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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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der Welt"") -- so steht's in den Schulbüchern eines Lapisse --, im Frieden den
kostbaren Schatz der wahren Freiheit verwaltet und den anderen Völkern von je
aus der Fülle seines Besitzes gespendet hat, so ist ihre Bewahrung auch im Kampfe
das große Ziel. Als aber Boutroux an anderer Stelle die gleichen Ansprüche und
Aufgaben von den Deutschen aussagt, schwindet plötzlich der Engelsglanz von
ihnen und eine Spottgeburt von Dreck und Feuer, die ruchlose Figur eines Welt¬
tyrannen bleibt übrig. Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht nur nicht mehr
dasselbe, sondern -- nach dieser Dialektik -- ein kontradiktorischer Gegensatz!
"

Wir aber gewinnen als erste "nationale Besinnung die Frucht gerechter
"Zusammenschau" in Fichteschen Sinne, die von ausschließlicher Selbstbespiegelung
sich frei weis;. "Jede Nation will das ihr eigentümlich Gute soweit verbreiten
als sie irgend kann," und sie wird das versuchen mit dem Einsatz ihrer ganzen
Kraft, auch gelegentlich mit übertreibender Geste. Das Übermaß theoretischer An¬
sprüche findet an der harten Wirklichkeit der Dinge, an der Konkurrenz eben¬
bürtiger Bewerber, von selbst seine Schranken. Den Grund dieses nach außen
wirkenden nationalen Souverämtätsgefühls berührten wir schon: er liegt in der
Überzeugung von inneren Werte der heimischen Einrichtungen. Hierbei wird auch
den kleinen Volksgemeinschaften ihr Recht, indem sie -- nach jenem Königsworte --
durch moralische Kräfte ersetzen können, was ihnen an äußerlicher Macht gebricht.
Eine gewisse Idealisierung und Ausschließlichkeit wird dieser Betrachtungsweise,
wie begreiflich, stets anhaften. "Der Genius der deutschen Menschen-Naturgeschichte
lebt in und mit jedem Volke, als ob es das Einzige aus Erden wäre" (Herder).
Wo dieser naive Egoismus, dieses in jugendlicher Überschwenglichkeit an seinen
Stern Glauben fehlt, wo die an sich überall und ihrerseits auch wieder mit Recht
vorhandene Kritik und Zweifelsucht am eigenen Herd überhand nimmt, da hat sich die
Nation selber ihr Urteil gesprochen, da dämmert ihr Ende herauf. Die negative
Seite dieses Nationalstolzes aber ist ganz allgemein eine Unterschätzung und Er¬
niedrigung "der anderen", die im Kriege bei unseren Feinden tiefbedauerliche
Formen angenommen haben. Hauptinhalt und Maßstab der schiefen Urteile
bietet der Freiheitsbegriff, jener Proteus nnter den Abstraktionen, der gerade wegen
seiner Wandelbarkeit und Gefälligkeit -- "Freiheit ruft die Vernunft. Freiheit die
wilde Begierde" -- ein so bequemes Kampfmittel darstellt.

Es entbehrt nachgerade trotz der tragischen Blindheit, die über den Völkern
gebreitet liegt, nicht des komischen Eindrucks, wenn man beobachtet, wie sie sich
untereinander als schlechte Haushälter und ehrgeizige Tyrannen verdächtigen.
Zöge man die Summe dieser Wertungen, sie bliebe noch weit zurück hinter dem
pessimistischen Wort des Schwedenkanzlers Oxenstjerna von der geringen Weisheit,
mit der die Welt regiert wird. Sollte nicht auch hier nationale Besinnung
"Jedem das Seine" gönnen und sichern können? Freilich müßte dann die Methode
Lapisse aus dem Unterricht der Jugend verbannt bleiben, obwohl ihre gespreizte
Eitelkeit und Selbstvergötterung noch nicht das Schlimmste ist. Denn weit ver¬
derblicher als sie wirkt die Methode Boutroux. die zur Verherrlichung der eigenen
Art nicht vor einem Plagiat an fremdem Geistesgut zurückschreckt. Denn was ist
es anderes, wenn der französische Philosoph zu unterstellen wagt, der Ausjpruch
Alexanders von Humboldt, es gebe keine Rasse, von der man sagen könne, daß sie
edler als die anderen sei. stelle für die jetzt herrschende deutsche Gemütsverfassung
nichts weiter dar als eine "falsche, nnter französischem Einfluß ersonnene Lehre".
Die Probe auf die "Echtheit" dieser Lehre in ihrem angeblichen Ursprungslande
liefert oben Herr Lapisse!'"

Wie schwer nun aber dieses "ecraser Iinläme -- hier paßt das Wort!
bei der psychologischen Anlage unserer westlichen Nachbarn sein wird, mag man
am Beispiel eines ihrer willigsten ermessen. Der Dichter Romain Rolland, der



") Die Auseinandersetzung mit den "Bundesgenossen" angesichts dieser "sittlichen
Forderung" ist ein interessantes,' aber schwieriges Kapitel, das wir dem Scharfsinn ihrer
Vertreter zur Lösung gern überlassen.
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der Welt"") — so steht's in den Schulbüchern eines Lapisse —, im Frieden den
kostbaren Schatz der wahren Freiheit verwaltet und den anderen Völkern von je
aus der Fülle seines Besitzes gespendet hat, so ist ihre Bewahrung auch im Kampfe
das große Ziel. Als aber Boutroux an anderer Stelle die gleichen Ansprüche und
Aufgaben von den Deutschen aussagt, schwindet plötzlich der Engelsglanz von
ihnen und eine Spottgeburt von Dreck und Feuer, die ruchlose Figur eines Welt¬
tyrannen bleibt übrig. Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht nur nicht mehr
dasselbe, sondern — nach dieser Dialektik — ein kontradiktorischer Gegensatz!
"

Wir aber gewinnen als erste „nationale Besinnung die Frucht gerechter
„Zusammenschau" in Fichteschen Sinne, die von ausschließlicher Selbstbespiegelung
sich frei weis;. „Jede Nation will das ihr eigentümlich Gute soweit verbreiten
als sie irgend kann," und sie wird das versuchen mit dem Einsatz ihrer ganzen
Kraft, auch gelegentlich mit übertreibender Geste. Das Übermaß theoretischer An¬
sprüche findet an der harten Wirklichkeit der Dinge, an der Konkurrenz eben¬
bürtiger Bewerber, von selbst seine Schranken. Den Grund dieses nach außen
wirkenden nationalen Souverämtätsgefühls berührten wir schon: er liegt in der
Überzeugung von inneren Werte der heimischen Einrichtungen. Hierbei wird auch
den kleinen Volksgemeinschaften ihr Recht, indem sie — nach jenem Königsworte —
durch moralische Kräfte ersetzen können, was ihnen an äußerlicher Macht gebricht.
Eine gewisse Idealisierung und Ausschließlichkeit wird dieser Betrachtungsweise,
wie begreiflich, stets anhaften. „Der Genius der deutschen Menschen-Naturgeschichte
lebt in und mit jedem Volke, als ob es das Einzige aus Erden wäre" (Herder).
Wo dieser naive Egoismus, dieses in jugendlicher Überschwenglichkeit an seinen
Stern Glauben fehlt, wo die an sich überall und ihrerseits auch wieder mit Recht
vorhandene Kritik und Zweifelsucht am eigenen Herd überhand nimmt, da hat sich die
Nation selber ihr Urteil gesprochen, da dämmert ihr Ende herauf. Die negative
Seite dieses Nationalstolzes aber ist ganz allgemein eine Unterschätzung und Er¬
niedrigung „der anderen", die im Kriege bei unseren Feinden tiefbedauerliche
Formen angenommen haben. Hauptinhalt und Maßstab der schiefen Urteile
bietet der Freiheitsbegriff, jener Proteus nnter den Abstraktionen, der gerade wegen
seiner Wandelbarkeit und Gefälligkeit — „Freiheit ruft die Vernunft. Freiheit die
wilde Begierde" — ein so bequemes Kampfmittel darstellt.

Es entbehrt nachgerade trotz der tragischen Blindheit, die über den Völkern
gebreitet liegt, nicht des komischen Eindrucks, wenn man beobachtet, wie sie sich
untereinander als schlechte Haushälter und ehrgeizige Tyrannen verdächtigen.
Zöge man die Summe dieser Wertungen, sie bliebe noch weit zurück hinter dem
pessimistischen Wort des Schwedenkanzlers Oxenstjerna von der geringen Weisheit,
mit der die Welt regiert wird. Sollte nicht auch hier nationale Besinnung
„Jedem das Seine" gönnen und sichern können? Freilich müßte dann die Methode
Lapisse aus dem Unterricht der Jugend verbannt bleiben, obwohl ihre gespreizte
Eitelkeit und Selbstvergötterung noch nicht das Schlimmste ist. Denn weit ver¬
derblicher als sie wirkt die Methode Boutroux. die zur Verherrlichung der eigenen
Art nicht vor einem Plagiat an fremdem Geistesgut zurückschreckt. Denn was ist
es anderes, wenn der französische Philosoph zu unterstellen wagt, der Ausjpruch
Alexanders von Humboldt, es gebe keine Rasse, von der man sagen könne, daß sie
edler als die anderen sei. stelle für die jetzt herrschende deutsche Gemütsverfassung
nichts weiter dar als eine „falsche, nnter französischem Einfluß ersonnene Lehre".
Die Probe auf die „Echtheit" dieser Lehre in ihrem angeblichen Ursprungslande
liefert oben Herr Lapisse!'"

Wie schwer nun aber dieses „ecraser Iinläme — hier paßt das Wort!
bei der psychologischen Anlage unserer westlichen Nachbarn sein wird, mag man
am Beispiel eines ihrer willigsten ermessen. Der Dichter Romain Rolland, der



") Die Auseinandersetzung mit den „Bundesgenossen" angesichts dieser „sittlichen
Forderung" ist ein interessantes,' aber schwieriges Kapitel, das wir dem Scharfsinn ihrer
Vertreter zur Lösung gern überlassen.
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[0229] National« Besinnungen der Welt"") — so steht's in den Schulbüchern eines Lapisse —, im Frieden den kostbaren Schatz der wahren Freiheit verwaltet und den anderen Völkern von je aus der Fülle seines Besitzes gespendet hat, so ist ihre Bewahrung auch im Kampfe das große Ziel. Als aber Boutroux an anderer Stelle die gleichen Ansprüche und Aufgaben von den Deutschen aussagt, schwindet plötzlich der Engelsglanz von ihnen und eine Spottgeburt von Dreck und Feuer, die ruchlose Figur eines Welt¬ tyrannen bleibt übrig. Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht nur nicht mehr dasselbe, sondern — nach dieser Dialektik — ein kontradiktorischer Gegensatz! " Wir aber gewinnen als erste „nationale Besinnung die Frucht gerechter „Zusammenschau" in Fichteschen Sinne, die von ausschließlicher Selbstbespiegelung sich frei weis;. „Jede Nation will das ihr eigentümlich Gute soweit verbreiten als sie irgend kann," und sie wird das versuchen mit dem Einsatz ihrer ganzen Kraft, auch gelegentlich mit übertreibender Geste. Das Übermaß theoretischer An¬ sprüche findet an der harten Wirklichkeit der Dinge, an der Konkurrenz eben¬ bürtiger Bewerber, von selbst seine Schranken. Den Grund dieses nach außen wirkenden nationalen Souverämtätsgefühls berührten wir schon: er liegt in der Überzeugung von inneren Werte der heimischen Einrichtungen. Hierbei wird auch den kleinen Volksgemeinschaften ihr Recht, indem sie — nach jenem Königsworte — durch moralische Kräfte ersetzen können, was ihnen an äußerlicher Macht gebricht. Eine gewisse Idealisierung und Ausschließlichkeit wird dieser Betrachtungsweise, wie begreiflich, stets anhaften. „Der Genius der deutschen Menschen-Naturgeschichte lebt in und mit jedem Volke, als ob es das Einzige aus Erden wäre" (Herder). Wo dieser naive Egoismus, dieses in jugendlicher Überschwenglichkeit an seinen Stern Glauben fehlt, wo die an sich überall und ihrerseits auch wieder mit Recht vorhandene Kritik und Zweifelsucht am eigenen Herd überhand nimmt, da hat sich die Nation selber ihr Urteil gesprochen, da dämmert ihr Ende herauf. Die negative Seite dieses Nationalstolzes aber ist ganz allgemein eine Unterschätzung und Er¬ niedrigung „der anderen", die im Kriege bei unseren Feinden tiefbedauerliche Formen angenommen haben. Hauptinhalt und Maßstab der schiefen Urteile bietet der Freiheitsbegriff, jener Proteus nnter den Abstraktionen, der gerade wegen seiner Wandelbarkeit und Gefälligkeit — „Freiheit ruft die Vernunft. Freiheit die wilde Begierde" — ein so bequemes Kampfmittel darstellt. Es entbehrt nachgerade trotz der tragischen Blindheit, die über den Völkern gebreitet liegt, nicht des komischen Eindrucks, wenn man beobachtet, wie sie sich untereinander als schlechte Haushälter und ehrgeizige Tyrannen verdächtigen. Zöge man die Summe dieser Wertungen, sie bliebe noch weit zurück hinter dem pessimistischen Wort des Schwedenkanzlers Oxenstjerna von der geringen Weisheit, mit der die Welt regiert wird. Sollte nicht auch hier nationale Besinnung „Jedem das Seine" gönnen und sichern können? Freilich müßte dann die Methode Lapisse aus dem Unterricht der Jugend verbannt bleiben, obwohl ihre gespreizte Eitelkeit und Selbstvergötterung noch nicht das Schlimmste ist. Denn weit ver¬ derblicher als sie wirkt die Methode Boutroux. die zur Verherrlichung der eigenen Art nicht vor einem Plagiat an fremdem Geistesgut zurückschreckt. Denn was ist es anderes, wenn der französische Philosoph zu unterstellen wagt, der Ausjpruch Alexanders von Humboldt, es gebe keine Rasse, von der man sagen könne, daß sie edler als die anderen sei. stelle für die jetzt herrschende deutsche Gemütsverfassung nichts weiter dar als eine „falsche, nnter französischem Einfluß ersonnene Lehre". Die Probe auf die „Echtheit" dieser Lehre in ihrem angeblichen Ursprungslande liefert oben Herr Lapisse!'" Wie schwer nun aber dieses „ecraser Iinläme — hier paßt das Wort! bei der psychologischen Anlage unserer westlichen Nachbarn sein wird, mag man am Beispiel eines ihrer willigsten ermessen. Der Dichter Romain Rolland, der ") Die Auseinandersetzung mit den „Bundesgenossen" angesichts dieser „sittlichen Forderung" ist ein interessantes,' aber schwieriges Kapitel, das wir dem Scharfsinn ihrer Vertreter zur Lösung gern überlassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/229>, abgerufen am 15.01.2025.