Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.Die deutsche Jndustnearbeit nach dem Kriege kann, so kann er doch entscheidende Antwort erlangen, ob er sich für diesen oder Wenn nun dem Taylor-System die Gefahr innewohnt, den Menschen ohne Dagegen werden sich die Erwartungen nicht erfüllen, zu denen die Prophe¬ Die deutsche Jndustnearbeit nach dem Kriege kann, so kann er doch entscheidende Antwort erlangen, ob er sich für diesen oder Wenn nun dem Taylor-System die Gefahr innewohnt, den Menschen ohne Dagegen werden sich die Erwartungen nicht erfüllen, zu denen die Prophe¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332905"/> <fw type="header" place="top"> Die deutsche Jndustnearbeit nach dem Kriege</fw><lb/> <p xml:id="ID_639" prev="#ID_638"> kann, so kann er doch entscheidende Antwort erlangen, ob er sich für diesen oder<lb/> jenen in Aussicht genommenen Beruf eignet, womit ihm hinlänglich gedient und<lb/> er vor Enttäuschungen gesichert ist. Daß es sich bei diesen Bestrebungen nicht um<lb/> wissenschaftliche Spielerei, sondern um folgenschwere Studien handelt, beweist der<lb/> Eifer, mit dem diese Untersuchungen von der „Zentralstelle für Volkswohlfahrt",<lb/> von der „Arbeitsgemeinschaft für experimentell-pädagogische Forschung der katho¬<lb/> lischen pädagogischen Vereine Münchens" und von anderen Stellen betrieben<lb/> werden. Das Militär ist mit der Einrichtung von besonderen Laboratorien<lb/> für Eignungsprüfung vorangegangen, indem es bei den Kraftfahrbataillonen<lb/> Eignungsstellen eingerichtet hat. In Hamburg und Mannheim bestehen ähnliche<lb/> Stellen für Kriegsverletzte, und Eisenbahnverwaltungen und Industrie planen<lb/> ähnliches.</p><lb/> <p xml:id="ID_640"> Wenn nun dem Taylor-System die Gefahr innewohnt, den Menschen ohne<lb/> Rücksicht auf seine Persönlichkeit zum belebten Motor herabzudrücken, so kann diese<lb/> Gefahr durch eine geschickte Prüfung der Berufseignung auf Grund psychologischer<lb/> Einzeluntersuchung wirkungsvoll aufgehoben werden, da es ja ihre vorzüglichste<lb/> Aufgabe ist, das Individuelle der Person hinsichtlich körperlicher, geistiger und<lb/> seelischer Veranlagung zu erkennen und in den Vordergrund zu rücken, und auf<lb/> der so gewonnenen Grundlage den Beruf des Individuums aufzubauen. Ergänzt<lb/> durch eine gewissenhafte Berufsberatung wird dann das Taylor-System nicht nur<lb/> annehmbar sein, sondern es wird in Deutschland willkommen sein, um mitzuhelfen,<lb/> die Folgen des Krieges innerhalb des deutschen Wirtschaftslebens zu überwinden.</p><lb/> <p xml:id="ID_641"> Dagegen werden sich die Erwartungen nicht erfüllen, zu denen die Prophe¬<lb/> zeiungen Taylors, sein System werde den Kampf auf dem Arbeitsmarkt<lb/> schlichten, berechtigten. Diese Prophezeiungen sind als Reklame zu werten, zu<lb/> der sich Taylor und seine Schule im Bewußtsein der Härten des Systems gedrängt<lb/> sahen: nicht nur dem Unternehmer, sondern auch dem Objekt des Systems, dem<lb/> Arbeiter, und vor allem der Öffentlichkeit sollte das System schmackhaft gemacht<lb/> werden. Tatsache ist, daß durch die Zeitstudie lediglich eine Grundlage geschaffen<lb/> wird, auf der eine gerechte Entlohnung im Rahmen eines augenblicklich gültigen<lb/> Arbeitspreises vorgenommen werden kann. Dieser Arbeitspreis aber ist veränder¬<lb/> lich und abhängig von dem jeweiligen Machtverhältnis, das zwischen Arbeitgeber¬<lb/> und Arbeitnehmerschaft herrscht, d. h. die absolute Zahl, welche für menschliche<lb/> Arbeit ein feststehendes Äquivalent, ausgedrückt in Mark und Pfennigen angibt —<lb/> etwa ähnlich jener Zahl, die mechanische Arbeit und Wärme in Beziehung bringt —<lb/> gibt es nicht und kann uns auch von Taylor nicht angegeben werden. Der Kampf<lb/> wird weiter um diese Zahl gehen und die Streiks werden, trotz Taylor, fürs erste<lb/> nicht aufhören, und, so bedauerlich es auch erscheinen mag, werden daher die Worte<lb/> des früheren russischen Handelsministers Timirjäsew zunächst auch weiter gültig<lb/> sein: „Ein wirtschaftlicher Streik ist immer verständlich und wird immer eine<lb/> natürliche Erscheinung sein, die aus dem unmittelbaren Kampfe der Arbeit mit<lb/> dem Kapitale resultiert."</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0190]
Die deutsche Jndustnearbeit nach dem Kriege
kann, so kann er doch entscheidende Antwort erlangen, ob er sich für diesen oder
jenen in Aussicht genommenen Beruf eignet, womit ihm hinlänglich gedient und
er vor Enttäuschungen gesichert ist. Daß es sich bei diesen Bestrebungen nicht um
wissenschaftliche Spielerei, sondern um folgenschwere Studien handelt, beweist der
Eifer, mit dem diese Untersuchungen von der „Zentralstelle für Volkswohlfahrt",
von der „Arbeitsgemeinschaft für experimentell-pädagogische Forschung der katho¬
lischen pädagogischen Vereine Münchens" und von anderen Stellen betrieben
werden. Das Militär ist mit der Einrichtung von besonderen Laboratorien
für Eignungsprüfung vorangegangen, indem es bei den Kraftfahrbataillonen
Eignungsstellen eingerichtet hat. In Hamburg und Mannheim bestehen ähnliche
Stellen für Kriegsverletzte, und Eisenbahnverwaltungen und Industrie planen
ähnliches.
Wenn nun dem Taylor-System die Gefahr innewohnt, den Menschen ohne
Rücksicht auf seine Persönlichkeit zum belebten Motor herabzudrücken, so kann diese
Gefahr durch eine geschickte Prüfung der Berufseignung auf Grund psychologischer
Einzeluntersuchung wirkungsvoll aufgehoben werden, da es ja ihre vorzüglichste
Aufgabe ist, das Individuelle der Person hinsichtlich körperlicher, geistiger und
seelischer Veranlagung zu erkennen und in den Vordergrund zu rücken, und auf
der so gewonnenen Grundlage den Beruf des Individuums aufzubauen. Ergänzt
durch eine gewissenhafte Berufsberatung wird dann das Taylor-System nicht nur
annehmbar sein, sondern es wird in Deutschland willkommen sein, um mitzuhelfen,
die Folgen des Krieges innerhalb des deutschen Wirtschaftslebens zu überwinden.
Dagegen werden sich die Erwartungen nicht erfüllen, zu denen die Prophe¬
zeiungen Taylors, sein System werde den Kampf auf dem Arbeitsmarkt
schlichten, berechtigten. Diese Prophezeiungen sind als Reklame zu werten, zu
der sich Taylor und seine Schule im Bewußtsein der Härten des Systems gedrängt
sahen: nicht nur dem Unternehmer, sondern auch dem Objekt des Systems, dem
Arbeiter, und vor allem der Öffentlichkeit sollte das System schmackhaft gemacht
werden. Tatsache ist, daß durch die Zeitstudie lediglich eine Grundlage geschaffen
wird, auf der eine gerechte Entlohnung im Rahmen eines augenblicklich gültigen
Arbeitspreises vorgenommen werden kann. Dieser Arbeitspreis aber ist veränder¬
lich und abhängig von dem jeweiligen Machtverhältnis, das zwischen Arbeitgeber¬
und Arbeitnehmerschaft herrscht, d. h. die absolute Zahl, welche für menschliche
Arbeit ein feststehendes Äquivalent, ausgedrückt in Mark und Pfennigen angibt —
etwa ähnlich jener Zahl, die mechanische Arbeit und Wärme in Beziehung bringt —
gibt es nicht und kann uns auch von Taylor nicht angegeben werden. Der Kampf
wird weiter um diese Zahl gehen und die Streiks werden, trotz Taylor, fürs erste
nicht aufhören, und, so bedauerlich es auch erscheinen mag, werden daher die Worte
des früheren russischen Handelsministers Timirjäsew zunächst auch weiter gültig
sein: „Ein wirtschaftlicher Streik ist immer verständlich und wird immer eine
natürliche Erscheinung sein, die aus dem unmittelbaren Kampfe der Arbeit mit
dem Kapitale resultiert."
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