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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Wir brauchen Volkswirte!

Indem man ihm nicht einmal die Möglichkeit zur Ablegung eines Staatsexamens
bot, hielt man sich ihn von vornherein vom Halse. Während jeder andere Hörer
der philosophischen Fakultät, jeder brotsuchende Student der alten Sprachen, jeder
Botaniker sein Staatsexamen als Oberlehrer machen kann, blieb den Jüngern dieses
modernsten Faches jeder Erwerb einer Berechtigung zum Staatsdienst versagt. In
die Wissenschaft als solche mochte wohl jeder nach eigenem Belieben eindringen;
doch der Staat verschmähte irgendetwas dazu zu tun, daß man sich der Disziplin
widmete. Wer betrieb da noch das Studium der Volkswirtschaft? Außer den
Juristen, die meist vor dem Examen flüchtig dieses "Nebenfach" paukten, und
Leuten, die von echtem Wissensdrang dem Fach zugeführt wurden, waren es ent¬
weder künftige Dozenten oder solche, die ihre Ausbildung zu Syndici der wirt¬
schaftlichen Körperschaften (Handelskammern usw.) erlangen wollten. Endlich noch
Geister höheren Fluges, die sich für leitende Stellungen großer Unternehmungen
ausersehen glaubten, wo weiter Überblick über das gesamte Wirtschaftsleben er¬
forderlich oder doch förderlich erschien, wie z. B. im höheren Vankfach usw. Doch
auch diesen verschmähte der Staat irgendeine ..Approbation" als Gewähr und
Erleichterung mit auf den Lebensweg zu geben, wie er sie doch jedem Zahnarzt
oder Fleischbeschauer gönnte. Man würdigte den geschulten Nationalökonomen
keines Befähigungsnachweises. Nun braucht man die Bedeutung abgelegter Examina
durchaus nicht zu überschätzen; allein es liegt in des Staates eigensten Interesse.
Leute zu nützlichen Fächern heranzuziehen und ihre Ausbildung in ausgiebiger
Zahl zu veranlassen. Zu Prüfungen lag übrigens vom Standpunkte des Staates
kein Anlaß vor. da er doch keine Ämter den Volkswirten anzuvertrauen gesonnen
war. Diese Vernachlässigung der Heranbildung und Verwendung eines zahlreichen
volkswirtschaftlich durchgebildeten Personals seitens der Regierungen ist eine
schlimme Unterlassungssünde aus Kurzsichtigkeit gewesen

So geschah es denn. daß. als der Krieg plötzlich die höchsten Anforderungen
an nationalökonomisch geschulte Kräfte stellte, solche nicht ni ausreichender Anzahl
aufzutreiben waren. Und soweit es solche gab, hatten ste sich in allerhand Privat-
steUungen verloren. Man mußte sie erst wieder ausgraben: der Staat hatte erst
recht keine zur Hand! Er behalf sich, indem er zu seinen meist ahnungslosen
Juristen seine Zuflucht nahm oder, auf die Gefahr der Jnteressentenwlrtschaft hui.
praktische Fachleute heranzog, denen jedoch meist ein erweiterter Gesichtskreis über
'hr Erwerbsfeld hinaus ebenso abging, wie jeder Schimmer von staatlicher Ver
waltungskunst. In letzterer Hinsicht sei nur auf die bitteren Ersahrungen in
einigen Krieasgesellschaften mit ihren Umständen. Übelständen und Mißbräuchen
erinnert. Aus den Reihen der Juristen aber erschienen lere komischen Kauze, wie
iener juristische Kanaldirektor, der zum Oberbefehlshaber der Kartoffeln ernannt
wurde, zum Unheil des deutschen Volks. Oder solche Juristen die Ernahrungs-
'rcigen zu lösen hatten, ohne die geringste Atmung von Physiologie, Technologie
und Landwirtschaft zu haben; die Einfuhrgesuche zu genehmigen bekamen, ohne
'ich ein Bild vom Handelsbetrieb oder von der technischen Verwendbarkeit der
Waren, vom Ineinandergreifen der Industrien machen zu können; die bisher die
Ansicht hatten, ein Zwanzigmarkstück sei eine "Valuta", und sich nun unverhofft
.dar die verzwicktesten Aufgaben der Devisenpolitik und der Zahlungsbilanz ge¬
stellt sahen.

. Kein Zweifel kann bestehen: Deutschland ist schlecht gerüstet für Bewältigung
großzügigen wirtschaftlichen Ausgaben, die die Neuzeit in ungeheurem Schwalla"f die Staatsverwaltung und aus jenen privatwirtschaftlichen Wettstreit wälzt,unter dem sich letztlich doch wieder draußen auf dem Weltmarkt die nationale
Durchsetzung vollzieht. Im inneren Verwaltungsdienst, der in rein juristischer Be-
Ziehung so gründlich durchgebildete Beamte aufweist, bleibt das Verständnis für
wirtschaftliche Dinge völlig dem persönlichen Talent des einzelnen, also dem Zu-
M überlassen. Im Auslandsdienst bleibt gleichfalls die Aneignung volkswirtschaft-
"cher Kenntnisse mehr oder weniger Privatsache. Vom Botschafter bis herab zu denewzelnen Konsuln begegnet man krassen Profanen in Fragen ökonomischer Zu-


Grenzboten I 1918 ^
Wir brauchen Volkswirte!

Indem man ihm nicht einmal die Möglichkeit zur Ablegung eines Staatsexamens
bot, hielt man sich ihn von vornherein vom Halse. Während jeder andere Hörer
der philosophischen Fakultät, jeder brotsuchende Student der alten Sprachen, jeder
Botaniker sein Staatsexamen als Oberlehrer machen kann, blieb den Jüngern dieses
modernsten Faches jeder Erwerb einer Berechtigung zum Staatsdienst versagt. In
die Wissenschaft als solche mochte wohl jeder nach eigenem Belieben eindringen;
doch der Staat verschmähte irgendetwas dazu zu tun, daß man sich der Disziplin
widmete. Wer betrieb da noch das Studium der Volkswirtschaft? Außer den
Juristen, die meist vor dem Examen flüchtig dieses „Nebenfach" paukten, und
Leuten, die von echtem Wissensdrang dem Fach zugeführt wurden, waren es ent¬
weder künftige Dozenten oder solche, die ihre Ausbildung zu Syndici der wirt¬
schaftlichen Körperschaften (Handelskammern usw.) erlangen wollten. Endlich noch
Geister höheren Fluges, die sich für leitende Stellungen großer Unternehmungen
ausersehen glaubten, wo weiter Überblick über das gesamte Wirtschaftsleben er¬
forderlich oder doch förderlich erschien, wie z. B. im höheren Vankfach usw. Doch
auch diesen verschmähte der Staat irgendeine ..Approbation" als Gewähr und
Erleichterung mit auf den Lebensweg zu geben, wie er sie doch jedem Zahnarzt
oder Fleischbeschauer gönnte. Man würdigte den geschulten Nationalökonomen
keines Befähigungsnachweises. Nun braucht man die Bedeutung abgelegter Examina
durchaus nicht zu überschätzen; allein es liegt in des Staates eigensten Interesse.
Leute zu nützlichen Fächern heranzuziehen und ihre Ausbildung in ausgiebiger
Zahl zu veranlassen. Zu Prüfungen lag übrigens vom Standpunkte des Staates
kein Anlaß vor. da er doch keine Ämter den Volkswirten anzuvertrauen gesonnen
war. Diese Vernachlässigung der Heranbildung und Verwendung eines zahlreichen
volkswirtschaftlich durchgebildeten Personals seitens der Regierungen ist eine
schlimme Unterlassungssünde aus Kurzsichtigkeit gewesen

So geschah es denn. daß. als der Krieg plötzlich die höchsten Anforderungen
an nationalökonomisch geschulte Kräfte stellte, solche nicht ni ausreichender Anzahl
aufzutreiben waren. Und soweit es solche gab, hatten ste sich in allerhand Privat-
steUungen verloren. Man mußte sie erst wieder ausgraben: der Staat hatte erst
recht keine zur Hand! Er behalf sich, indem er zu seinen meist ahnungslosen
Juristen seine Zuflucht nahm oder, auf die Gefahr der Jnteressentenwlrtschaft hui.
praktische Fachleute heranzog, denen jedoch meist ein erweiterter Gesichtskreis über
'hr Erwerbsfeld hinaus ebenso abging, wie jeder Schimmer von staatlicher Ver
waltungskunst. In letzterer Hinsicht sei nur auf die bitteren Ersahrungen in
einigen Krieasgesellschaften mit ihren Umständen. Übelständen und Mißbräuchen
erinnert. Aus den Reihen der Juristen aber erschienen lere komischen Kauze, wie
iener juristische Kanaldirektor, der zum Oberbefehlshaber der Kartoffeln ernannt
wurde, zum Unheil des deutschen Volks. Oder solche Juristen die Ernahrungs-
'rcigen zu lösen hatten, ohne die geringste Atmung von Physiologie, Technologie
und Landwirtschaft zu haben; die Einfuhrgesuche zu genehmigen bekamen, ohne
'ich ein Bild vom Handelsbetrieb oder von der technischen Verwendbarkeit der
Waren, vom Ineinandergreifen der Industrien machen zu können; die bisher die
Ansicht hatten, ein Zwanzigmarkstück sei eine „Valuta", und sich nun unverhofft
.dar die verzwicktesten Aufgaben der Devisenpolitik und der Zahlungsbilanz ge¬
stellt sahen.

. Kein Zweifel kann bestehen: Deutschland ist schlecht gerüstet für Bewältigung
großzügigen wirtschaftlichen Ausgaben, die die Neuzeit in ungeheurem Schwalla»f die Staatsverwaltung und aus jenen privatwirtschaftlichen Wettstreit wälzt,unter dem sich letztlich doch wieder draußen auf dem Weltmarkt die nationale
Durchsetzung vollzieht. Im inneren Verwaltungsdienst, der in rein juristischer Be-
Ziehung so gründlich durchgebildete Beamte aufweist, bleibt das Verständnis für
wirtschaftliche Dinge völlig dem persönlichen Talent des einzelnen, also dem Zu-
M überlassen. Im Auslandsdienst bleibt gleichfalls die Aneignung volkswirtschaft-
«cher Kenntnisse mehr oder weniger Privatsache. Vom Botschafter bis herab zu denewzelnen Konsuln begegnet man krassen Profanen in Fragen ökonomischer Zu-


Grenzboten I 1918 ^
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[0261] Wir brauchen Volkswirte! Indem man ihm nicht einmal die Möglichkeit zur Ablegung eines Staatsexamens bot, hielt man sich ihn von vornherein vom Halse. Während jeder andere Hörer der philosophischen Fakultät, jeder brotsuchende Student der alten Sprachen, jeder Botaniker sein Staatsexamen als Oberlehrer machen kann, blieb den Jüngern dieses modernsten Faches jeder Erwerb einer Berechtigung zum Staatsdienst versagt. In die Wissenschaft als solche mochte wohl jeder nach eigenem Belieben eindringen; doch der Staat verschmähte irgendetwas dazu zu tun, daß man sich der Disziplin widmete. Wer betrieb da noch das Studium der Volkswirtschaft? Außer den Juristen, die meist vor dem Examen flüchtig dieses „Nebenfach" paukten, und Leuten, die von echtem Wissensdrang dem Fach zugeführt wurden, waren es ent¬ weder künftige Dozenten oder solche, die ihre Ausbildung zu Syndici der wirt¬ schaftlichen Körperschaften (Handelskammern usw.) erlangen wollten. Endlich noch Geister höheren Fluges, die sich für leitende Stellungen großer Unternehmungen ausersehen glaubten, wo weiter Überblick über das gesamte Wirtschaftsleben er¬ forderlich oder doch förderlich erschien, wie z. B. im höheren Vankfach usw. Doch auch diesen verschmähte der Staat irgendeine ..Approbation" als Gewähr und Erleichterung mit auf den Lebensweg zu geben, wie er sie doch jedem Zahnarzt oder Fleischbeschauer gönnte. Man würdigte den geschulten Nationalökonomen keines Befähigungsnachweises. Nun braucht man die Bedeutung abgelegter Examina durchaus nicht zu überschätzen; allein es liegt in des Staates eigensten Interesse. Leute zu nützlichen Fächern heranzuziehen und ihre Ausbildung in ausgiebiger Zahl zu veranlassen. Zu Prüfungen lag übrigens vom Standpunkte des Staates kein Anlaß vor. da er doch keine Ämter den Volkswirten anzuvertrauen gesonnen war. Diese Vernachlässigung der Heranbildung und Verwendung eines zahlreichen volkswirtschaftlich durchgebildeten Personals seitens der Regierungen ist eine schlimme Unterlassungssünde aus Kurzsichtigkeit gewesen So geschah es denn. daß. als der Krieg plötzlich die höchsten Anforderungen an nationalökonomisch geschulte Kräfte stellte, solche nicht ni ausreichender Anzahl aufzutreiben waren. Und soweit es solche gab, hatten ste sich in allerhand Privat- steUungen verloren. Man mußte sie erst wieder ausgraben: der Staat hatte erst recht keine zur Hand! Er behalf sich, indem er zu seinen meist ahnungslosen Juristen seine Zuflucht nahm oder, auf die Gefahr der Jnteressentenwlrtschaft hui. praktische Fachleute heranzog, denen jedoch meist ein erweiterter Gesichtskreis über 'hr Erwerbsfeld hinaus ebenso abging, wie jeder Schimmer von staatlicher Ver waltungskunst. In letzterer Hinsicht sei nur auf die bitteren Ersahrungen in einigen Krieasgesellschaften mit ihren Umständen. Übelständen und Mißbräuchen erinnert. Aus den Reihen der Juristen aber erschienen lere komischen Kauze, wie iener juristische Kanaldirektor, der zum Oberbefehlshaber der Kartoffeln ernannt wurde, zum Unheil des deutschen Volks. Oder solche Juristen die Ernahrungs- 'rcigen zu lösen hatten, ohne die geringste Atmung von Physiologie, Technologie und Landwirtschaft zu haben; die Einfuhrgesuche zu genehmigen bekamen, ohne 'ich ein Bild vom Handelsbetrieb oder von der technischen Verwendbarkeit der Waren, vom Ineinandergreifen der Industrien machen zu können; die bisher die Ansicht hatten, ein Zwanzigmarkstück sei eine „Valuta", und sich nun unverhofft .dar die verzwicktesten Aufgaben der Devisenpolitik und der Zahlungsbilanz ge¬ stellt sahen. . Kein Zweifel kann bestehen: Deutschland ist schlecht gerüstet für Bewältigung großzügigen wirtschaftlichen Ausgaben, die die Neuzeit in ungeheurem Schwalla»f die Staatsverwaltung und aus jenen privatwirtschaftlichen Wettstreit wälzt,unter dem sich letztlich doch wieder draußen auf dem Weltmarkt die nationale Durchsetzung vollzieht. Im inneren Verwaltungsdienst, der in rein juristischer Be- Ziehung so gründlich durchgebildete Beamte aufweist, bleibt das Verständnis für wirtschaftliche Dinge völlig dem persönlichen Talent des einzelnen, also dem Zu- M überlassen. Im Auslandsdienst bleibt gleichfalls die Aneignung volkswirtschaft- «cher Kenntnisse mehr oder weniger Privatsache. Vom Botschafter bis herab zu denewzelnen Konsuln begegnet man krassen Profanen in Fragen ökonomischer Zu- Grenzboten I 1918 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/261>, abgerufen am 22.07.2024.