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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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meterstrich heranreicht. Unter derselben literarischen Dampfspannung stehen die
Unzähligen, deren Friedensbernf es ist, die Resultate ihrer tiefgründigen For¬
schungen über die Ahnenreihe der illegitimen Cousine von Goethes letzter Köchin
dem wissensdurstigen Publikum zu übermitteln, oder die wissenschaftliche Welt über
die wirtschaftliche Bedeutung des Schmalzler-Schnupfens der bayerischen Holz-
fäller aufzuklären. Überaus heftigen literarischen Drang leiden aber auch die
zurzeit anderweitig beschäftigten Tausende wackerer Männer, die nur das Fallen
der Zensur- und Papiermangelschranke abwarten, um uns klar auseinanderzusetzen,
wieviel besser alles gegangen wäre, wenn man nach ihren Rezepten verfahren wäre.
Die Beschwerde-, Kritik- und rückblickende Nesormlitemtur wird die größten Bücher¬
schränke füllen. Geschrieben werden müssen auch ganz unbedingt die bisher durch
die Ungunst der Verhältnisse leider ungeschrieben gebliebenen Romane, in denen
der Zusammenhang des Weltkrieges, auf die Beziehungen Kunigundens zu Eduard
ergreifend dargelegt werden. Kurz, es sind gähnende Lücken auszufüllen und sie
werden ausgefüllt werden. Ob nach diesem Krieg die Zahl der Geburten so über¬
raschend steigen wird, wie es die Statistiker nach früheren Kriegen festgestellt Haben,
ist nicht sicher, trotz des kommenden törichten Gesetzes, das mit Paragraphen und
Strafbestimmungen nachhelfen will. Gewiß ist aber, daß die Zahl der literarischen
Geburten alle Mutmaßungen hinter sich lassen wird, ob die Sprößlinge nun die
Rassemerkmale der Kriegsliteratur an sich tragen, oder als die Erstlinge der
kommenden Friedensliteratur zu gelten haben werden. Wer sich über diese Aus¬
sicht freuen zu müssen meint, mag es tun. Freuen müssen wir uns aber alle,
daß die kriegsgeborene Rechtfertigungsliteratur aufhören wird, sobald die beiden
Mächtegruppen, wie es einst in § 1 des Friedensvertrag.es so schön heißen wird,
beschließen werden, in Frieden und Freundschaft miteinander zu leben. Die
Rechtfertigungsliteratur entstand dadurch, daß Männer, die zufolge ihrer amtlichen,
wissenschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Stellung unbedingten Anspruch darauf
hatten, daß sie innerhalb Deutschlands mit Respekt und Glauben an die Wahrhaftigkeit
ihrer Aussprüche angehört wurden, diesen Respekt und diesen Glauben plötzlich vom
Publikum fremder Länder beanspruchten, das bedauerlicherweise nun einmal nicht zum
Glauben an die Aussprüche auch der ernsthaftesten deutschen Professoren erzogen und
außerdem durch ein infernalisch geschicktes System jahrelanger psychologisch fein
berechneter Beeinflussung zu einer wenig schmeichelhaften Auffassung deutscher An¬
gelegenheiten gebracht worden war. Die Herren professoralen und sonstigen Ver¬
sasser deutscher Rechtfertigungsschriften arbeiteten zudem in ihren langstieligen,
auf die heimischen Trockenheitsansprüche an gediegene Literatur abgestellten Aus¬
einandersetzungen mit Voraussetzungen, Beweisgründen und Darstellungswcisen,
die sich bei deutschen Lesern zu bewähren pflegten, gerade deshalb aber anderen
Mentalitäten gegenüber versagen mußten. Dem echt deutschen Mangel an psycho¬
logischem Verständnis für andere Völker sollte echt deutsche Gründlichkeit im Auf¬
gebot von Papier und Druckerschwärze abhelfen. Sollte? Ich fürchte, der Strom
fließt noch immer, denn vier Jahre genügen nicht, um eine richtige Bureaukratie
von der Verschieben eines angewandten Mittels zu überzeugen. Wenn in fünfzig
Jahren der älteste Mann in -- nun, das Land ist ja einerlei -- stirbt, wird man
in seiner Hinteren Rocktasche einen Zwieback finden, eingewickelt in Seite 693 der
Flugschrift des Professors schleimig über die Berechtigung der Deutschen, einen
französischen Signalapparat von einem Kirchturm herunterzuschießen, nachgewiesen
an einer Übersicht der Kriegsbrauche unter König Cheops bis zum Burenkriege.
Und wenn in so und soviel tausend Jahren unser Planet in Stücke geht, wird
der zehnte Band des grundlegenden Werkes von Geheimrat Professor Dauerbrenner
"Sind wir Deutsche wirklich Barbaren?" als neueste Sorte Meteorik noch einige
Zeit durch den Weltraum sausen, weil auf besondere Anordnung der Regierung
dazu besonders widerstandsfähiges Papier und ein extra starker Einband verwendet
wurden. Das wird aber dann das Ende eines Versuches mit untauglichen Mitteln sein.

Inzwischen hat außerhalb unserer Bureaukratie die Erkenntnis zu wirken
begonnen, daß man im propagandistisch-agitatorischen Wettbewerb der Nationen


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meterstrich heranreicht. Unter derselben literarischen Dampfspannung stehen die
Unzähligen, deren Friedensbernf es ist, die Resultate ihrer tiefgründigen For¬
schungen über die Ahnenreihe der illegitimen Cousine von Goethes letzter Köchin
dem wissensdurstigen Publikum zu übermitteln, oder die wissenschaftliche Welt über
die wirtschaftliche Bedeutung des Schmalzler-Schnupfens der bayerischen Holz-
fäller aufzuklären. Überaus heftigen literarischen Drang leiden aber auch die
zurzeit anderweitig beschäftigten Tausende wackerer Männer, die nur das Fallen
der Zensur- und Papiermangelschranke abwarten, um uns klar auseinanderzusetzen,
wieviel besser alles gegangen wäre, wenn man nach ihren Rezepten verfahren wäre.
Die Beschwerde-, Kritik- und rückblickende Nesormlitemtur wird die größten Bücher¬
schränke füllen. Geschrieben werden müssen auch ganz unbedingt die bisher durch
die Ungunst der Verhältnisse leider ungeschrieben gebliebenen Romane, in denen
der Zusammenhang des Weltkrieges, auf die Beziehungen Kunigundens zu Eduard
ergreifend dargelegt werden. Kurz, es sind gähnende Lücken auszufüllen und sie
werden ausgefüllt werden. Ob nach diesem Krieg die Zahl der Geburten so über¬
raschend steigen wird, wie es die Statistiker nach früheren Kriegen festgestellt Haben,
ist nicht sicher, trotz des kommenden törichten Gesetzes, das mit Paragraphen und
Strafbestimmungen nachhelfen will. Gewiß ist aber, daß die Zahl der literarischen
Geburten alle Mutmaßungen hinter sich lassen wird, ob die Sprößlinge nun die
Rassemerkmale der Kriegsliteratur an sich tragen, oder als die Erstlinge der
kommenden Friedensliteratur zu gelten haben werden. Wer sich über diese Aus¬
sicht freuen zu müssen meint, mag es tun. Freuen müssen wir uns aber alle,
daß die kriegsgeborene Rechtfertigungsliteratur aufhören wird, sobald die beiden
Mächtegruppen, wie es einst in § 1 des Friedensvertrag.es so schön heißen wird,
beschließen werden, in Frieden und Freundschaft miteinander zu leben. Die
Rechtfertigungsliteratur entstand dadurch, daß Männer, die zufolge ihrer amtlichen,
wissenschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Stellung unbedingten Anspruch darauf
hatten, daß sie innerhalb Deutschlands mit Respekt und Glauben an die Wahrhaftigkeit
ihrer Aussprüche angehört wurden, diesen Respekt und diesen Glauben plötzlich vom
Publikum fremder Länder beanspruchten, das bedauerlicherweise nun einmal nicht zum
Glauben an die Aussprüche auch der ernsthaftesten deutschen Professoren erzogen und
außerdem durch ein infernalisch geschicktes System jahrelanger psychologisch fein
berechneter Beeinflussung zu einer wenig schmeichelhaften Auffassung deutscher An¬
gelegenheiten gebracht worden war. Die Herren professoralen und sonstigen Ver¬
sasser deutscher Rechtfertigungsschriften arbeiteten zudem in ihren langstieligen,
auf die heimischen Trockenheitsansprüche an gediegene Literatur abgestellten Aus¬
einandersetzungen mit Voraussetzungen, Beweisgründen und Darstellungswcisen,
die sich bei deutschen Lesern zu bewähren pflegten, gerade deshalb aber anderen
Mentalitäten gegenüber versagen mußten. Dem echt deutschen Mangel an psycho¬
logischem Verständnis für andere Völker sollte echt deutsche Gründlichkeit im Auf¬
gebot von Papier und Druckerschwärze abhelfen. Sollte? Ich fürchte, der Strom
fließt noch immer, denn vier Jahre genügen nicht, um eine richtige Bureaukratie
von der Verschieben eines angewandten Mittels zu überzeugen. Wenn in fünfzig
Jahren der älteste Mann in — nun, das Land ist ja einerlei — stirbt, wird man
in seiner Hinteren Rocktasche einen Zwieback finden, eingewickelt in Seite 693 der
Flugschrift des Professors schleimig über die Berechtigung der Deutschen, einen
französischen Signalapparat von einem Kirchturm herunterzuschießen, nachgewiesen
an einer Übersicht der Kriegsbrauche unter König Cheops bis zum Burenkriege.
Und wenn in so und soviel tausend Jahren unser Planet in Stücke geht, wird
der zehnte Band des grundlegenden Werkes von Geheimrat Professor Dauerbrenner
„Sind wir Deutsche wirklich Barbaren?" als neueste Sorte Meteorik noch einige
Zeit durch den Weltraum sausen, weil auf besondere Anordnung der Regierung
dazu besonders widerstandsfähiges Papier und ein extra starker Einband verwendet
wurden. Das wird aber dann das Ende eines Versuches mit untauglichen Mitteln sein.

Inzwischen hat außerhalb unserer Bureaukratie die Erkenntnis zu wirken
begonnen, daß man im propagandistisch-agitatorischen Wettbewerb der Nationen


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[0298] Randglosse» zu>n Tage meterstrich heranreicht. Unter derselben literarischen Dampfspannung stehen die Unzähligen, deren Friedensbernf es ist, die Resultate ihrer tiefgründigen For¬ schungen über die Ahnenreihe der illegitimen Cousine von Goethes letzter Köchin dem wissensdurstigen Publikum zu übermitteln, oder die wissenschaftliche Welt über die wirtschaftliche Bedeutung des Schmalzler-Schnupfens der bayerischen Holz- fäller aufzuklären. Überaus heftigen literarischen Drang leiden aber auch die zurzeit anderweitig beschäftigten Tausende wackerer Männer, die nur das Fallen der Zensur- und Papiermangelschranke abwarten, um uns klar auseinanderzusetzen, wieviel besser alles gegangen wäre, wenn man nach ihren Rezepten verfahren wäre. Die Beschwerde-, Kritik- und rückblickende Nesormlitemtur wird die größten Bücher¬ schränke füllen. Geschrieben werden müssen auch ganz unbedingt die bisher durch die Ungunst der Verhältnisse leider ungeschrieben gebliebenen Romane, in denen der Zusammenhang des Weltkrieges, auf die Beziehungen Kunigundens zu Eduard ergreifend dargelegt werden. Kurz, es sind gähnende Lücken auszufüllen und sie werden ausgefüllt werden. Ob nach diesem Krieg die Zahl der Geburten so über¬ raschend steigen wird, wie es die Statistiker nach früheren Kriegen festgestellt Haben, ist nicht sicher, trotz des kommenden törichten Gesetzes, das mit Paragraphen und Strafbestimmungen nachhelfen will. Gewiß ist aber, daß die Zahl der literarischen Geburten alle Mutmaßungen hinter sich lassen wird, ob die Sprößlinge nun die Rassemerkmale der Kriegsliteratur an sich tragen, oder als die Erstlinge der kommenden Friedensliteratur zu gelten haben werden. Wer sich über diese Aus¬ sicht freuen zu müssen meint, mag es tun. Freuen müssen wir uns aber alle, daß die kriegsgeborene Rechtfertigungsliteratur aufhören wird, sobald die beiden Mächtegruppen, wie es einst in § 1 des Friedensvertrag.es so schön heißen wird, beschließen werden, in Frieden und Freundschaft miteinander zu leben. Die Rechtfertigungsliteratur entstand dadurch, daß Männer, die zufolge ihrer amtlichen, wissenschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Stellung unbedingten Anspruch darauf hatten, daß sie innerhalb Deutschlands mit Respekt und Glauben an die Wahrhaftigkeit ihrer Aussprüche angehört wurden, diesen Respekt und diesen Glauben plötzlich vom Publikum fremder Länder beanspruchten, das bedauerlicherweise nun einmal nicht zum Glauben an die Aussprüche auch der ernsthaftesten deutschen Professoren erzogen und außerdem durch ein infernalisch geschicktes System jahrelanger psychologisch fein berechneter Beeinflussung zu einer wenig schmeichelhaften Auffassung deutscher An¬ gelegenheiten gebracht worden war. Die Herren professoralen und sonstigen Ver¬ sasser deutscher Rechtfertigungsschriften arbeiteten zudem in ihren langstieligen, auf die heimischen Trockenheitsansprüche an gediegene Literatur abgestellten Aus¬ einandersetzungen mit Voraussetzungen, Beweisgründen und Darstellungswcisen, die sich bei deutschen Lesern zu bewähren pflegten, gerade deshalb aber anderen Mentalitäten gegenüber versagen mußten. Dem echt deutschen Mangel an psycho¬ logischem Verständnis für andere Völker sollte echt deutsche Gründlichkeit im Auf¬ gebot von Papier und Druckerschwärze abhelfen. Sollte? Ich fürchte, der Strom fließt noch immer, denn vier Jahre genügen nicht, um eine richtige Bureaukratie von der Verschieben eines angewandten Mittels zu überzeugen. Wenn in fünfzig Jahren der älteste Mann in — nun, das Land ist ja einerlei — stirbt, wird man in seiner Hinteren Rocktasche einen Zwieback finden, eingewickelt in Seite 693 der Flugschrift des Professors schleimig über die Berechtigung der Deutschen, einen französischen Signalapparat von einem Kirchturm herunterzuschießen, nachgewiesen an einer Übersicht der Kriegsbrauche unter König Cheops bis zum Burenkriege. Und wenn in so und soviel tausend Jahren unser Planet in Stücke geht, wird der zehnte Band des grundlegenden Werkes von Geheimrat Professor Dauerbrenner „Sind wir Deutsche wirklich Barbaren?" als neueste Sorte Meteorik noch einige Zeit durch den Weltraum sausen, weil auf besondere Anordnung der Regierung dazu besonders widerstandsfähiges Papier und ein extra starker Einband verwendet wurden. Das wird aber dann das Ende eines Versuches mit untauglichen Mitteln sein. Inzwischen hat außerhalb unserer Bureaukratie die Erkenntnis zu wirken begonnen, daß man im propagandistisch-agitatorischen Wettbewerb der Nationen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/298>, abgerufen am 26.06.2024.