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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

verhandelt wurde: Verteilung des Landes an die angrenzenden Bundesstaaten
"der völlige Einverleibung in Preußen.

Das nationale Interesse, das sei betont, würde auch bei der Trennung des
bisher nur lose zusammengefügten "Reichslandes" durchaus gewahrt werden.
Elsnsser und Lothringer, ja selbst Sundgau, Unterelsaß und "krummes Elsaß",
das Gebiet von Saarbuckenheim und Diemeringen, waren in geschichtlicher Ent¬
wicklung nie ein Ganzes und konnten auch in den letzten Jahrzenten nicht zu
innerer und äußerer Einheit zusammengeschweißt werden. Sollten die beteiligten
Bundesstaaten daher zur Übernahme der gewaltigen Rechte und Pflichten, die
ihnen eine solche Vereinbarung auferlegt, bereit sein, so wäre auch diese Regelung
zu begrüßen. Gilt doch der Satz, daß das Bessere oft genug ein Feind des Guten
ist, gerade in politischen Dingen. Bayern, so führte ich kürzlich in den "Grenz¬
boten" (im 12. Heft vom 22. März 1918) aus, könnte das Elsaß, Preußen
Lothringen erhalten. Baden und Württemberg wären bei dieser "deutschen Flur¬
bereinigung" mit dem preußischen Außengebiete der Hohenzollernschen Lande zu
entschädigen, falls nicht bereits die Ostsmgm über Litauen und Kurland in diesen
dynastischen Gebietsaustausch hineinspielen.

Die staatsrechtlichen Hindernisse, die vor allem Laband gegen eine solche
Lösung ins Feld geführt hat, daß die Neservatrechte Bayerns unmöglich auch auf
dies neue Reichsgebiet ausgedehnt werden könnten, treten gegenüber deu schwer¬
wiegenden Gründen militärischer und politischer Sicherheit der Gesamtheit zurück.
Die elsässischen Eisenbahnen insbesondere wären in Verbindung mit den Pfalz¬
bahnen nach wie vor um ihrer strategischen Wichtigkeit willen vom Reiche zu ver¬
walten. Das Besatzungsrecht übt Bayern in gleicher Weise wie bisher Preußen
aus, indem es einzelne Kontingente anderer Bundesstaaten auf dein Glacis der
deutschen Festung zuläßt. Weit schwieriger ist die Frage, ob der bayerische Staat
neben München, Erlangen und Würzburg auch die Straßburger Reichsuniversität
übernehmen kann, die nach Ruf und Haltung in ihrem Vorkampf für deutsche
Geisteskultur nicht zur Hochschule vierten Ranges herabsinken darf. Ebenso steht
zu fürchten, daß die Kräfte des zweitgrößten Bundesstaates nicht ausreichen werden,
das verarmte Elsaß wirtschaftlich zu kräftigen und neuer Blüte zuzuführen. Und
drohend erhebt sich aufs neue der Gedanke, dem Heinrich von Treitschke schon in
den Jahren der Reichsgründung überzeugend Ausdruck gab, daß Bayern als Gro߬
macht des deutschen Südens seine Kräfte zu wirtschaftlicher und politischer Er¬
drosselung "der übrigen Südstaaten benutzen werde, um so den Mangel an eigen-
wüchsigcr Überlegenheit zu ersetzen. Vor allem Württemberg rüstet sich daher nicht
mit Unrecht, jedem Gedanken an eine Aufteilung des Reichslandes mit allen ver¬
fassungsmäßigen Mitteln entgegenzutreten. Die weit unglücklichere Idee, neben
Bayern auch das schwache Baden im Elsaß (mit dem Sundgau) zu "entschädigen",
die zur Zeit in politischen Kreisen Süddeutschlands viel besprochen wird, wird
hoffentlich unter diesen Umständen noch weniger Entgegenkommen finden. Ein
neues "Königreich Alemannien" an beiden Ufern des Oberrheins als Wächter des
Völkertores von Belfort und der wundervollen französischen Offensivstellung auf
der Sperrfortkette von Epinal ist heute ebensowenig denkbar wie vor einem halben
Jahrhundert I

Um so übermächtiger drängt gerade auch in diesen Erwägungen aufs neue
der Vorschlag ans Licht, das ganze Reichsland, Elsaß und Lothringen, dem
deutschen Führerstaat, dem starken Preußen zuzuführen. Nur in dieser Lösung
sieht ein großer Teil sachkundiger, nationaldenkender Männer im Lande selbst, wie
Laband hervorhebt, "die einfachste, gründlichste und beste Beseitigung aller recht¬
lichen Besonderheiten und politischen Schwierigkeiten, die sich aus dem Begriff
des Reichslandes ergeben". Mit Unwillen vernimmt eine einflußreiche Schar ein¬
heimischer Führer der Fortschrittspartei in Lothringen, der einzigen liberalen Gruppe,
die unter dem bisherigen Regiment Einfluß zu gewinnen vermochte, die verständnis-
losenDeklamationen derHaußmann und Schulze-Gaevernitz vom "Selbstbestimmungs¬
recht" eines elsaß-lothringischenVolkes, das nie und nirgends existiert hat. Offen haben


Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

verhandelt wurde: Verteilung des Landes an die angrenzenden Bundesstaaten
«der völlige Einverleibung in Preußen.

Das nationale Interesse, das sei betont, würde auch bei der Trennung des
bisher nur lose zusammengefügten „Reichslandes" durchaus gewahrt werden.
Elsnsser und Lothringer, ja selbst Sundgau, Unterelsaß und „krummes Elsaß",
das Gebiet von Saarbuckenheim und Diemeringen, waren in geschichtlicher Ent¬
wicklung nie ein Ganzes und konnten auch in den letzten Jahrzenten nicht zu
innerer und äußerer Einheit zusammengeschweißt werden. Sollten die beteiligten
Bundesstaaten daher zur Übernahme der gewaltigen Rechte und Pflichten, die
ihnen eine solche Vereinbarung auferlegt, bereit sein, so wäre auch diese Regelung
zu begrüßen. Gilt doch der Satz, daß das Bessere oft genug ein Feind des Guten
ist, gerade in politischen Dingen. Bayern, so führte ich kürzlich in den „Grenz¬
boten" (im 12. Heft vom 22. März 1918) aus, könnte das Elsaß, Preußen
Lothringen erhalten. Baden und Württemberg wären bei dieser „deutschen Flur¬
bereinigung" mit dem preußischen Außengebiete der Hohenzollernschen Lande zu
entschädigen, falls nicht bereits die Ostsmgm über Litauen und Kurland in diesen
dynastischen Gebietsaustausch hineinspielen.

Die staatsrechtlichen Hindernisse, die vor allem Laband gegen eine solche
Lösung ins Feld geführt hat, daß die Neservatrechte Bayerns unmöglich auch auf
dies neue Reichsgebiet ausgedehnt werden könnten, treten gegenüber deu schwer¬
wiegenden Gründen militärischer und politischer Sicherheit der Gesamtheit zurück.
Die elsässischen Eisenbahnen insbesondere wären in Verbindung mit den Pfalz¬
bahnen nach wie vor um ihrer strategischen Wichtigkeit willen vom Reiche zu ver¬
walten. Das Besatzungsrecht übt Bayern in gleicher Weise wie bisher Preußen
aus, indem es einzelne Kontingente anderer Bundesstaaten auf dein Glacis der
deutschen Festung zuläßt. Weit schwieriger ist die Frage, ob der bayerische Staat
neben München, Erlangen und Würzburg auch die Straßburger Reichsuniversität
übernehmen kann, die nach Ruf und Haltung in ihrem Vorkampf für deutsche
Geisteskultur nicht zur Hochschule vierten Ranges herabsinken darf. Ebenso steht
zu fürchten, daß die Kräfte des zweitgrößten Bundesstaates nicht ausreichen werden,
das verarmte Elsaß wirtschaftlich zu kräftigen und neuer Blüte zuzuführen. Und
drohend erhebt sich aufs neue der Gedanke, dem Heinrich von Treitschke schon in
den Jahren der Reichsgründung überzeugend Ausdruck gab, daß Bayern als Gro߬
macht des deutschen Südens seine Kräfte zu wirtschaftlicher und politischer Er¬
drosselung „der übrigen Südstaaten benutzen werde, um so den Mangel an eigen-
wüchsigcr Überlegenheit zu ersetzen. Vor allem Württemberg rüstet sich daher nicht
mit Unrecht, jedem Gedanken an eine Aufteilung des Reichslandes mit allen ver¬
fassungsmäßigen Mitteln entgegenzutreten. Die weit unglücklichere Idee, neben
Bayern auch das schwache Baden im Elsaß (mit dem Sundgau) zu „entschädigen",
die zur Zeit in politischen Kreisen Süddeutschlands viel besprochen wird, wird
hoffentlich unter diesen Umständen noch weniger Entgegenkommen finden. Ein
neues „Königreich Alemannien" an beiden Ufern des Oberrheins als Wächter des
Völkertores von Belfort und der wundervollen französischen Offensivstellung auf
der Sperrfortkette von Epinal ist heute ebensowenig denkbar wie vor einem halben
Jahrhundert I

Um so übermächtiger drängt gerade auch in diesen Erwägungen aufs neue
der Vorschlag ans Licht, das ganze Reichsland, Elsaß und Lothringen, dem
deutschen Führerstaat, dem starken Preußen zuzuführen. Nur in dieser Lösung
sieht ein großer Teil sachkundiger, nationaldenkender Männer im Lande selbst, wie
Laband hervorhebt, „die einfachste, gründlichste und beste Beseitigung aller recht¬
lichen Besonderheiten und politischen Schwierigkeiten, die sich aus dem Begriff
des Reichslandes ergeben". Mit Unwillen vernimmt eine einflußreiche Schar ein¬
heimischer Führer der Fortschrittspartei in Lothringen, der einzigen liberalen Gruppe,
die unter dem bisherigen Regiment Einfluß zu gewinnen vermochte, die verständnis-
losenDeklamationen derHaußmann und Schulze-Gaevernitz vom „Selbstbestimmungs¬
recht" eines elsaß-lothringischenVolkes, das nie und nirgends existiert hat. Offen haben


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[0125] Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage verhandelt wurde: Verteilung des Landes an die angrenzenden Bundesstaaten «der völlige Einverleibung in Preußen. Das nationale Interesse, das sei betont, würde auch bei der Trennung des bisher nur lose zusammengefügten „Reichslandes" durchaus gewahrt werden. Elsnsser und Lothringer, ja selbst Sundgau, Unterelsaß und „krummes Elsaß", das Gebiet von Saarbuckenheim und Diemeringen, waren in geschichtlicher Ent¬ wicklung nie ein Ganzes und konnten auch in den letzten Jahrzenten nicht zu innerer und äußerer Einheit zusammengeschweißt werden. Sollten die beteiligten Bundesstaaten daher zur Übernahme der gewaltigen Rechte und Pflichten, die ihnen eine solche Vereinbarung auferlegt, bereit sein, so wäre auch diese Regelung zu begrüßen. Gilt doch der Satz, daß das Bessere oft genug ein Feind des Guten ist, gerade in politischen Dingen. Bayern, so führte ich kürzlich in den „Grenz¬ boten" (im 12. Heft vom 22. März 1918) aus, könnte das Elsaß, Preußen Lothringen erhalten. Baden und Württemberg wären bei dieser „deutschen Flur¬ bereinigung" mit dem preußischen Außengebiete der Hohenzollernschen Lande zu entschädigen, falls nicht bereits die Ostsmgm über Litauen und Kurland in diesen dynastischen Gebietsaustausch hineinspielen. Die staatsrechtlichen Hindernisse, die vor allem Laband gegen eine solche Lösung ins Feld geführt hat, daß die Neservatrechte Bayerns unmöglich auch auf dies neue Reichsgebiet ausgedehnt werden könnten, treten gegenüber deu schwer¬ wiegenden Gründen militärischer und politischer Sicherheit der Gesamtheit zurück. Die elsässischen Eisenbahnen insbesondere wären in Verbindung mit den Pfalz¬ bahnen nach wie vor um ihrer strategischen Wichtigkeit willen vom Reiche zu ver¬ walten. Das Besatzungsrecht übt Bayern in gleicher Weise wie bisher Preußen aus, indem es einzelne Kontingente anderer Bundesstaaten auf dein Glacis der deutschen Festung zuläßt. Weit schwieriger ist die Frage, ob der bayerische Staat neben München, Erlangen und Würzburg auch die Straßburger Reichsuniversität übernehmen kann, die nach Ruf und Haltung in ihrem Vorkampf für deutsche Geisteskultur nicht zur Hochschule vierten Ranges herabsinken darf. Ebenso steht zu fürchten, daß die Kräfte des zweitgrößten Bundesstaates nicht ausreichen werden, das verarmte Elsaß wirtschaftlich zu kräftigen und neuer Blüte zuzuführen. Und drohend erhebt sich aufs neue der Gedanke, dem Heinrich von Treitschke schon in den Jahren der Reichsgründung überzeugend Ausdruck gab, daß Bayern als Gro߬ macht des deutschen Südens seine Kräfte zu wirtschaftlicher und politischer Er¬ drosselung „der übrigen Südstaaten benutzen werde, um so den Mangel an eigen- wüchsigcr Überlegenheit zu ersetzen. Vor allem Württemberg rüstet sich daher nicht mit Unrecht, jedem Gedanken an eine Aufteilung des Reichslandes mit allen ver¬ fassungsmäßigen Mitteln entgegenzutreten. Die weit unglücklichere Idee, neben Bayern auch das schwache Baden im Elsaß (mit dem Sundgau) zu „entschädigen", die zur Zeit in politischen Kreisen Süddeutschlands viel besprochen wird, wird hoffentlich unter diesen Umständen noch weniger Entgegenkommen finden. Ein neues „Königreich Alemannien" an beiden Ufern des Oberrheins als Wächter des Völkertores von Belfort und der wundervollen französischen Offensivstellung auf der Sperrfortkette von Epinal ist heute ebensowenig denkbar wie vor einem halben Jahrhundert I Um so übermächtiger drängt gerade auch in diesen Erwägungen aufs neue der Vorschlag ans Licht, das ganze Reichsland, Elsaß und Lothringen, dem deutschen Führerstaat, dem starken Preußen zuzuführen. Nur in dieser Lösung sieht ein großer Teil sachkundiger, nationaldenkender Männer im Lande selbst, wie Laband hervorhebt, „die einfachste, gründlichste und beste Beseitigung aller recht¬ lichen Besonderheiten und politischen Schwierigkeiten, die sich aus dem Begriff des Reichslandes ergeben". Mit Unwillen vernimmt eine einflußreiche Schar ein¬ heimischer Führer der Fortschrittspartei in Lothringen, der einzigen liberalen Gruppe, die unter dem bisherigen Regiment Einfluß zu gewinnen vermochte, die verständnis- losenDeklamationen derHaußmann und Schulze-Gaevernitz vom „Selbstbestimmungs¬ recht" eines elsaß-lothringischenVolkes, das nie und nirgends existiert hat. Offen haben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/125>, abgerufen am 22.07.2024.