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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Dr. Ernst Seraphim, "Nach Sibirien verschleppt". Persönliche Erinne¬
rungen eines aus Dorpat Fortgeführten. Verlegt bei I. G. Krüger, Dorpat,
und A. Kramer, Riga. 1918.

Unter den zahlreichen Kriegsbüchern, die von persönlichen Erlebnissen be¬
richten, gebührt dem vorliegenden kleinen Buche ein besonderer Platz. Sind die
anderen Erzählungen vorwiegend auf Handlung gestimmt, liegt auf ihnen der
Abglanz der aufs äußerste gesteigerten Dramatik unserer Tage, so entrollt sich
hier vor unseren Augen der ganze Jammer der Passivität, hilflosen Leidens rechtlos
gewordener Deutscher. In geradezu grotesker Wildheit hat haß- und neiderfüllter
estischer und keltischer Pöbel an Bildung und Besitz im Baltenlande, dem
Deutschtum, sein Mütchen gekühlt. 362 Männer, Angehörige der leistungsfähigsten
und besten Familien des Landes, im Alter von siebzehn bis über siebzig Jahren,
sind, wie uns seinerzeit bekannt wurde, im Februar dieses Jahres ohne irgend¬
welchen Rechtsgrund von der russischen Revolutionsregierung nach Sibirien ver¬
schleppt worden und konnten erst auf energischen Druck deutscherseits nach siebzig
Tagen, körperlich geschädigt, seelisch tief erschüttert, wenn auch nicht gebrochen,
in die Heimat zurückkehren. Was der Verfasser der genannten Schrift, der be¬
kannte Journalist und Redakteur Dr. Ernst Seraphim, der selbst einer hoch,
geachteten kurländischen Familie entstammt, von der Fahrt in die Verbannung,
von seinem und seiner Leidensgefährten Leben im Gefängnis von Krasnojarsk in
schlichter aber eindringlicher Weise erzählt, dürfte niemand kalt lassen. Wer an¬
gesichts der geschilderten Vorkommnisse, die auf die Zukunftsaussichten des baltischen
Deutschtunis im Falle einer nur teilweisen Abtrennung der baltischen Provinzen
von Rußland ein grelles Licht werfen, nicht tiefer zu blicken vermag als Herr
Gravowsky, der in seinem "Neuen Deutschland" (Heft 16) die Interessen Rußlands
versieht und die "baltischen Barone" auf eine Übersiedlung in Gebiete der deutschen
Interessensphäre verweist, ihnen aber zugleich mit Siegermiene vorsorglich die
offenbar gar nicht vorhandene Illusion nimmt, als könnte die bisherige Latifundien¬
wirtschaft in Kurland unter deutscher Herrschaft weiter bestehen, ist freilich hoffnungs¬
los verloren für die Erkenntnis von Sinn und Bedeutung geschichtlicher Werte,
sei es in der Arbeit an der Scholle, sei es auf ideellen Gebiete. Man braucht
acht Baron zu sein, um dergleichen zu verstehen. Kaufmännische Begabung allein
dürfte für das baltische Problem schwerlich die richtige Lösung finden. Untreue
am Deutschtum wird schwerer auf uns lasten als Rußlands Groll und die Wider¬
spenstigkeit einiger versetzten Letten und Ehlen. Treue um Treue -- denn in der
Treue liegt Kraft, auch zur Gestaltung der Zukunft. Möge die kleine Schrift
Seraphins viele Leser finden, auf daß der Jubel der Ballen über die Vereinigung
der befreiten Heimat mit Deutschland, die den aus der Gefangenschaft Heim¬
k M. A. ehrenden Gewißheit dünkte, den entsprechenden Widerhall finde.




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Dr. Ernst Seraphim, „Nach Sibirien verschleppt". Persönliche Erinne¬
rungen eines aus Dorpat Fortgeführten. Verlegt bei I. G. Krüger, Dorpat,
und A. Kramer, Riga. 1918.

Unter den zahlreichen Kriegsbüchern, die von persönlichen Erlebnissen be¬
richten, gebührt dem vorliegenden kleinen Buche ein besonderer Platz. Sind die
anderen Erzählungen vorwiegend auf Handlung gestimmt, liegt auf ihnen der
Abglanz der aufs äußerste gesteigerten Dramatik unserer Tage, so entrollt sich
hier vor unseren Augen der ganze Jammer der Passivität, hilflosen Leidens rechtlos
gewordener Deutscher. In geradezu grotesker Wildheit hat haß- und neiderfüllter
estischer und keltischer Pöbel an Bildung und Besitz im Baltenlande, dem
Deutschtum, sein Mütchen gekühlt. 362 Männer, Angehörige der leistungsfähigsten
und besten Familien des Landes, im Alter von siebzehn bis über siebzig Jahren,
sind, wie uns seinerzeit bekannt wurde, im Februar dieses Jahres ohne irgend¬
welchen Rechtsgrund von der russischen Revolutionsregierung nach Sibirien ver¬
schleppt worden und konnten erst auf energischen Druck deutscherseits nach siebzig
Tagen, körperlich geschädigt, seelisch tief erschüttert, wenn auch nicht gebrochen,
in die Heimat zurückkehren. Was der Verfasser der genannten Schrift, der be¬
kannte Journalist und Redakteur Dr. Ernst Seraphim, der selbst einer hoch,
geachteten kurländischen Familie entstammt, von der Fahrt in die Verbannung,
von seinem und seiner Leidensgefährten Leben im Gefängnis von Krasnojarsk in
schlichter aber eindringlicher Weise erzählt, dürfte niemand kalt lassen. Wer an¬
gesichts der geschilderten Vorkommnisse, die auf die Zukunftsaussichten des baltischen
Deutschtunis im Falle einer nur teilweisen Abtrennung der baltischen Provinzen
von Rußland ein grelles Licht werfen, nicht tiefer zu blicken vermag als Herr
Gravowsky, der in seinem „Neuen Deutschland" (Heft 16) die Interessen Rußlands
versieht und die „baltischen Barone" auf eine Übersiedlung in Gebiete der deutschen
Interessensphäre verweist, ihnen aber zugleich mit Siegermiene vorsorglich die
offenbar gar nicht vorhandene Illusion nimmt, als könnte die bisherige Latifundien¬
wirtschaft in Kurland unter deutscher Herrschaft weiter bestehen, ist freilich hoffnungs¬
los verloren für die Erkenntnis von Sinn und Bedeutung geschichtlicher Werte,
sei es in der Arbeit an der Scholle, sei es auf ideellen Gebiete. Man braucht
acht Baron zu sein, um dergleichen zu verstehen. Kaufmännische Begabung allein
dürfte für das baltische Problem schwerlich die richtige Lösung finden. Untreue
am Deutschtum wird schwerer auf uns lasten als Rußlands Groll und die Wider¬
spenstigkeit einiger versetzten Letten und Ehlen. Treue um Treue — denn in der
Treue liegt Kraft, auch zur Gestaltung der Zukunft. Möge die kleine Schrift
Seraphins viele Leser finden, auf daß der Jubel der Ballen über die Vereinigung
der befreiten Heimat mit Deutschland, die den aus der Gefangenschaft Heim¬
k M. A. ehrenden Gewißheit dünkte, den entsprechenden Widerhall finde.




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[0331] Neue Bücher Neue Bücher Dr. Ernst Seraphim, „Nach Sibirien verschleppt". Persönliche Erinne¬ rungen eines aus Dorpat Fortgeführten. Verlegt bei I. G. Krüger, Dorpat, und A. Kramer, Riga. 1918. Unter den zahlreichen Kriegsbüchern, die von persönlichen Erlebnissen be¬ richten, gebührt dem vorliegenden kleinen Buche ein besonderer Platz. Sind die anderen Erzählungen vorwiegend auf Handlung gestimmt, liegt auf ihnen der Abglanz der aufs äußerste gesteigerten Dramatik unserer Tage, so entrollt sich hier vor unseren Augen der ganze Jammer der Passivität, hilflosen Leidens rechtlos gewordener Deutscher. In geradezu grotesker Wildheit hat haß- und neiderfüllter estischer und keltischer Pöbel an Bildung und Besitz im Baltenlande, dem Deutschtum, sein Mütchen gekühlt. 362 Männer, Angehörige der leistungsfähigsten und besten Familien des Landes, im Alter von siebzehn bis über siebzig Jahren, sind, wie uns seinerzeit bekannt wurde, im Februar dieses Jahres ohne irgend¬ welchen Rechtsgrund von der russischen Revolutionsregierung nach Sibirien ver¬ schleppt worden und konnten erst auf energischen Druck deutscherseits nach siebzig Tagen, körperlich geschädigt, seelisch tief erschüttert, wenn auch nicht gebrochen, in die Heimat zurückkehren. Was der Verfasser der genannten Schrift, der be¬ kannte Journalist und Redakteur Dr. Ernst Seraphim, der selbst einer hoch, geachteten kurländischen Familie entstammt, von der Fahrt in die Verbannung, von seinem und seiner Leidensgefährten Leben im Gefängnis von Krasnojarsk in schlichter aber eindringlicher Weise erzählt, dürfte niemand kalt lassen. Wer an¬ gesichts der geschilderten Vorkommnisse, die auf die Zukunftsaussichten des baltischen Deutschtunis im Falle einer nur teilweisen Abtrennung der baltischen Provinzen von Rußland ein grelles Licht werfen, nicht tiefer zu blicken vermag als Herr Gravowsky, der in seinem „Neuen Deutschland" (Heft 16) die Interessen Rußlands versieht und die „baltischen Barone" auf eine Übersiedlung in Gebiete der deutschen Interessensphäre verweist, ihnen aber zugleich mit Siegermiene vorsorglich die offenbar gar nicht vorhandene Illusion nimmt, als könnte die bisherige Latifundien¬ wirtschaft in Kurland unter deutscher Herrschaft weiter bestehen, ist freilich hoffnungs¬ los verloren für die Erkenntnis von Sinn und Bedeutung geschichtlicher Werte, sei es in der Arbeit an der Scholle, sei es auf ideellen Gebiete. Man braucht acht Baron zu sein, um dergleichen zu verstehen. Kaufmännische Begabung allein dürfte für das baltische Problem schwerlich die richtige Lösung finden. Untreue am Deutschtum wird schwerer auf uns lasten als Rußlands Groll und die Wider¬ spenstigkeit einiger versetzten Letten und Ehlen. Treue um Treue — denn in der Treue liegt Kraft, auch zur Gestaltung der Zukunft. Möge die kleine Schrift Seraphins viele Leser finden, auf daß der Jubel der Ballen über die Vereinigung der befreiten Heimat mit Deutschland, die den aus der Gefangenschaft Heim¬ k M. A. ehrenden Gewißheit dünkte, den entsprechenden Widerhall finde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/331>, abgerufen am 25.08.2024.