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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Wasserhund Mitteleuropa
Georg Lleinoro von

"Le Journal des Döbnts" vom 8. Mai: "Die
Mächte der Entente müssen unter sich einen
dauernden Bund schlichen, auf fester Grundlage
und gesichert durch Machtmittel, die automatisch in
Tätigkeit treten, wenn gewisse im Vortrag vor¬
gesehene Ereignisse eintreten. Es wäre dies ein
Bund für den Frieden, aber bewaffnet und aktioni?-
veren. Am Quai d'Orsay ist eine Kommission
mit der Bildung dieses Völkerbundes beschäftigt".

! s ist die nicht zu umgehende Folge der diplomatischen GeHeimarbeit,
daß die politischen Staatsverträge nur solange einen diplomatischen
> Kampfwert haben, wie sie ihrem Inhalte nach nicht authentisch
bekanntgegeben sind. Solange Freund und Feind ebenso wie mehr
! oder minder geistreiche Politiker und Publizisten das verschleierte
Bild mit ihrer Phantasie ausmalen, vergrößern und verkleinern können, solange
haben derlei Verträge auch eine suggestive Macht, wirken parteibildend, wirken
beruhigend, aber auch aufreizend und versetzend. Legenden spinnen sich, die Wünsche
von Parteien und Gruppen werden in den leichten Gedankenbau leicht hinein¬
gefügt, und es dauert gar nicht lange, so ist aus einem sehr nüchternen Dokument
von drei Artikeln oder gar nur einem, der sich auf eine bestimmte Lage bezieht,
ein Monstrum geworden, das nach der Auffassung der Öffentlichkeit alle, aber
auch restlos alle Nöte der Völker zu lösen berufen ist. Man erinnere sich
des deutsch-russischen RückVersicherungsvertrages! Ein solches Monstrum scheint
für das Publikum auch jener Vertrag werden zu sollen, den die beiden Staats¬
oberhäupter Deutschlands und Österreich-Ungarns am 12. Mac im Standort des
großen Hauptquartiers unterschrieben haben.

Las man die Wiener Meldungen vom 13. Mai, so konnte auch den geistigen
Schwerstarbeiter ein ehrfurchtsvolles Gruseln packen ob der Arbeit, die in kaum
vierundzwanzig Stunden von unseren allerhöchsten Herrschaften geleistet worden
war. Danach mußte der Vertrag schon die Lösung aller bestehenden und noch
auftauchenden Schwierigkeiten zwischen den beiden großen mitteleuropäischen Ver¬
bündeten nicht nur eingeleitet, sondern beinahe herbeigeführt haben. Die "B. Z.
am Mittag" gibt alles, was in Wien gefabelt worden ist, zusammenhängend


Grenzb-ten N 1S18 16


Wasserhund Mitteleuropa
Georg Lleinoro von

„Le Journal des Döbnts" vom 8. Mai: „Die
Mächte der Entente müssen unter sich einen
dauernden Bund schlichen, auf fester Grundlage
und gesichert durch Machtmittel, die automatisch in
Tätigkeit treten, wenn gewisse im Vortrag vor¬
gesehene Ereignisse eintreten. Es wäre dies ein
Bund für den Frieden, aber bewaffnet und aktioni?-
veren. Am Quai d'Orsay ist eine Kommission
mit der Bildung dieses Völkerbundes beschäftigt".

! s ist die nicht zu umgehende Folge der diplomatischen GeHeimarbeit,
daß die politischen Staatsverträge nur solange einen diplomatischen
> Kampfwert haben, wie sie ihrem Inhalte nach nicht authentisch
bekanntgegeben sind. Solange Freund und Feind ebenso wie mehr
! oder minder geistreiche Politiker und Publizisten das verschleierte
Bild mit ihrer Phantasie ausmalen, vergrößern und verkleinern können, solange
haben derlei Verträge auch eine suggestive Macht, wirken parteibildend, wirken
beruhigend, aber auch aufreizend und versetzend. Legenden spinnen sich, die Wünsche
von Parteien und Gruppen werden in den leichten Gedankenbau leicht hinein¬
gefügt, und es dauert gar nicht lange, so ist aus einem sehr nüchternen Dokument
von drei Artikeln oder gar nur einem, der sich auf eine bestimmte Lage bezieht,
ein Monstrum geworden, das nach der Auffassung der Öffentlichkeit alle, aber
auch restlos alle Nöte der Völker zu lösen berufen ist. Man erinnere sich
des deutsch-russischen RückVersicherungsvertrages! Ein solches Monstrum scheint
für das Publikum auch jener Vertrag werden zu sollen, den die beiden Staats¬
oberhäupter Deutschlands und Österreich-Ungarns am 12. Mac im Standort des
großen Hauptquartiers unterschrieben haben.

Las man die Wiener Meldungen vom 13. Mai, so konnte auch den geistigen
Schwerstarbeiter ein ehrfurchtsvolles Gruseln packen ob der Arbeit, die in kaum
vierundzwanzig Stunden von unseren allerhöchsten Herrschaften geleistet worden
war. Danach mußte der Vertrag schon die Lösung aller bestehenden und noch
auftauchenden Schwierigkeiten zwischen den beiden großen mitteleuropäischen Ver¬
bündeten nicht nur eingeleitet, sondern beinahe herbeigeführt haben. Die „B. Z.
am Mittag" gibt alles, was in Wien gefabelt worden ist, zusammenhängend


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[0205] [Abbildung] Wasserhund Mitteleuropa Georg Lleinoro von „Le Journal des Döbnts" vom 8. Mai: „Die Mächte der Entente müssen unter sich einen dauernden Bund schlichen, auf fester Grundlage und gesichert durch Machtmittel, die automatisch in Tätigkeit treten, wenn gewisse im Vortrag vor¬ gesehene Ereignisse eintreten. Es wäre dies ein Bund für den Frieden, aber bewaffnet und aktioni?- veren. Am Quai d'Orsay ist eine Kommission mit der Bildung dieses Völkerbundes beschäftigt". ! s ist die nicht zu umgehende Folge der diplomatischen GeHeimarbeit, daß die politischen Staatsverträge nur solange einen diplomatischen > Kampfwert haben, wie sie ihrem Inhalte nach nicht authentisch bekanntgegeben sind. Solange Freund und Feind ebenso wie mehr ! oder minder geistreiche Politiker und Publizisten das verschleierte Bild mit ihrer Phantasie ausmalen, vergrößern und verkleinern können, solange haben derlei Verträge auch eine suggestive Macht, wirken parteibildend, wirken beruhigend, aber auch aufreizend und versetzend. Legenden spinnen sich, die Wünsche von Parteien und Gruppen werden in den leichten Gedankenbau leicht hinein¬ gefügt, und es dauert gar nicht lange, so ist aus einem sehr nüchternen Dokument von drei Artikeln oder gar nur einem, der sich auf eine bestimmte Lage bezieht, ein Monstrum geworden, das nach der Auffassung der Öffentlichkeit alle, aber auch restlos alle Nöte der Völker zu lösen berufen ist. Man erinnere sich des deutsch-russischen RückVersicherungsvertrages! Ein solches Monstrum scheint für das Publikum auch jener Vertrag werden zu sollen, den die beiden Staats¬ oberhäupter Deutschlands und Österreich-Ungarns am 12. Mac im Standort des großen Hauptquartiers unterschrieben haben. Las man die Wiener Meldungen vom 13. Mai, so konnte auch den geistigen Schwerstarbeiter ein ehrfurchtsvolles Gruseln packen ob der Arbeit, die in kaum vierundzwanzig Stunden von unseren allerhöchsten Herrschaften geleistet worden war. Danach mußte der Vertrag schon die Lösung aller bestehenden und noch auftauchenden Schwierigkeiten zwischen den beiden großen mitteleuropäischen Ver¬ bündeten nicht nur eingeleitet, sondern beinahe herbeigeführt haben. Die „B. Z. am Mittag" gibt alles, was in Wien gefabelt worden ist, zusammenhängend Grenzb-ten N 1S18 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/205>, abgerufen am 26.06.2024.