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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Nationale Besinnungen

den Verschiedensten Zelten -- unter dem Lilienbanner, der Jakobinermütze und den
Adlern Bonapartes -- als Mustervolk im Dienste zentralistisch-obrigkeitlicher Be¬
strebungen, wo bezeichnenderweise die Kommissare des Konvents und Napoleons
Präfekten unmittelbare Rechtsnachfolger der Intendanten des mlLien regime werden
konnten!? Wenn man sich diese Dinge vergegenwärtigt, nimmt es einen nicht
Wunder, daß Gervinus den Individualismus germanisch, die Idee des omni¬
potenten Staates romanisch nannte und, dasz selbst der wägende Blick eines Ranke
all dieser Gegenüberstellung festhielt. Völker' verändern im Laufe eines Jahr¬
hunderts nicht so völlig ihren Charakter. Wie also löst sich der Widerspruch?
Meinecke, der über das Problem des "germanischen und romanischen Geistes im
Wandel der deutschen Geschichtsauffassung" vor zwei Jahren einen überaus reiz-
vollen Ätademievortrag hielt, deckt denselben Riß zwischen Gegenwart und Ver-
gangenheit aus und sucht ihn durch folgenden Gedanken zu überwölben. "Man
gehe diesen Wandlungen nur ernsthaft nach und man wird entdecken, daß alle
Keime dessen, was heute als französischer Individualismus und als deutsche
Staatsgesinnung gilt, schon damals (vor hundert Jahren) vorhanden und aus¬
gestreut waren, und daß wiederum alles das, was uns damals auf die Höhen
individueller Freiheit führte, noch heute in uns lebendig ist." Jener Riß klafft
also nur scheinbar, veranlaßt durch den Doppelsinn des Wortes "Individualismus".
Scheler -- und damit kehren wir zum Ausgangspunkt dieses Anschnittes zurück --
scheidet wiederholt die Freiheit der Individualität, "das hohe Gut der geistigen
Freiheit des eigenartigen Individuums", von der politischen Freiheit der einzelnen
Person, die sich im "traditionellen Mißtrauen gegen Eingriffe der Staatsgewalt"
äußert. In dieser sieht er die unabhängige Provinz des englischen (und wie wir
hinzufügen können französischen), in jener die des deutschen Denkens. Im ersteren
Falle ist die "Persönlichkeit" des Individuums das aller Bindungen grundsätzlich
bare politisch-soziale Atom, im zweiten ein Mikrokosmus im Sinne Goethes und
des deutschen Idealismus. Wir "wollen also ganz andere Dinge in uns frei
haben" als jene, das zu erkennen und danach die Wertung des Freiheitsbegriffes
zu gestalten, fordert eine gerechte nationale Besinnung, über diesen allgemeinen
Oriennerungspunkt erst einmal im klaren, erkennt der Blick bald die übrigen Höhen
und Tiefen, die zur richtigen Aufnahme des Bildes erforderlich sind. Es sind die
Tugenden der Fehler und die Fehler der Tugenden. Bei jenen glänzend isolierten
jlome is castle-Individuen der angelsächsischen Welt die imponierende Gabe der
"privaten Initiative", der Fähigkeit, "durch freie spontane Vereinbarung Gesamt-
zwecke zu fördern" (Scheler), aber auch "Borniertheit" und Abhängigkeit von Sitte
und Konvention. Bei dem das höchste Glück der Menschenkinder im Heiligtum der
Persönlichkeit findenden Volk der Dichter und Denker, ein hoffnungslos apolitischer
Zug (Luther, Goethe!), der sowohl in anarchischen liberum veto-Gelüsten wie in
allzu leichter Unterordnung vor "gottgegebenen Abhängigkeiten" sich äußert."

Beginnt nicht schon bei diesen wenigen Noten die Musik des "ewigen Wechsels
zu klingen, von der Meinecke in seiner kongenialen Sprache sagt, daß man sich ihr
einmal ganz hingeben müsse, und daß sie zwar alle künstlich geschaffenen Einheiten,
aber nicht die "wahre Individualität der historischen Erscheinungen" auflöse?

Wir können im deutschen Schrifttum neuerdings an verschiedenen Stellen
beobachten, wie die einseitig schroffe Formulierung nationaler Werte und fremder
Unwerte einer gerechteren Beurteilung Platz macht. Hier sei auf die gedanken¬
reiche Studie Wolzendorffs: "Vom deutschen Staat und seinem Recht" aufmerksam
gemacht, die sich gerade ein schärferes Herausarbeiten der "eigenen deutschen Werte
in der Entwicklungsgeschichte der Grundprinzipien des modernen Staates" -- eine
bislang gerade von der Fachwissenschaft noch wenig geförderte Aufgabe! -- zum
Ziel setzt und trotzdem am Ende betont, daß der "Gegensatz zwischen dein
lateinischen und angelsächsischen Staatsgedanken einerseits und dem deutschen
andererseits" nicht soivohl als ein "solcher des politisch-dynamischen Ideengehalts,
als der politisch-theoretischen Jdeenform" erkannt werden müsse. Der grundsätzliche
Wertgehalt des Staatsgedankens sei trotz verschiedener formaler Ausprägungen


Nationale Besinnungen

den Verschiedensten Zelten — unter dem Lilienbanner, der Jakobinermütze und den
Adlern Bonapartes — als Mustervolk im Dienste zentralistisch-obrigkeitlicher Be¬
strebungen, wo bezeichnenderweise die Kommissare des Konvents und Napoleons
Präfekten unmittelbare Rechtsnachfolger der Intendanten des mlLien regime werden
konnten!? Wenn man sich diese Dinge vergegenwärtigt, nimmt es einen nicht
Wunder, daß Gervinus den Individualismus germanisch, die Idee des omni¬
potenten Staates romanisch nannte und, dasz selbst der wägende Blick eines Ranke
all dieser Gegenüberstellung festhielt. Völker' verändern im Laufe eines Jahr¬
hunderts nicht so völlig ihren Charakter. Wie also löst sich der Widerspruch?
Meinecke, der über das Problem des „germanischen und romanischen Geistes im
Wandel der deutschen Geschichtsauffassung" vor zwei Jahren einen überaus reiz-
vollen Ätademievortrag hielt, deckt denselben Riß zwischen Gegenwart und Ver-
gangenheit aus und sucht ihn durch folgenden Gedanken zu überwölben. „Man
gehe diesen Wandlungen nur ernsthaft nach und man wird entdecken, daß alle
Keime dessen, was heute als französischer Individualismus und als deutsche
Staatsgesinnung gilt, schon damals (vor hundert Jahren) vorhanden und aus¬
gestreut waren, und daß wiederum alles das, was uns damals auf die Höhen
individueller Freiheit führte, noch heute in uns lebendig ist." Jener Riß klafft
also nur scheinbar, veranlaßt durch den Doppelsinn des Wortes „Individualismus".
Scheler — und damit kehren wir zum Ausgangspunkt dieses Anschnittes zurück —
scheidet wiederholt die Freiheit der Individualität, „das hohe Gut der geistigen
Freiheit des eigenartigen Individuums", von der politischen Freiheit der einzelnen
Person, die sich im „traditionellen Mißtrauen gegen Eingriffe der Staatsgewalt"
äußert. In dieser sieht er die unabhängige Provinz des englischen (und wie wir
hinzufügen können französischen), in jener die des deutschen Denkens. Im ersteren
Falle ist die „Persönlichkeit" des Individuums das aller Bindungen grundsätzlich
bare politisch-soziale Atom, im zweiten ein Mikrokosmus im Sinne Goethes und
des deutschen Idealismus. Wir „wollen also ganz andere Dinge in uns frei
haben" als jene, das zu erkennen und danach die Wertung des Freiheitsbegriffes
zu gestalten, fordert eine gerechte nationale Besinnung, über diesen allgemeinen
Oriennerungspunkt erst einmal im klaren, erkennt der Blick bald die übrigen Höhen
und Tiefen, die zur richtigen Aufnahme des Bildes erforderlich sind. Es sind die
Tugenden der Fehler und die Fehler der Tugenden. Bei jenen glänzend isolierten
jlome is castle-Individuen der angelsächsischen Welt die imponierende Gabe der
„privaten Initiative", der Fähigkeit, „durch freie spontane Vereinbarung Gesamt-
zwecke zu fördern" (Scheler), aber auch „Borniertheit" und Abhängigkeit von Sitte
und Konvention. Bei dem das höchste Glück der Menschenkinder im Heiligtum der
Persönlichkeit findenden Volk der Dichter und Denker, ein hoffnungslos apolitischer
Zug (Luther, Goethe!), der sowohl in anarchischen liberum veto-Gelüsten wie in
allzu leichter Unterordnung vor „gottgegebenen Abhängigkeiten" sich äußert."

Beginnt nicht schon bei diesen wenigen Noten die Musik des „ewigen Wechsels
zu klingen, von der Meinecke in seiner kongenialen Sprache sagt, daß man sich ihr
einmal ganz hingeben müsse, und daß sie zwar alle künstlich geschaffenen Einheiten,
aber nicht die „wahre Individualität der historischen Erscheinungen" auflöse?

Wir können im deutschen Schrifttum neuerdings an verschiedenen Stellen
beobachten, wie die einseitig schroffe Formulierung nationaler Werte und fremder
Unwerte einer gerechteren Beurteilung Platz macht. Hier sei auf die gedanken¬
reiche Studie Wolzendorffs: „Vom deutschen Staat und seinem Recht" aufmerksam
gemacht, die sich gerade ein schärferes Herausarbeiten der „eigenen deutschen Werte
in der Entwicklungsgeschichte der Grundprinzipien des modernen Staates" — eine
bislang gerade von der Fachwissenschaft noch wenig geförderte Aufgabe! — zum
Ziel setzt und trotzdem am Ende betont, daß der „Gegensatz zwischen dein
lateinischen und angelsächsischen Staatsgedanken einerseits und dem deutschen
andererseits" nicht soivohl als ein „solcher des politisch-dynamischen Ideengehalts,
als der politisch-theoretischen Jdeenform" erkannt werden müsse. Der grundsätzliche
Wertgehalt des Staatsgedankens sei trotz verschiedener formaler Ausprägungen


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[0234] Nationale Besinnungen den Verschiedensten Zelten — unter dem Lilienbanner, der Jakobinermütze und den Adlern Bonapartes — als Mustervolk im Dienste zentralistisch-obrigkeitlicher Be¬ strebungen, wo bezeichnenderweise die Kommissare des Konvents und Napoleons Präfekten unmittelbare Rechtsnachfolger der Intendanten des mlLien regime werden konnten!? Wenn man sich diese Dinge vergegenwärtigt, nimmt es einen nicht Wunder, daß Gervinus den Individualismus germanisch, die Idee des omni¬ potenten Staates romanisch nannte und, dasz selbst der wägende Blick eines Ranke all dieser Gegenüberstellung festhielt. Völker' verändern im Laufe eines Jahr¬ hunderts nicht so völlig ihren Charakter. Wie also löst sich der Widerspruch? Meinecke, der über das Problem des „germanischen und romanischen Geistes im Wandel der deutschen Geschichtsauffassung" vor zwei Jahren einen überaus reiz- vollen Ätademievortrag hielt, deckt denselben Riß zwischen Gegenwart und Ver- gangenheit aus und sucht ihn durch folgenden Gedanken zu überwölben. „Man gehe diesen Wandlungen nur ernsthaft nach und man wird entdecken, daß alle Keime dessen, was heute als französischer Individualismus und als deutsche Staatsgesinnung gilt, schon damals (vor hundert Jahren) vorhanden und aus¬ gestreut waren, und daß wiederum alles das, was uns damals auf die Höhen individueller Freiheit führte, noch heute in uns lebendig ist." Jener Riß klafft also nur scheinbar, veranlaßt durch den Doppelsinn des Wortes „Individualismus". Scheler — und damit kehren wir zum Ausgangspunkt dieses Anschnittes zurück — scheidet wiederholt die Freiheit der Individualität, „das hohe Gut der geistigen Freiheit des eigenartigen Individuums", von der politischen Freiheit der einzelnen Person, die sich im „traditionellen Mißtrauen gegen Eingriffe der Staatsgewalt" äußert. In dieser sieht er die unabhängige Provinz des englischen (und wie wir hinzufügen können französischen), in jener die des deutschen Denkens. Im ersteren Falle ist die „Persönlichkeit" des Individuums das aller Bindungen grundsätzlich bare politisch-soziale Atom, im zweiten ein Mikrokosmus im Sinne Goethes und des deutschen Idealismus. Wir „wollen also ganz andere Dinge in uns frei haben" als jene, das zu erkennen und danach die Wertung des Freiheitsbegriffes zu gestalten, fordert eine gerechte nationale Besinnung, über diesen allgemeinen Oriennerungspunkt erst einmal im klaren, erkennt der Blick bald die übrigen Höhen und Tiefen, die zur richtigen Aufnahme des Bildes erforderlich sind. Es sind die Tugenden der Fehler und die Fehler der Tugenden. Bei jenen glänzend isolierten jlome is castle-Individuen der angelsächsischen Welt die imponierende Gabe der „privaten Initiative", der Fähigkeit, „durch freie spontane Vereinbarung Gesamt- zwecke zu fördern" (Scheler), aber auch „Borniertheit" und Abhängigkeit von Sitte und Konvention. Bei dem das höchste Glück der Menschenkinder im Heiligtum der Persönlichkeit findenden Volk der Dichter und Denker, ein hoffnungslos apolitischer Zug (Luther, Goethe!), der sowohl in anarchischen liberum veto-Gelüsten wie in allzu leichter Unterordnung vor „gottgegebenen Abhängigkeiten" sich äußert." Beginnt nicht schon bei diesen wenigen Noten die Musik des „ewigen Wechsels zu klingen, von der Meinecke in seiner kongenialen Sprache sagt, daß man sich ihr einmal ganz hingeben müsse, und daß sie zwar alle künstlich geschaffenen Einheiten, aber nicht die „wahre Individualität der historischen Erscheinungen" auflöse? Wir können im deutschen Schrifttum neuerdings an verschiedenen Stellen beobachten, wie die einseitig schroffe Formulierung nationaler Werte und fremder Unwerte einer gerechteren Beurteilung Platz macht. Hier sei auf die gedanken¬ reiche Studie Wolzendorffs: „Vom deutschen Staat und seinem Recht" aufmerksam gemacht, die sich gerade ein schärferes Herausarbeiten der „eigenen deutschen Werte in der Entwicklungsgeschichte der Grundprinzipien des modernen Staates" — eine bislang gerade von der Fachwissenschaft noch wenig geförderte Aufgabe! — zum Ziel setzt und trotzdem am Ende betont, daß der „Gegensatz zwischen dein lateinischen und angelsächsischen Staatsgedanken einerseits und dem deutschen andererseits" nicht soivohl als ein „solcher des politisch-dynamischen Ideengehalts, als der politisch-theoretischen Jdeenform" erkannt werden müsse. Der grundsätzliche Wertgehalt des Staatsgedankens sei trotz verschiedener formaler Ausprägungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/234>, abgerufen am 22.07.2024.