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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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"Lomme alle? nous"

denn doch wohl statt der in sich zersplitterten "Interessenvertretung" das einige
und selbständige Volksparlament die bewußte Verantwortung für Wohl und Wehe
des Staates tragen. Nun besitzen wir aber aus derselben Zeit Zeugnisse, die
gerade das Gegenteil lehren. Wohl ist es nach dem Buchstaben der Verfassung
in Frankreich das Parlament, das regiert, und nicht der angebliche "eKei cle 1'IZtat"
(der Präsident) oder die Minister. Aber "die Parlamentarier sind -- unverant¬
wortlich, weil sie neunhundert sind". Jeder unter ihnen fühlt sich, wenn er eine
Entschließung faßt, gedeckt durch alle die anderen. Daher regiert in Wirklichkeit
eine konfuse Masse, die keinerlei Anhalt darbietet, wenn man eine Klage oder
Reklamation vorbringen will. So die Ansicht eines Mitgliedes der Akademie,
also eines "kompetenten" Mannes, der über den "Kultus der Inkompetenz und
die Angst vor der Verantwortlichkeit" in seinem Staatswesen zwei Bücher schrieb.

Der Krieg scheint die Wertschätzung des französischen Parlamentarismus
nicht vergrößert zu haben, denn Blätter so verschiedener Richtung wie der
regierungsfreundliche, höchst angesehene "Tenips" und die Reuter "Populaire"
stimmen in bitterer Kritik überein; jener, indem er die fruchtlose Vielgeschäftig¬
keit der Parlamentsmühle geißelt, die Wohl klappert, aber kein Mehl gibt;
diese, indem sie die zusammengewürfelte Mehrheit verspottet als gallertartige
Masse, die unter der tretenden Hand alle gewünschten Formen annehmeI
"Lomme Luc? nous", so müßte auch in den Fällen das Urteil lauten, wo man
sich über gewisse Mängel unseres Systems ereifert. Denn die oft kritisierte
Unfietigkeit der Regierungsweise und ihr autokratisch-obrigkeitlicher Charakter
ist bei unseren Feinden, wenn auch aus anderen Gründen und in anderer Form,
ganz ebenso vorhanden. Macht man für den ersten Fehler bei uns die bisherige
Verschiedenheit der Wahlsysteme im Reich und Preußen, oder das Fehlen einer
ausgebildeten Parieiverantwortlichkeit und dadurch fester parlamentarischer Ziele
oder endlich die unberechenbaren "Überraschungen" des "persönlichen" Regimes
verantwortlich, so wird all das beispielsweise in Frankreich durch das chronische
Leiden beschleunigter Ministerwechsel, die zeitlich ausgedehnte und sachlich vertiefte
Programme ausschließen, wett gemacht. Und was jene "Autokratie" anbetrifft,
die angeblich nur auf den Bedientenrückcn der bonnes lastet, so halten die
Länder der Premierministerdiktaturcn und souveränen Präsidenten jeden Ver-
gleich aus. Vorurteilslose Geister im anderen Lager haben denn auch stets an-
erkannt, daß ein Wilson "beaucoup plus empereur" ist als der deutsche Kaiser,
und daß die Kabinettschefs Englands und Frankreichs ungekrönte "Monarchen"
seien -- und sein müßten, um der allen Wahrheit des x<"'p"vo? S<rin> willen.

Und noch eine letzte Gruppe von Beispielen zur Erhärtung unseres Satzes.
Daheim erheben sich warnende Stimmen, die einen übermächtigen Einfluß Eng¬
lands auf kapitalistischen Gebiete voraussagen, zentralisiert in London, dem "Gold-
herz" der Welt. Wie aber klingt es von drüben? Man höre Wickham Skeet,
den Direktor für ausländische Politik bei der "Times": "Sehr spät haben die
Alliierten begriffen, daß alle Internationalen von jeher für Deutschland gearbeitet
haben, wie sie das noch jetzt tun. Die Nöte, die Schwarze und die Goldene
Internationale. Wer Geschmack am Symbolisieren findet, kann bemerken, dech
das die altdeutschen Farben sind." (Revue de Paris, 16, Dezember 1917.)

Einer seiner Landsleute, W. Morris Colles, hält im Januarheft der alt¬
angesehenen, konservativen Zeitschrift "Nineteenth Century and after" jede Beweis¬
mühe für überflüssig hinsichtlich der Tatsache, daß Deutschland von Bismarck bis
auf Hertling stets versucht habe, die britische und zu diesem Zweck die Weltpresse
zu bestechen Man muß damit die Bemerkungen vergleichen, die der ehemalige
Pressechef des Auswärtigen Amtes, Geheimrat Hammann, in seinen kürzlich er-
schienenen Erinnerungen zur Sache macht. Im Jahre 1894 (also mitten in der
von unserem Gewährsmann angegebenen Periode) gab es in Deutschland nur
eine Stelle für die Bearbeitung der fremden und einheimischen Presse in Fragen
der inneren und äußeren Politik; diese war besetzt mit einem Leiter und zwei
ehemaligen Referendaren, die hauptsächlich Ausschnitte aus in° und ausländischen


„Lomme alle? nous"

denn doch wohl statt der in sich zersplitterten „Interessenvertretung" das einige
und selbständige Volksparlament die bewußte Verantwortung für Wohl und Wehe
des Staates tragen. Nun besitzen wir aber aus derselben Zeit Zeugnisse, die
gerade das Gegenteil lehren. Wohl ist es nach dem Buchstaben der Verfassung
in Frankreich das Parlament, das regiert, und nicht der angebliche „eKei cle 1'IZtat"
(der Präsident) oder die Minister. Aber „die Parlamentarier sind — unverant¬
wortlich, weil sie neunhundert sind". Jeder unter ihnen fühlt sich, wenn er eine
Entschließung faßt, gedeckt durch alle die anderen. Daher regiert in Wirklichkeit
eine konfuse Masse, die keinerlei Anhalt darbietet, wenn man eine Klage oder
Reklamation vorbringen will. So die Ansicht eines Mitgliedes der Akademie,
also eines „kompetenten" Mannes, der über den „Kultus der Inkompetenz und
die Angst vor der Verantwortlichkeit" in seinem Staatswesen zwei Bücher schrieb.

Der Krieg scheint die Wertschätzung des französischen Parlamentarismus
nicht vergrößert zu haben, denn Blätter so verschiedener Richtung wie der
regierungsfreundliche, höchst angesehene „Tenips" und die Reuter „Populaire"
stimmen in bitterer Kritik überein; jener, indem er die fruchtlose Vielgeschäftig¬
keit der Parlamentsmühle geißelt, die Wohl klappert, aber kein Mehl gibt;
diese, indem sie die zusammengewürfelte Mehrheit verspottet als gallertartige
Masse, die unter der tretenden Hand alle gewünschten Formen annehmeI
»Lomme Luc? nous", so müßte auch in den Fällen das Urteil lauten, wo man
sich über gewisse Mängel unseres Systems ereifert. Denn die oft kritisierte
Unfietigkeit der Regierungsweise und ihr autokratisch-obrigkeitlicher Charakter
ist bei unseren Feinden, wenn auch aus anderen Gründen und in anderer Form,
ganz ebenso vorhanden. Macht man für den ersten Fehler bei uns die bisherige
Verschiedenheit der Wahlsysteme im Reich und Preußen, oder das Fehlen einer
ausgebildeten Parieiverantwortlichkeit und dadurch fester parlamentarischer Ziele
oder endlich die unberechenbaren „Überraschungen" des „persönlichen" Regimes
verantwortlich, so wird all das beispielsweise in Frankreich durch das chronische
Leiden beschleunigter Ministerwechsel, die zeitlich ausgedehnte und sachlich vertiefte
Programme ausschließen, wett gemacht. Und was jene „Autokratie" anbetrifft,
die angeblich nur auf den Bedientenrückcn der bonnes lastet, so halten die
Länder der Premierministerdiktaturcn und souveränen Präsidenten jeden Ver-
gleich aus. Vorurteilslose Geister im anderen Lager haben denn auch stets an-
erkannt, daß ein Wilson „beaucoup plus empereur" ist als der deutsche Kaiser,
und daß die Kabinettschefs Englands und Frankreichs ungekrönte „Monarchen"
seien — und sein müßten, um der allen Wahrheit des x<»'p«vo? S<rin> willen.

Und noch eine letzte Gruppe von Beispielen zur Erhärtung unseres Satzes.
Daheim erheben sich warnende Stimmen, die einen übermächtigen Einfluß Eng¬
lands auf kapitalistischen Gebiete voraussagen, zentralisiert in London, dem „Gold-
herz" der Welt. Wie aber klingt es von drüben? Man höre Wickham Skeet,
den Direktor für ausländische Politik bei der „Times": „Sehr spät haben die
Alliierten begriffen, daß alle Internationalen von jeher für Deutschland gearbeitet
haben, wie sie das noch jetzt tun. Die Nöte, die Schwarze und die Goldene
Internationale. Wer Geschmack am Symbolisieren findet, kann bemerken, dech
das die altdeutschen Farben sind." (Revue de Paris, 16, Dezember 1917.)

Einer seiner Landsleute, W. Morris Colles, hält im Januarheft der alt¬
angesehenen, konservativen Zeitschrift „Nineteenth Century and after" jede Beweis¬
mühe für überflüssig hinsichtlich der Tatsache, daß Deutschland von Bismarck bis
auf Hertling stets versucht habe, die britische und zu diesem Zweck die Weltpresse
zu bestechen Man muß damit die Bemerkungen vergleichen, die der ehemalige
Pressechef des Auswärtigen Amtes, Geheimrat Hammann, in seinen kürzlich er-
schienenen Erinnerungen zur Sache macht. Im Jahre 1894 (also mitten in der
von unserem Gewährsmann angegebenen Periode) gab es in Deutschland nur
eine Stelle für die Bearbeitung der fremden und einheimischen Presse in Fragen
der inneren und äußeren Politik; diese war besetzt mit einem Leiter und zwei
ehemaligen Referendaren, die hauptsächlich Ausschnitte aus in° und ausländischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/329>, abgerufen am 25.08.2024.