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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Zwischen Rußland und Italien

Österreich war nun einmal der alte Erbfeind der Italiener, gegen den die Eini¬
gung des Landes in heißen Kämpfen hatte durchgesetzt werden müssen. Osterreich
war ferner auch jetzt noch im Besitze italienisch sprechender Gebiete. Das traf
nun zwar auch auf Frankreich zu, ohne daß der sogenannte Jrredentismus sich
gerührt hätte, der gegen Österreich so leidenschaftlich die Befreiung der geknechteten
Brüder verlangte. Frankreich genoß eben die alten Sympathien von Magenta
und Solferino. Zudem war das Königreich Italien eine ausgesprochen demo¬
kratisch-antiklerikale Gründung und fühlte sich dem gleichfalls demokratisch-anti¬
klerikalen Frankreich innerlich verwandt. Nur wenn einmal Frankreich katholisch
regiert wurde, nahm jedesmal in Italien die Hinneigung zu dem als protestantisch
geltenden Deutschland zu In einer solchen Zeit hatten Bismarck und Crispi die
Dreibundpolitik angebahnt, und als Italien sah, wie Frankreich seine Hoffnungen
auf Tunis zuschanden machte, fand es neben dem deutschen auch ein Bündnis
mit Österreich-Ungarn annehmbar und vorteilhaft. Freilich ließen die ge¬
schichtlichen Lasten wirklich herzliche Beziehungen zwischen der Monarchie und
Italien niemals aufkommen. Auch die UnVersöhnlichkeit des Vatikans erschwerte
für eine ausgesprochen katholische Macht wie Osterreich das bundesfreundliche Ver¬
hältnis zu Italien ungemein. Konnte doch z. B. der Kaiser Franz Josef den
König von Italien niemals in seiner Hauptstadt besuchen, weil er damit den
Papst beleidigt hätte. Zu der Zeit, wo Italien uns im Weltkrieg erst im Stich
ließ und dann gar auf die Seite unserer Feinde überging, ist es populär ge¬
worden, den Wert der Dreibundpolitik als mimmal hinzustellen. Gewiß hat die
größten Vorteile vom Dreibund Italien gehabt, aber auch Österreich-Ungarn hat
doch vor dem Kriege in der Zeit der diplomatischen Abwehr Ährenthals gegen
Rußland eine Erleichterung seiner Lage darin gefunden, daß Italien durch den
Dreibund veranlaßt war, sich wenigstens an offenen Angriffen gegen die Monarchie
nicht zu beteiligen. An der Bekundung gewisser Sympathien mit der russischen
Politik konnte Italien freilich nicht gehindert werden. Im Jahre 1909 erlebte
man die Zusammenkunft des Zaren mit denn König von Italien in Racconigi.
Der Zar war unter ostentativer Umgehung Österreich-Ungarns dahin gereist. Die
Gefahr lag nahe, daß Italien in der Valkcmpolitik mit Nußland gemeinsame
Sache machte. Während der Annexionskrise hatte der italienische Minister Tittoni
für den Erwerb Bosniens auf eine Kompensation an Italien angespielt, etwa in
Trentino oder am Jsonzo. Damit hatte er kein Glück gehabt, und nun gingen
die Italiener nach, Racconigi. Doch trat wieder eine wesentliche Besserung des
Verhältnisses zu Österreich-Ungarn ein, seit im März 1910 der Marquis ti San
Giulio.no die Leitung der auswärtigen Politik Italiens übernahm. Die Rückgabe
des Sandschak an die Türkei brachte immerhin den einen Vorteil, daß sie Italien
darüber beruhigte, daß ein weiteres Vordringen Österreichs gegen Saloniki hin
nicht zu befüichten sei. Die Entscheidung über Marokko, durch die im Jahre 1911
Frankreich die Anerkennung seines Protektorats über dieses Land durch Deutsch¬
land erhielt, legte den Italienern die Erwägung nahe, daß es Zeit sei, statt gegen
Österreich-Ungarn in Balkanangelegenheiten zu arbeiten, lieber ihren Anteil an
Nordafrika in Sicherheit zu bringen. Durch Abkommen in den Jahren 1900 und
1902 hatte nämlich Frankreich den Italienern freie Hand in Tripolitanien gewähr¬
leistet gegen Anerkennung der französischen Vorrechte in Marokko. Jetzt, wo nun
Frankreich sein marokkanisches Ziel erreicht hatte, fürchtete Italien, es möchte
seine Versprechungen über Tripolis nicht halten. Die Eifersucht Englands und
Frankreichs mußte ja jede Macht fürchten, die im Mittelmeer konkurrieren wollte,
und Italien hatte eine trübe Erfahrung mit Tunis gemacht. So beschleunigte es
den Ausbruch des Tripoliskrieges mit der Türkei und vermied jede weitere Ent¬
fremdung der Dreibundgenossen. Österreich-Ungarn und Deutschland kamen durch
den skrupelloser Angriff Italiens auf bisher türkisches Gebiet in eine sehr pein¬
liche Lage zwischen dem italienischen Verbündeten und dem türkischen Freund,
und es gab in Osterreich damals Leute, die mit Italien offen brechen und an
der Seite der Türkei den falschen Bundesgenossen rasch unschädlich machen wollten,


Zwischen Rußland und Italien

Österreich war nun einmal der alte Erbfeind der Italiener, gegen den die Eini¬
gung des Landes in heißen Kämpfen hatte durchgesetzt werden müssen. Osterreich
war ferner auch jetzt noch im Besitze italienisch sprechender Gebiete. Das traf
nun zwar auch auf Frankreich zu, ohne daß der sogenannte Jrredentismus sich
gerührt hätte, der gegen Österreich so leidenschaftlich die Befreiung der geknechteten
Brüder verlangte. Frankreich genoß eben die alten Sympathien von Magenta
und Solferino. Zudem war das Königreich Italien eine ausgesprochen demo¬
kratisch-antiklerikale Gründung und fühlte sich dem gleichfalls demokratisch-anti¬
klerikalen Frankreich innerlich verwandt. Nur wenn einmal Frankreich katholisch
regiert wurde, nahm jedesmal in Italien die Hinneigung zu dem als protestantisch
geltenden Deutschland zu In einer solchen Zeit hatten Bismarck und Crispi die
Dreibundpolitik angebahnt, und als Italien sah, wie Frankreich seine Hoffnungen
auf Tunis zuschanden machte, fand es neben dem deutschen auch ein Bündnis
mit Österreich-Ungarn annehmbar und vorteilhaft. Freilich ließen die ge¬
schichtlichen Lasten wirklich herzliche Beziehungen zwischen der Monarchie und
Italien niemals aufkommen. Auch die UnVersöhnlichkeit des Vatikans erschwerte
für eine ausgesprochen katholische Macht wie Osterreich das bundesfreundliche Ver¬
hältnis zu Italien ungemein. Konnte doch z. B. der Kaiser Franz Josef den
König von Italien niemals in seiner Hauptstadt besuchen, weil er damit den
Papst beleidigt hätte. Zu der Zeit, wo Italien uns im Weltkrieg erst im Stich
ließ und dann gar auf die Seite unserer Feinde überging, ist es populär ge¬
worden, den Wert der Dreibundpolitik als mimmal hinzustellen. Gewiß hat die
größten Vorteile vom Dreibund Italien gehabt, aber auch Österreich-Ungarn hat
doch vor dem Kriege in der Zeit der diplomatischen Abwehr Ährenthals gegen
Rußland eine Erleichterung seiner Lage darin gefunden, daß Italien durch den
Dreibund veranlaßt war, sich wenigstens an offenen Angriffen gegen die Monarchie
nicht zu beteiligen. An der Bekundung gewisser Sympathien mit der russischen
Politik konnte Italien freilich nicht gehindert werden. Im Jahre 1909 erlebte
man die Zusammenkunft des Zaren mit denn König von Italien in Racconigi.
Der Zar war unter ostentativer Umgehung Österreich-Ungarns dahin gereist. Die
Gefahr lag nahe, daß Italien in der Valkcmpolitik mit Nußland gemeinsame
Sache machte. Während der Annexionskrise hatte der italienische Minister Tittoni
für den Erwerb Bosniens auf eine Kompensation an Italien angespielt, etwa in
Trentino oder am Jsonzo. Damit hatte er kein Glück gehabt, und nun gingen
die Italiener nach, Racconigi. Doch trat wieder eine wesentliche Besserung des
Verhältnisses zu Österreich-Ungarn ein, seit im März 1910 der Marquis ti San
Giulio.no die Leitung der auswärtigen Politik Italiens übernahm. Die Rückgabe
des Sandschak an die Türkei brachte immerhin den einen Vorteil, daß sie Italien
darüber beruhigte, daß ein weiteres Vordringen Österreichs gegen Saloniki hin
nicht zu befüichten sei. Die Entscheidung über Marokko, durch die im Jahre 1911
Frankreich die Anerkennung seines Protektorats über dieses Land durch Deutsch¬
land erhielt, legte den Italienern die Erwägung nahe, daß es Zeit sei, statt gegen
Österreich-Ungarn in Balkanangelegenheiten zu arbeiten, lieber ihren Anteil an
Nordafrika in Sicherheit zu bringen. Durch Abkommen in den Jahren 1900 und
1902 hatte nämlich Frankreich den Italienern freie Hand in Tripolitanien gewähr¬
leistet gegen Anerkennung der französischen Vorrechte in Marokko. Jetzt, wo nun
Frankreich sein marokkanisches Ziel erreicht hatte, fürchtete Italien, es möchte
seine Versprechungen über Tripolis nicht halten. Die Eifersucht Englands und
Frankreichs mußte ja jede Macht fürchten, die im Mittelmeer konkurrieren wollte,
und Italien hatte eine trübe Erfahrung mit Tunis gemacht. So beschleunigte es
den Ausbruch des Tripoliskrieges mit der Türkei und vermied jede weitere Ent¬
fremdung der Dreibundgenossen. Österreich-Ungarn und Deutschland kamen durch
den skrupelloser Angriff Italiens auf bisher türkisches Gebiet in eine sehr pein¬
liche Lage zwischen dem italienischen Verbündeten und dem türkischen Freund,
und es gab in Osterreich damals Leute, die mit Italien offen brechen und an
der Seite der Türkei den falschen Bundesgenossen rasch unschädlich machen wollten,


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[0122] Zwischen Rußland und Italien Österreich war nun einmal der alte Erbfeind der Italiener, gegen den die Eini¬ gung des Landes in heißen Kämpfen hatte durchgesetzt werden müssen. Osterreich war ferner auch jetzt noch im Besitze italienisch sprechender Gebiete. Das traf nun zwar auch auf Frankreich zu, ohne daß der sogenannte Jrredentismus sich gerührt hätte, der gegen Österreich so leidenschaftlich die Befreiung der geknechteten Brüder verlangte. Frankreich genoß eben die alten Sympathien von Magenta und Solferino. Zudem war das Königreich Italien eine ausgesprochen demo¬ kratisch-antiklerikale Gründung und fühlte sich dem gleichfalls demokratisch-anti¬ klerikalen Frankreich innerlich verwandt. Nur wenn einmal Frankreich katholisch regiert wurde, nahm jedesmal in Italien die Hinneigung zu dem als protestantisch geltenden Deutschland zu In einer solchen Zeit hatten Bismarck und Crispi die Dreibundpolitik angebahnt, und als Italien sah, wie Frankreich seine Hoffnungen auf Tunis zuschanden machte, fand es neben dem deutschen auch ein Bündnis mit Österreich-Ungarn annehmbar und vorteilhaft. Freilich ließen die ge¬ schichtlichen Lasten wirklich herzliche Beziehungen zwischen der Monarchie und Italien niemals aufkommen. Auch die UnVersöhnlichkeit des Vatikans erschwerte für eine ausgesprochen katholische Macht wie Osterreich das bundesfreundliche Ver¬ hältnis zu Italien ungemein. Konnte doch z. B. der Kaiser Franz Josef den König von Italien niemals in seiner Hauptstadt besuchen, weil er damit den Papst beleidigt hätte. Zu der Zeit, wo Italien uns im Weltkrieg erst im Stich ließ und dann gar auf die Seite unserer Feinde überging, ist es populär ge¬ worden, den Wert der Dreibundpolitik als mimmal hinzustellen. Gewiß hat die größten Vorteile vom Dreibund Italien gehabt, aber auch Österreich-Ungarn hat doch vor dem Kriege in der Zeit der diplomatischen Abwehr Ährenthals gegen Rußland eine Erleichterung seiner Lage darin gefunden, daß Italien durch den Dreibund veranlaßt war, sich wenigstens an offenen Angriffen gegen die Monarchie nicht zu beteiligen. An der Bekundung gewisser Sympathien mit der russischen Politik konnte Italien freilich nicht gehindert werden. Im Jahre 1909 erlebte man die Zusammenkunft des Zaren mit denn König von Italien in Racconigi. Der Zar war unter ostentativer Umgehung Österreich-Ungarns dahin gereist. Die Gefahr lag nahe, daß Italien in der Valkcmpolitik mit Nußland gemeinsame Sache machte. Während der Annexionskrise hatte der italienische Minister Tittoni für den Erwerb Bosniens auf eine Kompensation an Italien angespielt, etwa in Trentino oder am Jsonzo. Damit hatte er kein Glück gehabt, und nun gingen die Italiener nach, Racconigi. Doch trat wieder eine wesentliche Besserung des Verhältnisses zu Österreich-Ungarn ein, seit im März 1910 der Marquis ti San Giulio.no die Leitung der auswärtigen Politik Italiens übernahm. Die Rückgabe des Sandschak an die Türkei brachte immerhin den einen Vorteil, daß sie Italien darüber beruhigte, daß ein weiteres Vordringen Österreichs gegen Saloniki hin nicht zu befüichten sei. Die Entscheidung über Marokko, durch die im Jahre 1911 Frankreich die Anerkennung seines Protektorats über dieses Land durch Deutsch¬ land erhielt, legte den Italienern die Erwägung nahe, daß es Zeit sei, statt gegen Österreich-Ungarn in Balkanangelegenheiten zu arbeiten, lieber ihren Anteil an Nordafrika in Sicherheit zu bringen. Durch Abkommen in den Jahren 1900 und 1902 hatte nämlich Frankreich den Italienern freie Hand in Tripolitanien gewähr¬ leistet gegen Anerkennung der französischen Vorrechte in Marokko. Jetzt, wo nun Frankreich sein marokkanisches Ziel erreicht hatte, fürchtete Italien, es möchte seine Versprechungen über Tripolis nicht halten. Die Eifersucht Englands und Frankreichs mußte ja jede Macht fürchten, die im Mittelmeer konkurrieren wollte, und Italien hatte eine trübe Erfahrung mit Tunis gemacht. So beschleunigte es den Ausbruch des Tripoliskrieges mit der Türkei und vermied jede weitere Ent¬ fremdung der Dreibundgenossen. Österreich-Ungarn und Deutschland kamen durch den skrupelloser Angriff Italiens auf bisher türkisches Gebiet in eine sehr pein¬ liche Lage zwischen dem italienischen Verbündeten und dem türkischen Freund, und es gab in Osterreich damals Leute, die mit Italien offen brechen und an der Seite der Türkei den falschen Bundesgenossen rasch unschädlich machen wollten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/122>, abgerufen am 24.07.2024.