Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die französische Frau bei Beginn der Revolution

und stimmte, bacchantischen Einflüssen unterliegend, gern in den bekannten revo¬
lutionären Hymnus ein mit der zeitgemäßen Variante: "l^e jour cZe doire est
-urivö". Und nach dem Tafelgenusse gab man sich der Hauptleidenschaft der Zeit
hin: dem Spiel; überall, hier und dort, in dieser Straße, in jener, an dieser
Ecke und an jeder anderen huldigte man dem modernen Hazard, dem Biribi.

Und mitten unter dem Schrecken des Fallbeils, das eine Königin enthauptet,
steigt eine neue Herrscherin auf den Thron: die "litte an nouae", wie man sie
euphemistisch bezeichnet, die Vermittlerin frivolen Minnespiels, das so charakte¬
ristisch ist für das "galante" Jahrhundert. Die Polizei, ganz durch die Sorge
für den Schutz der neuen republikanischen Einrichtungen in Anspruch genommen,
ließ die Prostitution sich ungehindert entwickeln; die käuflichen Vertreterinnen der
Liebe überfluteten bald alle Straßen und Plätze, und besonders die kleinen Theater
wie die Modemagazine wurden wahre Brutstätten der Unzucht. Was half es,
daß man die Kais Lliampötrsg, das Stelldichein aller Grisetten der Bannmeile
von Paris, verbot? Die Unsicherheit des Daseins mahnte genußfreudige Lebe¬
männer, die Zeit zu nutzen; man bedürfte der Mädchen, und diese, die existieren
wollten, nahmen, wie sie früher das Gold des Hofes genommen hatten, so jetzt die
Assignaten der Revolution. Die Tuilerien, das Luxembourg, die Weinstuben und
Restaurants wimmelten von Priesterinnen der freien Liebe, die in kurzen Röckchen
interessantere Körperteile zur Schau stellten, und im Egalite-Garten, einem Teile
der früher unter dem Namen des Palais Royal bekannten Besitzung des ni-clevalit
Herzogs von Orleans, marschierte eine wahre Phalanx solcher Feen des Lasters
auf. Hier schwärmten, nach Beute ausspähend, auch renommiertere Hetären, alle
die Clairetten. Lisetten, Georgetten, Philippinen. Pcipillon? und Fanchons, die
berühmte Mulattin Bersi und viele andere mehr. Von neun Uhr abends bis
Mittemacht blühte der große Fleischmarkt; Hunderte von Mädchen und Frauen
zwischen-zwölf und vierzig Jahren warben, in den Alleen lustwandelnd,, mit
frechen Blicken,, kokettem Fächerspiel und verführerischen Blotzstellen ihrer
Reize um die Gunst der Männerwelt;, sie alle durften nun auch rouZe
auflegen, ein Kosmetitum, das zur Königszeit den Damen von
Stand vorbehalten gewesen war. Die geschäftskundigen Huldinnen hatten
sogar einen ganz bestimmten Tarif, der, da Angebot und' Nachfrage nun
mal die Preise regeln, unter Umständen erhöht wurde, wie beispielsweise gelegentlich
des Nationalfestes am 14. Juli 1790, zu dem eine Menge Provinzler nach Paris
strömten. In dem einen umfangreichen Komplex von Gebäuden und Gärten
bildenden Palais Royal, dieser in allen Farben schillernden, lockenden Höhle des
Lasters, gab es fast unzählige Tempel, in denen man der Venus opfern konnte;
hier hielt, um nur einige dieser Stätten zu nennen, eine Madame Julien, einst
Mitglied der/italienischen Komödie, bei der man vorzüglich soupierte, ein Spiel¬
haus -- so titulierte sie fälschlich ihr Bordell --, in dem hauptsächlich politische
Größen verkehrten; hier rollte für junge Leute die Kugel bei Madame Lacour,
wo es schwere Weine und leichte Mädchen gab, beide gleich berauschend; hier
fanden lebenslustige Genießer ein Dorado bei Madame Saint-Romain, die das
Glück hatte, von reizenden Nichten und Kusinen umgeben zu sein. Und wenn
wir vom Palais Royal weiter wandern, finden wir auch im Theater Feydeau
gefällige Dämchen in hellen Haufen, die Geld genug verdienten, das nicht ganz
billige" Eintrittsgeld erschwingen zu können; ja 'nahe der Oper gab es gar ein
Serail, das durch Mädchen von zwölf bis vierzehn Jahren bevölkert war; fünf¬
zehnjährig wurden sie an die Luft gesetzt. Man sieht, die Hierodulen der Liebes¬
göttin waren bunt genug gemischt, und viele von ihnen machten geradezu glänzende
Geschäfte; sie aßen und tranken gut, hatten schöne Zimmereinrichtungen, aus"
reichende Dienerschaft, auch, der Mode der Zeit entsprechend, einen kleinen Neger
zur Begleitung und verbrauchten jährlich an 50000 Livres. Und wenn eine
dieser leichtblütigen Hetären, wie es in der wild bewegten Zeit oft genug geschah,
zum Tode verurteilt wurde, bestieg sie wohl, obszöne Lieder auf den Lippen, das
Schafott.


4"
Die französische Frau bei Beginn der Revolution

und stimmte, bacchantischen Einflüssen unterliegend, gern in den bekannten revo¬
lutionären Hymnus ein mit der zeitgemäßen Variante: „l^e jour cZe doire est
-urivö". Und nach dem Tafelgenusse gab man sich der Hauptleidenschaft der Zeit
hin: dem Spiel; überall, hier und dort, in dieser Straße, in jener, an dieser
Ecke und an jeder anderen huldigte man dem modernen Hazard, dem Biribi.

Und mitten unter dem Schrecken des Fallbeils, das eine Königin enthauptet,
steigt eine neue Herrscherin auf den Thron: die „litte an nouae", wie man sie
euphemistisch bezeichnet, die Vermittlerin frivolen Minnespiels, das so charakte¬
ristisch ist für das „galante" Jahrhundert. Die Polizei, ganz durch die Sorge
für den Schutz der neuen republikanischen Einrichtungen in Anspruch genommen,
ließ die Prostitution sich ungehindert entwickeln; die käuflichen Vertreterinnen der
Liebe überfluteten bald alle Straßen und Plätze, und besonders die kleinen Theater
wie die Modemagazine wurden wahre Brutstätten der Unzucht. Was half es,
daß man die Kais Lliampötrsg, das Stelldichein aller Grisetten der Bannmeile
von Paris, verbot? Die Unsicherheit des Daseins mahnte genußfreudige Lebe¬
männer, die Zeit zu nutzen; man bedürfte der Mädchen, und diese, die existieren
wollten, nahmen, wie sie früher das Gold des Hofes genommen hatten, so jetzt die
Assignaten der Revolution. Die Tuilerien, das Luxembourg, die Weinstuben und
Restaurants wimmelten von Priesterinnen der freien Liebe, die in kurzen Röckchen
interessantere Körperteile zur Schau stellten, und im Egalite-Garten, einem Teile
der früher unter dem Namen des Palais Royal bekannten Besitzung des ni-clevalit
Herzogs von Orleans, marschierte eine wahre Phalanx solcher Feen des Lasters
auf. Hier schwärmten, nach Beute ausspähend, auch renommiertere Hetären, alle
die Clairetten. Lisetten, Georgetten, Philippinen. Pcipillon? und Fanchons, die
berühmte Mulattin Bersi und viele andere mehr. Von neun Uhr abends bis
Mittemacht blühte der große Fleischmarkt; Hunderte von Mädchen und Frauen
zwischen-zwölf und vierzig Jahren warben, in den Alleen lustwandelnd,, mit
frechen Blicken,, kokettem Fächerspiel und verführerischen Blotzstellen ihrer
Reize um die Gunst der Männerwelt;, sie alle durften nun auch rouZe
auflegen, ein Kosmetitum, das zur Königszeit den Damen von
Stand vorbehalten gewesen war. Die geschäftskundigen Huldinnen hatten
sogar einen ganz bestimmten Tarif, der, da Angebot und' Nachfrage nun
mal die Preise regeln, unter Umständen erhöht wurde, wie beispielsweise gelegentlich
des Nationalfestes am 14. Juli 1790, zu dem eine Menge Provinzler nach Paris
strömten. In dem einen umfangreichen Komplex von Gebäuden und Gärten
bildenden Palais Royal, dieser in allen Farben schillernden, lockenden Höhle des
Lasters, gab es fast unzählige Tempel, in denen man der Venus opfern konnte;
hier hielt, um nur einige dieser Stätten zu nennen, eine Madame Julien, einst
Mitglied der/italienischen Komödie, bei der man vorzüglich soupierte, ein Spiel¬
haus — so titulierte sie fälschlich ihr Bordell —, in dem hauptsächlich politische
Größen verkehrten; hier rollte für junge Leute die Kugel bei Madame Lacour,
wo es schwere Weine und leichte Mädchen gab, beide gleich berauschend; hier
fanden lebenslustige Genießer ein Dorado bei Madame Saint-Romain, die das
Glück hatte, von reizenden Nichten und Kusinen umgeben zu sein. Und wenn
wir vom Palais Royal weiter wandern, finden wir auch im Theater Feydeau
gefällige Dämchen in hellen Haufen, die Geld genug verdienten, das nicht ganz
billige" Eintrittsgeld erschwingen zu können; ja 'nahe der Oper gab es gar ein
Serail, das durch Mädchen von zwölf bis vierzehn Jahren bevölkert war; fünf¬
zehnjährig wurden sie an die Luft gesetzt. Man sieht, die Hierodulen der Liebes¬
göttin waren bunt genug gemischt, und viele von ihnen machten geradezu glänzende
Geschäfte; sie aßen und tranken gut, hatten schöne Zimmereinrichtungen, aus«
reichende Dienerschaft, auch, der Mode der Zeit entsprechend, einen kleinen Neger
zur Begleitung und verbrauchten jährlich an 50000 Livres. Und wenn eine
dieser leichtblütigen Hetären, wie es in der wild bewegten Zeit oft genug geschah,
zum Tode verurteilt wurde, bestieg sie wohl, obszöne Lieder auf den Lippen, das
Schafott.


4"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0055" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333538"/>
          <fw type="header" place="top"> Die französische Frau bei Beginn der Revolution</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_148" prev="#ID_147"> und stimmte, bacchantischen Einflüssen unterliegend, gern in den bekannten revo¬<lb/>
lutionären Hymnus ein mit der zeitgemäßen Variante: &#x201E;l^e jour cZe doire est<lb/>
-urivö". Und nach dem Tafelgenusse gab man sich der Hauptleidenschaft der Zeit<lb/>
hin: dem Spiel; überall, hier und dort, in dieser Straße, in jener, an dieser<lb/>
Ecke und an jeder anderen huldigte man dem modernen Hazard, dem Biribi.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_149"> Und mitten unter dem Schrecken des Fallbeils, das eine Königin enthauptet,<lb/>
steigt eine neue Herrscherin auf den Thron: die &#x201E;litte an nouae", wie man sie<lb/>
euphemistisch bezeichnet, die Vermittlerin frivolen Minnespiels, das so charakte¬<lb/>
ristisch ist für das &#x201E;galante" Jahrhundert. Die Polizei, ganz durch die Sorge<lb/>
für den Schutz der neuen republikanischen Einrichtungen in Anspruch genommen,<lb/>
ließ die Prostitution sich ungehindert entwickeln; die käuflichen Vertreterinnen der<lb/>
Liebe überfluteten bald alle Straßen und Plätze, und besonders die kleinen Theater<lb/>
wie die Modemagazine wurden wahre Brutstätten der Unzucht. Was half es,<lb/>
daß man die Kais Lliampötrsg, das Stelldichein aller Grisetten der Bannmeile<lb/>
von Paris, verbot? Die Unsicherheit des Daseins mahnte genußfreudige Lebe¬<lb/>
männer, die Zeit zu nutzen; man bedürfte der Mädchen, und diese, die existieren<lb/>
wollten, nahmen, wie sie früher das Gold des Hofes genommen hatten, so jetzt die<lb/>
Assignaten der Revolution. Die Tuilerien, das Luxembourg, die Weinstuben und<lb/>
Restaurants wimmelten von Priesterinnen der freien Liebe, die in kurzen Röckchen<lb/>
interessantere Körperteile zur Schau stellten, und im Egalite-Garten, einem Teile<lb/>
der früher unter dem Namen des Palais Royal bekannten Besitzung des ni-clevalit<lb/>
Herzogs von Orleans, marschierte eine wahre Phalanx solcher Feen des Lasters<lb/>
auf. Hier schwärmten, nach Beute ausspähend, auch renommiertere Hetären, alle<lb/>
die Clairetten. Lisetten, Georgetten, Philippinen. Pcipillon? und Fanchons, die<lb/>
berühmte Mulattin Bersi und viele andere mehr. Von neun Uhr abends bis<lb/>
Mittemacht blühte der große Fleischmarkt; Hunderte von Mädchen und Frauen<lb/>
zwischen-zwölf und vierzig Jahren warben, in den Alleen lustwandelnd,, mit<lb/>
frechen Blicken,, kokettem Fächerspiel und verführerischen Blotzstellen ihrer<lb/>
Reize um die Gunst der Männerwelt;, sie alle durften nun auch rouZe<lb/>
auflegen, ein Kosmetitum, das zur Königszeit den Damen von<lb/>
Stand vorbehalten gewesen war. Die geschäftskundigen Huldinnen hatten<lb/>
sogar einen ganz bestimmten Tarif, der, da Angebot und' Nachfrage nun<lb/>
mal die Preise regeln, unter Umständen erhöht wurde, wie beispielsweise gelegentlich<lb/>
des Nationalfestes am 14. Juli 1790, zu dem eine Menge Provinzler nach Paris<lb/>
strömten. In dem einen umfangreichen Komplex von Gebäuden und Gärten<lb/>
bildenden Palais Royal, dieser in allen Farben schillernden, lockenden Höhle des<lb/>
Lasters, gab es fast unzählige Tempel, in denen man der Venus opfern konnte;<lb/>
hier hielt, um nur einige dieser Stätten zu nennen, eine Madame Julien, einst<lb/>
Mitglied der/italienischen Komödie, bei der man vorzüglich soupierte, ein Spiel¬<lb/>
haus &#x2014; so titulierte sie fälschlich ihr Bordell &#x2014;, in dem hauptsächlich politische<lb/>
Größen verkehrten; hier rollte für junge Leute die Kugel bei Madame Lacour,<lb/>
wo es schwere Weine und leichte Mädchen gab, beide gleich berauschend; hier<lb/>
fanden lebenslustige Genießer ein Dorado bei Madame Saint-Romain, die das<lb/>
Glück hatte, von reizenden Nichten und Kusinen umgeben zu sein. Und wenn<lb/>
wir vom Palais Royal weiter wandern, finden wir auch im Theater Feydeau<lb/>
gefällige Dämchen in hellen Haufen, die Geld genug verdienten, das nicht ganz<lb/>
billige" Eintrittsgeld erschwingen zu können; ja 'nahe der Oper gab es gar ein<lb/>
Serail, das durch Mädchen von zwölf bis vierzehn Jahren bevölkert war; fünf¬<lb/>
zehnjährig wurden sie an die Luft gesetzt. Man sieht, die Hierodulen der Liebes¬<lb/>
göttin waren bunt genug gemischt, und viele von ihnen machten geradezu glänzende<lb/>
Geschäfte; sie aßen und tranken gut, hatten schöne Zimmereinrichtungen, aus«<lb/>
reichende Dienerschaft, auch, der Mode der Zeit entsprechend, einen kleinen Neger<lb/>
zur Begleitung und verbrauchten jährlich an 50000 Livres. Und wenn eine<lb/>
dieser leichtblütigen Hetären, wie es in der wild bewegten Zeit oft genug geschah,<lb/>
zum Tode verurteilt wurde, bestieg sie wohl, obszöne Lieder auf den Lippen, das<lb/>
Schafott.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 4"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0055] Die französische Frau bei Beginn der Revolution und stimmte, bacchantischen Einflüssen unterliegend, gern in den bekannten revo¬ lutionären Hymnus ein mit der zeitgemäßen Variante: „l^e jour cZe doire est -urivö". Und nach dem Tafelgenusse gab man sich der Hauptleidenschaft der Zeit hin: dem Spiel; überall, hier und dort, in dieser Straße, in jener, an dieser Ecke und an jeder anderen huldigte man dem modernen Hazard, dem Biribi. Und mitten unter dem Schrecken des Fallbeils, das eine Königin enthauptet, steigt eine neue Herrscherin auf den Thron: die „litte an nouae", wie man sie euphemistisch bezeichnet, die Vermittlerin frivolen Minnespiels, das so charakte¬ ristisch ist für das „galante" Jahrhundert. Die Polizei, ganz durch die Sorge für den Schutz der neuen republikanischen Einrichtungen in Anspruch genommen, ließ die Prostitution sich ungehindert entwickeln; die käuflichen Vertreterinnen der Liebe überfluteten bald alle Straßen und Plätze, und besonders die kleinen Theater wie die Modemagazine wurden wahre Brutstätten der Unzucht. Was half es, daß man die Kais Lliampötrsg, das Stelldichein aller Grisetten der Bannmeile von Paris, verbot? Die Unsicherheit des Daseins mahnte genußfreudige Lebe¬ männer, die Zeit zu nutzen; man bedürfte der Mädchen, und diese, die existieren wollten, nahmen, wie sie früher das Gold des Hofes genommen hatten, so jetzt die Assignaten der Revolution. Die Tuilerien, das Luxembourg, die Weinstuben und Restaurants wimmelten von Priesterinnen der freien Liebe, die in kurzen Röckchen interessantere Körperteile zur Schau stellten, und im Egalite-Garten, einem Teile der früher unter dem Namen des Palais Royal bekannten Besitzung des ni-clevalit Herzogs von Orleans, marschierte eine wahre Phalanx solcher Feen des Lasters auf. Hier schwärmten, nach Beute ausspähend, auch renommiertere Hetären, alle die Clairetten. Lisetten, Georgetten, Philippinen. Pcipillon? und Fanchons, die berühmte Mulattin Bersi und viele andere mehr. Von neun Uhr abends bis Mittemacht blühte der große Fleischmarkt; Hunderte von Mädchen und Frauen zwischen-zwölf und vierzig Jahren warben, in den Alleen lustwandelnd,, mit frechen Blicken,, kokettem Fächerspiel und verführerischen Blotzstellen ihrer Reize um die Gunst der Männerwelt;, sie alle durften nun auch rouZe auflegen, ein Kosmetitum, das zur Königszeit den Damen von Stand vorbehalten gewesen war. Die geschäftskundigen Huldinnen hatten sogar einen ganz bestimmten Tarif, der, da Angebot und' Nachfrage nun mal die Preise regeln, unter Umständen erhöht wurde, wie beispielsweise gelegentlich des Nationalfestes am 14. Juli 1790, zu dem eine Menge Provinzler nach Paris strömten. In dem einen umfangreichen Komplex von Gebäuden und Gärten bildenden Palais Royal, dieser in allen Farben schillernden, lockenden Höhle des Lasters, gab es fast unzählige Tempel, in denen man der Venus opfern konnte; hier hielt, um nur einige dieser Stätten zu nennen, eine Madame Julien, einst Mitglied der/italienischen Komödie, bei der man vorzüglich soupierte, ein Spiel¬ haus — so titulierte sie fälschlich ihr Bordell —, in dem hauptsächlich politische Größen verkehrten; hier rollte für junge Leute die Kugel bei Madame Lacour, wo es schwere Weine und leichte Mädchen gab, beide gleich berauschend; hier fanden lebenslustige Genießer ein Dorado bei Madame Saint-Romain, die das Glück hatte, von reizenden Nichten und Kusinen umgeben zu sein. Und wenn wir vom Palais Royal weiter wandern, finden wir auch im Theater Feydeau gefällige Dämchen in hellen Haufen, die Geld genug verdienten, das nicht ganz billige" Eintrittsgeld erschwingen zu können; ja 'nahe der Oper gab es gar ein Serail, das durch Mädchen von zwölf bis vierzehn Jahren bevölkert war; fünf¬ zehnjährig wurden sie an die Luft gesetzt. Man sieht, die Hierodulen der Liebes¬ göttin waren bunt genug gemischt, und viele von ihnen machten geradezu glänzende Geschäfte; sie aßen und tranken gut, hatten schöne Zimmereinrichtungen, aus« reichende Dienerschaft, auch, der Mode der Zeit entsprechend, einen kleinen Neger zur Begleitung und verbrauchten jährlich an 50000 Livres. Und wenn eine dieser leichtblütigen Hetären, wie es in der wild bewegten Zeit oft genug geschah, zum Tode verurteilt wurde, bestieg sie wohl, obszöne Lieder auf den Lippen, das Schafott. 4"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/55
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/55>, abgerufen am 27.08.2024.