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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Die Polenfrage vor der Entscheidung
Lin vortrag
gehalten-im Unabhängigen Ausschuß für einen Deutschen Frieden am 2. Mai lM8
Georg Lleinow von

Dynastische Interessen haben in Deutsch¬
land insoweit Berechtigung, als sie sich dem
allgemeinen nationalen Reichsinteresse an¬
Bismarck. passen. .

ach fast vierjährigen Ringen haben unsere glorreichen.Armeen den
Wall der Feinde zurückgedrängt und so unterwühlt, daß er im
Osten in sich zusammensank. Schritt um Schritt nähern wir uns
dem heißersehnten Zeitpunkt, wo wir das Wort Frieden mit gutem
Gewissen wieder aussprechen und daran unsere Wünsche für die
Zukunft der Nation knüpfen können. Aber wir haben uns auch dem Zeit-
Punkt genähert, in dem die Führung des Verkehrs mit unseren Feinden
aus den bewährten Händen der großen Armeeführer Hindenburg und Luden,
dorff hinübergleitet in die Tastorgane der Diplomatie: wir gleiten allmählich
in den Zustand, wo die fest umrissenen, klaren militärischen Gesichtspunkte abge¬
löst werden durch die zahlreichen unkontrollierbaren, durcheinanderstrebenden wirren
und verwirrenden der Politik. An unserer Ostfront hat dieser Qbergangsprozeß
schon eingesetzt lange bevor eine entsprechende militärische Entscheidung vorlag.
In Polen hielt die Politik sogar bereits ihren Einzug, noch ehe die Armeen recht
eigentlich festen Fuß in Feindesland gesaßt hatten. Schon im Herbst 1914,
während die Armee Dankl nach der furchtbaren Niederlage von Krasnik nur durch
das Eingreifen und den Opfermut unserer wundervollen schlesischen Landwehr,
sowie durch die Preisgabe Ostpreußens völliger Zerschmetterung entging, zog die
österreichisch-polnische Diplomatie in Russisch-Polen ein, die deutsche
Reichsleitung zu Maßnahmen drängend, die in direktem Widerspruch
Su dem Geist stehen, aus dem die Taten der Schlesier erwachsen sind.
Schon im Winter 1914/1915 kam jener Vertrag zu Kattowitz zustande, der eine
Eisenbahnlinie, also ein künstlich geschaffenes Mittel des Verkehrs, auf weite
Strecken zur politischen und wirtschaftlichen Grenze machen konnte und es er¬
möglichte, daß hinter einer deutschen Armeegruppe fremde Verwaltung und das
Etappengebiet polnischer Legionäre eingerichtet werden konntenI Solange die mili-


Grenzboten II 1918 11


Die Polenfrage vor der Entscheidung
Lin vortrag
gehalten-im Unabhängigen Ausschuß für einen Deutschen Frieden am 2. Mai lM8
Georg Lleinow von

Dynastische Interessen haben in Deutsch¬
land insoweit Berechtigung, als sie sich dem
allgemeinen nationalen Reichsinteresse an¬
Bismarck. passen. .

ach fast vierjährigen Ringen haben unsere glorreichen.Armeen den
Wall der Feinde zurückgedrängt und so unterwühlt, daß er im
Osten in sich zusammensank. Schritt um Schritt nähern wir uns
dem heißersehnten Zeitpunkt, wo wir das Wort Frieden mit gutem
Gewissen wieder aussprechen und daran unsere Wünsche für die
Zukunft der Nation knüpfen können. Aber wir haben uns auch dem Zeit-
Punkt genähert, in dem die Führung des Verkehrs mit unseren Feinden
aus den bewährten Händen der großen Armeeführer Hindenburg und Luden,
dorff hinübergleitet in die Tastorgane der Diplomatie: wir gleiten allmählich
in den Zustand, wo die fest umrissenen, klaren militärischen Gesichtspunkte abge¬
löst werden durch die zahlreichen unkontrollierbaren, durcheinanderstrebenden wirren
und verwirrenden der Politik. An unserer Ostfront hat dieser Qbergangsprozeß
schon eingesetzt lange bevor eine entsprechende militärische Entscheidung vorlag.
In Polen hielt die Politik sogar bereits ihren Einzug, noch ehe die Armeen recht
eigentlich festen Fuß in Feindesland gesaßt hatten. Schon im Herbst 1914,
während die Armee Dankl nach der furchtbaren Niederlage von Krasnik nur durch
das Eingreifen und den Opfermut unserer wundervollen schlesischen Landwehr,
sowie durch die Preisgabe Ostpreußens völliger Zerschmetterung entging, zog die
österreichisch-polnische Diplomatie in Russisch-Polen ein, die deutsche
Reichsleitung zu Maßnahmen drängend, die in direktem Widerspruch
Su dem Geist stehen, aus dem die Taten der Schlesier erwachsen sind.
Schon im Winter 1914/1915 kam jener Vertrag zu Kattowitz zustande, der eine
Eisenbahnlinie, also ein künstlich geschaffenes Mittel des Verkehrs, auf weite
Strecken zur politischen und wirtschaftlichen Grenze machen konnte und es er¬
möglichte, daß hinter einer deutschen Armeegruppe fremde Verwaltung und das
Etappengebiet polnischer Legionäre eingerichtet werden konntenI Solange die mili-


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[0149] [Abbildung] Die Polenfrage vor der Entscheidung Lin vortrag gehalten-im Unabhängigen Ausschuß für einen Deutschen Frieden am 2. Mai lM8 Georg Lleinow von Dynastische Interessen haben in Deutsch¬ land insoweit Berechtigung, als sie sich dem allgemeinen nationalen Reichsinteresse an¬ Bismarck. passen. . ach fast vierjährigen Ringen haben unsere glorreichen.Armeen den Wall der Feinde zurückgedrängt und so unterwühlt, daß er im Osten in sich zusammensank. Schritt um Schritt nähern wir uns dem heißersehnten Zeitpunkt, wo wir das Wort Frieden mit gutem Gewissen wieder aussprechen und daran unsere Wünsche für die Zukunft der Nation knüpfen können. Aber wir haben uns auch dem Zeit- Punkt genähert, in dem die Führung des Verkehrs mit unseren Feinden aus den bewährten Händen der großen Armeeführer Hindenburg und Luden, dorff hinübergleitet in die Tastorgane der Diplomatie: wir gleiten allmählich in den Zustand, wo die fest umrissenen, klaren militärischen Gesichtspunkte abge¬ löst werden durch die zahlreichen unkontrollierbaren, durcheinanderstrebenden wirren und verwirrenden der Politik. An unserer Ostfront hat dieser Qbergangsprozeß schon eingesetzt lange bevor eine entsprechende militärische Entscheidung vorlag. In Polen hielt die Politik sogar bereits ihren Einzug, noch ehe die Armeen recht eigentlich festen Fuß in Feindesland gesaßt hatten. Schon im Herbst 1914, während die Armee Dankl nach der furchtbaren Niederlage von Krasnik nur durch das Eingreifen und den Opfermut unserer wundervollen schlesischen Landwehr, sowie durch die Preisgabe Ostpreußens völliger Zerschmetterung entging, zog die österreichisch-polnische Diplomatie in Russisch-Polen ein, die deutsche Reichsleitung zu Maßnahmen drängend, die in direktem Widerspruch Su dem Geist stehen, aus dem die Taten der Schlesier erwachsen sind. Schon im Winter 1914/1915 kam jener Vertrag zu Kattowitz zustande, der eine Eisenbahnlinie, also ein künstlich geschaffenes Mittel des Verkehrs, auf weite Strecken zur politischen und wirtschaftlichen Grenze machen konnte und es er¬ möglichte, daß hinter einer deutschen Armeegruppe fremde Verwaltung und das Etappengebiet polnischer Legionäre eingerichtet werden konntenI Solange die mili- Grenzboten II 1918 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/149>, abgerufen am 22.07.2024.