Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.Der Aufstieg der Begabten im Lichte der Bevölkernngslnologie geschlagenen Wunden zu heilen berufen sein dursten; und in der vom Reichs¬ Trotzdem oder vielmehr gerade deshalb muß es gestattet sein, von Anfang Die Absicht ist, dem Gesetz der natürlichen Auslese, das als eines der Die künstliche Selektion ist mithin im Laufe der Zeit zu einer immer Der Aufstieg der Begabten im Lichte der Bevölkernngslnologie geschlagenen Wunden zu heilen berufen sein dursten; und in der vom Reichs¬ Trotzdem oder vielmehr gerade deshalb muß es gestattet sein, von Anfang Die Absicht ist, dem Gesetz der natürlichen Auslese, das als eines der Die künstliche Selektion ist mithin im Laufe der Zeit zu einer immer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0097" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331939"/> <fw type="header" place="top"> Der Aufstieg der Begabten im Lichte der Bevölkernngslnologie</fw><lb/> <p xml:id="ID_235" prev="#ID_234"> geschlagenen Wunden zu heilen berufen sein dursten; und in der vom Reichs¬<lb/> kanzler ausgegebenen Parole „Freie Bahn jedem Tüchtigen" hat dieses Pro¬<lb/> gramm auch die öffentliche Billigung unserer Neichsleitung erfahren. Es ist<lb/> also wohl die Hoffnung berechtigt, daß das wichtige Werk, das hier und da auch<lb/> bereits in Angriff genommen worden ist, mit einer Einträchtigkeit und Energie durch¬<lb/> geführt werden wird, die wir nicht immer beisozialen Reformen haben erleben können.</p><lb/> <p xml:id="ID_236"> Trotzdem oder vielmehr gerade deshalb muß es gestattet sein, von Anfang<lb/> an darauf aufmerksam zu machen, daß unser hochstrebendes Vorhaben in einem<lb/> sehr wesentlichen Punkte durchaus der Ergänzung bedarf, wenn der über die<lb/> Gegenwart hinaus von ihm erwartete Segen nicht gefährdet werden und viel¬<lb/> leicht gar ins Gegenteil umschlagen sollt</p><lb/> <p xml:id="ID_237"> Die Absicht ist, dem Gesetz der natürlichen Auslese, das als eines der<lb/> wichtigsten Triebkräfte in der Aufwärtsentwicklung unserer Welt gelten darf,<lb/> zu beschleunigter und umfassenderer Wirksamkeit zu verhelfen, indem ihm. wie<lb/> das ja auch in manch anderer Beziehung geschieht, eine bewußte, künstliche<lb/> Selektion zur Seite gestellt wird. Es liegt ja nun einmal im Wesen der<lb/> Kultur, daß mit ihrem Fortschreiten, ihrer Entwickelung die Lebensbedingungen<lb/> der Menschen von ihrer ursprünglichen Verwurzelung in den Urzuständen der<lb/> Natur immer weiter sich entfernen und daß so auch die Gaben, die uns Mutter<lb/> Natur mit auf den Lebensweg gibt, diesen längst nicht mehr so wie einst aus¬<lb/> schlaggebend zu beeinflussen vermögen. Im Zeitalter des Kapitalismus läßt<lb/> sich natürlich auch noch mit andern Pfunden wuchern als nur mit angeborener<lb/> Tüchtigkeit; und wo Protektion und erkünstelte Klassenunterschiede den Boden<lb/> düngen, können auch Minderbegabte günstige Aufwuchsbedingungen finden und<lb/> aufstrebenden Talenten den Platz an der Sonne bestreiten. Ans der Einsicht<lb/> in diese Kehrseite unserer gesellschaftlichen Entwicklung mußte sich gesunden<lb/> Sinnen die Notwendigkeit aufdrängen, nach einem planmäßigen Ausgleich solcher<lb/> Mängel zu suchen. Das war ja auch fast immer so, wenn in ähnlichen Phasen<lb/> der Menschheitsgeschichte derartige Mißstände sich eindringlichst offenbarten; wo<lb/> man sie jedoch in sozialer Verblendung unberücksicht ließ, da wurden sie mit<lb/> Schicksalsnotwendigkeit zum Krebsschaden am Körper der Gemeinschaft.</p><lb/> <p xml:id="ID_238"> Die künstliche Selektion ist mithin im Laufe der Zeit zu einer immer<lb/> wichtigeren Ergänzung der natürlichen Auslese geworden und kann in unseren<lb/> Tagen, in Anbetracht der besonderen Umstände, vollends auf Unentbehrlichst<lb/> Anspruch machen. Nur darf man nicht zu glauben sich vermessen, daß es für<lb/> Menschenkräfte ein einfaches und leichtes Beginnen sei. dem Walten der Natur,<lb/> von der wir auch auf der stolzen Höhe unserer Kultur immer noch weit ab¬<lb/> hängiger sind, als unsere Einbildung sich zugestehen möchte, unsere Hilfe und,<lb/> wo es nötig scheint, gar eine Korrektur zuteil werden zu lassen. Das Problem<lb/> vom Aufstieg der Begabten vermag uns zu lehren, wie leicht man dabei im<lb/> besten Bestreben Gefahr laufen kann, der Gesamtheit mehr dauernden Schaden<lb/> als vorübergehenden Nutzen zu stiften.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0097]
Der Aufstieg der Begabten im Lichte der Bevölkernngslnologie
geschlagenen Wunden zu heilen berufen sein dursten; und in der vom Reichs¬
kanzler ausgegebenen Parole „Freie Bahn jedem Tüchtigen" hat dieses Pro¬
gramm auch die öffentliche Billigung unserer Neichsleitung erfahren. Es ist
also wohl die Hoffnung berechtigt, daß das wichtige Werk, das hier und da auch
bereits in Angriff genommen worden ist, mit einer Einträchtigkeit und Energie durch¬
geführt werden wird, die wir nicht immer beisozialen Reformen haben erleben können.
Trotzdem oder vielmehr gerade deshalb muß es gestattet sein, von Anfang
an darauf aufmerksam zu machen, daß unser hochstrebendes Vorhaben in einem
sehr wesentlichen Punkte durchaus der Ergänzung bedarf, wenn der über die
Gegenwart hinaus von ihm erwartete Segen nicht gefährdet werden und viel¬
leicht gar ins Gegenteil umschlagen sollt
Die Absicht ist, dem Gesetz der natürlichen Auslese, das als eines der
wichtigsten Triebkräfte in der Aufwärtsentwicklung unserer Welt gelten darf,
zu beschleunigter und umfassenderer Wirksamkeit zu verhelfen, indem ihm. wie
das ja auch in manch anderer Beziehung geschieht, eine bewußte, künstliche
Selektion zur Seite gestellt wird. Es liegt ja nun einmal im Wesen der
Kultur, daß mit ihrem Fortschreiten, ihrer Entwickelung die Lebensbedingungen
der Menschen von ihrer ursprünglichen Verwurzelung in den Urzuständen der
Natur immer weiter sich entfernen und daß so auch die Gaben, die uns Mutter
Natur mit auf den Lebensweg gibt, diesen längst nicht mehr so wie einst aus¬
schlaggebend zu beeinflussen vermögen. Im Zeitalter des Kapitalismus läßt
sich natürlich auch noch mit andern Pfunden wuchern als nur mit angeborener
Tüchtigkeit; und wo Protektion und erkünstelte Klassenunterschiede den Boden
düngen, können auch Minderbegabte günstige Aufwuchsbedingungen finden und
aufstrebenden Talenten den Platz an der Sonne bestreiten. Ans der Einsicht
in diese Kehrseite unserer gesellschaftlichen Entwicklung mußte sich gesunden
Sinnen die Notwendigkeit aufdrängen, nach einem planmäßigen Ausgleich solcher
Mängel zu suchen. Das war ja auch fast immer so, wenn in ähnlichen Phasen
der Menschheitsgeschichte derartige Mißstände sich eindringlichst offenbarten; wo
man sie jedoch in sozialer Verblendung unberücksicht ließ, da wurden sie mit
Schicksalsnotwendigkeit zum Krebsschaden am Körper der Gemeinschaft.
Die künstliche Selektion ist mithin im Laufe der Zeit zu einer immer
wichtigeren Ergänzung der natürlichen Auslese geworden und kann in unseren
Tagen, in Anbetracht der besonderen Umstände, vollends auf Unentbehrlichst
Anspruch machen. Nur darf man nicht zu glauben sich vermessen, daß es für
Menschenkräfte ein einfaches und leichtes Beginnen sei. dem Walten der Natur,
von der wir auch auf der stolzen Höhe unserer Kultur immer noch weit ab¬
hängiger sind, als unsere Einbildung sich zugestehen möchte, unsere Hilfe und,
wo es nötig scheint, gar eine Korrektur zuteil werden zu lassen. Das Problem
vom Aufstieg der Begabten vermag uns zu lehren, wie leicht man dabei im
besten Bestreben Gefahr laufen kann, der Gesamtheit mehr dauernden Schaden
als vorübergehenden Nutzen zu stiften.
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