Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Carl Jentsch und die Grenzboton

lichen Behörden und -- übrigens hochinteressante Mitteilungen aus der Kultur-
kampfzeit von dokumentarischem Wert. Vielleicht hatte man ihm in der, Über¬
bürdung des Tagesgeschäftes zu antworten vergessen oder dieses nicht für nötig
befunden, denn erst sieben Jahre später, am 26. Februar 1889 wiederholte Jentsch
seinen Versuch und sandte eine kleine pädagogische Glosse an die "Grenzboten".
Er hatte 1882 das altkatholische Pfarramt definitiv aufgegeben und die Redaktion
der "Reißer Presse" gegen 1000 Mark Jahresgehalt übernommen. Seine in kein
Parteischema passende Eigenart führte mit Notwendigkeit zu Differenzen, und so
sah sich Jentsch 1888 gezwungen, sein Heil als freier Schriftsteller zu versuchen.
Er hatte Glück. Das Schweidnitzer "Schlesische Tageblatt" verpflichtete ihn gegen
ein Fixum von 800 Mark jährlich als Leitartikler. Der Existenzgrundstock war
gelegt. Zudem eröffneten sich auf die verschiedensten Anfragen hin weitere Artitel-
absatzgebiete, darunter als wichtigstes: die "Grenzboten". Jentschs lakonische An¬
frage mit der Unterschrift: "Carl Jentsch. Schriftsteller (Frei resignierter Pfarrer,
was ich nicht der Adresse wegen, sondern nur zur Information anmerke)", erweckte
Interesse; seine pädagogische Glosse wurde genommen, ein zweiter Beitrag des¬
gleichen. Ihm folgte die Aufforderung, mehr zu senden, denn er wäre anscheinend
der geborene Grenzbotenmitarbeiter. ' "Diese erste Karte", schrieb Jentsch 1906 in
seinen Erinnerungen an Johannes Grunow, "habe ich oft und lange angeschaut,
nicht bloß, weil sie mir eine hoffnungsschwere, frohe Botschaft brachte, sondern
auch, weil mich die Schriftzüge erfreuten; langgezogene, feine Haarstriche, kräftige
kurze, steile Grundstriche, ein edler Schwung sagten mir: das ist ein klarer, fester,
zuverlässiger Mann, und dabei ein Mann/der das Schöne liebt." Jentschs Ver¬
trauen zu diesem sympathischen Menschen ging von vornherein sehr weit; er scheute
sich nicht, in einem Briefe vom 16. September 1889 unter freimütigster Darlegung
seiner bisher vergeblichen Versuche bei dem ihm noch fremden Verleger anzufragen,
wo und wie er sein umfangreiches Manuskript "Des letzten Nömerzuges welt¬
historische Bedeutung" anbringen könnte. (Der ihm erteilte Rat, sich an Habe!
in Berlin zu wenden, ist erfolglos geblieben, desgleichen noch weitere Bemühung.
Die Handschrift fand ich im Manuskriptnachlaß unveröffentlicht vor.) Grunow
vergalt Gleiches mit Gleichem. Es ist außerordentlich reizvoll, in dem leider nur
einseitig vorhandenen Briefwechsel zu verfolgen, wie trotz der Verschiedenheit der
Charaktere und vieler Ansichten, die beiden geistreichen, für das Schöne, Gute und
Wahre gleicherweise kämpfenden Männer den Weg zur Freundschaft fanden.
Grunow erschloß sich zuerst, nach einer Bemerkung von Jentsch, in dessen schon
erivühnten Erinnerungsartikel; Jentsch antwortete mit einem humoristischen Selbst-
portrüt und malte ebenso lustig aus. wie er sich Grunow und dessen treuen Mit¬
arbeiter, Dr. Wustmann, in der Phantasie vorgestellt hätte, um schließlich am
22. November 1890 freudig in die ihm von Johannes Grunow dargebotene
Freundeshand einzuschlagen. -- Diese persönliche Freundschaft zu dem Verleger¬
redakteur wurde für Jentschs Mitarbeit an den "Grenzboten" maßbestimmend.

Die soziale Frage nimmt in seinen Arbeiten den größten Raum ein.
sozialpolitische Aufsätze aus seiner Feder haben, wie Jentsch selbst in einem Briefe
vom 10. August 1891 andeutet, die "Grenzboten" in den Verdacht gebracht, sozial¬
demokratische Ziele zu verfolgen. So urteilen konnte freilich nur Oberflächlichkeit
bzw. böser Wille. Johannes Grunow charakterisierte das Streben seiner Zeitschrift (im
Jubiläumsheft, Jahrg. 1891, Ur. 4V) als ein Bemühen, "dem Menschen die äußeren
Bedingungen eines echt menschlichen Daseins zu sichern und dessen Grundlagen, wo sie
zerstört oder abhanden gekommen sind, wiederherzustellen." Christliche Gesinnung der
Bruderliebe war das Motiv bei Grunow, der gleichwohl dem Unternehmerstandpunkte
nicht untreu wurde; christliche Gesinnung war auch Jentschs Beweggrund, der aus
ärmlichen Verhältnissen stammend und als ehemaliger katholischer Geistlicher die Not
des Lebens kannte und mit den Bedrückten mitzufühlen vermochte, wie kaum einer.
Die Sozialdemokratie galt ihm aber keineswegs als die berufene Retterin aus dem
Elend. Wohl sollte, nach ihm, das Heil vom Volke selber kommen, wie der noch
kraftvolle kranke Körper nur aus sich selbst zu gesunden vermag, nachdem ihm


Carl Jentsch und die Grenzboton

lichen Behörden und — übrigens hochinteressante Mitteilungen aus der Kultur-
kampfzeit von dokumentarischem Wert. Vielleicht hatte man ihm in der, Über¬
bürdung des Tagesgeschäftes zu antworten vergessen oder dieses nicht für nötig
befunden, denn erst sieben Jahre später, am 26. Februar 1889 wiederholte Jentsch
seinen Versuch und sandte eine kleine pädagogische Glosse an die „Grenzboten".
Er hatte 1882 das altkatholische Pfarramt definitiv aufgegeben und die Redaktion
der „Reißer Presse" gegen 1000 Mark Jahresgehalt übernommen. Seine in kein
Parteischema passende Eigenart führte mit Notwendigkeit zu Differenzen, und so
sah sich Jentsch 1888 gezwungen, sein Heil als freier Schriftsteller zu versuchen.
Er hatte Glück. Das Schweidnitzer „Schlesische Tageblatt" verpflichtete ihn gegen
ein Fixum von 800 Mark jährlich als Leitartikler. Der Existenzgrundstock war
gelegt. Zudem eröffneten sich auf die verschiedensten Anfragen hin weitere Artitel-
absatzgebiete, darunter als wichtigstes: die „Grenzboten". Jentschs lakonische An¬
frage mit der Unterschrift: „Carl Jentsch. Schriftsteller (Frei resignierter Pfarrer,
was ich nicht der Adresse wegen, sondern nur zur Information anmerke)", erweckte
Interesse; seine pädagogische Glosse wurde genommen, ein zweiter Beitrag des¬
gleichen. Ihm folgte die Aufforderung, mehr zu senden, denn er wäre anscheinend
der geborene Grenzbotenmitarbeiter. ' „Diese erste Karte", schrieb Jentsch 1906 in
seinen Erinnerungen an Johannes Grunow, „habe ich oft und lange angeschaut,
nicht bloß, weil sie mir eine hoffnungsschwere, frohe Botschaft brachte, sondern
auch, weil mich die Schriftzüge erfreuten; langgezogene, feine Haarstriche, kräftige
kurze, steile Grundstriche, ein edler Schwung sagten mir: das ist ein klarer, fester,
zuverlässiger Mann, und dabei ein Mann/der das Schöne liebt." Jentschs Ver¬
trauen zu diesem sympathischen Menschen ging von vornherein sehr weit; er scheute
sich nicht, in einem Briefe vom 16. September 1889 unter freimütigster Darlegung
seiner bisher vergeblichen Versuche bei dem ihm noch fremden Verleger anzufragen,
wo und wie er sein umfangreiches Manuskript „Des letzten Nömerzuges welt¬
historische Bedeutung" anbringen könnte. (Der ihm erteilte Rat, sich an Habe!
in Berlin zu wenden, ist erfolglos geblieben, desgleichen noch weitere Bemühung.
Die Handschrift fand ich im Manuskriptnachlaß unveröffentlicht vor.) Grunow
vergalt Gleiches mit Gleichem. Es ist außerordentlich reizvoll, in dem leider nur
einseitig vorhandenen Briefwechsel zu verfolgen, wie trotz der Verschiedenheit der
Charaktere und vieler Ansichten, die beiden geistreichen, für das Schöne, Gute und
Wahre gleicherweise kämpfenden Männer den Weg zur Freundschaft fanden.
Grunow erschloß sich zuerst, nach einer Bemerkung von Jentsch, in dessen schon
erivühnten Erinnerungsartikel; Jentsch antwortete mit einem humoristischen Selbst-
portrüt und malte ebenso lustig aus. wie er sich Grunow und dessen treuen Mit¬
arbeiter, Dr. Wustmann, in der Phantasie vorgestellt hätte, um schließlich am
22. November 1890 freudig in die ihm von Johannes Grunow dargebotene
Freundeshand einzuschlagen. — Diese persönliche Freundschaft zu dem Verleger¬
redakteur wurde für Jentschs Mitarbeit an den „Grenzboten" maßbestimmend.

Die soziale Frage nimmt in seinen Arbeiten den größten Raum ein.
sozialpolitische Aufsätze aus seiner Feder haben, wie Jentsch selbst in einem Briefe
vom 10. August 1891 andeutet, die „Grenzboten" in den Verdacht gebracht, sozial¬
demokratische Ziele zu verfolgen. So urteilen konnte freilich nur Oberflächlichkeit
bzw. böser Wille. Johannes Grunow charakterisierte das Streben seiner Zeitschrift (im
Jubiläumsheft, Jahrg. 1891, Ur. 4V) als ein Bemühen, „dem Menschen die äußeren
Bedingungen eines echt menschlichen Daseins zu sichern und dessen Grundlagen, wo sie
zerstört oder abhanden gekommen sind, wiederherzustellen." Christliche Gesinnung der
Bruderliebe war das Motiv bei Grunow, der gleichwohl dem Unternehmerstandpunkte
nicht untreu wurde; christliche Gesinnung war auch Jentschs Beweggrund, der aus
ärmlichen Verhältnissen stammend und als ehemaliger katholischer Geistlicher die Not
des Lebens kannte und mit den Bedrückten mitzufühlen vermochte, wie kaum einer.
Die Sozialdemokratie galt ihm aber keineswegs als die berufene Retterin aus dem
Elend. Wohl sollte, nach ihm, das Heil vom Volke selber kommen, wie der noch
kraftvolle kranke Körper nur aus sich selbst zu gesunden vermag, nachdem ihm


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0177" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333274"/>
          <fw type="header" place="top"> Carl Jentsch und die Grenzboton</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_617" prev="#ID_616"> lichen Behörden und &#x2014; übrigens hochinteressante Mitteilungen aus der Kultur-<lb/>
kampfzeit von dokumentarischem Wert. Vielleicht hatte man ihm in der, Über¬<lb/>
bürdung des Tagesgeschäftes zu antworten vergessen oder dieses nicht für nötig<lb/>
befunden, denn erst sieben Jahre später, am 26. Februar 1889 wiederholte Jentsch<lb/>
seinen Versuch und sandte eine kleine pädagogische Glosse an die &#x201E;Grenzboten".<lb/>
Er hatte 1882 das altkatholische Pfarramt definitiv aufgegeben und die Redaktion<lb/>
der &#x201E;Reißer Presse" gegen 1000 Mark Jahresgehalt übernommen. Seine in kein<lb/>
Parteischema passende Eigenart führte mit Notwendigkeit zu Differenzen, und so<lb/>
sah sich Jentsch 1888 gezwungen, sein Heil als freier Schriftsteller zu versuchen.<lb/>
Er hatte Glück. Das Schweidnitzer &#x201E;Schlesische Tageblatt" verpflichtete ihn gegen<lb/>
ein Fixum von 800 Mark jährlich als Leitartikler. Der Existenzgrundstock war<lb/>
gelegt. Zudem eröffneten sich auf die verschiedensten Anfragen hin weitere Artitel-<lb/>
absatzgebiete, darunter als wichtigstes: die &#x201E;Grenzboten". Jentschs lakonische An¬<lb/>
frage mit der Unterschrift: &#x201E;Carl Jentsch. Schriftsteller (Frei resignierter Pfarrer,<lb/>
was ich nicht der Adresse wegen, sondern nur zur Information anmerke)", erweckte<lb/>
Interesse; seine pädagogische Glosse wurde genommen, ein zweiter Beitrag des¬<lb/>
gleichen. Ihm folgte die Aufforderung, mehr zu senden, denn er wäre anscheinend<lb/>
der geborene Grenzbotenmitarbeiter. ' &#x201E;Diese erste Karte", schrieb Jentsch 1906 in<lb/>
seinen Erinnerungen an Johannes Grunow, &#x201E;habe ich oft und lange angeschaut,<lb/>
nicht bloß, weil sie mir eine hoffnungsschwere, frohe Botschaft brachte, sondern<lb/>
auch, weil mich die Schriftzüge erfreuten; langgezogene, feine Haarstriche, kräftige<lb/>
kurze, steile Grundstriche, ein edler Schwung sagten mir: das ist ein klarer, fester,<lb/>
zuverlässiger Mann, und dabei ein Mann/der das Schöne liebt." Jentschs Ver¬<lb/>
trauen zu diesem sympathischen Menschen ging von vornherein sehr weit; er scheute<lb/>
sich nicht, in einem Briefe vom 16. September 1889 unter freimütigster Darlegung<lb/>
seiner bisher vergeblichen Versuche bei dem ihm noch fremden Verleger anzufragen,<lb/>
wo und wie er sein umfangreiches Manuskript &#x201E;Des letzten Nömerzuges welt¬<lb/>
historische Bedeutung" anbringen könnte. (Der ihm erteilte Rat, sich an Habe!<lb/>
in Berlin zu wenden, ist erfolglos geblieben, desgleichen noch weitere Bemühung.<lb/>
Die Handschrift fand ich im Manuskriptnachlaß unveröffentlicht vor.) Grunow<lb/>
vergalt Gleiches mit Gleichem. Es ist außerordentlich reizvoll, in dem leider nur<lb/>
einseitig vorhandenen Briefwechsel zu verfolgen, wie trotz der Verschiedenheit der<lb/>
Charaktere und vieler Ansichten, die beiden geistreichen, für das Schöne, Gute und<lb/>
Wahre gleicherweise kämpfenden Männer den Weg zur Freundschaft fanden.<lb/>
Grunow erschloß sich zuerst, nach einer Bemerkung von Jentsch, in dessen schon<lb/>
erivühnten Erinnerungsartikel; Jentsch antwortete mit einem humoristischen Selbst-<lb/>
portrüt und malte ebenso lustig aus. wie er sich Grunow und dessen treuen Mit¬<lb/>
arbeiter, Dr. Wustmann, in der Phantasie vorgestellt hätte, um schließlich am<lb/>
22. November 1890 freudig in die ihm von Johannes Grunow dargebotene<lb/>
Freundeshand einzuschlagen. &#x2014; Diese persönliche Freundschaft zu dem Verleger¬<lb/>
redakteur wurde für Jentschs Mitarbeit an den &#x201E;Grenzboten" maßbestimmend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_618" next="#ID_619"> Die soziale Frage nimmt in seinen Arbeiten den größten Raum ein.<lb/>
sozialpolitische Aufsätze aus seiner Feder haben, wie Jentsch selbst in einem Briefe<lb/>
vom 10. August 1891 andeutet, die &#x201E;Grenzboten" in den Verdacht gebracht, sozial¬<lb/>
demokratische Ziele zu verfolgen. So urteilen konnte freilich nur Oberflächlichkeit<lb/>
bzw. böser Wille. Johannes Grunow charakterisierte das Streben seiner Zeitschrift (im<lb/>
Jubiläumsheft, Jahrg. 1891, Ur. 4V) als ein Bemühen, &#x201E;dem Menschen die äußeren<lb/>
Bedingungen eines echt menschlichen Daseins zu sichern und dessen Grundlagen, wo sie<lb/>
zerstört oder abhanden gekommen sind, wiederherzustellen." Christliche Gesinnung der<lb/>
Bruderliebe war das Motiv bei Grunow, der gleichwohl dem Unternehmerstandpunkte<lb/>
nicht untreu wurde; christliche Gesinnung war auch Jentschs Beweggrund, der aus<lb/>
ärmlichen Verhältnissen stammend und als ehemaliger katholischer Geistlicher die Not<lb/>
des Lebens kannte und mit den Bedrückten mitzufühlen vermochte, wie kaum einer.<lb/>
Die Sozialdemokratie galt ihm aber keineswegs als die berufene Retterin aus dem<lb/>
Elend. Wohl sollte, nach ihm, das Heil vom Volke selber kommen, wie der noch<lb/>
kraftvolle kranke Körper nur aus sich selbst zu gesunden vermag, nachdem ihm</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0177] Carl Jentsch und die Grenzboton lichen Behörden und — übrigens hochinteressante Mitteilungen aus der Kultur- kampfzeit von dokumentarischem Wert. Vielleicht hatte man ihm in der, Über¬ bürdung des Tagesgeschäftes zu antworten vergessen oder dieses nicht für nötig befunden, denn erst sieben Jahre später, am 26. Februar 1889 wiederholte Jentsch seinen Versuch und sandte eine kleine pädagogische Glosse an die „Grenzboten". Er hatte 1882 das altkatholische Pfarramt definitiv aufgegeben und die Redaktion der „Reißer Presse" gegen 1000 Mark Jahresgehalt übernommen. Seine in kein Parteischema passende Eigenart führte mit Notwendigkeit zu Differenzen, und so sah sich Jentsch 1888 gezwungen, sein Heil als freier Schriftsteller zu versuchen. Er hatte Glück. Das Schweidnitzer „Schlesische Tageblatt" verpflichtete ihn gegen ein Fixum von 800 Mark jährlich als Leitartikler. Der Existenzgrundstock war gelegt. Zudem eröffneten sich auf die verschiedensten Anfragen hin weitere Artitel- absatzgebiete, darunter als wichtigstes: die „Grenzboten". Jentschs lakonische An¬ frage mit der Unterschrift: „Carl Jentsch. Schriftsteller (Frei resignierter Pfarrer, was ich nicht der Adresse wegen, sondern nur zur Information anmerke)", erweckte Interesse; seine pädagogische Glosse wurde genommen, ein zweiter Beitrag des¬ gleichen. Ihm folgte die Aufforderung, mehr zu senden, denn er wäre anscheinend der geborene Grenzbotenmitarbeiter. ' „Diese erste Karte", schrieb Jentsch 1906 in seinen Erinnerungen an Johannes Grunow, „habe ich oft und lange angeschaut, nicht bloß, weil sie mir eine hoffnungsschwere, frohe Botschaft brachte, sondern auch, weil mich die Schriftzüge erfreuten; langgezogene, feine Haarstriche, kräftige kurze, steile Grundstriche, ein edler Schwung sagten mir: das ist ein klarer, fester, zuverlässiger Mann, und dabei ein Mann/der das Schöne liebt." Jentschs Ver¬ trauen zu diesem sympathischen Menschen ging von vornherein sehr weit; er scheute sich nicht, in einem Briefe vom 16. September 1889 unter freimütigster Darlegung seiner bisher vergeblichen Versuche bei dem ihm noch fremden Verleger anzufragen, wo und wie er sein umfangreiches Manuskript „Des letzten Nömerzuges welt¬ historische Bedeutung" anbringen könnte. (Der ihm erteilte Rat, sich an Habe! in Berlin zu wenden, ist erfolglos geblieben, desgleichen noch weitere Bemühung. Die Handschrift fand ich im Manuskriptnachlaß unveröffentlicht vor.) Grunow vergalt Gleiches mit Gleichem. Es ist außerordentlich reizvoll, in dem leider nur einseitig vorhandenen Briefwechsel zu verfolgen, wie trotz der Verschiedenheit der Charaktere und vieler Ansichten, die beiden geistreichen, für das Schöne, Gute und Wahre gleicherweise kämpfenden Männer den Weg zur Freundschaft fanden. Grunow erschloß sich zuerst, nach einer Bemerkung von Jentsch, in dessen schon erivühnten Erinnerungsartikel; Jentsch antwortete mit einem humoristischen Selbst- portrüt und malte ebenso lustig aus. wie er sich Grunow und dessen treuen Mit¬ arbeiter, Dr. Wustmann, in der Phantasie vorgestellt hätte, um schließlich am 22. November 1890 freudig in die ihm von Johannes Grunow dargebotene Freundeshand einzuschlagen. — Diese persönliche Freundschaft zu dem Verleger¬ redakteur wurde für Jentschs Mitarbeit an den „Grenzboten" maßbestimmend. Die soziale Frage nimmt in seinen Arbeiten den größten Raum ein. sozialpolitische Aufsätze aus seiner Feder haben, wie Jentsch selbst in einem Briefe vom 10. August 1891 andeutet, die „Grenzboten" in den Verdacht gebracht, sozial¬ demokratische Ziele zu verfolgen. So urteilen konnte freilich nur Oberflächlichkeit bzw. böser Wille. Johannes Grunow charakterisierte das Streben seiner Zeitschrift (im Jubiläumsheft, Jahrg. 1891, Ur. 4V) als ein Bemühen, „dem Menschen die äußeren Bedingungen eines echt menschlichen Daseins zu sichern und dessen Grundlagen, wo sie zerstört oder abhanden gekommen sind, wiederherzustellen." Christliche Gesinnung der Bruderliebe war das Motiv bei Grunow, der gleichwohl dem Unternehmerstandpunkte nicht untreu wurde; christliche Gesinnung war auch Jentschs Beweggrund, der aus ärmlichen Verhältnissen stammend und als ehemaliger katholischer Geistlicher die Not des Lebens kannte und mit den Bedrückten mitzufühlen vermochte, wie kaum einer. Die Sozialdemokratie galt ihm aber keineswegs als die berufene Retterin aus dem Elend. Wohl sollte, nach ihm, das Heil vom Volke selber kommen, wie der noch kraftvolle kranke Körper nur aus sich selbst zu gesunden vermag, nachdem ihm

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/177
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/177>, abgerufen am 22.07.2024.