Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.Die neue Prüfungsordnung Nirgends wird es so klar, daß sich die Zeiten, seitdem überhaupt von Denn wir haben seit einiger Zeit die Schäden kennen gelernt, die aus Die neue Prüfungsordnung Nirgends wird es so klar, daß sich die Zeiten, seitdem überhaupt von Denn wir haben seit einiger Zeit die Schäden kennen gelernt, die aus <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0124" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332839"/> <fw type="header" place="top"> Die neue Prüfungsordnung</fw><lb/> <p xml:id="ID_421"> Nirgends wird es so klar, daß sich die Zeiten, seitdem überhaupt von<lb/> Prüfungen für das höhere Lehramt die Rede sein kann. d. h. seit dem Jahre<lb/> 1810, gewaltig geändert haben, als wenn man die neueste, noch vom Minister<lb/> von Trott zu Solz vollzogene Prüfungsordnung mit den früheren vergleicht.<lb/> Das Examen „pro kacultate äoeenäi" von 1831 nämlich, das in Ausführung<lb/> des Ediktes von 1810 die Prüfungsbedmgungen feststellte, nannte als Prüfungs¬<lb/> fächer Deutsch. Griechisch, Lateinisch, Französisch, Hebräisch, Mathematik, Physik,<lb/> Naturgeschichte, Geschichte, Erdkunde, Philosophie, Pädagogik und Theologie. In<lb/> diesen sämtlichen Gegenständen sollte der Kandidat geprüft werden; nur die, die<lb/> sich vorzugsweise der Mathematik und den Naturwissenschaften zugewandt hatten,<lb/> könnten auf ihr Ersuchen von der Prüfung im Griechischen und Hebräischen<lb/> befreit werden, vom Hebräischen alle die, die nur in den unteren Klassen<lb/> Religion unterrichten wollen. Eine nahezu enzyklopädische Bildung also wurde<lb/> von den angehenden Oberlehrern verlangt entsprechend dem neuhumanistischen<lb/> Bildungsideal, das auf eine umfassende Durchbildung der Persönlichkeit drang.<lb/> Zudem war damals, wie Geheimrat Reinhardt, der den halbamtlichen Kom¬<lb/> mentar zur neuen Prüfungsordnung verfaßt hat. hervor hebt, das Gymnasium<lb/> die einzige in Betracht kommende höhere Lehranstalt, die Zahl der dort gelehrten<lb/> wesentlichen Fächer war gering, so daß man an der Forderung einheitlicher Bildung<lb/> für sämtliche Oberlehrer festhalten zu können glaubte. Durch die späteren<lb/> Prüfungsordnungen ist dann ein Stück nach dem anderen von diesen Fächern<lb/> gefallen — natürlich auch eine Folge immer weitergehender Vertiefung und<lb/> Verbreiterung der einzelnen Lehrfächer, und in der letzten Prüfungsordnung<lb/> von 1898 wird nur noch eine Prüfung in Deutsch, Religion und Philosophie<lb/> verlangt: das ist von der „allgemeinen Bildung" übrig geblieben! Jetzt räumt<lb/> die neue Prüfungsordnung auch mit diesem Überbleibsel einer früheren An¬<lb/> schauung, die durch die Verhältnisse überholt ist. auf: an ihre Stelle tritt die<lb/> Forderung vertiefter philosophischer Bildung für sämtliche Kandidaten.</p><lb/> <p xml:id="ID_422" next="#ID_423"> Denn wir haben seit einiger Zeit die Schäden kennen gelernt, die aus<lb/> der Vernachlässigung philosophischer Bildung sich herleiten, und es ist seit eben<lb/> dieser Zeit eine Bewegung im Gange, die durch neue Betonung der Philo¬<lb/> sophie diesen Schäden, die weit in das Volksleben hineingreifen, abhelfen will.<lb/> Einstweilen ist die Philosophie noch nicht wieder als Unterrichtsfach in den<lb/> höheren Schulen eingeführt, aber es wird nun durch die neue Prüfungsordnung<lb/> wenigstens das Interesse der Philologen sich wieder philosophischen Studien<lb/> zuwenden müssen, denn es werden von den Kandidaten eingehende Kenntnisse in<lb/> allen Zweigen der Philosophie verlangt. Sie sollen sich auch mit „einigen Haupt¬<lb/> werken eines hervorragenden, für ihre Fachwissenschaft besonders in Betracht<lb/> kommenden Philosophen oder mit einem wichtigeren Problemkreise aus der<lb/> Philosophie. . . oder aus der philosophischen Erziehungslehre beschäftigt" haben.<lb/> „Durch die Philosophie werden", wie Reinhardt treffend sagt, „die Sonder¬<lb/> fächer in den großen Zusammenhang alles geistigen Geschehens" gerückt; in-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0124]
Die neue Prüfungsordnung
Nirgends wird es so klar, daß sich die Zeiten, seitdem überhaupt von
Prüfungen für das höhere Lehramt die Rede sein kann. d. h. seit dem Jahre
1810, gewaltig geändert haben, als wenn man die neueste, noch vom Minister
von Trott zu Solz vollzogene Prüfungsordnung mit den früheren vergleicht.
Das Examen „pro kacultate äoeenäi" von 1831 nämlich, das in Ausführung
des Ediktes von 1810 die Prüfungsbedmgungen feststellte, nannte als Prüfungs¬
fächer Deutsch. Griechisch, Lateinisch, Französisch, Hebräisch, Mathematik, Physik,
Naturgeschichte, Geschichte, Erdkunde, Philosophie, Pädagogik und Theologie. In
diesen sämtlichen Gegenständen sollte der Kandidat geprüft werden; nur die, die
sich vorzugsweise der Mathematik und den Naturwissenschaften zugewandt hatten,
könnten auf ihr Ersuchen von der Prüfung im Griechischen und Hebräischen
befreit werden, vom Hebräischen alle die, die nur in den unteren Klassen
Religion unterrichten wollen. Eine nahezu enzyklopädische Bildung also wurde
von den angehenden Oberlehrern verlangt entsprechend dem neuhumanistischen
Bildungsideal, das auf eine umfassende Durchbildung der Persönlichkeit drang.
Zudem war damals, wie Geheimrat Reinhardt, der den halbamtlichen Kom¬
mentar zur neuen Prüfungsordnung verfaßt hat. hervor hebt, das Gymnasium
die einzige in Betracht kommende höhere Lehranstalt, die Zahl der dort gelehrten
wesentlichen Fächer war gering, so daß man an der Forderung einheitlicher Bildung
für sämtliche Oberlehrer festhalten zu können glaubte. Durch die späteren
Prüfungsordnungen ist dann ein Stück nach dem anderen von diesen Fächern
gefallen — natürlich auch eine Folge immer weitergehender Vertiefung und
Verbreiterung der einzelnen Lehrfächer, und in der letzten Prüfungsordnung
von 1898 wird nur noch eine Prüfung in Deutsch, Religion und Philosophie
verlangt: das ist von der „allgemeinen Bildung" übrig geblieben! Jetzt räumt
die neue Prüfungsordnung auch mit diesem Überbleibsel einer früheren An¬
schauung, die durch die Verhältnisse überholt ist. auf: an ihre Stelle tritt die
Forderung vertiefter philosophischer Bildung für sämtliche Kandidaten.
Denn wir haben seit einiger Zeit die Schäden kennen gelernt, die aus
der Vernachlässigung philosophischer Bildung sich herleiten, und es ist seit eben
dieser Zeit eine Bewegung im Gange, die durch neue Betonung der Philo¬
sophie diesen Schäden, die weit in das Volksleben hineingreifen, abhelfen will.
Einstweilen ist die Philosophie noch nicht wieder als Unterrichtsfach in den
höheren Schulen eingeführt, aber es wird nun durch die neue Prüfungsordnung
wenigstens das Interesse der Philologen sich wieder philosophischen Studien
zuwenden müssen, denn es werden von den Kandidaten eingehende Kenntnisse in
allen Zweigen der Philosophie verlangt. Sie sollen sich auch mit „einigen Haupt¬
werken eines hervorragenden, für ihre Fachwissenschaft besonders in Betracht
kommenden Philosophen oder mit einem wichtigeren Problemkreise aus der
Philosophie. . . oder aus der philosophischen Erziehungslehre beschäftigt" haben.
„Durch die Philosophie werden", wie Reinhardt treffend sagt, „die Sonder¬
fächer in den großen Zusammenhang alles geistigen Geschehens" gerückt; in-
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