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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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vor hundert Jahren

Ernst Moritz Arndt und Jahr unterstützten in Rede, Schrift und Tat diesen
Aufruf zur Sammlung aller Kräfte des deutschen Volkes. Erst die schweren
Schlachttage von Lützen, Großbeeren und Leipzig aber vollendeten ihr Werk.
Erst damals gewann der Student, der brüderlich mit Kameraden aus allen
Standen Not und Entbehrung teilte, vollstes Verständnis für Leben und Kraft
des Staates. Während er bisher nach Recht und Herkommen nur als un¬
freier Schüler behandelt wurde, ward er jetzt mündig gesprochen in der größten
und schwersten Prüfung, die das Leben der Völker kennt. Und mit dem Ver¬
ständnis für die nationale Einheit verband sich zugleich die Forderung einer
Reform des studentischen Gemeinschaftslebens, die an Stelle der alten lands¬
mannschaftlichen Zersplitterung neue Formen erstrebte. Die burschenschaftliche
Bewegung begann, die heute ganz besonders zur Hundertjahrfeier berufen ist.

In den Monaten, die den Friedensschlüssen von Paris 1814 und 1815
folgten, erzwang sich der "teutonische Geist", den die Regierung Metternichs
bei den "preußischen Jakobinern", einem Gneisenau, Schenkendorf, Arndt und
Grüner, argwöhnisch emporwachsen sah, Eingang auch in die deutsche Stu¬
dentenschaft. Am 1. November 1814 trat in Halle eine "Teutonia" mit den
preußischen Farben und dem Wahlspruch Ehre, Freiheit. Vaterland an die
Stelle des alten landsmannschaftlichen Kartells. Bald darauf erwuchsen im
Südwesten des Reiches, in Gießen und Heidelberg, aus den von Ernst Moritz
Arndt angeregten "Deutschen Gesellschaften" Verbindungen gleichen Namens,
deren Streben von vornherein auf eine nationale Erneuerung des studentischen
Lebens gerichtet war. Kleinere Kreise von Gleichgesinnten warben in Tübingen,
Erlangen, Breslau, Leipzig, Marburg, Göttingen und Berlin eifrig Anhänger.
Vor allem aber gelang es in Jena, der dort am 12. Juni 1815 gestifteten
"Burschenschaft" Freunde aller Richtungen des neuen Geistes zuzuführen.
Hallische und Heidelberger Teutonen trafen sich hier mit den Berliner Turnern
Vater Jahns. Letztere insbesondere brachten mit den vaterländischen Leibes¬
übungen auch die Gedanken und Wünsche der preußischen Patrioten, der Gegner
der durch Kamptz und Schmalz vertretenen Reaktion, ins Heerlager der unter
dem Schutz Karl Augusts in Weimar und Jena fast allzu üppig empor¬
schießenden "freien Presse".

Schon im Sommerhalbjahr 1817 regte sich daher in Jena der lebhafte
Wunsch, eine engere Gemeinschaft zwischen den gleichstrebenden Studenten ganz
Deutschlands herbeizuführen. Zwei Feste nahten, die zu gemeinsamer Feier
einluden: die Gedenktage der Leipziger Schlacht und die dreihundertjährige
Wiederkehr des Tages, da Luther Rom Fehde ansagte. Da die burschen¬
schaftliche Bewegung sich zunächst vor allem auf den protestantischen Hochschulen
ausgebreitet hatte, entschied man sich anfangs zu einer Einladung zum Re-
formationsjubilüum. Als Ort der Tagung ergab sich damit fast von selbst
Eisenach und die Wartburg, die schon immer ein Lieblingsziel der Hörer
mitteldeutscher Hochschulen gewesen war. Nur der zufällige Umstand, daß die


vor hundert Jahren

Ernst Moritz Arndt und Jahr unterstützten in Rede, Schrift und Tat diesen
Aufruf zur Sammlung aller Kräfte des deutschen Volkes. Erst die schweren
Schlachttage von Lützen, Großbeeren und Leipzig aber vollendeten ihr Werk.
Erst damals gewann der Student, der brüderlich mit Kameraden aus allen
Standen Not und Entbehrung teilte, vollstes Verständnis für Leben und Kraft
des Staates. Während er bisher nach Recht und Herkommen nur als un¬
freier Schüler behandelt wurde, ward er jetzt mündig gesprochen in der größten
und schwersten Prüfung, die das Leben der Völker kennt. Und mit dem Ver¬
ständnis für die nationale Einheit verband sich zugleich die Forderung einer
Reform des studentischen Gemeinschaftslebens, die an Stelle der alten lands¬
mannschaftlichen Zersplitterung neue Formen erstrebte. Die burschenschaftliche
Bewegung begann, die heute ganz besonders zur Hundertjahrfeier berufen ist.

In den Monaten, die den Friedensschlüssen von Paris 1814 und 1815
folgten, erzwang sich der „teutonische Geist", den die Regierung Metternichs
bei den „preußischen Jakobinern", einem Gneisenau, Schenkendorf, Arndt und
Grüner, argwöhnisch emporwachsen sah, Eingang auch in die deutsche Stu¬
dentenschaft. Am 1. November 1814 trat in Halle eine „Teutonia" mit den
preußischen Farben und dem Wahlspruch Ehre, Freiheit. Vaterland an die
Stelle des alten landsmannschaftlichen Kartells. Bald darauf erwuchsen im
Südwesten des Reiches, in Gießen und Heidelberg, aus den von Ernst Moritz
Arndt angeregten „Deutschen Gesellschaften" Verbindungen gleichen Namens,
deren Streben von vornherein auf eine nationale Erneuerung des studentischen
Lebens gerichtet war. Kleinere Kreise von Gleichgesinnten warben in Tübingen,
Erlangen, Breslau, Leipzig, Marburg, Göttingen und Berlin eifrig Anhänger.
Vor allem aber gelang es in Jena, der dort am 12. Juni 1815 gestifteten
„Burschenschaft" Freunde aller Richtungen des neuen Geistes zuzuführen.
Hallische und Heidelberger Teutonen trafen sich hier mit den Berliner Turnern
Vater Jahns. Letztere insbesondere brachten mit den vaterländischen Leibes¬
übungen auch die Gedanken und Wünsche der preußischen Patrioten, der Gegner
der durch Kamptz und Schmalz vertretenen Reaktion, ins Heerlager der unter
dem Schutz Karl Augusts in Weimar und Jena fast allzu üppig empor¬
schießenden „freien Presse".

Schon im Sommerhalbjahr 1817 regte sich daher in Jena der lebhafte
Wunsch, eine engere Gemeinschaft zwischen den gleichstrebenden Studenten ganz
Deutschlands herbeizuführen. Zwei Feste nahten, die zu gemeinsamer Feier
einluden: die Gedenktage der Leipziger Schlacht und die dreihundertjährige
Wiederkehr des Tages, da Luther Rom Fehde ansagte. Da die burschen¬
schaftliche Bewegung sich zunächst vor allem auf den protestantischen Hochschulen
ausgebreitet hatte, entschied man sich anfangs zu einer Einladung zum Re-
formationsjubilüum. Als Ort der Tagung ergab sich damit fast von selbst
Eisenach und die Wartburg, die schon immer ein Lieblingsziel der Hörer
mitteldeutscher Hochschulen gewesen war. Nur der zufällige Umstand, daß die


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[0083] vor hundert Jahren Ernst Moritz Arndt und Jahr unterstützten in Rede, Schrift und Tat diesen Aufruf zur Sammlung aller Kräfte des deutschen Volkes. Erst die schweren Schlachttage von Lützen, Großbeeren und Leipzig aber vollendeten ihr Werk. Erst damals gewann der Student, der brüderlich mit Kameraden aus allen Standen Not und Entbehrung teilte, vollstes Verständnis für Leben und Kraft des Staates. Während er bisher nach Recht und Herkommen nur als un¬ freier Schüler behandelt wurde, ward er jetzt mündig gesprochen in der größten und schwersten Prüfung, die das Leben der Völker kennt. Und mit dem Ver¬ ständnis für die nationale Einheit verband sich zugleich die Forderung einer Reform des studentischen Gemeinschaftslebens, die an Stelle der alten lands¬ mannschaftlichen Zersplitterung neue Formen erstrebte. Die burschenschaftliche Bewegung begann, die heute ganz besonders zur Hundertjahrfeier berufen ist. In den Monaten, die den Friedensschlüssen von Paris 1814 und 1815 folgten, erzwang sich der „teutonische Geist", den die Regierung Metternichs bei den „preußischen Jakobinern", einem Gneisenau, Schenkendorf, Arndt und Grüner, argwöhnisch emporwachsen sah, Eingang auch in die deutsche Stu¬ dentenschaft. Am 1. November 1814 trat in Halle eine „Teutonia" mit den preußischen Farben und dem Wahlspruch Ehre, Freiheit. Vaterland an die Stelle des alten landsmannschaftlichen Kartells. Bald darauf erwuchsen im Südwesten des Reiches, in Gießen und Heidelberg, aus den von Ernst Moritz Arndt angeregten „Deutschen Gesellschaften" Verbindungen gleichen Namens, deren Streben von vornherein auf eine nationale Erneuerung des studentischen Lebens gerichtet war. Kleinere Kreise von Gleichgesinnten warben in Tübingen, Erlangen, Breslau, Leipzig, Marburg, Göttingen und Berlin eifrig Anhänger. Vor allem aber gelang es in Jena, der dort am 12. Juni 1815 gestifteten „Burschenschaft" Freunde aller Richtungen des neuen Geistes zuzuführen. Hallische und Heidelberger Teutonen trafen sich hier mit den Berliner Turnern Vater Jahns. Letztere insbesondere brachten mit den vaterländischen Leibes¬ übungen auch die Gedanken und Wünsche der preußischen Patrioten, der Gegner der durch Kamptz und Schmalz vertretenen Reaktion, ins Heerlager der unter dem Schutz Karl Augusts in Weimar und Jena fast allzu üppig empor¬ schießenden „freien Presse". Schon im Sommerhalbjahr 1817 regte sich daher in Jena der lebhafte Wunsch, eine engere Gemeinschaft zwischen den gleichstrebenden Studenten ganz Deutschlands herbeizuführen. Zwei Feste nahten, die zu gemeinsamer Feier einluden: die Gedenktage der Leipziger Schlacht und die dreihundertjährige Wiederkehr des Tages, da Luther Rom Fehde ansagte. Da die burschen¬ schaftliche Bewegung sich zunächst vor allem auf den protestantischen Hochschulen ausgebreitet hatte, entschied man sich anfangs zu einer Einladung zum Re- formationsjubilüum. Als Ort der Tagung ergab sich damit fast von selbst Eisenach und die Wartburg, die schon immer ein Lieblingsziel der Hörer mitteldeutscher Hochschulen gewesen war. Nur der zufällige Umstand, daß die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/83>, abgerufen am 09.11.2024.