Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Großbritanniens Gstseepolitik

berechtigung aber aller Nationen auf dem freien Meere, für deren Sicherstellung
Deutschland im gegenwärtigen Kriege unermeßliche Opfer bringt, entspricht nicht
den anmaßlichen Ansprüchen des "seebeherrschenden" Albions an eine Vorzugs¬
stellung, die durch nichts sich rechtfertigen läßt.

Das Trachten der englischen Weltherrschaftspolitiker ist eben von jeher
dahin gegangen, den Begriff der Meeresfreiheit im einseitigen Interesse des
großbritannischen Welthandels auszudeuten und auszunutzen. Die geschichtlichen
Lehren zweier Jahrhunderte bezeugen, mit welcher Brutalität das britische
Imperium durch Vergewaltigung schwächerer Staaten zu entscheidender Stunde
die Bahn zu seinem Emporwachsen sich freigemacht hat. Es sei hier nur darauf
verwiesen, daß die Engländer seit den achtziger Jahren in Ägypten, Hinter¬
indien, im tropischen Afrika und durch Unterwerfung der Burenrepubliken nicht
weniger als 8,5 Millionen Quadratmeter dem britischen Reiche angegliedert
haben und daß sie noch in neuerer Zeit den Franzosen auf ihrem Vormarsch
gegen den Sudan bei Faschoda (1898) und durch das verbündete Japan (1905)
den Russen bei ihrem Vordringen zum Gelben und Japanischen Meere den
Weg verlegt haben.

In diesem gewaltigsten aller Kriege nun gilt es, den deutschen Rivalen,
dessen wirtschaftlicher Aufschwung das Übergewicht der englischen Weltherrschaft
Zu gefährden begann, niederzuwerfen und zugleich damit die Staaten der
europäischen Mitte von der führenden Großmacht loszulösen. In das Programm
dieses Vernichtungsplanes gehört auch die ständige Blockierung der deutscheu
Seeküste durch Sicherung einer britischen Vormachtstellung in der Nord- und
Ostsee. Der Plan ist mißglückt, jetzt gilt es für England, wenigstens aus
seinem Waffenbündnis mit unserem östlichen Nachbar die größtmöglichen Vor¬
teile für die Zukunft festzulegen. Die in der sarmatischen Tiefebene ansässigen
Völkerstämme, welchen Namen sie auch tragen mögen, sollen mit einer ver¬
stärkten wirtschaftlichen Durchdringung seitens der englischen Handelswelt beglückt
werden. Die Ostsee könnte hierzu die bequemste Operationsbasis darbieten,
denn die baltische Küstenlwie bildet den natürlichen Zugang, zu den russischen
Binnenmärkten. Überall aber begegnen die englischen Handelsagenten in den
russisch-baltischen Häfen der leidigen Konkurrenz der Staaten rings um die
Ostsee herum, vor allem Deutschlands, dem die Gunst der geographischen Lage
einen großen Vorsprung vor den weit daherkommenden Seefahrern verbürgt.

In dem Wunsche nach einer Zurückdrängung des deutschen Handels von
den russischen Gebieten im allgemeinen und aus den baltischen Häfen im be¬
sonderen treffen die beiden Gefährten des verbrecherischen Angriffskrieges zu-
sannnen. Von den älteren Bestrebungen in dieser Richtung ist bereits früher
die Rede gewesen. Der durch die lügnerischen Ausstreuungen der anglophilen
Presse in Rußland mächtig aufgestachelte Deutschenhaß gibt jetzt eine gute
Triebkraft für alle Unternehmungen ab, die der engeren wirtschaftlichen An-
sreundung der beiden uns feindlichen Großmächte förderlich sein können.


21"
Großbritanniens Gstseepolitik

berechtigung aber aller Nationen auf dem freien Meere, für deren Sicherstellung
Deutschland im gegenwärtigen Kriege unermeßliche Opfer bringt, entspricht nicht
den anmaßlichen Ansprüchen des „seebeherrschenden" Albions an eine Vorzugs¬
stellung, die durch nichts sich rechtfertigen läßt.

Das Trachten der englischen Weltherrschaftspolitiker ist eben von jeher
dahin gegangen, den Begriff der Meeresfreiheit im einseitigen Interesse des
großbritannischen Welthandels auszudeuten und auszunutzen. Die geschichtlichen
Lehren zweier Jahrhunderte bezeugen, mit welcher Brutalität das britische
Imperium durch Vergewaltigung schwächerer Staaten zu entscheidender Stunde
die Bahn zu seinem Emporwachsen sich freigemacht hat. Es sei hier nur darauf
verwiesen, daß die Engländer seit den achtziger Jahren in Ägypten, Hinter¬
indien, im tropischen Afrika und durch Unterwerfung der Burenrepubliken nicht
weniger als 8,5 Millionen Quadratmeter dem britischen Reiche angegliedert
haben und daß sie noch in neuerer Zeit den Franzosen auf ihrem Vormarsch
gegen den Sudan bei Faschoda (1898) und durch das verbündete Japan (1905)
den Russen bei ihrem Vordringen zum Gelben und Japanischen Meere den
Weg verlegt haben.

In diesem gewaltigsten aller Kriege nun gilt es, den deutschen Rivalen,
dessen wirtschaftlicher Aufschwung das Übergewicht der englischen Weltherrschaft
Zu gefährden begann, niederzuwerfen und zugleich damit die Staaten der
europäischen Mitte von der führenden Großmacht loszulösen. In das Programm
dieses Vernichtungsplanes gehört auch die ständige Blockierung der deutscheu
Seeküste durch Sicherung einer britischen Vormachtstellung in der Nord- und
Ostsee. Der Plan ist mißglückt, jetzt gilt es für England, wenigstens aus
seinem Waffenbündnis mit unserem östlichen Nachbar die größtmöglichen Vor¬
teile für die Zukunft festzulegen. Die in der sarmatischen Tiefebene ansässigen
Völkerstämme, welchen Namen sie auch tragen mögen, sollen mit einer ver¬
stärkten wirtschaftlichen Durchdringung seitens der englischen Handelswelt beglückt
werden. Die Ostsee könnte hierzu die bequemste Operationsbasis darbieten,
denn die baltische Küstenlwie bildet den natürlichen Zugang, zu den russischen
Binnenmärkten. Überall aber begegnen die englischen Handelsagenten in den
russisch-baltischen Häfen der leidigen Konkurrenz der Staaten rings um die
Ostsee herum, vor allem Deutschlands, dem die Gunst der geographischen Lage
einen großen Vorsprung vor den weit daherkommenden Seefahrern verbürgt.

In dem Wunsche nach einer Zurückdrängung des deutschen Handels von
den russischen Gebieten im allgemeinen und aus den baltischen Häfen im be¬
sonderen treffen die beiden Gefährten des verbrecherischen Angriffskrieges zu-
sannnen. Von den älteren Bestrebungen in dieser Richtung ist bereits früher
die Rede gewesen. Der durch die lügnerischen Ausstreuungen der anglophilen
Presse in Rußland mächtig aufgestachelte Deutschenhaß gibt jetzt eine gute
Triebkraft für alle Unternehmungen ab, die der engeren wirtschaftlichen An-
sreundung der beiden uns feindlichen Großmächte förderlich sein können.


21«
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0335" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332614"/>
          <fw type="header" place="top"> Großbritanniens Gstseepolitik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1049" prev="#ID_1048"> berechtigung aber aller Nationen auf dem freien Meere, für deren Sicherstellung<lb/>
Deutschland im gegenwärtigen Kriege unermeßliche Opfer bringt, entspricht nicht<lb/>
den anmaßlichen Ansprüchen des &#x201E;seebeherrschenden" Albions an eine Vorzugs¬<lb/>
stellung, die durch nichts sich rechtfertigen läßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1050"> Das Trachten der englischen Weltherrschaftspolitiker ist eben von jeher<lb/>
dahin gegangen, den Begriff der Meeresfreiheit im einseitigen Interesse des<lb/>
großbritannischen Welthandels auszudeuten und auszunutzen. Die geschichtlichen<lb/>
Lehren zweier Jahrhunderte bezeugen, mit welcher Brutalität das britische<lb/>
Imperium durch Vergewaltigung schwächerer Staaten zu entscheidender Stunde<lb/>
die Bahn zu seinem Emporwachsen sich freigemacht hat. Es sei hier nur darauf<lb/>
verwiesen, daß die Engländer seit den achtziger Jahren in Ägypten, Hinter¬<lb/>
indien, im tropischen Afrika und durch Unterwerfung der Burenrepubliken nicht<lb/>
weniger als 8,5 Millionen Quadratmeter dem britischen Reiche angegliedert<lb/>
haben und daß sie noch in neuerer Zeit den Franzosen auf ihrem Vormarsch<lb/>
gegen den Sudan bei Faschoda (1898) und durch das verbündete Japan (1905)<lb/>
den Russen bei ihrem Vordringen zum Gelben und Japanischen Meere den<lb/>
Weg verlegt haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1051"> In diesem gewaltigsten aller Kriege nun gilt es, den deutschen Rivalen,<lb/>
dessen wirtschaftlicher Aufschwung das Übergewicht der englischen Weltherrschaft<lb/>
Zu gefährden begann, niederzuwerfen und zugleich damit die Staaten der<lb/>
europäischen Mitte von der führenden Großmacht loszulösen. In das Programm<lb/>
dieses Vernichtungsplanes gehört auch die ständige Blockierung der deutscheu<lb/>
Seeküste durch Sicherung einer britischen Vormachtstellung in der Nord- und<lb/>
Ostsee. Der Plan ist mißglückt, jetzt gilt es für England, wenigstens aus<lb/>
seinem Waffenbündnis mit unserem östlichen Nachbar die größtmöglichen Vor¬<lb/>
teile für die Zukunft festzulegen. Die in der sarmatischen Tiefebene ansässigen<lb/>
Völkerstämme, welchen Namen sie auch tragen mögen, sollen mit einer ver¬<lb/>
stärkten wirtschaftlichen Durchdringung seitens der englischen Handelswelt beglückt<lb/>
werden. Die Ostsee könnte hierzu die bequemste Operationsbasis darbieten,<lb/>
denn die baltische Küstenlwie bildet den natürlichen Zugang, zu den russischen<lb/>
Binnenmärkten. Überall aber begegnen die englischen Handelsagenten in den<lb/>
russisch-baltischen Häfen der leidigen Konkurrenz der Staaten rings um die<lb/>
Ostsee herum, vor allem Deutschlands, dem die Gunst der geographischen Lage<lb/>
einen großen Vorsprung vor den weit daherkommenden Seefahrern verbürgt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1052" next="#ID_1053"> In dem Wunsche nach einer Zurückdrängung des deutschen Handels von<lb/>
den russischen Gebieten im allgemeinen und aus den baltischen Häfen im be¬<lb/>
sonderen treffen die beiden Gefährten des verbrecherischen Angriffskrieges zu-<lb/>
sannnen. Von den älteren Bestrebungen in dieser Richtung ist bereits früher<lb/>
die Rede gewesen. Der durch die lügnerischen Ausstreuungen der anglophilen<lb/>
Presse in Rußland mächtig aufgestachelte Deutschenhaß gibt jetzt eine gute<lb/>
Triebkraft für alle Unternehmungen ab, die der engeren wirtschaftlichen An-<lb/>
sreundung der beiden uns feindlichen Großmächte förderlich sein können.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 21«</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0335] Großbritanniens Gstseepolitik berechtigung aber aller Nationen auf dem freien Meere, für deren Sicherstellung Deutschland im gegenwärtigen Kriege unermeßliche Opfer bringt, entspricht nicht den anmaßlichen Ansprüchen des „seebeherrschenden" Albions an eine Vorzugs¬ stellung, die durch nichts sich rechtfertigen läßt. Das Trachten der englischen Weltherrschaftspolitiker ist eben von jeher dahin gegangen, den Begriff der Meeresfreiheit im einseitigen Interesse des großbritannischen Welthandels auszudeuten und auszunutzen. Die geschichtlichen Lehren zweier Jahrhunderte bezeugen, mit welcher Brutalität das britische Imperium durch Vergewaltigung schwächerer Staaten zu entscheidender Stunde die Bahn zu seinem Emporwachsen sich freigemacht hat. Es sei hier nur darauf verwiesen, daß die Engländer seit den achtziger Jahren in Ägypten, Hinter¬ indien, im tropischen Afrika und durch Unterwerfung der Burenrepubliken nicht weniger als 8,5 Millionen Quadratmeter dem britischen Reiche angegliedert haben und daß sie noch in neuerer Zeit den Franzosen auf ihrem Vormarsch gegen den Sudan bei Faschoda (1898) und durch das verbündete Japan (1905) den Russen bei ihrem Vordringen zum Gelben und Japanischen Meere den Weg verlegt haben. In diesem gewaltigsten aller Kriege nun gilt es, den deutschen Rivalen, dessen wirtschaftlicher Aufschwung das Übergewicht der englischen Weltherrschaft Zu gefährden begann, niederzuwerfen und zugleich damit die Staaten der europäischen Mitte von der führenden Großmacht loszulösen. In das Programm dieses Vernichtungsplanes gehört auch die ständige Blockierung der deutscheu Seeküste durch Sicherung einer britischen Vormachtstellung in der Nord- und Ostsee. Der Plan ist mißglückt, jetzt gilt es für England, wenigstens aus seinem Waffenbündnis mit unserem östlichen Nachbar die größtmöglichen Vor¬ teile für die Zukunft festzulegen. Die in der sarmatischen Tiefebene ansässigen Völkerstämme, welchen Namen sie auch tragen mögen, sollen mit einer ver¬ stärkten wirtschaftlichen Durchdringung seitens der englischen Handelswelt beglückt werden. Die Ostsee könnte hierzu die bequemste Operationsbasis darbieten, denn die baltische Küstenlwie bildet den natürlichen Zugang, zu den russischen Binnenmärkten. Überall aber begegnen die englischen Handelsagenten in den russisch-baltischen Häfen der leidigen Konkurrenz der Staaten rings um die Ostsee herum, vor allem Deutschlands, dem die Gunst der geographischen Lage einen großen Vorsprung vor den weit daherkommenden Seefahrern verbürgt. In dem Wunsche nach einer Zurückdrängung des deutschen Handels von den russischen Gebieten im allgemeinen und aus den baltischen Häfen im be¬ sonderen treffen die beiden Gefährten des verbrecherischen Angriffskrieges zu- sannnen. Von den älteren Bestrebungen in dieser Richtung ist bereits früher die Rede gewesen. Der durch die lügnerischen Ausstreuungen der anglophilen Presse in Rußland mächtig aufgestachelte Deutschenhaß gibt jetzt eine gute Triebkraft für alle Unternehmungen ab, die der engeren wirtschaftlichen An- sreundung der beiden uns feindlichen Großmächte förderlich sein können. 21«

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/335
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/335>, abgerufen am 03.07.2024.