Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Rampf um das kommunale Wahlrecht

einem Bauernstand ist eine völlige Demokratie ganz unbedenklich; es wird dort
niemand von einer Mehrheit sozial unterdrückt, weil soziale Unterschiede nicht be¬
stehen. Ganz anders steht es bei einem Gemeinwesen von großer sozialer
Mannigfaliigkeit, wie es das unserige ist. Es ist nur eine von vielen Möglich-
keiten, wenn wir daran denken, daß die riesige Arbeiterschaft, wenn sie die Herrschaft
erlangt hat, große industrielle Betriebe schwer schädigen kann. -- gewiß immer
Ma eigenen Schaden, aber mit der Kurzsichtigkeit, die eben Nicht den eigenen
Schaden erkennt. Denken wir ferner an den Mittelstand, der zahlenmäßig schwächer
als die große Arbeiterschaft ist und darum in einer radikalen Demokratie mit
seinen Ängelegsnheiten im Hintergründe bleiben muß. Indem ich es unterlasse,
die verschiedenen Möglichkeiten durchzusprechen, will ich muh nur noch auf treffende
Bemerkungen beziehen, die der Abgeordnete Traub neulich gemacht hat (vgl. ..Tag.
liebe Rundschau" (Ur. 67): . ' , . , -

..Es muß offen gesagt werden, daß man in Berlin manchmal eure falsche
Taktik einschlug: man'hat das .Maß der Masse' dort selbst langsam eingeführt
und sich davon irreführen lassen. Damit wollen wir sagen, daß man manchmal
nicht zuerst die Gerechtigkeit und Billigkeit einer Maßregel untersuchte, sondern
vorher nach sozialdemokratischen Muster fragte: .wicwiel Menschen. Vereine. Or¬
ganisationen haben Sie hinter sich?' Diese Fragestellung wirkt zerstörend', sie
Sieht den Massenbegriff als Hauptmaßstab des Urteils groß. Ein Volk ist in
seinem ganzen Handel und Wandel auf der schiefen Ebene, wenn es den Grundsatz
einreißen läßt: '
.wer am meisten schreit, kriegt am melsteul' Nicht die Masse ent¬
scheidet, sondern die Leistung und der Charakter." , ^, ^,

Die bedenklichen Erscheinungen, aus die Traub hier hinweist, machen sich
jetzt schon geltend, weil die Neichsregierung zurzeit den Wünschen der Sozial-
demokratie aus bekannten Gründen glaubte nachgeben zu müssen. Es ist zu be¬
fürchten, daß sie nach einer völligen Demokratisierung unseres Vaterlandes dauernd
werden und sich noch verstärken dürften. , ^ ^ . ^ ^ ^

Die "Neuorientierung", von der heute so viel gesprochen wird, hat das
Programm: ..Freie Bahn dein Tüchtigen" aufgestellt. Auf die parlamentarischen
Verhältnisse angewandt, würde dies bedeuten, daß diejenigen politisch brauchbaren
Kräfte, die bisher noch nicht 'gelingend in den Parlamenten und sonstigen Ver-
tretungSkörpkrn zur Geltung gekommen waren, fortan zu stärkerer Geltung ge¬
langen. Würde aber die Einführung des Reichstagswahlrechtes in Preußen eine
solche Wirkung haben? Sie würde vielmehr die doch zweifellos einseitige Zu¬
sammensetzung des Reichstages auf das preußische Abgeordnetenhaus übertragen.
Gerade die politisch brauchbaren Kräfte des deutschen Bürgertums wurden statt
M stärkerer, zu geringerer Geltung gelangen. Man denke z. B. an so manchen
erfahrenen, und charaktervoller Politiker aus der uationalliberalen Partei des Ab¬
geordnetenhauses, der bei einer Wahl nach dem Neichstagswahlrecht schwerlich zu
derem Mandat gelangen würde. In besonderem Maße aber treffen diese Be¬
achtungen auf die Gemeindewahlen zu. Die völlige Demokrat.merung der Ge¬
meinden würde höchst wertvolle Teile des deutschen Bürgertums einfach mundtot
wachen. Wenn wir keineswegs die Fähigkeit der Sozialdemokraten zur Mit-
Wirkung an der kommunalen Verwaltung bestreiten, so bergen die bürgerlichen
Gruppen doch mehr brauchbare Kräfte in sich. Warum diese ohne Not ausschalten?
Daß aber die Sozialdemokratie aus irgendwelcher Toleranz den bürgerlichen Gruppen
den sachlich ihnen gebührenden Platz "immunen würde, daran ist ja nicht zu denken.
"

Auch wir wünschen eine Reform des Wahlrechtes). Ans den dargelegten
Umständen ergibt es sich indessen, daß nur eine solche Reform sachlich in Betracht
kommen kann, die das Programm "Freie Bahn dem Tüchtigen" zu gesunder
Wirklichkeit bringt. Die völlige Demokratisierung unserer Verfassung würde wert-
"ollste Kräfte in großem Umfang einfach lahmlegen.



*) Ich habe meine Gedanken hierüber in meiner Schrift: "Kriegs- und Friedensziele"
Dresden 1917, Globus-Verlag) ausgesprochen.
Grenzbute" I 1918 20
Der Rampf um das kommunale Wahlrecht

einem Bauernstand ist eine völlige Demokratie ganz unbedenklich; es wird dort
niemand von einer Mehrheit sozial unterdrückt, weil soziale Unterschiede nicht be¬
stehen. Ganz anders steht es bei einem Gemeinwesen von großer sozialer
Mannigfaliigkeit, wie es das unserige ist. Es ist nur eine von vielen Möglich-
keiten, wenn wir daran denken, daß die riesige Arbeiterschaft, wenn sie die Herrschaft
erlangt hat, große industrielle Betriebe schwer schädigen kann. — gewiß immer
Ma eigenen Schaden, aber mit der Kurzsichtigkeit, die eben Nicht den eigenen
Schaden erkennt. Denken wir ferner an den Mittelstand, der zahlenmäßig schwächer
als die große Arbeiterschaft ist und darum in einer radikalen Demokratie mit
seinen Ängelegsnheiten im Hintergründe bleiben muß. Indem ich es unterlasse,
die verschiedenen Möglichkeiten durchzusprechen, will ich muh nur noch auf treffende
Bemerkungen beziehen, die der Abgeordnete Traub neulich gemacht hat (vgl. ..Tag.
liebe Rundschau" (Ur. 67): . ' , . , -

..Es muß offen gesagt werden, daß man in Berlin manchmal eure falsche
Taktik einschlug: man'hat das .Maß der Masse' dort selbst langsam eingeführt
und sich davon irreführen lassen. Damit wollen wir sagen, daß man manchmal
nicht zuerst die Gerechtigkeit und Billigkeit einer Maßregel untersuchte, sondern
vorher nach sozialdemokratischen Muster fragte: .wicwiel Menschen. Vereine. Or¬
ganisationen haben Sie hinter sich?' Diese Fragestellung wirkt zerstörend', sie
Sieht den Massenbegriff als Hauptmaßstab des Urteils groß. Ein Volk ist in
seinem ganzen Handel und Wandel auf der schiefen Ebene, wenn es den Grundsatz
einreißen läßt: '
.wer am meisten schreit, kriegt am melsteul' Nicht die Masse ent¬
scheidet, sondern die Leistung und der Charakter." , ^, ^,

Die bedenklichen Erscheinungen, aus die Traub hier hinweist, machen sich
jetzt schon geltend, weil die Neichsregierung zurzeit den Wünschen der Sozial-
demokratie aus bekannten Gründen glaubte nachgeben zu müssen. Es ist zu be¬
fürchten, daß sie nach einer völligen Demokratisierung unseres Vaterlandes dauernd
werden und sich noch verstärken dürften. , ^ ^ . ^ ^ ^

Die „Neuorientierung", von der heute so viel gesprochen wird, hat das
Programm: ..Freie Bahn dein Tüchtigen" aufgestellt. Auf die parlamentarischen
Verhältnisse angewandt, würde dies bedeuten, daß diejenigen politisch brauchbaren
Kräfte, die bisher noch nicht 'gelingend in den Parlamenten und sonstigen Ver-
tretungSkörpkrn zur Geltung gekommen waren, fortan zu stärkerer Geltung ge¬
langen. Würde aber die Einführung des Reichstagswahlrechtes in Preußen eine
solche Wirkung haben? Sie würde vielmehr die doch zweifellos einseitige Zu¬
sammensetzung des Reichstages auf das preußische Abgeordnetenhaus übertragen.
Gerade die politisch brauchbaren Kräfte des deutschen Bürgertums wurden statt
M stärkerer, zu geringerer Geltung gelangen. Man denke z. B. an so manchen
erfahrenen, und charaktervoller Politiker aus der uationalliberalen Partei des Ab¬
geordnetenhauses, der bei einer Wahl nach dem Neichstagswahlrecht schwerlich zu
derem Mandat gelangen würde. In besonderem Maße aber treffen diese Be¬
achtungen auf die Gemeindewahlen zu. Die völlige Demokrat.merung der Ge¬
meinden würde höchst wertvolle Teile des deutschen Bürgertums einfach mundtot
wachen. Wenn wir keineswegs die Fähigkeit der Sozialdemokraten zur Mit-
Wirkung an der kommunalen Verwaltung bestreiten, so bergen die bürgerlichen
Gruppen doch mehr brauchbare Kräfte in sich. Warum diese ohne Not ausschalten?
Daß aber die Sozialdemokratie aus irgendwelcher Toleranz den bürgerlichen Gruppen
den sachlich ihnen gebührenden Platz «immunen würde, daran ist ja nicht zu denken.
"

Auch wir wünschen eine Reform des Wahlrechtes). Ans den dargelegten
Umständen ergibt es sich indessen, daß nur eine solche Reform sachlich in Betracht
kommen kann, die das Programm „Freie Bahn dem Tüchtigen" zu gesunder
Wirklichkeit bringt. Die völlige Demokratisierung unserer Verfassung würde wert-
"ollste Kräfte in großem Umfang einfach lahmlegen.



*) Ich habe meine Gedanken hierüber in meiner Schrift: „Kriegs- und Friedensziele"
Dresden 1917, Globus-Verlag) ausgesprochen.
Grenzbute» I 1918 20
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333390"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Rampf um das kommunale Wahlrecht</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1069" prev="#ID_1068"> einem Bauernstand ist eine völlige Demokratie ganz unbedenklich; es wird dort<lb/>
niemand von einer Mehrheit sozial unterdrückt, weil soziale Unterschiede nicht be¬<lb/>
stehen. Ganz anders steht es bei einem Gemeinwesen von großer sozialer<lb/>
Mannigfaliigkeit, wie es das unserige ist. Es ist nur eine von vielen Möglich-<lb/>
keiten, wenn wir daran denken, daß die riesige Arbeiterschaft, wenn sie die Herrschaft<lb/>
erlangt hat, große industrielle Betriebe schwer schädigen kann. &#x2014; gewiß immer<lb/>
Ma eigenen Schaden, aber mit der Kurzsichtigkeit, die eben Nicht den eigenen<lb/>
Schaden erkennt. Denken wir ferner an den Mittelstand, der zahlenmäßig schwächer<lb/>
als die große Arbeiterschaft ist und darum in einer radikalen Demokratie mit<lb/>
seinen Ängelegsnheiten im Hintergründe bleiben muß. Indem ich es unterlasse,<lb/>
die verschiedenen Möglichkeiten durchzusprechen, will ich muh nur noch auf treffende<lb/>
Bemerkungen beziehen, die der Abgeordnete Traub neulich gemacht hat (vgl. ..Tag.<lb/>
liebe Rundschau" (Ur. 67): .   '  ,  . , -</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1070"> ..Es muß offen gesagt werden, daß man in Berlin manchmal eure falsche<lb/>
Taktik einschlug: man'hat das .Maß der Masse' dort selbst langsam eingeführt<lb/>
und sich davon irreführen lassen. Damit wollen wir sagen, daß man manchmal<lb/>
nicht zuerst die Gerechtigkeit und Billigkeit einer Maßregel untersuchte, sondern<lb/>
vorher nach sozialdemokratischen Muster fragte: .wicwiel Menschen. Vereine. Or¬<lb/>
ganisationen haben Sie hinter sich?' Diese Fragestellung wirkt zerstörend', sie<lb/>
Sieht den Massenbegriff als Hauptmaßstab des Urteils groß. Ein Volk ist in<lb/>
seinem ganzen Handel und Wandel auf der schiefen Ebene, wenn es den Grundsatz<lb/>
einreißen läßt: '<lb/>
.wer am meisten schreit, kriegt am melsteul' Nicht die Masse ent¬<lb/>
scheidet, sondern die Leistung und der Charakter."  , ^, ^,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1071"> Die bedenklichen Erscheinungen, aus die Traub hier hinweist, machen sich<lb/>
jetzt schon geltend, weil die Neichsregierung zurzeit den Wünschen der Sozial-<lb/>
demokratie aus bekannten Gründen glaubte nachgeben zu müssen. Es ist zu be¬<lb/>
fürchten, daß sie nach einer völligen Demokratisierung unseres Vaterlandes dauernd<lb/>
werden und sich noch verstärken dürften. , ^  ^ . ^  ^ ^</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1072"> Die &#x201E;Neuorientierung", von der heute so viel gesprochen wird, hat das<lb/>
Programm: ..Freie Bahn dein Tüchtigen" aufgestellt. Auf die parlamentarischen<lb/>
Verhältnisse angewandt, würde dies bedeuten, daß diejenigen politisch brauchbaren<lb/>
Kräfte, die bisher noch nicht 'gelingend in den Parlamenten und sonstigen Ver-<lb/>
tretungSkörpkrn zur Geltung gekommen waren, fortan zu stärkerer Geltung ge¬<lb/>
langen. Würde aber die Einführung des Reichstagswahlrechtes in Preußen eine<lb/>
solche Wirkung haben? Sie würde vielmehr die doch zweifellos einseitige Zu¬<lb/>
sammensetzung des Reichstages auf das preußische Abgeordnetenhaus übertragen.<lb/>
Gerade die politisch brauchbaren Kräfte des deutschen Bürgertums wurden statt<lb/>
M stärkerer, zu geringerer Geltung gelangen. Man denke z. B. an so manchen<lb/>
erfahrenen, und charaktervoller Politiker aus der uationalliberalen Partei des Ab¬<lb/>
geordnetenhauses, der bei einer Wahl nach dem Neichstagswahlrecht schwerlich zu<lb/>
derem Mandat gelangen würde. In besonderem Maße aber treffen diese Be¬<lb/>
achtungen auf die Gemeindewahlen zu. Die völlige Demokrat.merung der Ge¬<lb/>
meinden würde höchst wertvolle Teile des deutschen Bürgertums einfach mundtot<lb/>
wachen. Wenn wir keineswegs die Fähigkeit der Sozialdemokraten zur Mit-<lb/>
Wirkung an der kommunalen Verwaltung bestreiten, so bergen die bürgerlichen<lb/>
Gruppen doch mehr brauchbare Kräfte in sich. Warum diese ohne Not ausschalten?<lb/>
Daß aber die Sozialdemokratie aus irgendwelcher Toleranz den bürgerlichen Gruppen<lb/>
den sachlich ihnen gebührenden Platz «immunen würde, daran ist ja nicht zu denken.<lb/>
"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1073"> Auch wir wünschen eine Reform des Wahlrechtes). Ans den dargelegten<lb/>
Umständen ergibt es sich indessen, daß nur eine solche Reform sachlich in Betracht<lb/>
kommen kann, die das Programm &#x201E;Freie Bahn dem Tüchtigen" zu gesunder<lb/>
Wirklichkeit bringt. Die völlige Demokratisierung unserer Verfassung würde wert-<lb/>
"ollste Kräfte in großem Umfang einfach lahmlegen.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_121" place="foot"> *) Ich habe meine Gedanken hierüber in meiner Schrift: &#x201E;Kriegs- und Friedensziele"<lb/>
Dresden 1917, Globus-Verlag) ausgesprochen.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbute» I 1918 20</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0293] Der Rampf um das kommunale Wahlrecht einem Bauernstand ist eine völlige Demokratie ganz unbedenklich; es wird dort niemand von einer Mehrheit sozial unterdrückt, weil soziale Unterschiede nicht be¬ stehen. Ganz anders steht es bei einem Gemeinwesen von großer sozialer Mannigfaliigkeit, wie es das unserige ist. Es ist nur eine von vielen Möglich- keiten, wenn wir daran denken, daß die riesige Arbeiterschaft, wenn sie die Herrschaft erlangt hat, große industrielle Betriebe schwer schädigen kann. — gewiß immer Ma eigenen Schaden, aber mit der Kurzsichtigkeit, die eben Nicht den eigenen Schaden erkennt. Denken wir ferner an den Mittelstand, der zahlenmäßig schwächer als die große Arbeiterschaft ist und darum in einer radikalen Demokratie mit seinen Ängelegsnheiten im Hintergründe bleiben muß. Indem ich es unterlasse, die verschiedenen Möglichkeiten durchzusprechen, will ich muh nur noch auf treffende Bemerkungen beziehen, die der Abgeordnete Traub neulich gemacht hat (vgl. ..Tag. liebe Rundschau" (Ur. 67): . ' , . , - ..Es muß offen gesagt werden, daß man in Berlin manchmal eure falsche Taktik einschlug: man'hat das .Maß der Masse' dort selbst langsam eingeführt und sich davon irreführen lassen. Damit wollen wir sagen, daß man manchmal nicht zuerst die Gerechtigkeit und Billigkeit einer Maßregel untersuchte, sondern vorher nach sozialdemokratischen Muster fragte: .wicwiel Menschen. Vereine. Or¬ ganisationen haben Sie hinter sich?' Diese Fragestellung wirkt zerstörend', sie Sieht den Massenbegriff als Hauptmaßstab des Urteils groß. Ein Volk ist in seinem ganzen Handel und Wandel auf der schiefen Ebene, wenn es den Grundsatz einreißen läßt: ' .wer am meisten schreit, kriegt am melsteul' Nicht die Masse ent¬ scheidet, sondern die Leistung und der Charakter." , ^, ^, Die bedenklichen Erscheinungen, aus die Traub hier hinweist, machen sich jetzt schon geltend, weil die Neichsregierung zurzeit den Wünschen der Sozial- demokratie aus bekannten Gründen glaubte nachgeben zu müssen. Es ist zu be¬ fürchten, daß sie nach einer völligen Demokratisierung unseres Vaterlandes dauernd werden und sich noch verstärken dürften. , ^ ^ . ^ ^ ^ Die „Neuorientierung", von der heute so viel gesprochen wird, hat das Programm: ..Freie Bahn dein Tüchtigen" aufgestellt. Auf die parlamentarischen Verhältnisse angewandt, würde dies bedeuten, daß diejenigen politisch brauchbaren Kräfte, die bisher noch nicht 'gelingend in den Parlamenten und sonstigen Ver- tretungSkörpkrn zur Geltung gekommen waren, fortan zu stärkerer Geltung ge¬ langen. Würde aber die Einführung des Reichstagswahlrechtes in Preußen eine solche Wirkung haben? Sie würde vielmehr die doch zweifellos einseitige Zu¬ sammensetzung des Reichstages auf das preußische Abgeordnetenhaus übertragen. Gerade die politisch brauchbaren Kräfte des deutschen Bürgertums wurden statt M stärkerer, zu geringerer Geltung gelangen. Man denke z. B. an so manchen erfahrenen, und charaktervoller Politiker aus der uationalliberalen Partei des Ab¬ geordnetenhauses, der bei einer Wahl nach dem Neichstagswahlrecht schwerlich zu derem Mandat gelangen würde. In besonderem Maße aber treffen diese Be¬ achtungen auf die Gemeindewahlen zu. Die völlige Demokrat.merung der Ge¬ meinden würde höchst wertvolle Teile des deutschen Bürgertums einfach mundtot wachen. Wenn wir keineswegs die Fähigkeit der Sozialdemokraten zur Mit- Wirkung an der kommunalen Verwaltung bestreiten, so bergen die bürgerlichen Gruppen doch mehr brauchbare Kräfte in sich. Warum diese ohne Not ausschalten? Daß aber die Sozialdemokratie aus irgendwelcher Toleranz den bürgerlichen Gruppen den sachlich ihnen gebührenden Platz «immunen würde, daran ist ja nicht zu denken. " Auch wir wünschen eine Reform des Wahlrechtes). Ans den dargelegten Umständen ergibt es sich indessen, daß nur eine solche Reform sachlich in Betracht kommen kann, die das Programm „Freie Bahn dem Tüchtigen" zu gesunder Wirklichkeit bringt. Die völlige Demokratisierung unserer Verfassung würde wert- "ollste Kräfte in großem Umfang einfach lahmlegen. *) Ich habe meine Gedanken hierüber in meiner Schrift: „Kriegs- und Friedensziele" Dresden 1917, Globus-Verlag) ausgesprochen. Grenzbute» I 1918 20

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/293
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/293>, abgerufen am 24.08.2024.