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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Die südslawische Frage in (Oesterreich-Ungarn

Ordnung von der deutschen Truppenmacht aufrecht erhalten wird und weil diese
Truppenmacht es verhindert, daß der Volksliebling Pilsudski sein Unwesen im
Lande treiben konnte.

Die weitere Entwicklung der Polenfrage ist von uns nur dann auf eine
Bahn zu lenken, die uns Deutschland als Nationalstaat sichert, wenn:

1. im Osten eine Grenze geschaffen wird, die es jeder Koalition aussichtslos
machte, Deutschland erfolgreich im Osten anzugreifen.

2. zur Sicherung und Ausgestaltung des deutsch-russischen Handelsverkehrs
eine Landbrücke zwischen Deutschland und Moskau hergestellt wird -- nördlich der
Weichsel und der Bug -- die den Bau eines direkten kürzesten Schienenweges von
Posen über Bjalystok nach Baronowitschi ermöglichte, ohne andern als deutschen
und russischen Boden zu berühren;

3. die Ostmark ein Wahlrecht und eine Provinzialverfassung erhält, die
Deutsche und Polen zwänge, wirtschaftlich unter deutscher Führung zusammenzu¬
stehen; dabei wird gedacht an ein berufsständisches System, ähnlich dem, wie es
Graf Stolberg empfohlen hat;

4. die Polen in Alt-Preußen und Neu-Preußen unter der Voraussetzung
der Erfüllung von Punkt 3 von allen Ausnahmebestimmungen befreit^ würden und

5. die Polen im Weichselgebiet sich einen völlig selbständigen Staat ein¬
richten könnten, bei möglichst sofortiger Herausnahme der deutschen und österreichisch¬
ungarischen Besatzungstruppen. (Die deutsche Bevölkerung Neupolens wäre gegen
polnische von Neu-Ostpreußen einzutauschen.)

Den Frieden mit der Gesamtheit der Polen brächte eine solche Politik zu¬
nächst nicht, wohl aber mit dem für uns wesentlichen Teil von ihnen. Aus Neu¬
polen würden zahlreiche, besonders gebildete Polen nach Rußland und der Ukraine
abwandern und dort, durch reichliche Gewinnmöglichkeiten im Bann gehalten, der
Politik den Rücken kehren. In Neupvlen selbst würde sehr bald ein konservativer
Bauernstand die Grundlagen für ein neues polnisches Volk Hilden, sich selbst ge¬
nügsam und fleißig und keine ständige Gefahr für den Frieden seiner Nachbarn.
Dies Ziel ist erstrebenswert und erreichbar. Ich mache mir zum Schluß einen
Gedankengang des Grafen Aorck von Wartenburg zu eigen: Nicht durch
Verzicht ist der Staat des Großen Friedrich und Bismarcks groß geworden,
sondern durch Macht und Waffen. Einmal hat Preußen eine Verzicht- und Ver¬
ständigungspolitik getrieben. Das war die Politik Friedrich Wilhelms des Dritten,
die in kurzer Zeit uach Jena führte. Wir dürfen und wollen nicht Preußen auf
den Weg zum Nationalitätenstaat bringen.




Die südslawische Frage in Österreich-Ungarn
Professor I)r. Robert Sieger von

ezeichnen wir als Südslawen die Slowenen, Kroaten, Se.rb.en,
Bulgaren und die slawischen Mazedonier, so spaltet sich Ac süd¬
slawische Frage in'zwei Probleme. Das eine ist die Abgrenzung
zwischen Serben und Bulgaren und die Zugehörigkeit der Maze¬
donier. Ethnographisch und sprachlich haben wir es mit einer Kette
von allmählichen Übergängen zu tun; aber die Geschichte und die
Staatenbildungen haben ein serbisches und ein bulgarisches Nationalgefühl er-


Die südslawische Frage in (Oesterreich-Ungarn

Ordnung von der deutschen Truppenmacht aufrecht erhalten wird und weil diese
Truppenmacht es verhindert, daß der Volksliebling Pilsudski sein Unwesen im
Lande treiben konnte.

Die weitere Entwicklung der Polenfrage ist von uns nur dann auf eine
Bahn zu lenken, die uns Deutschland als Nationalstaat sichert, wenn:

1. im Osten eine Grenze geschaffen wird, die es jeder Koalition aussichtslos
machte, Deutschland erfolgreich im Osten anzugreifen.

2. zur Sicherung und Ausgestaltung des deutsch-russischen Handelsverkehrs
eine Landbrücke zwischen Deutschland und Moskau hergestellt wird — nördlich der
Weichsel und der Bug — die den Bau eines direkten kürzesten Schienenweges von
Posen über Bjalystok nach Baronowitschi ermöglichte, ohne andern als deutschen
und russischen Boden zu berühren;

3. die Ostmark ein Wahlrecht und eine Provinzialverfassung erhält, die
Deutsche und Polen zwänge, wirtschaftlich unter deutscher Führung zusammenzu¬
stehen; dabei wird gedacht an ein berufsständisches System, ähnlich dem, wie es
Graf Stolberg empfohlen hat;

4. die Polen in Alt-Preußen und Neu-Preußen unter der Voraussetzung
der Erfüllung von Punkt 3 von allen Ausnahmebestimmungen befreit^ würden und

5. die Polen im Weichselgebiet sich einen völlig selbständigen Staat ein¬
richten könnten, bei möglichst sofortiger Herausnahme der deutschen und österreichisch¬
ungarischen Besatzungstruppen. (Die deutsche Bevölkerung Neupolens wäre gegen
polnische von Neu-Ostpreußen einzutauschen.)

Den Frieden mit der Gesamtheit der Polen brächte eine solche Politik zu¬
nächst nicht, wohl aber mit dem für uns wesentlichen Teil von ihnen. Aus Neu¬
polen würden zahlreiche, besonders gebildete Polen nach Rußland und der Ukraine
abwandern und dort, durch reichliche Gewinnmöglichkeiten im Bann gehalten, der
Politik den Rücken kehren. In Neupvlen selbst würde sehr bald ein konservativer
Bauernstand die Grundlagen für ein neues polnisches Volk Hilden, sich selbst ge¬
nügsam und fleißig und keine ständige Gefahr für den Frieden seiner Nachbarn.
Dies Ziel ist erstrebenswert und erreichbar. Ich mache mir zum Schluß einen
Gedankengang des Grafen Aorck von Wartenburg zu eigen: Nicht durch
Verzicht ist der Staat des Großen Friedrich und Bismarcks groß geworden,
sondern durch Macht und Waffen. Einmal hat Preußen eine Verzicht- und Ver¬
ständigungspolitik getrieben. Das war die Politik Friedrich Wilhelms des Dritten,
die in kurzer Zeit uach Jena führte. Wir dürfen und wollen nicht Preußen auf
den Weg zum Nationalitätenstaat bringen.




Die südslawische Frage in Österreich-Ungarn
Professor I)r. Robert Sieger von

ezeichnen wir als Südslawen die Slowenen, Kroaten, Se.rb.en,
Bulgaren und die slawischen Mazedonier, so spaltet sich Ac süd¬
slawische Frage in'zwei Probleme. Das eine ist die Abgrenzung
zwischen Serben und Bulgaren und die Zugehörigkeit der Maze¬
donier. Ethnographisch und sprachlich haben wir es mit einer Kette
von allmählichen Übergängen zu tun; aber die Geschichte und die
Staatenbildungen haben ein serbisches und ein bulgarisches Nationalgefühl er-


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[0074] Die südslawische Frage in (Oesterreich-Ungarn Ordnung von der deutschen Truppenmacht aufrecht erhalten wird und weil diese Truppenmacht es verhindert, daß der Volksliebling Pilsudski sein Unwesen im Lande treiben konnte. Die weitere Entwicklung der Polenfrage ist von uns nur dann auf eine Bahn zu lenken, die uns Deutschland als Nationalstaat sichert, wenn: 1. im Osten eine Grenze geschaffen wird, die es jeder Koalition aussichtslos machte, Deutschland erfolgreich im Osten anzugreifen. 2. zur Sicherung und Ausgestaltung des deutsch-russischen Handelsverkehrs eine Landbrücke zwischen Deutschland und Moskau hergestellt wird — nördlich der Weichsel und der Bug — die den Bau eines direkten kürzesten Schienenweges von Posen über Bjalystok nach Baronowitschi ermöglichte, ohne andern als deutschen und russischen Boden zu berühren; 3. die Ostmark ein Wahlrecht und eine Provinzialverfassung erhält, die Deutsche und Polen zwänge, wirtschaftlich unter deutscher Führung zusammenzu¬ stehen; dabei wird gedacht an ein berufsständisches System, ähnlich dem, wie es Graf Stolberg empfohlen hat; 4. die Polen in Alt-Preußen und Neu-Preußen unter der Voraussetzung der Erfüllung von Punkt 3 von allen Ausnahmebestimmungen befreit^ würden und 5. die Polen im Weichselgebiet sich einen völlig selbständigen Staat ein¬ richten könnten, bei möglichst sofortiger Herausnahme der deutschen und österreichisch¬ ungarischen Besatzungstruppen. (Die deutsche Bevölkerung Neupolens wäre gegen polnische von Neu-Ostpreußen einzutauschen.) Den Frieden mit der Gesamtheit der Polen brächte eine solche Politik zu¬ nächst nicht, wohl aber mit dem für uns wesentlichen Teil von ihnen. Aus Neu¬ polen würden zahlreiche, besonders gebildete Polen nach Rußland und der Ukraine abwandern und dort, durch reichliche Gewinnmöglichkeiten im Bann gehalten, der Politik den Rücken kehren. In Neupvlen selbst würde sehr bald ein konservativer Bauernstand die Grundlagen für ein neues polnisches Volk Hilden, sich selbst ge¬ nügsam und fleißig und keine ständige Gefahr für den Frieden seiner Nachbarn. Dies Ziel ist erstrebenswert und erreichbar. Ich mache mir zum Schluß einen Gedankengang des Grafen Aorck von Wartenburg zu eigen: Nicht durch Verzicht ist der Staat des Großen Friedrich und Bismarcks groß geworden, sondern durch Macht und Waffen. Einmal hat Preußen eine Verzicht- und Ver¬ ständigungspolitik getrieben. Das war die Politik Friedrich Wilhelms des Dritten, die in kurzer Zeit uach Jena führte. Wir dürfen und wollen nicht Preußen auf den Weg zum Nationalitätenstaat bringen. Die südslawische Frage in Österreich-Ungarn Professor I)r. Robert Sieger von ezeichnen wir als Südslawen die Slowenen, Kroaten, Se.rb.en, Bulgaren und die slawischen Mazedonier, so spaltet sich Ac süd¬ slawische Frage in'zwei Probleme. Das eine ist die Abgrenzung zwischen Serben und Bulgaren und die Zugehörigkeit der Maze¬ donier. Ethnographisch und sprachlich haben wir es mit einer Kette von allmählichen Übergängen zu tun; aber die Geschichte und die Staatenbildungen haben ein serbisches und ein bulgarisches Nationalgefühl er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/74>, abgerufen am 03.07.2024.