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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Die neue Prüfungsordnung

genügender Leistungen in zwei Fächern, worunter ein Hauptfach sein muß. und
einer genügenden schriftlichen Arbeit kann der Kandidat, der im übrigen ver¬
sagt, diesen "Schwanz" nachmachen, allerdings nur innerhalb eines Jahres.
Diese Bestimmung wird zur Folge haben, daß die Kandidaten nicht zu lange
mit der Meldung zur Prüfung warten, weil sie sich im Nebenfach oder etwa
dem einen Hauptfach nicht sicher fühlen. Sie können sich mit aller Ruhe auf
zwei Fächer konzentrieren.

Endlich hat die Forderung wissenschaftlicher Bildung auch dazu geführt,
daß die Prüfung in zwei Teile zerlegt wurde: einen theoretischen, der nach
der Universitätszeit, und einen praktischen, der nach dem zweijährigen Vor¬
bereitungsdienst erledigt wird. Auch hierin zeigt sich nur eine gewisse Parallele
mit den anderen Fakultäten. Die Einführung eines Probejahres geht schon
auf das Jahr 1826 zurück. Sie beruhte auf der Forderung, daß der nur
theoretisch-wissenschaftlich gebildete Lehrer nicht ohne praktische Erfahrung in
der Kunst der Pädagogik in sein Lehramt eintreten darf, weil er sonst hilflos
vor den Schwierigkeiten des Tages kapitulieren müßte. Es ist etwas anderes,
im stillen Studierstübchen sich mit der Interpretation von Schriftstellern herum¬
zuschlagen, als eine lebendige Klasse halbwüchsiger Jungen vor sich zu haben,
und manch einer, der seinen Sack mit Wissenschaft vollgestopft hatte, mußte
an der Schule aufs neue beginnen zu lernen, ja es kam vor, daß er sich so
unfähig erwies, daß ihm das Zeugnis der Anstellungsfähigkeit versagt werden
mußte. Der Zustand war nun bis zum Jahre 1390 der, daß der Kandidat
in seinem Probejahre sechs bis acht Wochenstunden unter Anleitung eines
älteren Lehrers geben und so seine praktische Ausbildung vollenden sollte. In
Wahrheit aber wurden die angehenden Oberlehrer infolge des starken Mangels
an Kandidaten gewöhnlich sofort mit viel mehr Stunden, die sie selbständig zu
geben hatten, herangezogen, so daß ihre Ausbildung völlig zu kurz kam. Als
nun genügend Kandidaten vorhanden waren, wurden diese Verhältnisse -- eben
im Jahre 1890 -- neu geordnet, und fortan mußte jeder seine zweijährige
Vorbereitungszeit durchmachen, die in ein "Seminar", und ein "Probejahr"
zerfiel. Im ersten siel das Hauptgewicht auf die unter Leitung des Direktors
der Anstalt stattfindenden Sitzungen, in denen Fragen allgemeiner Natur, die
den Unterricht betrafen, behandelt wurden. Daneben sollte der Kandidat in
den Stunden eines Oberlehrers hospitieren und unter seiner Leitung sich all¬
mählich durch Übernahme von Stunden in den Unterrichtsbetrieb einarbeiten.
Daneben mußte er einige Probelektionen in Anwesenheit des Oberlehrers, des
Direktors und der anderen Kandidaten geben und ihre Kritik über sich ergehen
lassen. Im Probejahr wurden dann die Kandidaten sofort mit einer größeren
Anzahl Stunden betraut und erteilten den Unterricht der Vorschrift nach unter
Beaufsichtigung durch Ordinarius und Direktor, in Wahrheit fast ganz selb¬
ständig. Jetzt ist durch die neue Prüfungsordnung Wesentliches geändert
worden: die gemeinsamen Sitzungen gehen durch beide Jahre hindurch, die


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Die neue Prüfungsordnung

genügender Leistungen in zwei Fächern, worunter ein Hauptfach sein muß. und
einer genügenden schriftlichen Arbeit kann der Kandidat, der im übrigen ver¬
sagt, diesen „Schwanz" nachmachen, allerdings nur innerhalb eines Jahres.
Diese Bestimmung wird zur Folge haben, daß die Kandidaten nicht zu lange
mit der Meldung zur Prüfung warten, weil sie sich im Nebenfach oder etwa
dem einen Hauptfach nicht sicher fühlen. Sie können sich mit aller Ruhe auf
zwei Fächer konzentrieren.

Endlich hat die Forderung wissenschaftlicher Bildung auch dazu geführt,
daß die Prüfung in zwei Teile zerlegt wurde: einen theoretischen, der nach
der Universitätszeit, und einen praktischen, der nach dem zweijährigen Vor¬
bereitungsdienst erledigt wird. Auch hierin zeigt sich nur eine gewisse Parallele
mit den anderen Fakultäten. Die Einführung eines Probejahres geht schon
auf das Jahr 1826 zurück. Sie beruhte auf der Forderung, daß der nur
theoretisch-wissenschaftlich gebildete Lehrer nicht ohne praktische Erfahrung in
der Kunst der Pädagogik in sein Lehramt eintreten darf, weil er sonst hilflos
vor den Schwierigkeiten des Tages kapitulieren müßte. Es ist etwas anderes,
im stillen Studierstübchen sich mit der Interpretation von Schriftstellern herum¬
zuschlagen, als eine lebendige Klasse halbwüchsiger Jungen vor sich zu haben,
und manch einer, der seinen Sack mit Wissenschaft vollgestopft hatte, mußte
an der Schule aufs neue beginnen zu lernen, ja es kam vor, daß er sich so
unfähig erwies, daß ihm das Zeugnis der Anstellungsfähigkeit versagt werden
mußte. Der Zustand war nun bis zum Jahre 1390 der, daß der Kandidat
in seinem Probejahre sechs bis acht Wochenstunden unter Anleitung eines
älteren Lehrers geben und so seine praktische Ausbildung vollenden sollte. In
Wahrheit aber wurden die angehenden Oberlehrer infolge des starken Mangels
an Kandidaten gewöhnlich sofort mit viel mehr Stunden, die sie selbständig zu
geben hatten, herangezogen, so daß ihre Ausbildung völlig zu kurz kam. Als
nun genügend Kandidaten vorhanden waren, wurden diese Verhältnisse — eben
im Jahre 1890 — neu geordnet, und fortan mußte jeder seine zweijährige
Vorbereitungszeit durchmachen, die in ein „Seminar", und ein „Probejahr"
zerfiel. Im ersten siel das Hauptgewicht auf die unter Leitung des Direktors
der Anstalt stattfindenden Sitzungen, in denen Fragen allgemeiner Natur, die
den Unterricht betrafen, behandelt wurden. Daneben sollte der Kandidat in
den Stunden eines Oberlehrers hospitieren und unter seiner Leitung sich all¬
mählich durch Übernahme von Stunden in den Unterrichtsbetrieb einarbeiten.
Daneben mußte er einige Probelektionen in Anwesenheit des Oberlehrers, des
Direktors und der anderen Kandidaten geben und ihre Kritik über sich ergehen
lassen. Im Probejahr wurden dann die Kandidaten sofort mit einer größeren
Anzahl Stunden betraut und erteilten den Unterricht der Vorschrift nach unter
Beaufsichtigung durch Ordinarius und Direktor, in Wahrheit fast ganz selb¬
ständig. Jetzt ist durch die neue Prüfungsordnung Wesentliches geändert
worden: die gemeinsamen Sitzungen gehen durch beide Jahre hindurch, die


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[0127] Die neue Prüfungsordnung genügender Leistungen in zwei Fächern, worunter ein Hauptfach sein muß. und einer genügenden schriftlichen Arbeit kann der Kandidat, der im übrigen ver¬ sagt, diesen „Schwanz" nachmachen, allerdings nur innerhalb eines Jahres. Diese Bestimmung wird zur Folge haben, daß die Kandidaten nicht zu lange mit der Meldung zur Prüfung warten, weil sie sich im Nebenfach oder etwa dem einen Hauptfach nicht sicher fühlen. Sie können sich mit aller Ruhe auf zwei Fächer konzentrieren. Endlich hat die Forderung wissenschaftlicher Bildung auch dazu geführt, daß die Prüfung in zwei Teile zerlegt wurde: einen theoretischen, der nach der Universitätszeit, und einen praktischen, der nach dem zweijährigen Vor¬ bereitungsdienst erledigt wird. Auch hierin zeigt sich nur eine gewisse Parallele mit den anderen Fakultäten. Die Einführung eines Probejahres geht schon auf das Jahr 1826 zurück. Sie beruhte auf der Forderung, daß der nur theoretisch-wissenschaftlich gebildete Lehrer nicht ohne praktische Erfahrung in der Kunst der Pädagogik in sein Lehramt eintreten darf, weil er sonst hilflos vor den Schwierigkeiten des Tages kapitulieren müßte. Es ist etwas anderes, im stillen Studierstübchen sich mit der Interpretation von Schriftstellern herum¬ zuschlagen, als eine lebendige Klasse halbwüchsiger Jungen vor sich zu haben, und manch einer, der seinen Sack mit Wissenschaft vollgestopft hatte, mußte an der Schule aufs neue beginnen zu lernen, ja es kam vor, daß er sich so unfähig erwies, daß ihm das Zeugnis der Anstellungsfähigkeit versagt werden mußte. Der Zustand war nun bis zum Jahre 1390 der, daß der Kandidat in seinem Probejahre sechs bis acht Wochenstunden unter Anleitung eines älteren Lehrers geben und so seine praktische Ausbildung vollenden sollte. In Wahrheit aber wurden die angehenden Oberlehrer infolge des starken Mangels an Kandidaten gewöhnlich sofort mit viel mehr Stunden, die sie selbständig zu geben hatten, herangezogen, so daß ihre Ausbildung völlig zu kurz kam. Als nun genügend Kandidaten vorhanden waren, wurden diese Verhältnisse — eben im Jahre 1890 — neu geordnet, und fortan mußte jeder seine zweijährige Vorbereitungszeit durchmachen, die in ein „Seminar", und ein „Probejahr" zerfiel. Im ersten siel das Hauptgewicht auf die unter Leitung des Direktors der Anstalt stattfindenden Sitzungen, in denen Fragen allgemeiner Natur, die den Unterricht betrafen, behandelt wurden. Daneben sollte der Kandidat in den Stunden eines Oberlehrers hospitieren und unter seiner Leitung sich all¬ mählich durch Übernahme von Stunden in den Unterrichtsbetrieb einarbeiten. Daneben mußte er einige Probelektionen in Anwesenheit des Oberlehrers, des Direktors und der anderen Kandidaten geben und ihre Kritik über sich ergehen lassen. Im Probejahr wurden dann die Kandidaten sofort mit einer größeren Anzahl Stunden betraut und erteilten den Unterricht der Vorschrift nach unter Beaufsichtigung durch Ordinarius und Direktor, in Wahrheit fast ganz selb¬ ständig. Jetzt ist durch die neue Prüfungsordnung Wesentliches geändert worden: die gemeinsamen Sitzungen gehen durch beide Jahre hindurch, die 8*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/127>, abgerufen am 01.09.2024.