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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Bemerkungen zum Tage

Reichsgründung noch über Gebiete im internationalen Konzert verhandeln zu sollen,
die hundertfünfzig Jahre zu Preußen gehören, während unsere Truppen täglich
die Grenze gegen Osten hinausschieben! Hier wird ziemlich unverhüllt darauf
hingezielt, Posen und Westpreußen mit Polen zu vereinigen, das zu seiner Wieder¬
herstellung bisher nichts, aber auch gar nichts beigetragen hat, es sei denn die
Versuche, Deutschland und Österreich-Ungarn gegeneinander zu verhetzen. Zwar
gehört die polnische Frage seit einem Jahrhundert und länger zu den Requisiten
der päpstlichen großen Politik, aber daß sie hier und in diesem Zusammenhange
vorgetragen werden kann, ist doch in erster Linie die Folge des Manifestes vom
5. November 1916, das die eroberten russischen Provinzen an der Weichsel in einen
polnischen Staat umwandelte. Dieser polnische Staat mit seinen katholischen
Bewohnern hat zu Beschützern die internationale Demokratie, die Entente, und
den Heiligen Vater, während die von uns eroberten russischen Weichselprovinzen
immer auch noch im Deutschen Reiche einen Beschützer sich erhalten mochten, so¬
lange sie von ihm noch etwas erhoffen konnten. Jetzt sind die Polen glücklich
so weit uns gegenüber gekommen, daß sie fast schon als der umworbene Geber und
nicht der geduldete' Redner auftreten können.

Wir wollen uns auf eine eingehende Auseinandersetzung mit den einzelnen
Vorschlägen des Papstes hier nicht einlassen. Nach dem Gesagten wird man vielleicht
mit mir zu dem Schluß kommen, daß die an sich dankenswerten Versuche des
Heiligen Vaters, den Frieden herbeizuführen, größere Aussicht auf Erfolg haben
würden, wenn in ihnen nicht doch das vatikanische Interesse in seiner Beschränkung
auf Europa an der Gestaltung der Dinge nach dem Kriege gar zu sehr in den
Nordergrund geschoben würde.

Mir will es scheinen, daß der jüngste Versuch an dem gleichen Mangel leitete,
der die Versuche der Sozialisten auszeichnete: es regt sich das Bestreben, auf den
Trümmern des zivilisierten liberalen Europa bereits der eigenen Macht eine Wurzel
statte zu bereiten. Würde der Heilige Vater bei seinen Friedensbemühungen auch
den Bedürfnissen der nicht vatikanischen Welt mehr Rechnung tragen, als er eS
in seinem letzten Schreiben getan, so kämen die Völker dem Frieden vielleicht näher.


G. Lleinow


Bemerkungen zum Tage

Reichsgründung noch über Gebiete im internationalen Konzert verhandeln zu sollen,
die hundertfünfzig Jahre zu Preußen gehören, während unsere Truppen täglich
die Grenze gegen Osten hinausschieben! Hier wird ziemlich unverhüllt darauf
hingezielt, Posen und Westpreußen mit Polen zu vereinigen, das zu seiner Wieder¬
herstellung bisher nichts, aber auch gar nichts beigetragen hat, es sei denn die
Versuche, Deutschland und Österreich-Ungarn gegeneinander zu verhetzen. Zwar
gehört die polnische Frage seit einem Jahrhundert und länger zu den Requisiten
der päpstlichen großen Politik, aber daß sie hier und in diesem Zusammenhange
vorgetragen werden kann, ist doch in erster Linie die Folge des Manifestes vom
5. November 1916, das die eroberten russischen Provinzen an der Weichsel in einen
polnischen Staat umwandelte. Dieser polnische Staat mit seinen katholischen
Bewohnern hat zu Beschützern die internationale Demokratie, die Entente, und
den Heiligen Vater, während die von uns eroberten russischen Weichselprovinzen
immer auch noch im Deutschen Reiche einen Beschützer sich erhalten mochten, so¬
lange sie von ihm noch etwas erhoffen konnten. Jetzt sind die Polen glücklich
so weit uns gegenüber gekommen, daß sie fast schon als der umworbene Geber und
nicht der geduldete' Redner auftreten können.

Wir wollen uns auf eine eingehende Auseinandersetzung mit den einzelnen
Vorschlägen des Papstes hier nicht einlassen. Nach dem Gesagten wird man vielleicht
mit mir zu dem Schluß kommen, daß die an sich dankenswerten Versuche des
Heiligen Vaters, den Frieden herbeizuführen, größere Aussicht auf Erfolg haben
würden, wenn in ihnen nicht doch das vatikanische Interesse in seiner Beschränkung
auf Europa an der Gestaltung der Dinge nach dem Kriege gar zu sehr in den
Nordergrund geschoben würde.

Mir will es scheinen, daß der jüngste Versuch an dem gleichen Mangel leitete,
der die Versuche der Sozialisten auszeichnete: es regt sich das Bestreben, auf den
Trümmern des zivilisierten liberalen Europa bereits der eigenen Macht eine Wurzel
statte zu bereiten. Würde der Heilige Vater bei seinen Friedensbemühungen auch
den Bedürfnissen der nicht vatikanischen Welt mehr Rechnung tragen, als er eS
in seinem letzten Schreiben getan, so kämen die Völker dem Frieden vielleicht näher.


G. Lleinow


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[0296] Bemerkungen zum Tage Reichsgründung noch über Gebiete im internationalen Konzert verhandeln zu sollen, die hundertfünfzig Jahre zu Preußen gehören, während unsere Truppen täglich die Grenze gegen Osten hinausschieben! Hier wird ziemlich unverhüllt darauf hingezielt, Posen und Westpreußen mit Polen zu vereinigen, das zu seiner Wieder¬ herstellung bisher nichts, aber auch gar nichts beigetragen hat, es sei denn die Versuche, Deutschland und Österreich-Ungarn gegeneinander zu verhetzen. Zwar gehört die polnische Frage seit einem Jahrhundert und länger zu den Requisiten der päpstlichen großen Politik, aber daß sie hier und in diesem Zusammenhange vorgetragen werden kann, ist doch in erster Linie die Folge des Manifestes vom 5. November 1916, das die eroberten russischen Provinzen an der Weichsel in einen polnischen Staat umwandelte. Dieser polnische Staat mit seinen katholischen Bewohnern hat zu Beschützern die internationale Demokratie, die Entente, und den Heiligen Vater, während die von uns eroberten russischen Weichselprovinzen immer auch noch im Deutschen Reiche einen Beschützer sich erhalten mochten, so¬ lange sie von ihm noch etwas erhoffen konnten. Jetzt sind die Polen glücklich so weit uns gegenüber gekommen, daß sie fast schon als der umworbene Geber und nicht der geduldete' Redner auftreten können. Wir wollen uns auf eine eingehende Auseinandersetzung mit den einzelnen Vorschlägen des Papstes hier nicht einlassen. Nach dem Gesagten wird man vielleicht mit mir zu dem Schluß kommen, daß die an sich dankenswerten Versuche des Heiligen Vaters, den Frieden herbeizuführen, größere Aussicht auf Erfolg haben würden, wenn in ihnen nicht doch das vatikanische Interesse in seiner Beschränkung auf Europa an der Gestaltung der Dinge nach dem Kriege gar zu sehr in den Nordergrund geschoben würde. Mir will es scheinen, daß der jüngste Versuch an dem gleichen Mangel leitete, der die Versuche der Sozialisten auszeichnete: es regt sich das Bestreben, auf den Trümmern des zivilisierten liberalen Europa bereits der eigenen Macht eine Wurzel statte zu bereiten. Würde der Heilige Vater bei seinen Friedensbemühungen auch den Bedürfnissen der nicht vatikanischen Welt mehr Rechnung tragen, als er eS in seinem letzten Schreiben getan, so kämen die Völker dem Frieden vielleicht näher. G. Lleinow

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/296>, abgerufen am 29.06.2024.