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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Die Polcnfrcige vor der Entscheidung

daß Deutschland dem Druck einer solchen Vereinigung von Kräften nicht werde
widerstehen können, in der Hoffnung auch auf die geringe Widerstandskraft Österreich-
Ungarns, sind die Polen das Bündnis mit Rußland eingegangen und waren nach
langen diplomatischen Kämpfen im Jahre 1912 bereit, dafür folgendes zu zahlen:

1. die Preisgabe ihrer Ansprüche auf Litauen und Weißrußland, wo sie
zwar kulturellen Einfluß hatten, aber politisch längst ausgeschaltet waren,
2. die Preisgabe des Gouvernements Suwalki und des Cholmer Landes,
endlich
3. die Preisgabe aller Ansprüche auf das erst zu erobernde Ostgalizien.
Rußland bot den Polen dafür zunächst die Verwaltungsautonomie im

Weichselgebiet und, seit es zum Kriege gegen Deutschland entschlossen war, die
Angliederung Westpreußens, Posens und Schlesiens bis zur Oder,
nebst Oberschlesien.

Kaum war dieser Plan durch das Vordringen der deutschen 9. Armee in
Frage gestellt, so wurde die anhero-polnische Lösung der Polenfrage, die selbstverständ¬
lich auch schon im Frieden unter den klerikalgerichteten Kreisen und einigen Außen¬
seitern Anhänger hatte, in den Vordergrund geschoben. Die Polen, die nach der
Einnahme von Lodz Wortführer der Politik wurden, begnügten sich zunächst mit
einer Verbindung Galiziens mit dem Weichselgebiet. Aber ein offiziöser Artikel
des Obersten polnischen Nationalkomitees im "Kurier Wiedenski" führte offenherzig
aus, daß damit die Polenfrage nicht etwa begraben werde, daß vielmehr lediglich
eine Stufe erklommen werden solle, von der aus zu geeigneter Zeit die Vereinigung
mit allen übrigen ehemals polnischen Landesteilen betrieben werden würde. Mit
dem Zusammenbruch Rußlands nahmen die Polen selbstverständlich ihre Ansprüche
auf Litauen und Weißrußland gleich wieder auf.

Das neue Programm mußte von unserer Seite, ganz abgesehen von allen
historischen Erinnerungen, die damit lebendig wurden, mit um so größerem Mi߬
trauen aufgenommen werden, als die Polen nun nicht einmal auf ihre Ver¬
bindungen mit der Entente verzichteten, sondern bis auf den heutigen Tag die
Ententemächte als Schutzpatrone gegen Deutschland und zur Sicherung ihrer
Ansprüche, die sie auf der Weltsriedenskonferenz vorzubringen denken, betrachten.
In aller Erinnerung ist noch der dreiste Versuch des Warschauer Regentschafts-
rates, eine direkte Verbindung mit dem Präsidenten Wilson herzustellen, und
jedem Deutschen müßten die Worte des Abgeordneten von Trampczynski in den
Ohren klingen, der es im preußischen Abgeordnetenhause wagte, für die
staatsrechtliche Stellung der preußischen Pole" internationale Garantien
zu fordern! Der Krieg traf die Polen aller Anteile in ihren anerkannten
Führern geeint in dem Glauben an die Niederlage der Mittemächte, in dem
Glauben an den Sieg der Entente und in der Hoffnung auf die Revolution in
Rußland.

Wir wissen alle, daß die Rechnung der Polen nicht stimmt. Durch den
Frieden von Brest-Litowsk ist fast alles Gebiet, das einmal zum alten Polenstaate
gehörte, von Rußland in der einen oder anderen Form abgesprengt. Das alte
Rußland- liegt zertrümmert am Boden, und die Revolution ist weiter gegangen,
als es die Polen, die sich gern mit einem bürgerlichen Revolutiönchen
begnügt hätten, das lediglich den deutschen Einfluß in Rußland beseitigte,


Die Polcnfrcige vor der Entscheidung

daß Deutschland dem Druck einer solchen Vereinigung von Kräften nicht werde
widerstehen können, in der Hoffnung auch auf die geringe Widerstandskraft Österreich-
Ungarns, sind die Polen das Bündnis mit Rußland eingegangen und waren nach
langen diplomatischen Kämpfen im Jahre 1912 bereit, dafür folgendes zu zahlen:

1. die Preisgabe ihrer Ansprüche auf Litauen und Weißrußland, wo sie
zwar kulturellen Einfluß hatten, aber politisch längst ausgeschaltet waren,
2. die Preisgabe des Gouvernements Suwalki und des Cholmer Landes,
endlich
3. die Preisgabe aller Ansprüche auf das erst zu erobernde Ostgalizien.
Rußland bot den Polen dafür zunächst die Verwaltungsautonomie im

Weichselgebiet und, seit es zum Kriege gegen Deutschland entschlossen war, die
Angliederung Westpreußens, Posens und Schlesiens bis zur Oder,
nebst Oberschlesien.

Kaum war dieser Plan durch das Vordringen der deutschen 9. Armee in
Frage gestellt, so wurde die anhero-polnische Lösung der Polenfrage, die selbstverständ¬
lich auch schon im Frieden unter den klerikalgerichteten Kreisen und einigen Außen¬
seitern Anhänger hatte, in den Vordergrund geschoben. Die Polen, die nach der
Einnahme von Lodz Wortführer der Politik wurden, begnügten sich zunächst mit
einer Verbindung Galiziens mit dem Weichselgebiet. Aber ein offiziöser Artikel
des Obersten polnischen Nationalkomitees im „Kurier Wiedenski" führte offenherzig
aus, daß damit die Polenfrage nicht etwa begraben werde, daß vielmehr lediglich
eine Stufe erklommen werden solle, von der aus zu geeigneter Zeit die Vereinigung
mit allen übrigen ehemals polnischen Landesteilen betrieben werden würde. Mit
dem Zusammenbruch Rußlands nahmen die Polen selbstverständlich ihre Ansprüche
auf Litauen und Weißrußland gleich wieder auf.

Das neue Programm mußte von unserer Seite, ganz abgesehen von allen
historischen Erinnerungen, die damit lebendig wurden, mit um so größerem Mi߬
trauen aufgenommen werden, als die Polen nun nicht einmal auf ihre Ver¬
bindungen mit der Entente verzichteten, sondern bis auf den heutigen Tag die
Ententemächte als Schutzpatrone gegen Deutschland und zur Sicherung ihrer
Ansprüche, die sie auf der Weltsriedenskonferenz vorzubringen denken, betrachten.
In aller Erinnerung ist noch der dreiste Versuch des Warschauer Regentschafts-
rates, eine direkte Verbindung mit dem Präsidenten Wilson herzustellen, und
jedem Deutschen müßten die Worte des Abgeordneten von Trampczynski in den
Ohren klingen, der es im preußischen Abgeordnetenhause wagte, für die
staatsrechtliche Stellung der preußischen Pole» internationale Garantien
zu fordern! Der Krieg traf die Polen aller Anteile in ihren anerkannten
Führern geeint in dem Glauben an die Niederlage der Mittemächte, in dem
Glauben an den Sieg der Entente und in der Hoffnung auf die Revolution in
Rußland.

Wir wissen alle, daß die Rechnung der Polen nicht stimmt. Durch den
Frieden von Brest-Litowsk ist fast alles Gebiet, das einmal zum alten Polenstaate
gehörte, von Rußland in der einen oder anderen Form abgesprengt. Das alte
Rußland- liegt zertrümmert am Boden, und die Revolution ist weiter gegangen,
als es die Polen, die sich gern mit einem bürgerlichen Revolutiönchen
begnügt hätten, das lediglich den deutschen Einfluß in Rußland beseitigte,


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[0152] Die Polcnfrcige vor der Entscheidung daß Deutschland dem Druck einer solchen Vereinigung von Kräften nicht werde widerstehen können, in der Hoffnung auch auf die geringe Widerstandskraft Österreich- Ungarns, sind die Polen das Bündnis mit Rußland eingegangen und waren nach langen diplomatischen Kämpfen im Jahre 1912 bereit, dafür folgendes zu zahlen: 1. die Preisgabe ihrer Ansprüche auf Litauen und Weißrußland, wo sie zwar kulturellen Einfluß hatten, aber politisch längst ausgeschaltet waren, 2. die Preisgabe des Gouvernements Suwalki und des Cholmer Landes, endlich 3. die Preisgabe aller Ansprüche auf das erst zu erobernde Ostgalizien. Rußland bot den Polen dafür zunächst die Verwaltungsautonomie im Weichselgebiet und, seit es zum Kriege gegen Deutschland entschlossen war, die Angliederung Westpreußens, Posens und Schlesiens bis zur Oder, nebst Oberschlesien. Kaum war dieser Plan durch das Vordringen der deutschen 9. Armee in Frage gestellt, so wurde die anhero-polnische Lösung der Polenfrage, die selbstverständ¬ lich auch schon im Frieden unter den klerikalgerichteten Kreisen und einigen Außen¬ seitern Anhänger hatte, in den Vordergrund geschoben. Die Polen, die nach der Einnahme von Lodz Wortführer der Politik wurden, begnügten sich zunächst mit einer Verbindung Galiziens mit dem Weichselgebiet. Aber ein offiziöser Artikel des Obersten polnischen Nationalkomitees im „Kurier Wiedenski" führte offenherzig aus, daß damit die Polenfrage nicht etwa begraben werde, daß vielmehr lediglich eine Stufe erklommen werden solle, von der aus zu geeigneter Zeit die Vereinigung mit allen übrigen ehemals polnischen Landesteilen betrieben werden würde. Mit dem Zusammenbruch Rußlands nahmen die Polen selbstverständlich ihre Ansprüche auf Litauen und Weißrußland gleich wieder auf. Das neue Programm mußte von unserer Seite, ganz abgesehen von allen historischen Erinnerungen, die damit lebendig wurden, mit um so größerem Mi߬ trauen aufgenommen werden, als die Polen nun nicht einmal auf ihre Ver¬ bindungen mit der Entente verzichteten, sondern bis auf den heutigen Tag die Ententemächte als Schutzpatrone gegen Deutschland und zur Sicherung ihrer Ansprüche, die sie auf der Weltsriedenskonferenz vorzubringen denken, betrachten. In aller Erinnerung ist noch der dreiste Versuch des Warschauer Regentschafts- rates, eine direkte Verbindung mit dem Präsidenten Wilson herzustellen, und jedem Deutschen müßten die Worte des Abgeordneten von Trampczynski in den Ohren klingen, der es im preußischen Abgeordnetenhause wagte, für die staatsrechtliche Stellung der preußischen Pole» internationale Garantien zu fordern! Der Krieg traf die Polen aller Anteile in ihren anerkannten Führern geeint in dem Glauben an die Niederlage der Mittemächte, in dem Glauben an den Sieg der Entente und in der Hoffnung auf die Revolution in Rußland. Wir wissen alle, daß die Rechnung der Polen nicht stimmt. Durch den Frieden von Brest-Litowsk ist fast alles Gebiet, das einmal zum alten Polenstaate gehörte, von Rußland in der einen oder anderen Form abgesprengt. Das alte Rußland- liegt zertrümmert am Boden, und die Revolution ist weiter gegangen, als es die Polen, die sich gern mit einem bürgerlichen Revolutiönchen begnügt hätten, das lediglich den deutschen Einfluß in Rußland beseitigte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/152>, abgerufen am 23.07.2024.