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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die konterrevolutionäre Bewegung in Rußland

So äußerte unlängst der Bolschewiki Sinowjew im Arbeiterrat. Diese
bezeichnenden Worte kommen freilich aus dem Munde eines Vertreters der
Extremisten, von denen die übrigen sozialistischen Elemente stark abrücken, aber
sie verlieren deshalb nicht an Bedeutung, wenn man die Tätigkeit der konter¬
revolutionären Elemente selbst einer genaueren Betrachtung unterzieht.

Welches sind nun diese "konterrevolutionären Elemente", von denen jetzt
fortwährend die Rede ist?

Die Antwort auf diese Frage lautet entsprechend verschieden, je nachdem
man hierzu die "Demokratie" oder die "Bourgeoisie" hört.

Die Bourgeoistepresse, angefangen von der "Rjetsch" und "Rußkaja Wolja"
bis hinauf zur Plechanowschen "Jedinftwo", die man getrost hierunter rechnen
kann, sagt, daß die konterrevolutionären Elemente in Lenin und seinen Ge¬
treuen zu suchen sind, sie sind jene, welche die junge russische Freiheit bedrohen
und das Land an den Rand des Verderbens bringen.

Die Bolschewiki hingegen und ihre Presse, mit der jetzt geschlossenen "Prawda"
an der Spitze, nennen ebenso einstimmig die "Bourgeoisie" jenes Element, das
sich gegen die Revolution verschworen hat.

Die übrige sozialistische Presse und die führenden Kreise der revolutionären
Demokratie jedoch nennen nicht bloß die Bolschewiki "Verschwörer gegen die
Revolution", sondern jetzt auch ganz offen die in den Kadetten "organisierte
Bourgeoisie".

"Die Konter-Revolution erscheint im Bunde mit den Gutsbesitzern, der
großen Bourgeoisie, erschreckten Krämern, reaktionären Offizieren. Oktobristen,
Kadetten, mit allen Deserteuren und Verrätern der Revolution unter dem
Banner der .Rettung der Revolution' . . ." ("Jswestija" vom 11./24. Juli.)
"

Im Sprachgebrauch des einfachen Mannes ist heute das Wort "Bourguj
bereits ein Schimpfwort geworden und gilt als Ausdruck der Verachtung. Ein
"Bourguj" ist "jeder, dem es besser geht". -- Bezeichnend hierfür und nicht
ohne komischen Beigeschmack ist beispielsweise, daß der Infanterist an der Front
den Artilleristen "Bourguj" nennt, "weil der Artillerist hinten steht, der In¬
fanterist dagegen vorn!" -- So führte jüngst der Vertreter der fünften Armee
im Zentralkomitee des Sowjet gelegentlich der Besprechung der russischen Nieder¬
lage aus.

Wenn in der sozialistischen Presse von der "revolutionären Demokratie
gesprochen wird, so faßt man hierunter die "Arbeiter, Soldaten und Bauern",
die große Masse der Bevölkerung. Auch aus dem Munde der Sozialisten¬
minister hört man neuerdings nur diese drei Kategorien nennen als das
"aktive revolutionäre Element". Die "Rjetsch" will das Wort "Bourgeoisie^
auch auf das "kleinbürgerliche demokratische Element in Stadt und Land" aus¬
gedehnt wissen, worunter die kleinen Handels- und Gewerbetreibenden und die
niedrige Beamtenschaft zu rechnen seien. Das Kadettenblatt wünscht diese
Begriffserweiterung allerdings nur zu dem Zweck, um zu beweisen, daß auch


Die konterrevolutionäre Bewegung in Rußland

So äußerte unlängst der Bolschewiki Sinowjew im Arbeiterrat. Diese
bezeichnenden Worte kommen freilich aus dem Munde eines Vertreters der
Extremisten, von denen die übrigen sozialistischen Elemente stark abrücken, aber
sie verlieren deshalb nicht an Bedeutung, wenn man die Tätigkeit der konter¬
revolutionären Elemente selbst einer genaueren Betrachtung unterzieht.

Welches sind nun diese „konterrevolutionären Elemente", von denen jetzt
fortwährend die Rede ist?

Die Antwort auf diese Frage lautet entsprechend verschieden, je nachdem
man hierzu die „Demokratie" oder die „Bourgeoisie" hört.

Die Bourgeoistepresse, angefangen von der „Rjetsch" und „Rußkaja Wolja"
bis hinauf zur Plechanowschen „Jedinftwo", die man getrost hierunter rechnen
kann, sagt, daß die konterrevolutionären Elemente in Lenin und seinen Ge¬
treuen zu suchen sind, sie sind jene, welche die junge russische Freiheit bedrohen
und das Land an den Rand des Verderbens bringen.

Die Bolschewiki hingegen und ihre Presse, mit der jetzt geschlossenen „Prawda"
an der Spitze, nennen ebenso einstimmig die „Bourgeoisie" jenes Element, das
sich gegen die Revolution verschworen hat.

Die übrige sozialistische Presse und die führenden Kreise der revolutionären
Demokratie jedoch nennen nicht bloß die Bolschewiki „Verschwörer gegen die
Revolution", sondern jetzt auch ganz offen die in den Kadetten „organisierte
Bourgeoisie".

„Die Konter-Revolution erscheint im Bunde mit den Gutsbesitzern, der
großen Bourgeoisie, erschreckten Krämern, reaktionären Offizieren. Oktobristen,
Kadetten, mit allen Deserteuren und Verrätern der Revolution unter dem
Banner der .Rettung der Revolution' . . ." („Jswestija" vom 11./24. Juli.)
"

Im Sprachgebrauch des einfachen Mannes ist heute das Wort „Bourguj
bereits ein Schimpfwort geworden und gilt als Ausdruck der Verachtung. Ein
„Bourguj" ist „jeder, dem es besser geht". — Bezeichnend hierfür und nicht
ohne komischen Beigeschmack ist beispielsweise, daß der Infanterist an der Front
den Artilleristen „Bourguj" nennt, „weil der Artillerist hinten steht, der In¬
fanterist dagegen vorn!" — So führte jüngst der Vertreter der fünften Armee
im Zentralkomitee des Sowjet gelegentlich der Besprechung der russischen Nieder¬
lage aus.

Wenn in der sozialistischen Presse von der „revolutionären Demokratie
gesprochen wird, so faßt man hierunter die „Arbeiter, Soldaten und Bauern",
die große Masse der Bevölkerung. Auch aus dem Munde der Sozialisten¬
minister hört man neuerdings nur diese drei Kategorien nennen als das
„aktive revolutionäre Element". Die „Rjetsch" will das Wort „Bourgeoisie^
auch auf das „kleinbürgerliche demokratische Element in Stadt und Land" aus¬
gedehnt wissen, worunter die kleinen Handels- und Gewerbetreibenden und die
niedrige Beamtenschaft zu rechnen seien. Das Kadettenblatt wünscht diese
Begriffserweiterung allerdings nur zu dem Zweck, um zu beweisen, daß auch


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[0270] Die konterrevolutionäre Bewegung in Rußland So äußerte unlängst der Bolschewiki Sinowjew im Arbeiterrat. Diese bezeichnenden Worte kommen freilich aus dem Munde eines Vertreters der Extremisten, von denen die übrigen sozialistischen Elemente stark abrücken, aber sie verlieren deshalb nicht an Bedeutung, wenn man die Tätigkeit der konter¬ revolutionären Elemente selbst einer genaueren Betrachtung unterzieht. Welches sind nun diese „konterrevolutionären Elemente", von denen jetzt fortwährend die Rede ist? Die Antwort auf diese Frage lautet entsprechend verschieden, je nachdem man hierzu die „Demokratie" oder die „Bourgeoisie" hört. Die Bourgeoistepresse, angefangen von der „Rjetsch" und „Rußkaja Wolja" bis hinauf zur Plechanowschen „Jedinftwo", die man getrost hierunter rechnen kann, sagt, daß die konterrevolutionären Elemente in Lenin und seinen Ge¬ treuen zu suchen sind, sie sind jene, welche die junge russische Freiheit bedrohen und das Land an den Rand des Verderbens bringen. Die Bolschewiki hingegen und ihre Presse, mit der jetzt geschlossenen „Prawda" an der Spitze, nennen ebenso einstimmig die „Bourgeoisie" jenes Element, das sich gegen die Revolution verschworen hat. Die übrige sozialistische Presse und die führenden Kreise der revolutionären Demokratie jedoch nennen nicht bloß die Bolschewiki „Verschwörer gegen die Revolution", sondern jetzt auch ganz offen die in den Kadetten „organisierte Bourgeoisie". „Die Konter-Revolution erscheint im Bunde mit den Gutsbesitzern, der großen Bourgeoisie, erschreckten Krämern, reaktionären Offizieren. Oktobristen, Kadetten, mit allen Deserteuren und Verrätern der Revolution unter dem Banner der .Rettung der Revolution' . . ." („Jswestija" vom 11./24. Juli.) " Im Sprachgebrauch des einfachen Mannes ist heute das Wort „Bourguj bereits ein Schimpfwort geworden und gilt als Ausdruck der Verachtung. Ein „Bourguj" ist „jeder, dem es besser geht". — Bezeichnend hierfür und nicht ohne komischen Beigeschmack ist beispielsweise, daß der Infanterist an der Front den Artilleristen „Bourguj" nennt, „weil der Artillerist hinten steht, der In¬ fanterist dagegen vorn!" — So führte jüngst der Vertreter der fünften Armee im Zentralkomitee des Sowjet gelegentlich der Besprechung der russischen Nieder¬ lage aus. Wenn in der sozialistischen Presse von der „revolutionären Demokratie gesprochen wird, so faßt man hierunter die „Arbeiter, Soldaten und Bauern", die große Masse der Bevölkerung. Auch aus dem Munde der Sozialisten¬ minister hört man neuerdings nur diese drei Kategorien nennen als das „aktive revolutionäre Element". Die „Rjetsch" will das Wort „Bourgeoisie^ auch auf das „kleinbürgerliche demokratische Element in Stadt und Land" aus¬ gedehnt wissen, worunter die kleinen Handels- und Gewerbetreibenden und die niedrige Beamtenschaft zu rechnen seien. Das Kadettenblatt wünscht diese Begriffserweiterung allerdings nur zu dem Zweck, um zu beweisen, daß auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/270>, abgerufen am 03.07.2024.