Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.An der Schwelle einer neudeutschen Kolonialpolitik aber, und darauf möchte ich hier mit aller Entschiedenheit hinweisen, eine Reibungs¬ Mir wurde kürzlich eine Anekdote erzählt, die in dieser Beziehung vielleicht über diese Frage wäre selbstverständlich noch viel zu sagen, was aber im Und dann endlich noch etwas weiteres. Die Rohstossrage ist für uns von so riesenhafter Bedeutung, daß wir sie An der Schwelle einer neudeutschen Kolonialpolitik aber, und darauf möchte ich hier mit aller Entschiedenheit hinweisen, eine Reibungs¬ Mir wurde kürzlich eine Anekdote erzählt, die in dieser Beziehung vielleicht über diese Frage wäre selbstverständlich noch viel zu sagen, was aber im Und dann endlich noch etwas weiteres. Die Rohstossrage ist für uns von so riesenhafter Bedeutung, daß wir sie <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0300" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333015"/> <fw type="header" place="top"> An der Schwelle einer neudeutschen Kolonialpolitik</fw><lb/> <p xml:id="ID_964" prev="#ID_963"> aber, und darauf möchte ich hier mit aller Entschiedenheit hinweisen, eine Reibungs¬<lb/> gefahr, die gar nicht bedeutungsvoll genug veranschlagt werden kann. Die Er¬<lb/> schließung von neuen Ländern, namentlich wenn sie wie in dem vorliegenden Fall<lb/> schnell geschehen soll und muß, setzt eine gewisse Rücksichtslosigkeit voraus, die vom<lb/> Zwang vielfach nicht weit entfernt ist. Wir haben in den Kolonien häufig genug<lb/> die Beobachtung machen müssen, daß nur der Zwang die Brücke schlägt, wenn<lb/> es sich um den sprungweisen Übergang von der veralteten extensiven Wirtschaft<lb/> zur neuzeitlichen Intensität handelt. Unter diesen Umständen ist die Frage be¬<lb/> rechtigt, ob in der Türkei selbst bereits die Kräfte vorhanden sind, die die Über¬<lb/> zeugung von der Notwendigkeit eines solchen Zwanges und den Willen ihn durch¬<lb/> zusetzen aufbringen können. Es kann doch nicht übersehen werden, daß es sich<lb/> für Anatolien und Mesopotamien dabei um einen Schritt handelt, der die Kultur-<lb/> Verluste von Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden mit einem Schlage aus¬<lb/> gleichen soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_965"> Mir wurde kürzlich eine Anekdote erzählt, die in dieser Beziehung vielleicht<lb/> charakteristisch ist. Kurz vor dem Kriege war von einem deutschen Werk einem<lb/> türkischen Großgrundbesitzer in Anatolien ein Motorpflug geliefert worden. Ein<lb/> Ingenieur des betreffenden Werkes hatte den Pflug an Ort und Stelle selbst ein¬<lb/> gefahren und eingeborene Arbeiter angelernt. Derselbe Herr kam während des<lb/> Krieges als Offizier nach Anatolien und besuchte bei dieser Gelegenheit den Grund¬<lb/> besitzer, um sich über das Wirken des Pfluges zu erkundigen. Auf seine Frage,<lb/> wie der Besitzer mit dem Erfolg zufrieden sei, erhielt er die Antwort: „Aus¬<lb/> gezeichnet! Ich brauche jetzt nur noch ein Viertel des früheren Gebietes in Be¬<lb/> arbeitung zu nehmen!" Ob diese Geschichte wahr ist oder nicht: sie charakterisiert<lb/> den grundsätzlichen Gegensatz zweier Weltanschauungen, mit dem nun einmal<lb/> gerechnet werden muß. Mit dem um so mehr gerechnet werden muß, als be¬<lb/> kanntlich insbesondere in Mesopotamien die Arbeiterfrage sehr brennend ist. Eng¬<lb/> land hat mehr als einmal zu erkennen gegeben, daß es diese Frage durch Ein¬<lb/> führen indischer Arbeiter lösen werde. Die Türkei verfügt aber nicht an anderen<lb/> Stellen über das Maß an Arbeitskräften, das ihr eine Verpflanzung nach Meso¬<lb/> potamien erlauben würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_966"> über diese Frage wäre selbstverständlich noch viel zu sagen, was aber im<lb/> gegenwärtigen Moment zweckmäßig unerörtert bleibt. Jedenfalls aber muß auf<lb/> Grund der deutscherseits in den Kolonien gemachten Erfahrungen auf diese Dinge<lb/> hingewiesen werden, um allzu großen Optimismus auf das richtige Maß zurück¬<lb/> zuführen. Daraus erklärt sich dann auch zwanglos, daß die kolonialen Kreise in<lb/> Deutschland nicht so begeistert in die Zukunftsaussichten Mesopotamiens einstimmen<lb/> könnten, wie es von der Seite geschah, die die Dinge so betrachtete, wie sie<lb/> sie zu sehen wünschte.</p><lb/> <p xml:id="ID_967"> Und dann endlich noch etwas weiteres.</p><lb/> <p xml:id="ID_968" next="#ID_969"> Die Rohstossrage ist für uns von so riesenhafter Bedeutung, daß wir sie<lb/> nicht den Zufälligkeiten eines politischen Bündnisses aussetzen können. Es gibt<lb/> gewiß keinen unter uns, der nicht wünschte, daß das im Kriege geknüpfte Band<lb/> Konstantinopel—Berlin sich als ein recht haltbares und festes erweist. Aber wenn<lb/> der Krieg uns eine Lehre erteilt hat, so besteht sie doch darin, daß wir erkannten,<lb/> daß in der auswärtigen Politik nur der Wechsel das Bleibende ist. Können wir</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0300]
An der Schwelle einer neudeutschen Kolonialpolitik
aber, und darauf möchte ich hier mit aller Entschiedenheit hinweisen, eine Reibungs¬
gefahr, die gar nicht bedeutungsvoll genug veranschlagt werden kann. Die Er¬
schließung von neuen Ländern, namentlich wenn sie wie in dem vorliegenden Fall
schnell geschehen soll und muß, setzt eine gewisse Rücksichtslosigkeit voraus, die vom
Zwang vielfach nicht weit entfernt ist. Wir haben in den Kolonien häufig genug
die Beobachtung machen müssen, daß nur der Zwang die Brücke schlägt, wenn
es sich um den sprungweisen Übergang von der veralteten extensiven Wirtschaft
zur neuzeitlichen Intensität handelt. Unter diesen Umständen ist die Frage be¬
rechtigt, ob in der Türkei selbst bereits die Kräfte vorhanden sind, die die Über¬
zeugung von der Notwendigkeit eines solchen Zwanges und den Willen ihn durch¬
zusetzen aufbringen können. Es kann doch nicht übersehen werden, daß es sich
für Anatolien und Mesopotamien dabei um einen Schritt handelt, der die Kultur-
Verluste von Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden mit einem Schlage aus¬
gleichen soll.
Mir wurde kürzlich eine Anekdote erzählt, die in dieser Beziehung vielleicht
charakteristisch ist. Kurz vor dem Kriege war von einem deutschen Werk einem
türkischen Großgrundbesitzer in Anatolien ein Motorpflug geliefert worden. Ein
Ingenieur des betreffenden Werkes hatte den Pflug an Ort und Stelle selbst ein¬
gefahren und eingeborene Arbeiter angelernt. Derselbe Herr kam während des
Krieges als Offizier nach Anatolien und besuchte bei dieser Gelegenheit den Grund¬
besitzer, um sich über das Wirken des Pfluges zu erkundigen. Auf seine Frage,
wie der Besitzer mit dem Erfolg zufrieden sei, erhielt er die Antwort: „Aus¬
gezeichnet! Ich brauche jetzt nur noch ein Viertel des früheren Gebietes in Be¬
arbeitung zu nehmen!" Ob diese Geschichte wahr ist oder nicht: sie charakterisiert
den grundsätzlichen Gegensatz zweier Weltanschauungen, mit dem nun einmal
gerechnet werden muß. Mit dem um so mehr gerechnet werden muß, als be¬
kanntlich insbesondere in Mesopotamien die Arbeiterfrage sehr brennend ist. Eng¬
land hat mehr als einmal zu erkennen gegeben, daß es diese Frage durch Ein¬
führen indischer Arbeiter lösen werde. Die Türkei verfügt aber nicht an anderen
Stellen über das Maß an Arbeitskräften, das ihr eine Verpflanzung nach Meso¬
potamien erlauben würde.
über diese Frage wäre selbstverständlich noch viel zu sagen, was aber im
gegenwärtigen Moment zweckmäßig unerörtert bleibt. Jedenfalls aber muß auf
Grund der deutscherseits in den Kolonien gemachten Erfahrungen auf diese Dinge
hingewiesen werden, um allzu großen Optimismus auf das richtige Maß zurück¬
zuführen. Daraus erklärt sich dann auch zwanglos, daß die kolonialen Kreise in
Deutschland nicht so begeistert in die Zukunftsaussichten Mesopotamiens einstimmen
könnten, wie es von der Seite geschah, die die Dinge so betrachtete, wie sie
sie zu sehen wünschte.
Und dann endlich noch etwas weiteres.
Die Rohstossrage ist für uns von so riesenhafter Bedeutung, daß wir sie
nicht den Zufälligkeiten eines politischen Bündnisses aussetzen können. Es gibt
gewiß keinen unter uns, der nicht wünschte, daß das im Kriege geknüpfte Band
Konstantinopel—Berlin sich als ein recht haltbares und festes erweist. Aber wenn
der Krieg uns eine Lehre erteilt hat, so besteht sie doch darin, daß wir erkannten,
daß in der auswärtigen Politik nur der Wechsel das Bleibende ist. Können wir
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |