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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Die Polenfrage vor der Entscheidung

sammenfassung aller Ostfragen unter ein besonderes Staatssekretariat deutet
wenigstens darauf hin. Ob wir, das deutsche Volk, sie noch beeinflussen können,
steht dahin. Nach den bisherigen Gepflogenheiten wird uns wohl die Regierung,
wie in so vielen anderen Dingen, vor die vollendete Tatsache stellen, mit der wir
uns werden einfach abfinden müssen. Nichtsdestoweniger liegt es in unserer
aller und des Vaterlandes Interesse, wenn uns die Entscheidung nicht unvor¬
bereitet trifft. Weiß das deutsche Volk, was die Polenfrage recht eigentlich für
uns bedeutet, so bin ich sicher, daß es auch die Mittel finden wird, um die Lasten
auszugleichen, die ihm auferlegt werden könnten, -- und ohne Lasten wird es
wohl auch bei diesem Teil des Ostfriedens nicht abgehen.




Trotz unserer allgemeinen Siege sind wir gerade an der polnischen Stelle
in die Defensive gedrängt, indem wir den alten Besitz neu zu erkämpfen haben,
und wir müssen den alten Besitz sicherstellen, wenn uns die slawische Woge nicht
völlig unterspülen und uns den neuen Besitz im Baltikum entreißen soll. Der
Unterlauf der Weichsel ist der schwächste Punkt in der Gesamtstellung
der Deutschen gegen Osten. Ihn gilt es zu verteidigen und für die
Zukunft zu sichern.

Die deutsche Regierung könnte sich vielleicht mit dem Kreise um Lempicki
verständigen, wenn sie sich entschließen wollte, aus dem preußischen und russischen
Anteil Polens einen polnischen Staat zusammenzufügen, oder wenn sie zu dem
Ergebnis käme, daß Deutschland einer solchen Staatenbildung doch nicht entgehen
kann. Mit anderen Worten: Das Deutschtum müßte seine polnischen Positionen
in der Ostmark räumen, um die vage Aussicht zu erhalten, die Polen zu Bundes¬
genossen Deutschlands gegen die übrige slawische Welt machen zu können.

Es gibt in Deutschland genug Personen, die bereit sind, auf den Handel
einzugehen, solche, die bewußt auf die Umbildung des deutschen National¬
staats in einen Nationillitittenstimt lossteuern, solche, die dadurch dem ewigen
Frieden glauben dienen zu können, solche, die damit der römisch-katholischen
Kirche zum Siege über den Protestantismus verhelfen wollen, aber, und das
sind jene, die wir am ernstesten zu nehmen haben, es gibt auch solche, die ein
ungehemmtes Wirtschaftsleben über alle anderen Ideale setzen. Sie
haben in allen unseren Reichsämtern und in den meisten politischen Parteien
Einfluß, weil sie nur die engen, kurz befristeten Einzelinteressen der betroffenen
Kreise wahrzunehmen brauchenl In ihrer Rechnung ist ein Loch: denn
herrschen heißt in unserer Zeit in erster Linie wirtschaftlich herrschen
und um den wirtschaftlichen Kampf mit den Polen kämen sie unter
keiner Bedingung herum, solange sie sich nicht restlos in den Dienst
der polnischen Sache stellen. Ich glaube an die Aussöhnung nicht, nicht nur
nicht weil der Haß gegen die Deutschen schon zu tief in den Polen steckt, sondern
auch aus anderen Erwägungen, die mit der allgemeinen Demokratisierung des
Slawentums zusammenhängen.

Nach dem Zusammenbruch des bürgerlichen Rußland ist dem radikalen
Allpolentum ein neuer Bundesgenosse erstanden, die von Rußland ausgehende
Revolution. Die Art und Weise, wie von seiten unserer Diplomatie die Friedens¬
verhandlungen mit den Maximalisten geführt worden sind, hat das Ansehen


Die Polenfrage vor der Entscheidung

sammenfassung aller Ostfragen unter ein besonderes Staatssekretariat deutet
wenigstens darauf hin. Ob wir, das deutsche Volk, sie noch beeinflussen können,
steht dahin. Nach den bisherigen Gepflogenheiten wird uns wohl die Regierung,
wie in so vielen anderen Dingen, vor die vollendete Tatsache stellen, mit der wir
uns werden einfach abfinden müssen. Nichtsdestoweniger liegt es in unserer
aller und des Vaterlandes Interesse, wenn uns die Entscheidung nicht unvor¬
bereitet trifft. Weiß das deutsche Volk, was die Polenfrage recht eigentlich für
uns bedeutet, so bin ich sicher, daß es auch die Mittel finden wird, um die Lasten
auszugleichen, die ihm auferlegt werden könnten, — und ohne Lasten wird es
wohl auch bei diesem Teil des Ostfriedens nicht abgehen.




Trotz unserer allgemeinen Siege sind wir gerade an der polnischen Stelle
in die Defensive gedrängt, indem wir den alten Besitz neu zu erkämpfen haben,
und wir müssen den alten Besitz sicherstellen, wenn uns die slawische Woge nicht
völlig unterspülen und uns den neuen Besitz im Baltikum entreißen soll. Der
Unterlauf der Weichsel ist der schwächste Punkt in der Gesamtstellung
der Deutschen gegen Osten. Ihn gilt es zu verteidigen und für die
Zukunft zu sichern.

Die deutsche Regierung könnte sich vielleicht mit dem Kreise um Lempicki
verständigen, wenn sie sich entschließen wollte, aus dem preußischen und russischen
Anteil Polens einen polnischen Staat zusammenzufügen, oder wenn sie zu dem
Ergebnis käme, daß Deutschland einer solchen Staatenbildung doch nicht entgehen
kann. Mit anderen Worten: Das Deutschtum müßte seine polnischen Positionen
in der Ostmark räumen, um die vage Aussicht zu erhalten, die Polen zu Bundes¬
genossen Deutschlands gegen die übrige slawische Welt machen zu können.

Es gibt in Deutschland genug Personen, die bereit sind, auf den Handel
einzugehen, solche, die bewußt auf die Umbildung des deutschen National¬
staats in einen Nationillitittenstimt lossteuern, solche, die dadurch dem ewigen
Frieden glauben dienen zu können, solche, die damit der römisch-katholischen
Kirche zum Siege über den Protestantismus verhelfen wollen, aber, und das
sind jene, die wir am ernstesten zu nehmen haben, es gibt auch solche, die ein
ungehemmtes Wirtschaftsleben über alle anderen Ideale setzen. Sie
haben in allen unseren Reichsämtern und in den meisten politischen Parteien
Einfluß, weil sie nur die engen, kurz befristeten Einzelinteressen der betroffenen
Kreise wahrzunehmen brauchenl In ihrer Rechnung ist ein Loch: denn
herrschen heißt in unserer Zeit in erster Linie wirtschaftlich herrschen
und um den wirtschaftlichen Kampf mit den Polen kämen sie unter
keiner Bedingung herum, solange sie sich nicht restlos in den Dienst
der polnischen Sache stellen. Ich glaube an die Aussöhnung nicht, nicht nur
nicht weil der Haß gegen die Deutschen schon zu tief in den Polen steckt, sondern
auch aus anderen Erwägungen, die mit der allgemeinen Demokratisierung des
Slawentums zusammenhängen.

Nach dem Zusammenbruch des bürgerlichen Rußland ist dem radikalen
Allpolentum ein neuer Bundesgenosse erstanden, die von Rußland ausgehende
Revolution. Die Art und Weise, wie von seiten unserer Diplomatie die Friedens¬
verhandlungen mit den Maximalisten geführt worden sind, hat das Ansehen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/159>, abgerufen am 26.08.2024.