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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Die Regiorimgskrisc

an den betrübenden Vorgängen in Wilhelmshaven nicht vorsichtig genug gefaßt
haben, so hat er doch die Vorgänge selbst in ihrer wahren, durchaus beschränkten
Bedeutung dargestellt: es habe sich nur um einige wenige Leute an Bord
unserer Flotte gehandelt; die umlaufenden Gerüchte seien maßlos übertrieben,
die Schlagfertigkeit der Flotte -- die sich inzwischen bei der Unternehmung auf
Ösel glänzend bewährt hat -- sei nicht einen Augenblick in Frage gestellt ge¬
wesen. Im Gegensatz dazu mußten die Worte des Kanzlers die Bedeutung
der Vorgänge geradezu aufbauschen, sagte er doch: "Es handelte sich um alles.
Es mußte der Widerstand gebrochen werden. Es war ein kritischer Moment."
Wie sehr diese Worte uns im Auslande geschadet haben, wie sehr sie den
Widerstand der Ententestaaten zu befeuern geeignet sind, das hat sich inzwischen
in dem Echo der feindlichen Presse genugsam gezeigt. Wenn die "Deutsche
Tageszeitung" in diesem Falle den Auslandsstimmen gar kein Gewicht beilegen,
vielmehr gar einen Vorteil darin sehen will, wenn die großbritannischen Fach¬
kreise sich Illusionen über die Schlagkraft unserer Flotte hingäben, so ist das
nur ein klassischer Beweis für die Fechtweise jener Zeitung -- in Sachen der
Friedensresolution war natürlich jede Auslandsstimme, die von Schwäche sprach,
von Zentnergewicht! --, es vermag aber den Kanzler von dem Vorwurf, in
öffentlicher Parlamentsverhandlung des Wortes nicht in dem wünschenswerten
Maße Herr zu sein, nicht zu entlasten.

Es ist auch wohl nicht nur Zufall, wenn der Kanzler die Plenarsitzungen
sichtlich weniger wie die Ausschußverhandlungen liebt. Uns scheint die Tendenz,
die wichtigsten Verhandlungen in steigendem Maße in die Ausschüsse zu ver-
egen und dort auch die Reden der leitenden Staatsmänner gleichsam unter¬
zubringen, weder ver Würde des Reichstages noch auch der Würde der Staats¬
männer selbst angemessen. In die Ausschüsse gehören die Kommissare der
Regierungen; die leitenden Staatsmänner sollten aber, soweit es sich nicht um
vertrauliche Verhandlungen und folglich um geheime Reden handelt, stets nur
im Plenum sprechen. Ein Staatsmann, vor allem ein Kanzler, der nicht im¬
stande ist. auch und gerade im Plenum eine Fülle auch von rednerischen Vor¬
zügen zu entfalten, ist eigentlich ein Unding.

Natürlich wäre es verkehrt, die Schuld, weshalb es nun schon mehrfach
zu Konflikten zwischen Kanzler und Parlament gekommen ist, allein bei dem
ersteren zu suchen. Auch das Parlament ist gewiß nicht frei von Schuld und
Fehle. Es ist wirklich etwas an der vielberufenen Nervosität des Reichstages.
Nicht immer hat er dem Kanzler die Geduld und das sorgsame Verständnis
entgegengebracht, auf das der leitende Staatsmann doch wohl Anspruch erheben
darf; noch in der letzten Tagung ist tatsächlich Herrn Dr. Michaelis manche
Redewendung im Munde herumgedreht worden. Aber im Grunde hat sich der
Kanzler das doch selbst zuzuschreiben; gerade seine Art, sich verklausuliert aus¬
zudrücken, den Vordersatz durch den Nachsatz aufzuheben, die eine Rede durch
eine neue zu kommentieren und zu korrigieren, ist es, was den Reichstag nervös


Die Regiorimgskrisc

an den betrübenden Vorgängen in Wilhelmshaven nicht vorsichtig genug gefaßt
haben, so hat er doch die Vorgänge selbst in ihrer wahren, durchaus beschränkten
Bedeutung dargestellt: es habe sich nur um einige wenige Leute an Bord
unserer Flotte gehandelt; die umlaufenden Gerüchte seien maßlos übertrieben,
die Schlagfertigkeit der Flotte — die sich inzwischen bei der Unternehmung auf
Ösel glänzend bewährt hat — sei nicht einen Augenblick in Frage gestellt ge¬
wesen. Im Gegensatz dazu mußten die Worte des Kanzlers die Bedeutung
der Vorgänge geradezu aufbauschen, sagte er doch: „Es handelte sich um alles.
Es mußte der Widerstand gebrochen werden. Es war ein kritischer Moment."
Wie sehr diese Worte uns im Auslande geschadet haben, wie sehr sie den
Widerstand der Ententestaaten zu befeuern geeignet sind, das hat sich inzwischen
in dem Echo der feindlichen Presse genugsam gezeigt. Wenn die „Deutsche
Tageszeitung" in diesem Falle den Auslandsstimmen gar kein Gewicht beilegen,
vielmehr gar einen Vorteil darin sehen will, wenn die großbritannischen Fach¬
kreise sich Illusionen über die Schlagkraft unserer Flotte hingäben, so ist das
nur ein klassischer Beweis für die Fechtweise jener Zeitung — in Sachen der
Friedensresolution war natürlich jede Auslandsstimme, die von Schwäche sprach,
von Zentnergewicht! —, es vermag aber den Kanzler von dem Vorwurf, in
öffentlicher Parlamentsverhandlung des Wortes nicht in dem wünschenswerten
Maße Herr zu sein, nicht zu entlasten.

Es ist auch wohl nicht nur Zufall, wenn der Kanzler die Plenarsitzungen
sichtlich weniger wie die Ausschußverhandlungen liebt. Uns scheint die Tendenz,
die wichtigsten Verhandlungen in steigendem Maße in die Ausschüsse zu ver-
egen und dort auch die Reden der leitenden Staatsmänner gleichsam unter¬
zubringen, weder ver Würde des Reichstages noch auch der Würde der Staats¬
männer selbst angemessen. In die Ausschüsse gehören die Kommissare der
Regierungen; die leitenden Staatsmänner sollten aber, soweit es sich nicht um
vertrauliche Verhandlungen und folglich um geheime Reden handelt, stets nur
im Plenum sprechen. Ein Staatsmann, vor allem ein Kanzler, der nicht im¬
stande ist. auch und gerade im Plenum eine Fülle auch von rednerischen Vor¬
zügen zu entfalten, ist eigentlich ein Unding.

Natürlich wäre es verkehrt, die Schuld, weshalb es nun schon mehrfach
zu Konflikten zwischen Kanzler und Parlament gekommen ist, allein bei dem
ersteren zu suchen. Auch das Parlament ist gewiß nicht frei von Schuld und
Fehle. Es ist wirklich etwas an der vielberufenen Nervosität des Reichstages.
Nicht immer hat er dem Kanzler die Geduld und das sorgsame Verständnis
entgegengebracht, auf das der leitende Staatsmann doch wohl Anspruch erheben
darf; noch in der letzten Tagung ist tatsächlich Herrn Dr. Michaelis manche
Redewendung im Munde herumgedreht worden. Aber im Grunde hat sich der
Kanzler das doch selbst zuzuschreiben; gerade seine Art, sich verklausuliert aus¬
zudrücken, den Vordersatz durch den Nachsatz aufzuheben, die eine Rede durch
eine neue zu kommentieren und zu korrigieren, ist es, was den Reichstag nervös


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[0114] Die Regiorimgskrisc an den betrübenden Vorgängen in Wilhelmshaven nicht vorsichtig genug gefaßt haben, so hat er doch die Vorgänge selbst in ihrer wahren, durchaus beschränkten Bedeutung dargestellt: es habe sich nur um einige wenige Leute an Bord unserer Flotte gehandelt; die umlaufenden Gerüchte seien maßlos übertrieben, die Schlagfertigkeit der Flotte — die sich inzwischen bei der Unternehmung auf Ösel glänzend bewährt hat — sei nicht einen Augenblick in Frage gestellt ge¬ wesen. Im Gegensatz dazu mußten die Worte des Kanzlers die Bedeutung der Vorgänge geradezu aufbauschen, sagte er doch: „Es handelte sich um alles. Es mußte der Widerstand gebrochen werden. Es war ein kritischer Moment." Wie sehr diese Worte uns im Auslande geschadet haben, wie sehr sie den Widerstand der Ententestaaten zu befeuern geeignet sind, das hat sich inzwischen in dem Echo der feindlichen Presse genugsam gezeigt. Wenn die „Deutsche Tageszeitung" in diesem Falle den Auslandsstimmen gar kein Gewicht beilegen, vielmehr gar einen Vorteil darin sehen will, wenn die großbritannischen Fach¬ kreise sich Illusionen über die Schlagkraft unserer Flotte hingäben, so ist das nur ein klassischer Beweis für die Fechtweise jener Zeitung — in Sachen der Friedensresolution war natürlich jede Auslandsstimme, die von Schwäche sprach, von Zentnergewicht! —, es vermag aber den Kanzler von dem Vorwurf, in öffentlicher Parlamentsverhandlung des Wortes nicht in dem wünschenswerten Maße Herr zu sein, nicht zu entlasten. Es ist auch wohl nicht nur Zufall, wenn der Kanzler die Plenarsitzungen sichtlich weniger wie die Ausschußverhandlungen liebt. Uns scheint die Tendenz, die wichtigsten Verhandlungen in steigendem Maße in die Ausschüsse zu ver- egen und dort auch die Reden der leitenden Staatsmänner gleichsam unter¬ zubringen, weder ver Würde des Reichstages noch auch der Würde der Staats¬ männer selbst angemessen. In die Ausschüsse gehören die Kommissare der Regierungen; die leitenden Staatsmänner sollten aber, soweit es sich nicht um vertrauliche Verhandlungen und folglich um geheime Reden handelt, stets nur im Plenum sprechen. Ein Staatsmann, vor allem ein Kanzler, der nicht im¬ stande ist. auch und gerade im Plenum eine Fülle auch von rednerischen Vor¬ zügen zu entfalten, ist eigentlich ein Unding. Natürlich wäre es verkehrt, die Schuld, weshalb es nun schon mehrfach zu Konflikten zwischen Kanzler und Parlament gekommen ist, allein bei dem ersteren zu suchen. Auch das Parlament ist gewiß nicht frei von Schuld und Fehle. Es ist wirklich etwas an der vielberufenen Nervosität des Reichstages. Nicht immer hat er dem Kanzler die Geduld und das sorgsame Verständnis entgegengebracht, auf das der leitende Staatsmann doch wohl Anspruch erheben darf; noch in der letzten Tagung ist tatsächlich Herrn Dr. Michaelis manche Redewendung im Munde herumgedreht worden. Aber im Grunde hat sich der Kanzler das doch selbst zuzuschreiben; gerade seine Art, sich verklausuliert aus¬ zudrücken, den Vordersatz durch den Nachsatz aufzuheben, die eine Rede durch eine neue zu kommentieren und zu korrigieren, ist es, was den Reichstag nervös

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/114>, abgerufen am 01.09.2024.