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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Nationale Besinnungen

Eine andere hierher gehörige Methode verdeutlicht sich an den bekannten
"Patriotischen Besinnungen" Werner Sombarts: "Händler und Helden" über den
englisch-deutschen Gegensatz.*) Wir sind die letzten, die dem mutig.freien Be-
kenntnis zur eigenen Art einen Kappzaum angelegt, Wesensunterschiede zu solchen
des Grades verwischt sehen möchten, aber eben, weil wir von einer qualitativen
Anschauung der Dinge richtige Erkenntnis gewannen und erwarten, möchten wir
unnötige Schärfen vermieden missen. Ausdrücke wie "Schamlosigkeit", "Pöbelart
des englischen Gedankens," "hundsgemeines Ideal" Benthams, die bei Sombart
leider nicht ganz selten sind, Sätze wie "Was weiß der Engländer von Freiheit",
oder "Kein geistiger Kulturwert kann aus Händlertum englische Weltanschauung)
erwachsen" verderben durch ihren schroffen Radikalismus die Wirkung der an sich
durchaus berechtigten Scheidung zwischen englischem und deutschem Ethos. Diese
Kampfesweise, am Gegner überhaupt kein gutes Haar zu lassen, ist ebenso an-
fechtbar wie das Verfahren deS Franzosen Hanotaux. der unter Verschweigung des
bekannten hohen Lobes tadelnde Bemerkungen des Tacitus über die Germanen
anführt, um sie als unmoralische Barbaren vor der Weltgeschichte zu brandmarken.
Gewiß, auch Treitschke hat die Insularen ein "Krämervolk" gescholten -- der
Vergleich ist alt -- aber derselbe Mann bekennt doch an einer schönen Stelle
seines Aufsatzes über die "Freiheit": "Es ist möglich festzustehen und um sich zu
schlagen in dem schweren Kampfe der Männer und dennoch das Geschehende wie
ein Geschehenes zu betrachten, jede Erscheinung der Zeit in ihrer Notwendigkeit
zu begreifen und mit liebevollem Blicke auch unter der wunderlichsten Hülle der
Torheit das liebe traute Menschenangesicht aufzusuchen." Und wem diese Tonart
zu sehr nach dem Moll des Friedens klingt, der wird doch auch im kriegerisch
veränderten Dur ihre Melodie beibehalten können.

In der Tat, man darf die Engländer nicht "als Utilitarier in dem Sinne
hinstellen, als ob sie. keiner idealen Gedankengänge fähig, nicht bereit seien, dem
Individuum Opfer zugunsten des Ganzen zuzumuten". Man darf ihnen das
Verständnis für die Begriffe Freiheit, Staat und Vaterland nicht absprechen.
Hinsichtlich der beiden letzteren ist das gegenüber einseitigen Regierungen, von denen
sich z. B. auch das Euglandbuch Eduard Meyers nicht frei hält, von berufener Seite
betont werden.'"') Freilich, jene Begriffe sehen drüben anders aus. als der Deutsche
sie von der Heimat gewöhnt ist. Und das führt uns zu einer weiteren Frage
nationaler Besinnung."

Der Wahlspruch des "suum cuiczue. d. h. also in unserem Zusammen¬
hange "Jedem seinen eigentümlichen Freiheitsbegriff", verlangt Klarheit über die
Natur des individuellen Anteils. Nicht nur darum handelt es sich, daß jedem
sein Teil werde, sondern was als solcher zu gelten habe.

Der Streit über den nationalen Freiheitsgedanken diesseits und jenseits
der Schützengräben kann nie zu befriedigenden Abschluß kommen, so lange das
fremde Ethos jeweils ins Prokrustesbett einer bestimmten nationalen Schablone
gezwungen wird. Es ist ein Verdienst Max Schelers, gegenüber der antithetisch
zugespitzten Betrachtungsweise, bei der Licht und Schatten polar gehäuft werden,
auf die gemeinsamen, sagen wir schlicht, menschlichen Grundlagen, die auch
bei noch so unterschiedlichen Volkspsychen vorhanden sind, hingewiesen zu
haben. "Ich möchte vermuten, so sagt er in "Krieg und Aufbau", daß alle
Völker ungefähr dasselbe Maß von Freiheitssinn überhaupt und dasselbe Maß
von Gebundenheit überhaupt besitzen und der Unterschied mehr darin gelegen ist,
was sie in sich frei haben wollen und worin und wovon sie frei zu sein wünschen
und welche Kräfte es jeweilig sind, welche die für alles gesellige Dasein not-




*) Man vergleiche Sombarts Äußerungen a. a. O. Seite 19, 2t, 22, 50.
"*"
) Hatschek, "Die Staatsauffassung der Engländer; Liebcrmann, "Histor. Zeitschr."
1S17. 327 ff. Zur Sache vgl. auch F. W. Foerfter, "England in H. Se, Chamberlains Be¬
leuchtung" (19t7), ohne daß damit sonst für Foerfter gegen Chamberlain Partei ergriffen sein
sollt Ferner Äußerungen, wie die des Abg. v. der Ostein "Amerika, das Land der fürchter¬
lichsten und stinkendsten Korruption".
Nationale Besinnungen

Eine andere hierher gehörige Methode verdeutlicht sich an den bekannten
„Patriotischen Besinnungen" Werner Sombarts: „Händler und Helden" über den
englisch-deutschen Gegensatz.*) Wir sind die letzten, die dem mutig.freien Be-
kenntnis zur eigenen Art einen Kappzaum angelegt, Wesensunterschiede zu solchen
des Grades verwischt sehen möchten, aber eben, weil wir von einer qualitativen
Anschauung der Dinge richtige Erkenntnis gewannen und erwarten, möchten wir
unnötige Schärfen vermieden missen. Ausdrücke wie „Schamlosigkeit", „Pöbelart
des englischen Gedankens," „hundsgemeines Ideal" Benthams, die bei Sombart
leider nicht ganz selten sind, Sätze wie „Was weiß der Engländer von Freiheit",
oder „Kein geistiger Kulturwert kann aus Händlertum englische Weltanschauung)
erwachsen" verderben durch ihren schroffen Radikalismus die Wirkung der an sich
durchaus berechtigten Scheidung zwischen englischem und deutschem Ethos. Diese
Kampfesweise, am Gegner überhaupt kein gutes Haar zu lassen, ist ebenso an-
fechtbar wie das Verfahren deS Franzosen Hanotaux. der unter Verschweigung des
bekannten hohen Lobes tadelnde Bemerkungen des Tacitus über die Germanen
anführt, um sie als unmoralische Barbaren vor der Weltgeschichte zu brandmarken.
Gewiß, auch Treitschke hat die Insularen ein „Krämervolk" gescholten — der
Vergleich ist alt — aber derselbe Mann bekennt doch an einer schönen Stelle
seines Aufsatzes über die „Freiheit": „Es ist möglich festzustehen und um sich zu
schlagen in dem schweren Kampfe der Männer und dennoch das Geschehende wie
ein Geschehenes zu betrachten, jede Erscheinung der Zeit in ihrer Notwendigkeit
zu begreifen und mit liebevollem Blicke auch unter der wunderlichsten Hülle der
Torheit das liebe traute Menschenangesicht aufzusuchen." Und wem diese Tonart
zu sehr nach dem Moll des Friedens klingt, der wird doch auch im kriegerisch
veränderten Dur ihre Melodie beibehalten können.

In der Tat, man darf die Engländer nicht „als Utilitarier in dem Sinne
hinstellen, als ob sie. keiner idealen Gedankengänge fähig, nicht bereit seien, dem
Individuum Opfer zugunsten des Ganzen zuzumuten". Man darf ihnen das
Verständnis für die Begriffe Freiheit, Staat und Vaterland nicht absprechen.
Hinsichtlich der beiden letzteren ist das gegenüber einseitigen Regierungen, von denen
sich z. B. auch das Euglandbuch Eduard Meyers nicht frei hält, von berufener Seite
betont werden.'"') Freilich, jene Begriffe sehen drüben anders aus. als der Deutsche
sie von der Heimat gewöhnt ist. Und das führt uns zu einer weiteren Frage
nationaler Besinnung."

Der Wahlspruch des „suum cuiczue. d. h. also in unserem Zusammen¬
hange „Jedem seinen eigentümlichen Freiheitsbegriff", verlangt Klarheit über die
Natur des individuellen Anteils. Nicht nur darum handelt es sich, daß jedem
sein Teil werde, sondern was als solcher zu gelten habe.

Der Streit über den nationalen Freiheitsgedanken diesseits und jenseits
der Schützengräben kann nie zu befriedigenden Abschluß kommen, so lange das
fremde Ethos jeweils ins Prokrustesbett einer bestimmten nationalen Schablone
gezwungen wird. Es ist ein Verdienst Max Schelers, gegenüber der antithetisch
zugespitzten Betrachtungsweise, bei der Licht und Schatten polar gehäuft werden,
auf die gemeinsamen, sagen wir schlicht, menschlichen Grundlagen, die auch
bei noch so unterschiedlichen Volkspsychen vorhanden sind, hingewiesen zu
haben. „Ich möchte vermuten, so sagt er in „Krieg und Aufbau", daß alle
Völker ungefähr dasselbe Maß von Freiheitssinn überhaupt und dasselbe Maß
von Gebundenheit überhaupt besitzen und der Unterschied mehr darin gelegen ist,
was sie in sich frei haben wollen und worin und wovon sie frei zu sein wünschen
und welche Kräfte es jeweilig sind, welche die für alles gesellige Dasein not-




*) Man vergleiche Sombarts Äußerungen a. a. O. Seite 19, 2t, 22, 50.
"*"
) Hatschek, „Die Staatsauffassung der Engländer; Liebcrmann, „Histor. Zeitschr."
1S17. 327 ff. Zur Sache vgl. auch F. W. Foerfter, „England in H. Se, Chamberlains Be¬
leuchtung" (19t7), ohne daß damit sonst für Foerfter gegen Chamberlain Partei ergriffen sein
sollt Ferner Äußerungen, wie die des Abg. v. der Ostein „Amerika, das Land der fürchter¬
lichsten und stinkendsten Korruption".
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[0231] Nationale Besinnungen Eine andere hierher gehörige Methode verdeutlicht sich an den bekannten „Patriotischen Besinnungen" Werner Sombarts: „Händler und Helden" über den englisch-deutschen Gegensatz.*) Wir sind die letzten, die dem mutig.freien Be- kenntnis zur eigenen Art einen Kappzaum angelegt, Wesensunterschiede zu solchen des Grades verwischt sehen möchten, aber eben, weil wir von einer qualitativen Anschauung der Dinge richtige Erkenntnis gewannen und erwarten, möchten wir unnötige Schärfen vermieden missen. Ausdrücke wie „Schamlosigkeit", „Pöbelart des englischen Gedankens," „hundsgemeines Ideal" Benthams, die bei Sombart leider nicht ganz selten sind, Sätze wie „Was weiß der Engländer von Freiheit", oder „Kein geistiger Kulturwert kann aus Händlertum englische Weltanschauung) erwachsen" verderben durch ihren schroffen Radikalismus die Wirkung der an sich durchaus berechtigten Scheidung zwischen englischem und deutschem Ethos. Diese Kampfesweise, am Gegner überhaupt kein gutes Haar zu lassen, ist ebenso an- fechtbar wie das Verfahren deS Franzosen Hanotaux. der unter Verschweigung des bekannten hohen Lobes tadelnde Bemerkungen des Tacitus über die Germanen anführt, um sie als unmoralische Barbaren vor der Weltgeschichte zu brandmarken. Gewiß, auch Treitschke hat die Insularen ein „Krämervolk" gescholten — der Vergleich ist alt — aber derselbe Mann bekennt doch an einer schönen Stelle seines Aufsatzes über die „Freiheit": „Es ist möglich festzustehen und um sich zu schlagen in dem schweren Kampfe der Männer und dennoch das Geschehende wie ein Geschehenes zu betrachten, jede Erscheinung der Zeit in ihrer Notwendigkeit zu begreifen und mit liebevollem Blicke auch unter der wunderlichsten Hülle der Torheit das liebe traute Menschenangesicht aufzusuchen." Und wem diese Tonart zu sehr nach dem Moll des Friedens klingt, der wird doch auch im kriegerisch veränderten Dur ihre Melodie beibehalten können. In der Tat, man darf die Engländer nicht „als Utilitarier in dem Sinne hinstellen, als ob sie. keiner idealen Gedankengänge fähig, nicht bereit seien, dem Individuum Opfer zugunsten des Ganzen zuzumuten". Man darf ihnen das Verständnis für die Begriffe Freiheit, Staat und Vaterland nicht absprechen. Hinsichtlich der beiden letzteren ist das gegenüber einseitigen Regierungen, von denen sich z. B. auch das Euglandbuch Eduard Meyers nicht frei hält, von berufener Seite betont werden.'"') Freilich, jene Begriffe sehen drüben anders aus. als der Deutsche sie von der Heimat gewöhnt ist. Und das führt uns zu einer weiteren Frage nationaler Besinnung." Der Wahlspruch des „suum cuiczue. d. h. also in unserem Zusammen¬ hange „Jedem seinen eigentümlichen Freiheitsbegriff", verlangt Klarheit über die Natur des individuellen Anteils. Nicht nur darum handelt es sich, daß jedem sein Teil werde, sondern was als solcher zu gelten habe. Der Streit über den nationalen Freiheitsgedanken diesseits und jenseits der Schützengräben kann nie zu befriedigenden Abschluß kommen, so lange das fremde Ethos jeweils ins Prokrustesbett einer bestimmten nationalen Schablone gezwungen wird. Es ist ein Verdienst Max Schelers, gegenüber der antithetisch zugespitzten Betrachtungsweise, bei der Licht und Schatten polar gehäuft werden, auf die gemeinsamen, sagen wir schlicht, menschlichen Grundlagen, die auch bei noch so unterschiedlichen Volkspsychen vorhanden sind, hingewiesen zu haben. „Ich möchte vermuten, so sagt er in „Krieg und Aufbau", daß alle Völker ungefähr dasselbe Maß von Freiheitssinn überhaupt und dasselbe Maß von Gebundenheit überhaupt besitzen und der Unterschied mehr darin gelegen ist, was sie in sich frei haben wollen und worin und wovon sie frei zu sein wünschen und welche Kräfte es jeweilig sind, welche die für alles gesellige Dasein not- *) Man vergleiche Sombarts Äußerungen a. a. O. Seite 19, 2t, 22, 50. "*" ) Hatschek, „Die Staatsauffassung der Engländer; Liebcrmann, „Histor. Zeitschr." 1S17. 327 ff. Zur Sache vgl. auch F. W. Foerfter, „England in H. Se, Chamberlains Be¬ leuchtung" (19t7), ohne daß damit sonst für Foerfter gegen Chamberlain Partei ergriffen sein sollt Ferner Äußerungen, wie die des Abg. v. der Ostein „Amerika, das Land der fürchter¬ lichsten und stinkendsten Korruption".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/231>, abgerufen am 22.07.2024.