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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Belgien als Faustpfand

Lande in den völkerrechtlichen Beziehungen und nach innen eine stärkere Stütze
gewähren, wie dies verständige Finnländer auch selbst einsehen. Aber wenn nicht
eine überwiegende Mehrheit dafür ist, kann sich das Land innere Kämpfe um die
Verfassungsform nicht leisten. Vor allem kommt es also jetzt auf die Finnländer
selbst an, die Freiheit, die ihnen der Weltkrieg als Geschenk in den Schoß ge-
schüttet, zu erwerben, um sie zu besitzen.




^ Belgien als Faustpfand
Dr. Karl Buchheim von

> me gewaltsame Aneignung von Gebieten, die während des Krieges
l besetzt worden sind, liegt nicht in den Absichten der verbündeten
Regierungen", so heißt es in der Weihnachtsbotschaft, die Graf
Czernin als Sprecher der vier verbündeten Mächte zu Breit-Litowsk
der Welt verkündet hat. Und weiter lesen wir: "Es liegt nicht in
den Absichten der Verbündeten, eines der Völker, die in diesem Kriege ihre politische
Selbständigkeit verloren haben, dieser Selbständigkeit zu berauben." Damit ist
offenbar der Standpunkt der Regierungen nicht nur für die Neuordnung der Ver.
Hältnisse im Osten ausgesprochen, sondern überhaupt für den Wiederaufbau der
politischen Welt, überall wo die alte Ordnung zusammengebrochen ist. Es geht
aus dieser Kundgebung von neuem hervor, daß auch die Annexion Belgiens nicht
unser Ziel ist. Wir haben also Belgien nicht erobert, um es einfach zu behalten.
Gute Gründe dafür gibt es. Man wird die Früchte der Eroberung in anderer
Weise nutzbar machen: für die belgischen Völker selber, in erster Linie für die
Flamen, für deren Forderungen wir uns einsetzen werden, und dann für uns
selber, nämlich als Faustpfand.

In Brest-Litowsk ist die Rückgabe der deutschen Kolonien verlangt worden.
Diese sind heute englisch und müssen darum den Engländern wieder abgenommen
werden. Daß dies mit Waffengewalt an Ort und Stelle geschehen könnte, ist ziem-
lich ausgeschlossen. Also muß in Europa über ihr Schicksal entschieden werden,
und dabei fällt, da England heute weniger als im vergangenen Sommer und
Herbst Aussicht hat, die flandrische Küste zu erobern, der Besitz Belgiens auf
unserer Seite gewaltig in die Wagschale. Da hat nun mit vollem Recht in
Heft 51 der "Grenzboten" (1917) Professor Hashagen auf Grund der historischen
Erfahrungen davor gewarnt, allzu einseitig auf den Rückerwerb unserer Kolonien
und überseeischen Positionen auszugehen. Unsere weltpolitische und weltwirtschaft¬
liche Stellung vor dem Kriege war keineswegs schlechthin ideal. Es kann also


Belgien als Faustpfand

Lande in den völkerrechtlichen Beziehungen und nach innen eine stärkere Stütze
gewähren, wie dies verständige Finnländer auch selbst einsehen. Aber wenn nicht
eine überwiegende Mehrheit dafür ist, kann sich das Land innere Kämpfe um die
Verfassungsform nicht leisten. Vor allem kommt es also jetzt auf die Finnländer
selbst an, die Freiheit, die ihnen der Weltkrieg als Geschenk in den Schoß ge-
schüttet, zu erwerben, um sie zu besitzen.




^ Belgien als Faustpfand
Dr. Karl Buchheim von

> me gewaltsame Aneignung von Gebieten, die während des Krieges
l besetzt worden sind, liegt nicht in den Absichten der verbündeten
Regierungen", so heißt es in der Weihnachtsbotschaft, die Graf
Czernin als Sprecher der vier verbündeten Mächte zu Breit-Litowsk
der Welt verkündet hat. Und weiter lesen wir: „Es liegt nicht in
den Absichten der Verbündeten, eines der Völker, die in diesem Kriege ihre politische
Selbständigkeit verloren haben, dieser Selbständigkeit zu berauben." Damit ist
offenbar der Standpunkt der Regierungen nicht nur für die Neuordnung der Ver.
Hältnisse im Osten ausgesprochen, sondern überhaupt für den Wiederaufbau der
politischen Welt, überall wo die alte Ordnung zusammengebrochen ist. Es geht
aus dieser Kundgebung von neuem hervor, daß auch die Annexion Belgiens nicht
unser Ziel ist. Wir haben also Belgien nicht erobert, um es einfach zu behalten.
Gute Gründe dafür gibt es. Man wird die Früchte der Eroberung in anderer
Weise nutzbar machen: für die belgischen Völker selber, in erster Linie für die
Flamen, für deren Forderungen wir uns einsetzen werden, und dann für uns
selber, nämlich als Faustpfand.

In Brest-Litowsk ist die Rückgabe der deutschen Kolonien verlangt worden.
Diese sind heute englisch und müssen darum den Engländern wieder abgenommen
werden. Daß dies mit Waffengewalt an Ort und Stelle geschehen könnte, ist ziem-
lich ausgeschlossen. Also muß in Europa über ihr Schicksal entschieden werden,
und dabei fällt, da England heute weniger als im vergangenen Sommer und
Herbst Aussicht hat, die flandrische Küste zu erobern, der Besitz Belgiens auf
unserer Seite gewaltig in die Wagschale. Da hat nun mit vollem Recht in
Heft 51 der „Grenzboten" (1917) Professor Hashagen auf Grund der historischen
Erfahrungen davor gewarnt, allzu einseitig auf den Rückerwerb unserer Kolonien
und überseeischen Positionen auszugehen. Unsere weltpolitische und weltwirtschaft¬
liche Stellung vor dem Kriege war keineswegs schlechthin ideal. Es kann also


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[0075] Belgien als Faustpfand Lande in den völkerrechtlichen Beziehungen und nach innen eine stärkere Stütze gewähren, wie dies verständige Finnländer auch selbst einsehen. Aber wenn nicht eine überwiegende Mehrheit dafür ist, kann sich das Land innere Kämpfe um die Verfassungsform nicht leisten. Vor allem kommt es also jetzt auf die Finnländer selbst an, die Freiheit, die ihnen der Weltkrieg als Geschenk in den Schoß ge- schüttet, zu erwerben, um sie zu besitzen. ^ Belgien als Faustpfand Dr. Karl Buchheim von > me gewaltsame Aneignung von Gebieten, die während des Krieges l besetzt worden sind, liegt nicht in den Absichten der verbündeten Regierungen", so heißt es in der Weihnachtsbotschaft, die Graf Czernin als Sprecher der vier verbündeten Mächte zu Breit-Litowsk der Welt verkündet hat. Und weiter lesen wir: „Es liegt nicht in den Absichten der Verbündeten, eines der Völker, die in diesem Kriege ihre politische Selbständigkeit verloren haben, dieser Selbständigkeit zu berauben." Damit ist offenbar der Standpunkt der Regierungen nicht nur für die Neuordnung der Ver. Hältnisse im Osten ausgesprochen, sondern überhaupt für den Wiederaufbau der politischen Welt, überall wo die alte Ordnung zusammengebrochen ist. Es geht aus dieser Kundgebung von neuem hervor, daß auch die Annexion Belgiens nicht unser Ziel ist. Wir haben also Belgien nicht erobert, um es einfach zu behalten. Gute Gründe dafür gibt es. Man wird die Früchte der Eroberung in anderer Weise nutzbar machen: für die belgischen Völker selber, in erster Linie für die Flamen, für deren Forderungen wir uns einsetzen werden, und dann für uns selber, nämlich als Faustpfand. In Brest-Litowsk ist die Rückgabe der deutschen Kolonien verlangt worden. Diese sind heute englisch und müssen darum den Engländern wieder abgenommen werden. Daß dies mit Waffengewalt an Ort und Stelle geschehen könnte, ist ziem- lich ausgeschlossen. Also muß in Europa über ihr Schicksal entschieden werden, und dabei fällt, da England heute weniger als im vergangenen Sommer und Herbst Aussicht hat, die flandrische Küste zu erobern, der Besitz Belgiens auf unserer Seite gewaltig in die Wagschale. Da hat nun mit vollem Recht in Heft 51 der „Grenzboten" (1917) Professor Hashagen auf Grund der historischen Erfahrungen davor gewarnt, allzu einseitig auf den Rückerwerb unserer Kolonien und überseeischen Positionen auszugehen. Unsere weltpolitische und weltwirtschaft¬ liche Stellung vor dem Kriege war keineswegs schlechthin ideal. Es kann also

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/75>, abgerufen am 22.07.2024.