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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Rcichsgeivalt und Landesverfassung ini Reichslande

III. Mit Beseitigung der Reichslandeigenschaft ist der Weg freigemacht
für positive Neubildung.

Damit ein neuer Bundesstaat entstehe, die Einverleibung in ein anderes
Staatswesen sich vollziehe, müssen Kräfte in Tätigkeit treten, denen das Recht
die Wirksamkeit freigibt, die selbst zu setzen es aber nicht vermag. Und auch
in den rechtlichen Vorbedingungen zeigt sich Verschiedenheit, je nachdem auf der
Grundlage der aufgehobenen Reichslandeigenschaft diese oder jene Umgestaltung
angestrebt wird.

1. Ein Staat im Reiche läßt sich nicht lediglich durch Gesetz -- Änderung
der Reichsverfassung -- erzeugen. Wie die Existenz des Menschen nicht mit
der Heirat seiner Eltern, sondern mit seiner Geburt beginnt, so entsteht ein
neuer Staat, ein neuer Gliedstaat des Reiches nicht schon durch die Rechtsakte,
die seine Erzeugung legitimieren, seine Reichszugehörigkeit ergeben, denn der
Staat ist nicht bloßes Rechtsgeschöpf, sondern Lebewesen. Mögen auch alle
rechtlichen Voraussetzungen des Existentwerdens eines Staates gegeben sein,
erst mit dem Eintritte in die Wirklichkeit, einer geschichtlichen Tatsache, die
rechtlich von der allergrößten Tragweite, aber nicht ihrerseits ein Rechtsakt ist.
besteht der Staat. Den auf Bildung eines neuen Gliedstaates gerichteten
Rechtsakten des Reiches würde der Erfolg versagt bleiben, wenn nicht in dem
zum Staate bestimmten Gebiet in Vollzug des Reichswillens entsprechende staats¬
bildende Kraft sich wirksam erwiese.

Auch die Einverleibung ist zweifellos nicht schon damit gegeben, daß die
Bedingungen ihrer rechtlichen Zulässigkeit erfüllt sind, sie vollzieht sich erst durch
Herstellung des entsprechenden Zustandes, durch wirksame Begründung der
Gewalt des einerleibenden Staates in dem neu hinzutretender Gebiete. Wie
die Rechtsordnung überhaupt, so läßt sich auch eine bestimmte staatliche Ordnung,
hier die Eingliederung eines Gebietes in ein gegebenes Staatswesen, nicht
lediglich durch rechtsetzende Tätigkeit schaffen, es muß der Vollzug, die Be¬
folgung. Verwirklichung der Rechtsanordnungen hinzutreten. Neben der Norm
ist der normgemäße Tatbestand unentbehrlich. Besitzergreifung durch bloße
Proklamation genügt nicht, die Gewalt nutz tatsächlich erlangt sein. Aber
bestand diese Voraussetzung schon zur Zeit der Verkündung, so ist von da ab
das inkorporierte Gebiet als Teil des einverleibenden Staates im Rechtssinne
zu betrachten. Wenn in der Literatur der Vollzug der Einverleibung von der
Besitznahmeverfügung an gerechnet wird, so ist die Erlangung tatsächlicher
Gewalt stillschweigend mitgedacht: eine Ungenauigkeit. die vermieden
werden sollte.

Daß gültig beschlossene Einverleibung Elsaß-Lothringens auch in Tat
umgesetzt werden würde, steht, so wenig sympathisch die Neuerung einem Teile
der Bevölkerung immerhin sein möchte, doch außer Zweifel. Der neuen Staats¬
gewalt wäre die tatsächliche Herrschaft gesichert, mit aktiven Widerstand wohl
überhaupt nicht zu rechnen, während bloße Proteste keine Bedeutung hätten


Rcichsgeivalt und Landesverfassung ini Reichslande

III. Mit Beseitigung der Reichslandeigenschaft ist der Weg freigemacht
für positive Neubildung.

Damit ein neuer Bundesstaat entstehe, die Einverleibung in ein anderes
Staatswesen sich vollziehe, müssen Kräfte in Tätigkeit treten, denen das Recht
die Wirksamkeit freigibt, die selbst zu setzen es aber nicht vermag. Und auch
in den rechtlichen Vorbedingungen zeigt sich Verschiedenheit, je nachdem auf der
Grundlage der aufgehobenen Reichslandeigenschaft diese oder jene Umgestaltung
angestrebt wird.

1. Ein Staat im Reiche läßt sich nicht lediglich durch Gesetz — Änderung
der Reichsverfassung — erzeugen. Wie die Existenz des Menschen nicht mit
der Heirat seiner Eltern, sondern mit seiner Geburt beginnt, so entsteht ein
neuer Staat, ein neuer Gliedstaat des Reiches nicht schon durch die Rechtsakte,
die seine Erzeugung legitimieren, seine Reichszugehörigkeit ergeben, denn der
Staat ist nicht bloßes Rechtsgeschöpf, sondern Lebewesen. Mögen auch alle
rechtlichen Voraussetzungen des Existentwerdens eines Staates gegeben sein,
erst mit dem Eintritte in die Wirklichkeit, einer geschichtlichen Tatsache, die
rechtlich von der allergrößten Tragweite, aber nicht ihrerseits ein Rechtsakt ist.
besteht der Staat. Den auf Bildung eines neuen Gliedstaates gerichteten
Rechtsakten des Reiches würde der Erfolg versagt bleiben, wenn nicht in dem
zum Staate bestimmten Gebiet in Vollzug des Reichswillens entsprechende staats¬
bildende Kraft sich wirksam erwiese.

Auch die Einverleibung ist zweifellos nicht schon damit gegeben, daß die
Bedingungen ihrer rechtlichen Zulässigkeit erfüllt sind, sie vollzieht sich erst durch
Herstellung des entsprechenden Zustandes, durch wirksame Begründung der
Gewalt des einerleibenden Staates in dem neu hinzutretender Gebiete. Wie
die Rechtsordnung überhaupt, so läßt sich auch eine bestimmte staatliche Ordnung,
hier die Eingliederung eines Gebietes in ein gegebenes Staatswesen, nicht
lediglich durch rechtsetzende Tätigkeit schaffen, es muß der Vollzug, die Be¬
folgung. Verwirklichung der Rechtsanordnungen hinzutreten. Neben der Norm
ist der normgemäße Tatbestand unentbehrlich. Besitzergreifung durch bloße
Proklamation genügt nicht, die Gewalt nutz tatsächlich erlangt sein. Aber
bestand diese Voraussetzung schon zur Zeit der Verkündung, so ist von da ab
das inkorporierte Gebiet als Teil des einverleibenden Staates im Rechtssinne
zu betrachten. Wenn in der Literatur der Vollzug der Einverleibung von der
Besitznahmeverfügung an gerechnet wird, so ist die Erlangung tatsächlicher
Gewalt stillschweigend mitgedacht: eine Ungenauigkeit. die vermieden
werden sollte.

Daß gültig beschlossene Einverleibung Elsaß-Lothringens auch in Tat
umgesetzt werden würde, steht, so wenig sympathisch die Neuerung einem Teile
der Bevölkerung immerhin sein möchte, doch außer Zweifel. Der neuen Staats¬
gewalt wäre die tatsächliche Herrschaft gesichert, mit aktiven Widerstand wohl
überhaupt nicht zu rechnen, während bloße Proteste keine Bedeutung hätten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/41>, abgerufen am 01.09.2024.