unter weltpolitischen, weit über die Gegenwart hinausgreifenden
Perspektiven zu erfassen und zu durchdringen begann, schieden sich deutlich die
Meinungen über das Schwergewicht der einzelnen uns heute feindlichen Mächte,
über Notwendigkeit und vor allem über Dauer dieser Feindschaften.

Es wird eine lohnende Aufgabe für einen späteren Historiker dieses Krieges
sein, die mannigfachen Motivationsreihen hemnszusezieren und säuberlich zu sondern,
die für diese Parteiung der Kriegs- und Friedensziele richtunggebend waren.
Jnnerpolitische Solidaritäten und Gegensätze haben diesen jeweiligen Verstän-


Grenzlwten III 1918 17


Die „östliche Neuorientierung"
Hadubert von

le vormhmlichste Aufgabe, die unserer Politik aus dem Charakter
dieses Krieges erwuchs, lag in der Sprengung der Koalition, die
sich zum Kampf gegen uns vereinigt hat. Die klaffenden Interessen¬
gegensätze, die der gemeinsame Kriegswille im Ententelager nur
mühsam unterdrücken konnte, boten für eine Lösung dieses Problems
Ansatzpunkte genug. Mit welchen: Maße an politischer Geschicklich-
keit die leitenden Stellen diese Aufgabe angegriffen, ja wie weit sie sie überhaupt
für aussichtsreich und lösbar gehalten haben, wird erst der Geschichtsschreiber
späterer Generationen feststellen können. Die öffentliche Meinung bei uns hat
ohne Zweifel -die Festigkeit des feindlichen Bündnisses unterschätzt. Zu Anfang
des .Krieges wurden vereinzelte Stimmen laut, die eine Lostrenmmg Frankreichs
für möglich hielten. Sie sind schnell genug verstummt und heute ist man sich
wohl im allgemeinen darüber einig, daß der Bund der westlichen Demokratien
unter angelsächsischer Hegemonie so fest ist, daß er aller Wahrscheinlichkeit nach
den Krieg überdauern wird und demnach auch für die weitere Folgezeit als ein
fester Faktor unserer politischen Berechnungen gelten muß. Der Zusammenhang
innerer und äußerer Politik erwies sich auch an diesen: Beispiel als wirksam. Die
Ähnlichkeit innerer Einrichtungen und die Gemeinsamkeit tragender innerpolitischer
Grundideen begünstigte bei den westlichen Ententemächten die Verfestigung einer
Solidarität trotz allen wirtschaftlichen und außenpolitischen Interessengegensätzen,
die von unseren Po stilistischen Politikern in ihrer Tragweite gewaltig über¬
schätzt worden sind.

Unnatürlich erschien aus dem gleichen Grunde von vornherein das Bündnis
des autokratischen Rußland mit diesen westlichen Demokratien. Und so war es
nicht lediglich eine an Deutschlands Mittellage orientierte Geographie, die uns
West und Ost als getrennte feindliche Lager empfinden ließ, deren Gegensatz ein
wichtiges Moment unserer politischen Berechnungen für den Friedensschluß und
darüber hinaus bedeutet. Und sobald unsere politische Öffentlichkeit die Probleme
dieses Krieges unter weltpolitischen, weit über die Gegenwart hinausgreifenden
Perspektiven zu erfassen und zu durchdringen begann, schieden sich deutlich die
Meinungen über das Schwergewicht der einzelnen uns heute feindlichen Mächte,
über Notwendigkeit und vor allem über Dauer dieser Feindschaften.

Es wird eine lohnende Aufgabe für einen späteren Historiker dieses Krieges
sein, die mannigfachen Motivationsreihen hemnszusezieren und säuberlich zu sondern,
die für diese Parteiung der Kriegs- und Friedensziele richtunggebend waren.
Jnnerpolitische Solidaritäten und Gegensätze haben diesen jeweiligen Verstän-


Grenzlwten III 1918 17
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/221>, abgerufen am 22.07.2024.