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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Der deutsch-russische RückVersicherungsvertrag

die Öffentlichkeit gedrungen sei und der Zar, mißgestimmt, wenig Neigung mehr
zeige, den Vertrag zu erneuern. Auf österreichischer Seite scheint man darüber
kein besonderes Bedauern gefühlt zu haben; man ließ den Vertrag ablaufen.

Dagegen stellte, ebenso wie früher, der russische Botschafter in Berlin den
Antrag, das Abkommen nunmehr zu zweien zu erneuern. Auch diesmal ging
Fürst Bismarck auf die Anregung ein, und nach längeren Verhandlungen, die an
.bey wesentlichsten Punkten nichts änderten, einigte man sich wieder zu einem
dreijährigen Abkommen, in dem auch wieder die Geheimhaltung besonders betont' wurde. Dieser Vertrag ist bekanntlich im Jahr des Rücktritts Fürst Bismarcks
abgelaufen. Auch damals, im Frühjahr 1890, hat man sich russischerseits Mühe
gegeben, eine weitere Verlängerung zu erreichen. Man weiß, daß der Nachfolger
Reichskanzleramt. General von Caprivi, sich zu diesem Schritt nicht hat ent-
schließen können, und so nahm der Vertrag im Juni 1890 nach neunjähriger
Dauer sein Ende.

Es ist schon oben bemerkt, wie scharf die öffentliche Meinung in Deutschland
die Aufgabe des Vertrages, als davon sechs Jahre später verlautete, verurteilt
hat. Der Vorwurf, daß der neue Kurs den Draht nach Rußland willkürlich
zerrissen habe und damit das für unsere Machtstellung so bedeutsame gute
Verhältnis zu unserem östlichen Nachbarn zerstört und diesen in das französische
Lager gedrängt habe, war zunächst so allgemein, daß jede Möglichkeit einer
Rechtfertigung, zumal die Rücksicht auf die Teilnehmer am Vertrage die volle
Aufklärung verhinderte, erfolglos schien und von den leitenden Männern kaum
ernstlich versucht wurde. Erst viel später, als die mit dem Ausscheiden des
großen Staatsmannes verbundene Erregung sich beruhigt hatte, ließen sich
Stimmen hören, die unbefangener an die Prüfung der einschlägigen Fragen
herantraten. Wir besitzen in der deutschen Literatur eine große Anzahl von
Äußerungen über die Tragweite des vielberufenen Vertrages, aber sie alle mußten
unvollkommen sein, da die für die Beurteilung notwendigsten Daten naturgemäß
fehlten. Es war unbekannt, daß der Vertrag bereits im Jahre 1881 entstanden
war, unbekannt auch, daß er sechs Jahre lang mit Österreich-Ungarn als dritten
Teilnehmer bestanden hat -- I)r. Hammann ist der erste, der jetzt diese beiden
Tatsachen nebenbei erwähnt -- unbekannt endlich auch, daß nicht Fürst Bismarck
der ursprüngliche Schöpfer des Vertrages ist, sondern vielmehr die russische
Negierung, die auch jedesmal die Erneuerung angeregt hat.

Aus diesen Tatsachen ergibt sich eine Reihe Folgerungen, die die bisherigen
Betrachtungen nicht haben ziehen können. Die Hauptfrage ist und bleibt:
welchen Nutzen hat der Vertrag für Deutschland gehabt? Denn davon hängt
natürlich das Urteil darüber ab, ob seine Verlängerung notwendig und deren
Ablehnung ein Fehler der deutschen Politik war. Nebenbei sei bemerkt, daß die
immer wiederkehrende Angabe, der Vertrag sei gekündigt worden, nicht zutrifft.
Es bedürfte einer Kündigung nicht, der Vertrag ist durch den Ablauf der
vorbestimmten dreijährigen Dauer von selbst erloschen.

Um die Wirkung des Vertrages auf die deutsch-russischen Beziehungen zu
beurteilen, wäre es erforderlich, ihre Entwicklung während der Jahre 1881--1890
zu schildern. Kein Vorurteilsfreier wird behaupten können, daß während dieser
Zeit sich die seit Jahren, ganz besonders aber seit 1879 bestehende Spannung
zwischen den beiden Mächten gemildert hätte. Aus diesem Grunde hat auch
nirgend bei den anderen Mächten, die der Entwicklung wachsam zuschauten, ein
Verdacht entstehen können, daß zwischen Deutschland und Rußland ein engeres
Verhältnis auf, Grundlage eines schriftlichen Abkommens bestehe. Es mag hier
in aller Kürze, ohne auf Vollständigkeit Anspruch zu machen, auf die Momente
hingewiesen werden, die den Charakter der deutsch-russischen Beziehungen in der
fraglichen Zeit kennzeichnen. Zwar begann der neue Zar, eine menschenscheue,
fast düstere Persönlichkeit von mäßiger Begabung, seine Herrschaft mit Handlungen,
die auf eine friedliche Gesinnung schließen ließen. Die Wahl des sachlichen und
verträglichen, freilich auch schwachen Giers zum Nachfolger des eitlen und meri-


Der deutsch-russische RückVersicherungsvertrag

die Öffentlichkeit gedrungen sei und der Zar, mißgestimmt, wenig Neigung mehr
zeige, den Vertrag zu erneuern. Auf österreichischer Seite scheint man darüber
kein besonderes Bedauern gefühlt zu haben; man ließ den Vertrag ablaufen.

Dagegen stellte, ebenso wie früher, der russische Botschafter in Berlin den
Antrag, das Abkommen nunmehr zu zweien zu erneuern. Auch diesmal ging
Fürst Bismarck auf die Anregung ein, und nach längeren Verhandlungen, die an
.bey wesentlichsten Punkten nichts änderten, einigte man sich wieder zu einem
dreijährigen Abkommen, in dem auch wieder die Geheimhaltung besonders betont' wurde. Dieser Vertrag ist bekanntlich im Jahr des Rücktritts Fürst Bismarcks
abgelaufen. Auch damals, im Frühjahr 1890, hat man sich russischerseits Mühe
gegeben, eine weitere Verlängerung zu erreichen. Man weiß, daß der Nachfolger
Reichskanzleramt. General von Caprivi, sich zu diesem Schritt nicht hat ent-
schließen können, und so nahm der Vertrag im Juni 1890 nach neunjähriger
Dauer sein Ende.

Es ist schon oben bemerkt, wie scharf die öffentliche Meinung in Deutschland
die Aufgabe des Vertrages, als davon sechs Jahre später verlautete, verurteilt
hat. Der Vorwurf, daß der neue Kurs den Draht nach Rußland willkürlich
zerrissen habe und damit das für unsere Machtstellung so bedeutsame gute
Verhältnis zu unserem östlichen Nachbarn zerstört und diesen in das französische
Lager gedrängt habe, war zunächst so allgemein, daß jede Möglichkeit einer
Rechtfertigung, zumal die Rücksicht auf die Teilnehmer am Vertrage die volle
Aufklärung verhinderte, erfolglos schien und von den leitenden Männern kaum
ernstlich versucht wurde. Erst viel später, als die mit dem Ausscheiden des
großen Staatsmannes verbundene Erregung sich beruhigt hatte, ließen sich
Stimmen hören, die unbefangener an die Prüfung der einschlägigen Fragen
herantraten. Wir besitzen in der deutschen Literatur eine große Anzahl von
Äußerungen über die Tragweite des vielberufenen Vertrages, aber sie alle mußten
unvollkommen sein, da die für die Beurteilung notwendigsten Daten naturgemäß
fehlten. Es war unbekannt, daß der Vertrag bereits im Jahre 1881 entstanden
war, unbekannt auch, daß er sechs Jahre lang mit Österreich-Ungarn als dritten
Teilnehmer bestanden hat — I)r. Hammann ist der erste, der jetzt diese beiden
Tatsachen nebenbei erwähnt — unbekannt endlich auch, daß nicht Fürst Bismarck
der ursprüngliche Schöpfer des Vertrages ist, sondern vielmehr die russische
Negierung, die auch jedesmal die Erneuerung angeregt hat.

Aus diesen Tatsachen ergibt sich eine Reihe Folgerungen, die die bisherigen
Betrachtungen nicht haben ziehen können. Die Hauptfrage ist und bleibt:
welchen Nutzen hat der Vertrag für Deutschland gehabt? Denn davon hängt
natürlich das Urteil darüber ab, ob seine Verlängerung notwendig und deren
Ablehnung ein Fehler der deutschen Politik war. Nebenbei sei bemerkt, daß die
immer wiederkehrende Angabe, der Vertrag sei gekündigt worden, nicht zutrifft.
Es bedürfte einer Kündigung nicht, der Vertrag ist durch den Ablauf der
vorbestimmten dreijährigen Dauer von selbst erloschen.

Um die Wirkung des Vertrages auf die deutsch-russischen Beziehungen zu
beurteilen, wäre es erforderlich, ihre Entwicklung während der Jahre 1881—1890
zu schildern. Kein Vorurteilsfreier wird behaupten können, daß während dieser
Zeit sich die seit Jahren, ganz besonders aber seit 1879 bestehende Spannung
zwischen den beiden Mächten gemildert hätte. Aus diesem Grunde hat auch
nirgend bei den anderen Mächten, die der Entwicklung wachsam zuschauten, ein
Verdacht entstehen können, daß zwischen Deutschland und Rußland ein engeres
Verhältnis auf, Grundlage eines schriftlichen Abkommens bestehe. Es mag hier
in aller Kürze, ohne auf Vollständigkeit Anspruch zu machen, auf die Momente
hingewiesen werden, die den Charakter der deutsch-russischen Beziehungen in der
fraglichen Zeit kennzeichnen. Zwar begann der neue Zar, eine menschenscheue,
fast düstere Persönlichkeit von mäßiger Begabung, seine Herrschaft mit Handlungen,
die auf eine friedliche Gesinnung schließen ließen. Die Wahl des sachlichen und
verträglichen, freilich auch schwachen Giers zum Nachfolger des eitlen und meri-


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[0042] Der deutsch-russische RückVersicherungsvertrag die Öffentlichkeit gedrungen sei und der Zar, mißgestimmt, wenig Neigung mehr zeige, den Vertrag zu erneuern. Auf österreichischer Seite scheint man darüber kein besonderes Bedauern gefühlt zu haben; man ließ den Vertrag ablaufen. Dagegen stellte, ebenso wie früher, der russische Botschafter in Berlin den Antrag, das Abkommen nunmehr zu zweien zu erneuern. Auch diesmal ging Fürst Bismarck auf die Anregung ein, und nach längeren Verhandlungen, die an .bey wesentlichsten Punkten nichts änderten, einigte man sich wieder zu einem dreijährigen Abkommen, in dem auch wieder die Geheimhaltung besonders betont' wurde. Dieser Vertrag ist bekanntlich im Jahr des Rücktritts Fürst Bismarcks abgelaufen. Auch damals, im Frühjahr 1890, hat man sich russischerseits Mühe gegeben, eine weitere Verlängerung zu erreichen. Man weiß, daß der Nachfolger Reichskanzleramt. General von Caprivi, sich zu diesem Schritt nicht hat ent- schließen können, und so nahm der Vertrag im Juni 1890 nach neunjähriger Dauer sein Ende. Es ist schon oben bemerkt, wie scharf die öffentliche Meinung in Deutschland die Aufgabe des Vertrages, als davon sechs Jahre später verlautete, verurteilt hat. Der Vorwurf, daß der neue Kurs den Draht nach Rußland willkürlich zerrissen habe und damit das für unsere Machtstellung so bedeutsame gute Verhältnis zu unserem östlichen Nachbarn zerstört und diesen in das französische Lager gedrängt habe, war zunächst so allgemein, daß jede Möglichkeit einer Rechtfertigung, zumal die Rücksicht auf die Teilnehmer am Vertrage die volle Aufklärung verhinderte, erfolglos schien und von den leitenden Männern kaum ernstlich versucht wurde. Erst viel später, als die mit dem Ausscheiden des großen Staatsmannes verbundene Erregung sich beruhigt hatte, ließen sich Stimmen hören, die unbefangener an die Prüfung der einschlägigen Fragen herantraten. Wir besitzen in der deutschen Literatur eine große Anzahl von Äußerungen über die Tragweite des vielberufenen Vertrages, aber sie alle mußten unvollkommen sein, da die für die Beurteilung notwendigsten Daten naturgemäß fehlten. Es war unbekannt, daß der Vertrag bereits im Jahre 1881 entstanden war, unbekannt auch, daß er sechs Jahre lang mit Österreich-Ungarn als dritten Teilnehmer bestanden hat — I)r. Hammann ist der erste, der jetzt diese beiden Tatsachen nebenbei erwähnt — unbekannt endlich auch, daß nicht Fürst Bismarck der ursprüngliche Schöpfer des Vertrages ist, sondern vielmehr die russische Negierung, die auch jedesmal die Erneuerung angeregt hat. Aus diesen Tatsachen ergibt sich eine Reihe Folgerungen, die die bisherigen Betrachtungen nicht haben ziehen können. Die Hauptfrage ist und bleibt: welchen Nutzen hat der Vertrag für Deutschland gehabt? Denn davon hängt natürlich das Urteil darüber ab, ob seine Verlängerung notwendig und deren Ablehnung ein Fehler der deutschen Politik war. Nebenbei sei bemerkt, daß die immer wiederkehrende Angabe, der Vertrag sei gekündigt worden, nicht zutrifft. Es bedürfte einer Kündigung nicht, der Vertrag ist durch den Ablauf der vorbestimmten dreijährigen Dauer von selbst erloschen. Um die Wirkung des Vertrages auf die deutsch-russischen Beziehungen zu beurteilen, wäre es erforderlich, ihre Entwicklung während der Jahre 1881—1890 zu schildern. Kein Vorurteilsfreier wird behaupten können, daß während dieser Zeit sich die seit Jahren, ganz besonders aber seit 1879 bestehende Spannung zwischen den beiden Mächten gemildert hätte. Aus diesem Grunde hat auch nirgend bei den anderen Mächten, die der Entwicklung wachsam zuschauten, ein Verdacht entstehen können, daß zwischen Deutschland und Rußland ein engeres Verhältnis auf, Grundlage eines schriftlichen Abkommens bestehe. Es mag hier in aller Kürze, ohne auf Vollständigkeit Anspruch zu machen, auf die Momente hingewiesen werden, die den Charakter der deutsch-russischen Beziehungen in der fraglichen Zeit kennzeichnen. Zwar begann der neue Zar, eine menschenscheue, fast düstere Persönlichkeit von mäßiger Begabung, seine Herrschaft mit Handlungen, die auf eine friedliche Gesinnung schließen ließen. Die Wahl des sachlichen und verträglichen, freilich auch schwachen Giers zum Nachfolger des eitlen und meri-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/42>, abgerufen am 23.07.2024.