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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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lichen Anfühlung seitens der beteiligten Neutralen einen ablehnenden Bescheid.
Mit um so größerem Eifer wurde der Bau eines Schienenweges von Petersburg
(genauer von der Station Swanku der Petersburg-Wologdaer Bahn) zum
tief in das Land einschneidenden Hauptfjord der Murmanküste betrieben, ein
Riesenwerk von 1456 Kilometer Länge, zu dessen Herstellung Tausende von
unglücklichen Kriegsgefangenenen unter den furchtbarsten Strapazen verwendet
wurden").

Die am Endpunkt der Bahn belegene Stadt Alexandrowsk und der dortige
Kriegshafen ("Katharinenhafen") wurden nunmehr der Sammelpunkt für den
transatlantischen Verkehr von und nach Rußland. Inwieweit aber die Hoff-
nungen auf das zum eisfreien Meer durchgebrochene Fenster sich erfüllt haben,
wird sich wohl erst nach dem Kriege feststellen lassen. Die Möglichkeiten eines
starken Handelsverkehrs auf der neuen Linie im Frieden darf man in Anbetracht
der obwaltenden Schwierigkeiten jedenfalls nicht überschätzen. Trotzdem haben
die Engländer nicht gezögert, wie in Archangelsk so in Alexandrowsk sich fest-
zusetzen, ein Beweis, mit welchem Weitblick die einzelnen Einfalltore zur wirt¬
schaftlichen Umstrickung Rußlands von allen Seiten her von ihnen in Rechnung
gezogen werden. Die an den einzelnen Küstenpunkten aufgestellten Wachposten
sollen die zukünftigen Handelsstraßen für den englisch-russischen Güterverkehr
ausspähen und überwachen, ältere Beziehungen festigen und neue anknüpfen.

Englischer Forschungseifer hat an den nördlichen Meeresküsten und Flu߬
mündungen der zaristischen Länder nicht erst seit dem Kriege sich betätigt. So
sind die begehrlichen Blicke der Profitsucher schon längst auf Sibirien gerichtet,
dessen Aufstreben zu einer Ausbeutung der dortigen Bodenschätze und Landes¬
erzeugnisse anregen muß, davon abgesehen, daß die friedliche Annäherung an
die ostasiatischen Reiche auch politisch sich ausnützen läßt. Noch kurz vor dem
Kriege drang eine englische Expedition, an der auch Frithjof Raufen teilnahm,
vom Karischen Meer her in die Stromgebiete des Jenissei ein, durchstreifte das
Ussuriland bis zum Ozean und kehrte durch das Amurgebiet zurück. Und in
neuester Zeit soll ein neues Unternehmen unter englischer Leitung ausgezogen
sein, um die Benutzvarkeit des Karischen Meeres und des Jenissei für eine
regelmäßige Schiffsverbindung zu erkunden.

Die einzelnen Akte dieses Vorgehens und Zugreifens der Engländer bald
hier bald dort auf dem Boden des russischen Reichsgebildes erscheinen zusammen"
hangslos nur für den, der sie nicht in einen einheitlichen Gesamtplan einordnet.
Die wirtschaftliche Aufschließung der ungeheuren Ländermasse des osteuropäischen
Tieflandes für das englische Kapital hat dem praktischen Geschäftssinn John
Bulls stets als erstrebenswert gegolten, mußte sich aber in bescheidenen Grenzen
halten, solange die russische Volkswirtschaft noch unentwickelt und wenig auf-



*) Dr, Richard Hennig, "Die Murmcmbahn und ihre Bedeutung in künftigen Friedens-
Zeiten" (Zeitschrift "Weltwirtschaft". 1917. Ur. 6/6).

lichen Anfühlung seitens der beteiligten Neutralen einen ablehnenden Bescheid.
Mit um so größerem Eifer wurde der Bau eines Schienenweges von Petersburg
(genauer von der Station Swanku der Petersburg-Wologdaer Bahn) zum
tief in das Land einschneidenden Hauptfjord der Murmanküste betrieben, ein
Riesenwerk von 1456 Kilometer Länge, zu dessen Herstellung Tausende von
unglücklichen Kriegsgefangenenen unter den furchtbarsten Strapazen verwendet
wurden").

Die am Endpunkt der Bahn belegene Stadt Alexandrowsk und der dortige
Kriegshafen („Katharinenhafen") wurden nunmehr der Sammelpunkt für den
transatlantischen Verkehr von und nach Rußland. Inwieweit aber die Hoff-
nungen auf das zum eisfreien Meer durchgebrochene Fenster sich erfüllt haben,
wird sich wohl erst nach dem Kriege feststellen lassen. Die Möglichkeiten eines
starken Handelsverkehrs auf der neuen Linie im Frieden darf man in Anbetracht
der obwaltenden Schwierigkeiten jedenfalls nicht überschätzen. Trotzdem haben
die Engländer nicht gezögert, wie in Archangelsk so in Alexandrowsk sich fest-
zusetzen, ein Beweis, mit welchem Weitblick die einzelnen Einfalltore zur wirt¬
schaftlichen Umstrickung Rußlands von allen Seiten her von ihnen in Rechnung
gezogen werden. Die an den einzelnen Küstenpunkten aufgestellten Wachposten
sollen die zukünftigen Handelsstraßen für den englisch-russischen Güterverkehr
ausspähen und überwachen, ältere Beziehungen festigen und neue anknüpfen.

Englischer Forschungseifer hat an den nördlichen Meeresküsten und Flu߬
mündungen der zaristischen Länder nicht erst seit dem Kriege sich betätigt. So
sind die begehrlichen Blicke der Profitsucher schon längst auf Sibirien gerichtet,
dessen Aufstreben zu einer Ausbeutung der dortigen Bodenschätze und Landes¬
erzeugnisse anregen muß, davon abgesehen, daß die friedliche Annäherung an
die ostasiatischen Reiche auch politisch sich ausnützen läßt. Noch kurz vor dem
Kriege drang eine englische Expedition, an der auch Frithjof Raufen teilnahm,
vom Karischen Meer her in die Stromgebiete des Jenissei ein, durchstreifte das
Ussuriland bis zum Ozean und kehrte durch das Amurgebiet zurück. Und in
neuester Zeit soll ein neues Unternehmen unter englischer Leitung ausgezogen
sein, um die Benutzvarkeit des Karischen Meeres und des Jenissei für eine
regelmäßige Schiffsverbindung zu erkunden.

Die einzelnen Akte dieses Vorgehens und Zugreifens der Engländer bald
hier bald dort auf dem Boden des russischen Reichsgebildes erscheinen zusammen«
hangslos nur für den, der sie nicht in einen einheitlichen Gesamtplan einordnet.
Die wirtschaftliche Aufschließung der ungeheuren Ländermasse des osteuropäischen
Tieflandes für das englische Kapital hat dem praktischen Geschäftssinn John
Bulls stets als erstrebenswert gegolten, mußte sich aber in bescheidenen Grenzen
halten, solange die russische Volkswirtschaft noch unentwickelt und wenig auf-



*) Dr, Richard Hennig, „Die Murmcmbahn und ihre Bedeutung in künftigen Friedens-
Zeiten" (Zeitschrift „Weltwirtschaft". 1917. Ur. 6/6).
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/337>, abgerufen am 03.07.2024.